Unser Buchtipp
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags. Die Geister Afrikas© V. GroßEigentlich kann ich sagen, dass ich die Trommeln Afrikas schon immer vernommen habe. Als Kind bereits, wenn ich, wie vielleicht jedes Kind, von großen Abenteuern in weit entfernten Ländern träumte. Und auch dieses schwarze Mädchen, um das sich meine Geschichte in gewisser Weise dreht, habe ich schon immer gesehen. Mein Name ist Jim, Jim Locke, und als meine Reise begann, war ich gerade 14 Jahre alt. Meine Eltern waren beide gestorben und mein Patenonkel, der mich zu sich genommen hatte, war kein besonders herzlicher Mann. Vor Jahren schon hatte man ihm wegen der Schulden sein Geschäft, das er als Färber von Stoffen betrieben hatte, genommen, und nun suchte er Trost im Alkohol, war verbittert und mürrisch. Ständig beklagte er sich darüber, dass er mich durchfüttern müsse, obwohl er zu Lebzeiten meiner Eltern niemals irgendwelche Hilfe von diesen bekommen hatte. Eines Morgens eröffnete er mir, er habe für mich auf einem Schiff angeheuert, und wies mich an, mich reisefertig zu machen. So verließ ich Bristol, die Stadt in der ich geboren und aufgewachsen war, um zur See zu fahren. Ich war nicht unglücklich darüber, glaubte ich doch, nun ein neues Leben beginnen zu können, ein freies Leben, weitab von den beengenden schmutzigen Gassen meiner Heimatstadt und den ewigen Nörgeleien meines Onkels. Mit meinem Bündel in der Hand lief ich am Hafen umher und spähte auf die Schiffsrümpfe, wo irgendwo der Name meines Schiffes, der "Stuart Withling", auftauchen musste. Ich kannte mich aus, denn schon seit Jahren war ich an den Docks herumgeschlichen, hatte die abfahrenden Schiffe beobachtet und die heimkehrenden Seemänner bewundert, deren Haut braun gebrannt und dick wie Leder war, die von ihren Reisen und Abenteuern erzählten und bei Dunkelheit in den Tavernen ihre Shantys sangen und dazu tanzten. Nun also sollte ich selber ein Seemann werden. Endlich entdeckte ich durch die Menge der Menschen, die Fässer von den Schiffen rollten und schwere Bündel ausländischer Stoffe an den Kais stapelten, den weißen Schriftzug meines Schiffes. Es war ein sonniger Vormittag im Jahre 1744, die Möwenschreie gellen mir noch heute im Ohr und noch immer rieche ich den Geruch von Salz und Teer, der, wie ich später feststellen sollte, so typisch war für die Häfen der Welt. Bald stand ich also vor der "Stuart Withling", einem ansehnlichen Klipper, der, wie ich nebenbei bemerkte, frisch gestrichen war. Ein durchschnittlicher Dreimaster wie er seit Jahren schon in Gebrauch war, um Handelswaren über die Meere zu bringen. Ich lief die Schiffsplanke hinauf und sah mich nach dem Mann um, der fürs Anheuern zuständig war. Ich fand ihn, übergab ihm das Schreiben, das mein Onkel mir mitgegeben hatte, machte mein Kreuz an die dafür vorgesehene Stelle der Besatzungsliste und erfuhr, dass ich als Schiffsjunge an Bord genommen war. Während der ersten Nacht, die ich unter Deck in den engen Mannschaftsquartieren in meiner Hängematte verbrachte, hörte ich einiges über die bevorstehende Reise. Tatsächlich war ich ja an Bord gegangen, ohne das Geringste über Ziel und Auftrag des Schiffes zu wissen. Nun lag ich also hier, während sich das Deck nach und nach mit den Seemännern füllte, die auf dieser Reise meine Gefährten sein sollten; grobschlächtige Kerle in allen Altersklassen und darunter manch wirklich finsterer Geselle, der mir einen gehörigen Schrecken einjagte. Ich drückte mich tiefer in meine Hängematte und war froh, dass mich niemand so recht zur Kenntnis zu nehmen schien. So lauschte ich ihren Gesprächen, während sie Rum tranken und Tabak rauchten. Viele Geschichten erstaunten mich doch sehr, Berichte von seltsamen Vorkommnissen, von Seeungeheuern, Klabautermännern und fremden Ländern, von Kannibalen und glänzenden Städten aus purem Gold; das berüchtigte Seemannsgarn, wie ich später erfuhr. Aber ich schnappte auch einiges Brauchbares auf. So erfuhr ich, dass wir im Auftrag einer Londoner Handelsgesellschaft nach der Goldküste unterwegs sein würden um dort die Waren, die wir geladen hatten, hauptsächlich Waffen, Branntwein und Baumwollstoffe, gegen Gold, Elfenbein und Pfeffer zu tauschen. Unser Kapitän, den ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht an Bord gesehen hatte, war ein Portugiese oder Spanier namens Don Felipe, ein verwegener Mann und, wie es hieß, ehemaliger Freibeuter. Allmählich sank ich in einen unruhigen Schlaf und ich träumte von den fernen Küsten jenes dunklen, geheimnisvollen Kontinents, der unser Ziel sein sollte. Wilde exotische Tiere bevölkerten meine Traumlandschaften, Löwen und Elefanten und allerhand anderes merkwürdiges Getier, das ich aus einem Buch meines Onkels kannte, das dieser stets sorgfältig in seiner kleinen Bibliothek aufbewahrt hatte. Ich sah in meinen Träumen ebenso die Bewohner dieses fernen Kontinents. Ich sah sie so wie ich sie von meinen früheren Beobachtungen am Hafen kannte. Ausgemergelte, halb verhungerte Gestalten von schwarzer Hautfarbe, gebückt und niedergedrückt, in Ketten darauf wartend, was mit ihnen geschehen würde. Ich hatte gelernt, dass diese Wesen nicht mehr waren als eine Vorstufe der zivilisierten Menschheit, dem Affen näher als uns Europäern. Hin und wieder wurden einige von ihnen nach England gebracht. Zumeist jedoch brachte man sie, wie ich wusste, nach Amerika, in die neue Welt, wo sie niedrige Arbeiten verrichteten, auf den Feldern oder als Bedienstete der hohen Herrschaften. Immer wieder sah ich jedoch in meinen Träumen auch das schwarze Mädchen, das mich anlächelte und mir zuwinkte. Eine Merkwürdigkeit, die erst später Bedeutung gewinnen sollte. Am nächsten Morgen ging es los. Die Pfeifen ertönten und die Wanten füllten sich mit gewandten Kletterern, die sich anschickten die Segel zu setzen. Der Anker wurde gehoben und das Schiff setzte sich in Bewegung. Wir segelten durch den Kanal von Bristol hinaus aufs offene Meer und schlugen sodann einen südlichen Kurs ein, der uns entlang des europäischen Festlandes über den nördlichen Wendekreis hinaus zu den geheimnisvollen Küsten Afrikas bringen sollte. Die Zeit des Müßiggangs war vorbei. Ich wurde fürs Erste dem Schiffskoch zugeteilt und verbrachte von nun an endlose Stunden in der engen stickigen Kombüse, wo ich half das Essen zuzubereiten. Zuweilen trug ich dem Kapitän und seinen Offizieren Mahlzeiten auf oder wurde dazu verpflichtet, das Deck zu schrubben oder im Mastkorb Ausschau nach anderen Schiffen zu halten. Mir blieb nur wenig Zeit um mich träumerischen Gefühlen hinzugeben und mich in den unbeschreiblichen Sonnenuntergängen auf offener See zu verlieren. Abends fiel ich todmüde in meine Hängematte und schlief traumlos wie ein Stein bis zum nächsten Morgen. Aber ich war sehr neugierig und lernte viel über das Handwerk der Seemänner. Ich lernte bald, die See zu lieben und genoss nach anfänglichen Schwierigkeiten die ewige träge Bewegung unseres Schiffes, das andauernde Geräusch der gegen die Bordwand anrollenden Wellen, die salzige Luft und den freien Blick über einen gewölbten Horizont, der durch nichts behindert wurde. Während unserer gesamten Reise blieben wir von französischen Galeonen und marodierenden Freibeutern verschont, nicht zuletzt wegen des Geschicks unseres Kapitäns, der, immer wenn ein fremdes Schiff in Sichtweite kam, nicht zögerte, die entsprechende Flagge hissen zu lassen, die uns als ein befreundetes Schiff auswies. Nach einer kurzen Zwischenlandung bei Cap Verde, wo wir Proviant und Trinkwasser an Bord nahmen, gelangten wir nach beinahe anderthalb Monaten auf See unbehelligt an unser Ziel. Schon von weitem leuchteten die weiß getünchten Mauern der Festung Cape Coast, auf einer hohen Klippe über dem Meer gelegen, im gleißenden Sonnenlicht. Gemächlich segelten wir in Richtung der Festung und schließlich warfen wir unweit der Küste unseren Anker und refften die Segel. Wir waren am Ziel unserer Reise angekommen. Vor uns lag die Goldküste Afrikas. Sie wollen wissen, wie diese spannende Geschichte weitergeht?
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