Unser Buchtipp
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Die Bartkonkurrenz© Sunny BertramHerbert Wahl hatte einen breiten, ausladenden Bart wie der alte Kaiser Wilhelm. Sein ganzer Stolz. Morgen würde die Bartkonkurrenz stattfinden. Dort würden die schönsten Bärte gekürt werden. Im letzten Jahr hatte er bereits einen der vorderen Plätze belegt. Die Juroren hatten ihm gesagt, dass er es auf einen der drei ersten Plätze schaffen könnte, wenn der Bart noch etwas länger wäre. In diesem Jahr war es so weit. Er freute sich auf den Wettbewerb. Der Wettbewerb wurde vom Verein "Traumbärte Deutschland" veranstaltet. Herbert war Vereinsmitglied und traf sich jeden Dienstagabend mit seinen Vereinskameraden, die wie er aufwändig gestaltete Bärte trugen. Sie verstanden, warum er einen solchen Bart hatte und viel Zeit und Mühe darauf verwendete, ihn zu pflegen. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau. Sie verabscheute seinen Bart. Er verbrachte viel mehr Zeit mit seinem Bart und seinen Vereinskameraden als mit ihr. Seit Wochen schon schwärmte er ihr von der Bartkonkurrenz vor. Er wollte es auf einen der ersten drei Plätze schaffen und dann mit seinem Bart noch mehr angeben? Sie überlegte kurz und grinste hämisch. Als er am nächsten Morgen erwachte, sah er als erstes in den Spiegel. Ihm stockte der Atem. Wie sah er denn aus? Von der linken Seite seines schönen Bartes waren nur noch ein paar Stoppeln übrig! Er rief nach seiner Frau. Als sie erschien, fragte er, was mit seinem Bart geschehen sei. Sie sagte, er müsse sich im Schlaf wohl den Bart abgeschnitten haben. Er bemerkte den falschen, verschlagenen Ausdruck ihrer Augen. "Du elendes Miststück, warum hast Du das getan?" Seine Frau fing lauthals an zu schreien. Es klingelte an der Tür. Eine Nachbarin stand davor. Seine Frau erzählte unter Tränen, was für ein Ungeheuer ihr Mann doch war. Die Nachbarin kannte das Ehepaar recht gut. Ihr fiel der kalte Blick in den verweinten Augen der Frau auf. Dahinter stand der Mann mit seinem verunstalteten Bart. "Frau Wahl, wenn Sie Hilfe benötigen, klingeln Sie einfach bei mir." Sie ging zurück in ihre Wohnung. Herbert nahm seinen großen braunen Koffer vom Schrank und packte die notwendigsten Dinge für die nächsten Wochen ein. In dieser Wohnung, bei dieser Frau, hielt er es keine Minute länger aus. Er verließ die Wohnung. Hoffentlich hatte er nichts Wichtiges vergessen! Er lief zur nächsten S-Bahn-Station. Von dort rief er seinen Vereinskameraden Walter an. "Mensch, Herbert, was für eine üble Geschichte! Geh ins Hotel am Antonplatz, das ist ganz ordentlich. Ich komme Dich nachher besuchen, sagen wir um Eins?" "Ok, bis nachher um Eins." Im Hotel mietete er ein Zimmer für einen ganzen Monat. Dann würde er hoffentlich eine Wohnung gefunden haben. Im Hotelzimmer ließ er sich in einen Sessel fallen. Wie ruhig es hier war! Er kam ins Grübeln. Das hatte er nun davon. Hatte dieses Weib ihm seinen ganzen Stolz abgeschnitten. Warum hatte er sich nicht längst von ihr getrennt? War es Bequemlichkeit? Fehlte ihm der Mut? Er wusste es nicht. Der Sohn hatte sich vor Jahren von seinen Eltern verabschiedet. Er hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Was würden seine Vereinskameraden sagen? Musste er jetzt aus dem Verein austreten? Als Walter kam, beruhigte er ihn. "Alles halb so schlimm. Nachher kommt Alfons, unser "Star-Bartfriseur". Der hat noch jeden Bart retten können. Und alle Mitglieder, die ihren Bart unfreiwillig verlieren, werden zu Ehrenmitgliedern ernannt und sind weiterhin gern gesehen. Du weißt doch selbst, dass Sepp seinen Bart durch Haarausfall verloren hat und Detlef ihn wegen einer OP abrasieren musste. Du kannst ja auch nichts dafür. Brauchst Du übrigens einen Anwalt?" "Weißt Du einen, der sich mit Schadenersatz und Scheidungen auskennt?" "Diesmal gehst Du wohl aufs Ganze? Wir haben uns immer gewundert, wie Du es mit dieser Frau aushältst." "Das frage ich mich auch schon lange. Wäre ich bloß früher abgehauen!" Alfons betrachte Herberts Bart und überlegte. "Hmm. Am besten, ich schneide die rechte Seite kurz und gleiche links an. Gewinnen werden Sie damit sicher nicht. Aber in zwei, drei Jahren könnte es klappen. Machen Sie einfach mit. Mindestens ein Trostpreis ist bestimmt drin!" Die Bartkonkurrenz begann. Herbert betrachtete neidisch die Bärte seiner Konkurrenten. Insgesamt waren es 30 Teilnehmer. Die Juroren begutachteten jeden Bart genau. Sie brauchten lange, um sich auf eine Reihenfolge zu einigen und den Gewinner zu ermitteln. Schließlich wurde das Ergebnis verlesen, angefangen vom 30. Platz. Bei jedem Platz, der genannt wurde, zuckte Herbert zusammen. Das war bestimmt er! Aber es wurden andere Namen aufgerufen. Jetzt waren sie bei Platz 20. Sein Name wurde noch immer nicht genannt. Hatte man ihn aus der Teilnehmerliste gestrichen? Platz 15. Wieder jemand anderes. Platz 10, Platz 9 … "Platz 3 - Herbert Wahl!" Er konnte es nicht glauben. Mit diesem Gestrüpp auf Platz 3? "Lieber Herbert Wahl, uns ist die Entscheidung nicht leicht gefallen. Ihr Bart ist recht kurz, aber er hat eine schöne Form und schmiegt sich sehr ästhetisch an Ihre Wangen. Wenn er nächstes Jahr etwas länger ist, könnten Sie es nach ganz vorn schaffen. Herzlichen Glückwunsch!" Donnernder Applaus. Herbert war wie benommen. Er auf Platz 3! Für ihn hatte sich ein Traum erfüllt. Sein Blick fiel auf Walter, der ihm zuwinkte. War der Jury-Vorsitzende nicht Walters Bruder? Abends wurde das Ereignis im Vereinslokal ausgiebig gefeiert. Danach ging Herbert in sein Hotelzimmer. Er war ganz allein, niemand um ihn herum. Kein boshaftes Gerede, keine gehässigen Bemerkungen. Welch eine himmlische Ruhe! Für Herbert Wahl hatte ein neues Leben begonnen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Eingereicht am Ein haariges Lesevergnügen
|
© Dr. Ronald Henss Verlag Home Page