Unser Buchtipp
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Unheimlicher Bartwuchs© Martina Bethe-HartwigAm Morgen seines sechzehnten Geburtstages entdeckte Jens Mechthold erstes flaumiges Haar auf seinem Kinn. Am Mittag hatten sich aus dem dünnen Haar dunkle Bartstoppeln entwickelt. Stunden später, noch ehe die Novembersonne unterging, bedeckte ein dichter krauser Bart, der die nussbraune Farbe seines schulterlangen Kopfhaares besaß, sein Kinn, einen Teil seiner Wangen und den Bereich zwischen Oberlippe und Nase. Bis zu den Abendnachrichten hielt der unheimliche Bartwuchs an und, als Jens blass nach dem Telefon griff, um seine Partygäste mit drucksender Stimme auszuladen, erreichte der Bart bereits seine Brust. Voller Verzweiflung griffen seine Eltern und er nach Scheren und diversen Rasierapparaten, doch es half nichts. Je mehr sie vom Bart abschnitten, umso schneller wuchs er nach. Als Jens gegen Mitternacht schluchzend ins Bett fiel, mit dem einzigen Trost, dass seine Eltern ihn am nächsten Tag in der Schule krank melden und zu einem Arzt bringen würden, endete der Bart nur wenige Zentimeter über seinem Bauchnabel. Tage darauf erlitt Jens einen Nervenzusammenbruch. Arztbesuche und Untersuchungen im Krankenhaus hatten keine Erklärung und Hilfe gebracht. Jens Mechthold behielt seinen Bart, der ihm bis knapp zum Bauchnabel reichte, und kein Medikament, kein medizinisches Gerät vermochte das zu ändern. "Was ... was!", schrie Jens, als er getarnt durch seine Jackenkapuze und einem bis über das Kinn hochgezogenen Schal vom Audi seiner Eltern über den Plattenweg durch den Vorgarten zum Eingang des Einfamilienhauses lief. Herbstgeruch stieg aus der dunklen Erde. Feuchtglänzendes Laub bedeckte den Rasen, der sich zwischen Haus und der Strauchhecke, die sich am Jägerzaun entlang zog, ausbreitete. In der Luft hing feiner Nieselregen. Jens rieb sich über das Gesicht, schwang abrupt herum und zwang seine Eltern, die hinter ihm hereilten, zum Halten. "Auf keinen Fall gehe ich mit diesem Teppich im Gesicht zur Schule, nicht mal mehr auf die Straße." "Aber ..." Sein Vater holte tief Luft. "Wir werden einen anderen Arzt finden. Das wäre doch gelacht. Es kann nur eine Hormonstörung sein." "Mit seinen Hormonen ist alles in Ordnung. Nun kapier es doch endlich einmal, Richard. Unser Sohn ist verhext." Seine Mutter streckte tröstend eine Hand nach Jens aus. Jens schüttelte sich und wich einen Schritt zurück. "Ich will, dass er weg kommt." Er schluchzte auf. "Es kann nur so etwas wie Hexerei sein", wiederholte mit fester Stimme seine Mutter. "Es gibt keine andere Erklärung dafür, und darum ..." "Nun hör auf! Ich weigere mich, an solchen Unfug zu glauben." Jens Vater presste die Lippen zusammen. Seine Augen verengten sich. "Dieses Gerede ist doch dummes Zeug. Willst du vielleicht mit einem Zauberspruch den Bartwuchs beenden?" "Warum nicht? Wenn es hilft. So kann es doch nicht weitergehen. Seit zwei Wochen rennen wir zu Ärzten, und das ohne irgendein Ergebnis." Jens schluchzte erneut auf. Er wischte mit dem Handrücken über seine Nase. "Ich habe mich erkundigt. Es gibt am anderen Ende der Stadt eine Wahrsagerin, Frau Helena Urbinski. Sie soll gut sein. Wir können es doch wenigstens einmal versuchen." "Das ist peinlich." "Mein Bart ist peinlicher und er kratzt. Ich halte es nicht mehr aus." Jens zog den Schnupfen hoch. Seine Mutter reichte ihm ein Papiertaschentuch. "Ich rufe gleich an", sagte sie. "Vielleicht können wir heute Abend noch bei ihr vorbeikommen." "Mein Sohn glaubt nicht an solchen Humbug." "Mir ist alles egal. Hauptsache, ich werde diese widerlichen Haare los." Seine Mutter drängte sich an ihn vorbei, stieg die Betonstufen zum Hauseingang hoch, wühlte mit klammen Fingern den Schlüsselbund aus ihrer Manteltasche und öffnete die Tür. Jens und sein Vater folgten ihr auf den Flur. Als Jens neben sie trat, hielt sie bereits das schnurlose Telefon in der Hand und drückte die Tasten, deren Zahlen sie von der Rückseite eines Kassenbons ablas. "Frau Richter hat mir die Nummer gegeben", sagte sie. "Sie war vor einem halben Jahr wegen ihrer Katze da. Ihr wisst doch, Perlchen war eine Woche verschwunden. Und was soll ich sagen. Mit Hilfe der Wahrsagerin hat sie Perlchen wiedergefunden." Jens Vater gab einen Knurrlaut von sich. "Hokuspokus. Reiner Zufall. Ihr werdet es sehen."
Eine Stunde später liefen sie im stärker werdenden Regen erneut zum Wagen. Jens' Vater schob sich auf den Fahrersitz, Jens nahm die Rückbank, und seine Mutter rutschte auf den Beifahrersitz. "Bachweg 7", sagte seine Mutter, während sie ihrem Mann einen langen eindringlichen Blick zuwarf. Jens zog den Kopf ein und verkroch sich tief im Polster. Der schwache Lichtschein einer Straßenlaterne fiel in den Wagen und warf gespenstige Schatten. Der Motor begann zu summen. Durch das Fahrzeug ging ein Ruck, dann setzte Vibrieren ein. Der Wagen rollte vom Grasstreifen auf die menschenleere Wohnstraße, tauchte Minuten darauf in den Innenstadtverkehr ein, nahm eine Abkürzung am Friedhof vorbei und erreichte hinter einer Reihe Schrebergärten den Bachweg Nr. 7. "Wir sind da", knurrte Jens Vater. "Ich bin immer noch nicht dafür. Das bringt doch nichts." "Ich will es probieren." Jens drückte die Seitentür auf und sprang ins Freie. Hinter ihm verstummte das Brummen, dann schlugen Autotüren. Der Regen fiel jetzt in dichten Fäden. Er rannte gebückt auf die schmiedeeiserne Pforte zu, die zwei Steinfeiler und ein Rosenbogen einrahmten. Das rote Backsteinhaus, das sich hinter einem Wirrwarr von Rosensträuchern verbarg, zeichnete sich nur schwach im kläglichen Licht dreier Laternen ab, die den Plattenweg zum Eingang begleiteten. Jens Mutter trat neben ihn und drückte die Klingel. Hinter einem erleuchteten Fenster bewegte sich eine Gardine, im nächsten Moment summte die Pforte und sprang auf. Jens und seine Eltern betraten den Weg und folgten ihm mit raschen Schritten zu der sich öffnenden Haustür. Eine ältere Frau mit schwarzem hochgestecktem Haar und smaragdgrünen Augen winkte sie zu sich herein. "Kommen Sie, kommen Sie! Dies ist wirklich ein scheußliches Wetter. Du musst Jens sein." Sie reichte Jens die Hand und begrüßte anschließend seine Eltern. Über einen schmalen Flur führte sie Jens und seine Eltern, nachdem sie an der Garderobe die nassen Mäntel und die Jacke abgelegt hatten, zu einem kleinen nur mit einem runden Tisch und Holzstühlen möblierten Raum, der von Kerzen, die in Wandhaltern steckten, spärlich beleuchtet wurde. Honigduft hing im Zimmer. "Setzen Sie sich!", sagte sie und wies mit der Hand auf die Stühle am Tisch. "Vorstellen müssen wir uns ja nicht mehr. Kommen wir gleich zur Sache. Ich fühle, dass Ihr Sohn es eilig hat." "Ein solcher Bartwuchs ist nicht normal", sagte Jens Mutter, während sie einen Stuhl vom Tisch zog und sich setzte. Das leise Kratzen der Stuhlbeine über den Eichendielen hing für einen Moment gespenstig zwischen den Wänden. Weiteres Kratzen setzte ein. Die Wahrsagerin nahm ebenfalls Platz, nachdem sich Jens und sein Vater einen Stuhl gewählt hatten, dann zog sie einen Stapel Karten aus einer Schublade des Tisches und begann, die Karten, während sie leise fremdartige Worte vor sich hin murmelte, auf der glänzenden Mahagoniplatte zu verteilen, mit dem Rücken nach oben, auf denen Rosenranken abgebildet waren. "Nun bist du dran", sagte sie, als sie alle Karten verteilt hatte. Ihr Blick heftete sich an Jens Augen. Sie nickte. "Nur zu! Zeige auf eine Karte! Ihr Bild wird hoffentlich das Geheimnis deines Bartwuchses lüften." Jens zögerte. Er warf seinen Eltern einen unsicheren Blick zu, dann starrte er sekundenlang auf die faltigen Hände der Frau. "Nur zu", hörte er sie sagen. "Trau dich!" Seine rechte Hand zuckte, dann streckte er den Zeigefinger aus und tippte auf eine Karte. Er schluckte, als er spürte, wie er auf einmal zu schwitzen begann. In seinem Magen rumorte es. Die Wahrsagerin fasste seine Hand und schob sie beiseite. Einen Moment wartete sie, dann drehte sie die Karte um. Jens kniff die Augen zusammen. "Hinrich", hörte er seine Mutter mit erstaunter Stimme sagen. "Die Abbildung sieht aus wie der alte Hinrich. Erinnert ihr euch noch an den Alten, der in dem Holzhaus auf dem verwahrlosten Grundstück am Ende unserer Straße gewohnt hat. Ich meine, jetzt gibt es das Haus ja nicht mehr, und das Grundstück wurde neu bebaut. Aber das ist ganz klar Herr Hinrich." Jens riss die Augen auf und musterte nun ebenfalls das Bild auf der Karte. Es zeigte einen gebeugten Mann mit Gehstock. Sein Haar stand wild von seinem Kopf ab, und ein dichter Rauschebart bedeckte sein Gesicht. Jens' Finger verkrampften sich. "Was ist aus ihm geworden?", fragte sein Vater. "Also", sagte seine Mutter. "Soweit ich weiß, ist er vor drei Jahren in ein Altersheim gegangen. Eine Zeitlang hat er noch bei seiner Schwester gewohnt, nachdem er das Haus verlassen musste. Nur, ich verstehe nicht? Was hat das mit unserem Sohn zu tun?" "Das", sagte die Wahrsagerin. "Kann Ihr Sohn nur selber erklären." Jens spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg. "Ich ... also ... das kapier ich nicht." "Irgendetwas muss vorgefallen sein." Die Wahrsagerin schob ihren Oberkörper vor und nickte Jens zu. "Denk nach! Forsche in deinem Inneren! Es muss mit dem Bart zu tun haben." "Aber ... damals ... war ich erst zehn ... oder elf." Die Wahrsagerin nickte ihm erneut aufmunternd zu. "Wir waren eine Clique. Es hat uns Spaß gemacht, dem Alten in dem Hexenhaus, so nannten wir es, zu beobachten. Und dann fingen die Jungs an, sich über ihn lustig zu machen. Sie riefen immer wieder in einem Singsang ‚Ach, wie fein, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß'. Sie hörten gar nicht auf, und dann war plötzlich der Alte da. Ich hab ihn gar nicht kommen sehen. Die Jungs hauten ab, doch mich erwischte er. ‚Was', knurrte er mich an. ‚Was ist an mir so anders, dass ihr euch über mich lustig machen müsst?' Und da mir nichts anderes einfiel, und sein langer Bart an meiner Wange kratzte, rief ich: ‚ Ihr Bart!'. Da ließ er mich los, und ich rannte weg, hörte aber noch, während ich mich durch das hohe Gras kämpfte, wie er hinter mir herrief: ‚Renn nur zu den Anderen, aber eines sage ich dir. Eines Tages bekommst du auch einen Bart, und dann wünsch ich dir eine Bartpracht wie die meine!' Daraufhin lachte er." Jens blickte die Wahrsagerin an und wandte sich dann seinen Eltern zu. "Ich meine, aber das kann doch nicht der Grund dafür sein?" "Ich fürchte ..." Der Stuhl der Wahrsagerin kratzte leise über den Holzfußboden. "Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den alten Herrn zu suchen. Du musst dich bei ihm entschuldigen. Vielleicht weiß er gar nicht, was er mit seinen Worten ausgelöst hat. Flüche oder Verwünschungen gehen manchmal seltsame Wege." "Wo sollen wir suchen?" Jens' Vater erhob sich. "Gleich morgen fahren wir die Altersheime ab. Er muss in einem in der Stadt untergebracht sein." Jens' Mutter stand ebenfalls auf und legte eine Hand auf Jens' Arm. "Wir werden ihn finden. Du wirst es sehen."
Auf der Heimfahrt sprachen sie kaum miteinander. Jens lief mit seiner Mutter sofort ins Haus und flüchtete sich in sein Zimmer, während sein Vater den Wagen in die Garage fuhr und das Tor zur Einfahrt schloss. In der Nacht suchten ihn Alpträume heim, rissen ihn immer wieder aus dem Schlaf. Mit dunklen Rändern um die Augen erschien er am Frühstückstisch. "Wir fahren gleich los", sagte sein Vater. "Mutti hat bereits die Adressen der Altersheime herausgesucht und deren Lage auf dem Stadtplan gekennzeichnet." "Das war die furchtbarste Nacht meines Lebens", sagte Jens. Sein Vater nickte. "Hoffen wir, dass dieser Spuk nach diesem Besuch endlich vorbei ist." Das Altersheim, ein Betonbau mit viel Glas, lag neben einem Park. Die Dämmerung setzte früh ein, und die Straßenlaternen flammten auf, ergossen summend und flackernd ihr Licht auf den Straßenasphalt, den Gehweg und den toten Staudenrabatten, die den Zugang zum Gebäude begleiteten. "Dieses Mal gehe ich alleine", sagte Jens. "Es ist das letzte Altersheim. Wenn er dort nicht ist, ist sowieso alles verloren." Er öffnete die Autotür, betrat den Bürgersteig, schloss die Tür und ging auf den breiten Glaseingang des weitläufigen Gebäudes zu. In der kleinen Halle hinter dem Eingang brannten Neonröhren. In einer Ecke standen Tische, an denen alte Männer und Frauen auf Sesseln saßen, Zeitschriften lasen oder Karten spielten. Jens blieb stehen, blickte sich um und starrte schließlich zu den Männern hinüber. Er zog die Unterlippe in den Mund und kaute auf ihr herum. "Du bist es", hörte er plötzlich eine knurrige Stimme neben sich. "Mit deinem langen Haar bist du ja kaum wiederzuerkennen. Nur gut, dass ich immer noch ein gutes Gedächtnis für Gesichter besitze. Vieles ist ja weg, aber das ist mir Gott sei Dank geblieben ... noch." Jens fuhr herum. Vor ihm stand ein gebeugter Mann mit schütteren weißen Haaren und eingefallenen Wangen. Kein Bart schmückte sein Gesicht. Aber er erkannte ihn trotzdem. Es war der Mann aus dem Holzhaus, es war Herr Hinrich. "Sie wissen noch, wer ich bin?" "Wenn ich einmal ein Gesicht gesehen habe, vergesse ich es nicht. Der eine merkt sich eben Zahlen, der andere Namen oder Ereignisse. Ich behalte Gesichter. Warum bist du hier? Lebt ein Großelternteil von dir in diesem Heim?" Jens schüttelte den Kopf. "Ich ...", stotterte er. "Suche Sie. Ich ... will mich bei Ihnen ... entschuldigen." Der alte Mann riss überrascht die Augen auf. "Wie? Weshalb? Ich wüsste nicht, was du mir angetan haben solltest. Ich meine ..." Er schmunzelte. "Sie wissen es noch?" "Ich glaube, ich habe dich ziemlich erschreckt. Die anderen Bengels sind mir ja entwischt, aber du? Du warst, glaube ich, der Jüngste. Kurze Beine können manchmal von Nachteil sein." "Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen." Der Alte runzelte die Stirn. "Wegen dieser Sache? Vergiss es!" Jens schüttelte den Kopf, und ohne, dass er es wollte, traten Tränen in seine Augen. "Junge." Der Alte machte einen Schritt auf ihn zu und hob eine Hand, zögerte aber sie auf seine Schulter zu legen. "Sie müssen den Fluch von mir nehmen. Sie haben es vielleicht nicht gewollt, aber Sie wünschten mir genau so einen Bart wie Sie ihn besaßen." Jens zerrte den Schal aus seinem Gesicht und öffnete die oberen Knöpfe seiner Jacke. Der Alte hob überrascht die Augenbrauen. "In der Tat, den hast du. Du meinst, du hast ihn, weil ich diese dummen Worte gesagt habe. Das war doch nur Spaß. Ich wollte dir ein bisschen Angst machen." Jens schluckte mehrmals. "Es ist ein Fluch", wiederholte er leise. Der alte Mann rieb sich das Kinn. "Das soll ich wirklich angerichtet haben? Wie gerne würde ich dir deine Bartpracht abnehmen. Sieh mich an! Nichts ist mehr da. Und wie stolz war ich auf meinen Bart gewesen. Du musst zugeben, er war einmalig." "Das stimmt." Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf Jens' Gesicht aus. "Ihnen hat der Bart gestanden, doch bei mir ...? Und er kratzt und juckt entsetzlich." "Dann schneid ihn ab." "Das geht nicht. Er wächst immer nach, so schnell, dass man's richtig sehen kann." Der Alte wackelte mit dem Kopf. Mit einem Mal trat ein Strahlen in seine Augen. Er wies mit dem Kinn hinter sich auf eine Tür. "Unser Heimfrisör ist gerade da. Pass auf, wir gehen da jetzt rein und ich bezahle das Abschneiden und die Rasur. Das wäre doch gelacht, wenn solche blöden Worte nicht aufzuheben sind. Und vorsorglich sage ich dir, dass ich dir alles verzeihe, egal, was es war. Los gehen wir!" Er drehte sich um, aber tat keinen Schritt auf den Raum zu. "Eine Bitte hätte ich aber noch. Ich meine ..." Er räusperte sich. "Der Frisör wirft die Haare weg. Das wäre doch schade. Könnte ich ... könnte ich sie vielleicht haben, quasi als Andenken an unsere Begegnung? Außerdem sehen sie irgendwie wie meine Barthaare aus." Jens nickte. "Ich schenke Sie Ihnen. Hauptsache ich bin sie los." Schere und Rasierklinge taten ihre Arbeit. Als kurze Zeit darauf Jens' Eltern nach ihm suchten und ihn beim Frisör zusammen mit Herrn Hinrich fanden, sah sein Gesicht glatt und jugendlich aus. Herr Hinrich nahm das Büschel Haare vom Frisör in Empfang und strahlte dabei bis über beide Ohren. "Wie damals meine", sagte er. "Wie damals meine." Sie gaben sich zum Abschied die Hand und Jens versprach, sich am nächsten Tag zu melden und vom Resultat der Aktion zu berichten. Das tat er, und in den darauf folgenden Tagen ebenso. Er teilte dem Alten mit, dass der Bart nicht wieder gewachsen war, und mit der Zeit, bei vielen Telefongesprächen und Besuchen, erzählte er ihm noch vieles mehr. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Ein haariges Lesevergnügen
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