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Eine Glatze für Buddha

© Birge Laudi


'Sie kamen zwischen den Reisfeldern daher. Einer hinter dem anderen. Fünf junge Männer mit kahl rasierten Köpfen. Sie waren barfuß und trugen gelbe, verwaschene Gewänder. Es war das erste Mal, dass ich buddhistischen Mönchen begegnet bin.'
So begann Ernesto Karabani an diesem Morgen seine Geschichte.
Ernesto war Frisör und er war weit in der Welt herumgekommen. Über der Türe zu seiner winzigen, höhlenartigen Frisörstube stand 'Karabani'. Nichts weiter. Die Menschen der Stadt aber nannten ihn den Märchenfrisör. Und das zu Recht.
Seinen Vornamen hatte ihm die italienische Mutter gegeben, den Nachnamen hatte er vom arabischen Vater. Beide aber hatten ihm gleichermaßen ein Erzähltalent in die Wiege gelegt, ein Talent wie aus 'Tausend und einer Nacht'. Und während seine Schere flink über die Köpfe hinschnippelte, erzählte er und er wusste viele Geschichten und die Stühle für die Wartenden füllten sich still und leise und man wartete gerne, bis einer der drei Plätze vor den Spiegeln frei wurde. Kein Hüsteln, kein Blättern in Illustrierten, nur andächtiges Lauschen. Das Klappern der Scheren von Ernesto und seinen beiden Gehilfen füllte die Stille des Raumes hinter der Stimme mit dem kleinen fremdländischen Akzent.
'Geschichten sind wie die Strahlen der Sonne', sagte er. 'Sie wärmen die Seele und öffnen dir das Herz wie das erste Lächeln deines Kindes. Ohne Geschichten wäre unser Leben kalt.'
Und so war Karabani darauf bedacht, stets seinen Vorrat an wärmendem Sonnenlicht zu erweitern. Alle seine Geschichten aber drehten sich ausschließlich um das menschliche Haar. Während Ernesto arbeitete und aus einer Schale mit trockenen Gewürzen exotischer Duft die Nasen der Kunden umwehte, durcheilten seine Worte fremde Welten und Länder, um hier und dort das Haupthaar in seiner mannigfaltigen Form aufzuspüren.
An einem heißen Tag im Juli, als eine drückende Wolkenschicht für unerträgliche Schwüle sorgte, da rührte sich nicht viel in der Frisörstube. Lediglich drei Männer hatten den Weg zu Karabani gefunden, um sich die Haare schneiden zu lassen.
Das schwüle Wetter, an exotische Länder im fernen Osten gemahnend, und die safrangelben Umhänge, die er den drei Männern umgebunden hatte, trugen die Gedanken und Erinnerungen Ernestos weit weg von seinem Arbeitsplatz und sie landeten in Burma und er begann eine seiner Haar - Geschichten zu erzählen.
'Sie kamen zwischen den Reisfeldern daher. Einer hinter dem anderen. Fünf junge Männer mit kahl rasierten Köpfen. Sie waren barfuß und trugen gelbe, verwaschene Gewänder. Es war das erste Mal, dass ich buddhistischen Mönchen begegnet bin.'
Mit seinen Worten wanderte er zusammen mit den Mönchen durch den schwülwarmen Regenwald. Myriaden stechwütiger Mücken stiegen mit hohem Sirren aus Rinnsalen und Morast auf und fielen über die Männer her. Karabani gelangte zusammen mit den heiligen Männern zu einem ringsum vergoldeten Felsen am Rande einer Schlucht. Der Fels war groß wie ein Haus und rund wie ein Kopf und er trug auf seinem kahlen Scheitel einen kleinen Tempel wie ein zierliches Krönchen. Während die Mönche ihre Gebete verrichteten, da drückte Karabani verstohlen mit der Hand gegen den kugelrunden Felsblock und der begann leise zu schwanken.
'Er wackelte ein wenig. Aber keine Sorge, er wird nicht abstürzen. Nicht jetzt und nicht später einmal', sagte Ernesto, 'denn ein einziges Haar Gautama Buddhas hält ihn im Gleichgewicht.
Ein einziges Haar!', rief er leidenschaftlich. 'Ein einziges Haar Buddhas hat mehr Kraft als alles Denkbare. Schauen Sie, wie viele Haare wir verschleudern, ohne ihnen die Ehre zu erweisen, ein Stück Leben auf dem Kopf eines vernunftbegabten Wesens gewesen zu sein!'
Er schüttelte kurz die üppigen Haarbüschel seines Kunden vom Umhang. Sie fielen mit einem kaum hörbaren Plumps auf den Boden. Während die Scheren leise klapperten und gleich einer Gebetsmühle die Gemüter in Ruhe und Frieden betteten, füllte sich der Raum mit fernen Bildern und schwüler Hitze und die Männer in den gelben Umhängen vor den großen Spiegeln wischten sich den Schweiß von der Stirn und dachten an die Mönche in ihren gelben Roben.
'Gelb', sagte Karabani, 'gelb steht für die Weisheit Buddhas und die Mönche lassen sich kahl scheren zum Zeichen, dass sie den Besitztümern der Welt abgeschworen, dass sie allem Schmuck, auch dem der Haare, entsagt haben.'
Mild lächelte der Märchenfrisör, lächelte das geduldige Lächeln der Mönche in ihrer Hingabe an ihren Meister, dem Stifter der sanften Religion.
'Eine Glatze für Buddha', sagte Karabani.
Draußen vor der Türe ballten sich am Himmel die dunklen Wolken zusammen und Donnergrollen drang hinein in die geschichtengesättigte Frisörstube. Während einzelne schwere Regentropfen an die Fenster klatschten, hatten die drei Männer in ihren safrangelben Umhängen längst Raum und Zeit vergessen und waren Ernesto Karabani in eine andere Welt gefolgt. Sie waren ganz der Exotik erlegen und das Fernweh ergriff sie mit Macht und ihre Blicke gingen ins Leere. Sie sahen die Mönche mit kahlen Schädeln und in gelben Kutten, wie sie durch die Straßen der Städte gingen und aus den Händen frommer Buddhisten ihre tägliche Schale Reis erhielten. Alles zu Ehren des Buddha.
Man sollte nun meinen, eine Geschichte sei genug, doch die Farben und Gerüche in der Frisörstube und die Schwüle des herannahenden Gewitters beflügelten die Erzähllust Karabanis. Die Geschichten stiegen wie die Mückenschwärme in den wassergeschwängerten Wäldern Burmas aus den Tiefen seiner Erinnerung herauf und während sich die drei Männer vor den Spiegeln ihren Träumen hingaben, reiste Ernesto mit seiner Erzählung über Burmas Grenze weiter in das frühe Königreich Siam.
'Im Norden des Landes beschloss vor wohl siebenhundert Jahren ein Herrscher für seinen kostbarsten Besitz, einem Haar vom Haupte Buddhas, einen Tempel erbauen zu lassen. Nachdem die Weisen befragt waren, wo der Tempel errichtet werden sollte und sie den königlichen Räten geraten hatten, band man einem weißen Elefanten das Haar des Buddha auf den Rücken und schickten ihn mit Gebeten und unter dem Rauschen der Gebetsmühlen auf den Weg.
Der ehrwürdige Elefant wanderte hinein in die Berge und unter Mühen erstieg das alterschwache Tier einen steilen, mit dichtem Regenwald bedeckten Hügel. Als er den Ort erreichte, an dem einstmals ein Heiliger gelebt und Buddha gedient hatte, blickte der weiße Elefant noch einmal über die Stadt zu seinen Füßen. Dann legte er sich nieder und starb.
An dieser Stelle ließ der König über dem Haar des Buddha eine goldene Pagode erbauen. Sie wurde das Herzstück eines wundervollen Tempels.'
Die Luft in Karabanis Frisörstube wurde schwer von Ehrfurcht und Andacht. Draußen aber rauschte der Regen herab und nahm die Schwüle des Tages mit sich.
'Neigt sich der Tag seinem Ende zu und sind die Gebete der unzähligen Gläubigen, die Buddha die Ehre erweisen, verklungen', spann Ernesto die Geschichte weiter, 'so hört man nur noch das leise Klatschen nackter Füße auf den Stufen des Tempels. Kahlgeschorene Mönche in ihren safrangelben Gewändern...'
Weiter kam Ernesto Karabani nicht mit seiner Erzählung. Jäh riss der laute Aufschrei eines der Kunden unter dem safrangelben Umhang die versunkenen Zuhörer aus ihren fernöstlichen Träumen um Buddhas Haare und die mönchischen Glatzen zu Ehren Gautamas.
Der Mann hatte bei der Schilderung der buddhistischen Mönche den Blick wie zufällig auf sein eigenes Spiegelbild gerichtet: Mit kahlgeschorenem Kopf und safrangelbem Umhang saß da ein buddhistischer Mönch mit seinen blauen Augen und seiner Brille auf der Nase, und in seinem buntgemusterten T-Shirt unter dem Mönchsgewand vor dem Spiegel. Und auch die beiden anderen Männer hatten sich unter dem Bann der Erzählung und der Zauberkraft des einen Haares vom Haupte Buddhas, dem auch die drei Frisöre mit selbstvergessener Schur erlegen waren, in Mönche des Tempels hoch über der Stadt des damaligen Königs von Siam verwandelt.
Sie trugen Glatzen. Glatzen zu Ehren Buddhas. Draußen aber tobte ein Gewitter.


Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 3-9809336-0-1


Eingereicht am 05. Oktober 2006.
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