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Die Leiden des Lehrers Ottokar Limpel© Birge LaudiOttokar Limpel war Lehrer. Er war Lehrer mit Leib und Seele und doch hätte er sich viel Herzeleid erspart, hätte er einen anderen Beruf ergriffen. Der Name Limpel forderte die Spottlust der Schüler heraus, denn kaum einem war es entgangen, wie leicht man sich, und das ganz aus Versehen, versprechen konnte: 'Guten Morgen, Herr Gimpel, äh, Simpel...' Froh war Ottokar Limpel schon, wenn einer seiner Schüler nur darauf verfiel, ihn mit Wilhelm Buschs 'Lehrer Lämpel' anzusprechen. Da bewegte er sich sozusagen auf eigenem Terrain, denn Lehrer Limpel war Germanist, will sagen, Deutschlehrer. Er liebte die deutsche Sprache, liebte vieles, was sich in der Literatur tummelte und er liebte seine Schüler, auch wenn sie ihn heimlich, wie er wusste, König Ottokar Przemysl nannten, was daher rührte, dass Herr Limpel auch Geschichte unterrichtete. Doch an diesem Morgen liebte er weder Literatur noch Schüler. Schweißgebadet hatte er die Nacht durchwacht und inständig gehofft, am Morgen mit einer schweren Grippe das Bett hüten zu müssen, schulunfähig zu sein. Was war vorgefallen? Nun, noch war nichts vorgefallen, doch es würde so kommen, wie er fürchtete. Wie schon gesagt, Ottokar Limpel hätte sich viel Herzeleid erspart, wäre er Buchhalter oder Zigarrenverkäufer geworden und das nicht nur wegen seines zum Spotte herausfordernden Namens, sondern auch wegen seines von einer heimtückischen Natur verursachten Äußeren. Ottokar Limpel war klein und kugelrund. Er hatte X-Beine, Plattfüße und eine Glatze. Und eben dieses sein äußeres Erscheinungsbild bereitete ihm am anbrechenden Morgen viel Beschwer, dachte er an die Schulstunde in der Klasse mit den spottfreudigen sechzehnjährigen Gymnasiasten. Wie Buschs Lehrer Lämpel würde es ihm ergehen, denn dass der Weisheit Lehren Schüler mit Vergnügen hören, das war ein kühner Traum. Es endete fast immer so, wie Max und Moritz es uns vorgemacht: Denn wer böse Streiche macht, gibt nicht auf den Lehrer acht. Zwar entsprach das Äußere von Herrn Limpel ganz und gar nicht dem des Lehrers Lämpel, auch spielte er weder Orgel noch rauchte er des Abends Pfeife, doch ab und zu hob auch er mahnend den Zeigefinger wie sein Leidensgenosse bei Max und Moritz. Dies alles aber war wohl nichts gegen das, was ihn heute erwartete. Heute würde ihn die Klasse auseinandernehmen. Liebend gerne hätte er sich krank gemeldet, doch als sein Eheweib ihn zum zweitenmal weckte mit den Worten: 'Ottochen, was ist? Willst du heut nicht aufstehen?', da ermannte sich Herr Limpel und bereitete sich wie gewohnt auf seinen schweren Dienst vor, denn er war loyal, auch gegenüber seinem Arbeitgeber, der ihn zu diesem Dienst verpflichtet hatte.
'Guten Morgen Herr Limpel', begrüßte ihn der Klassensprecher Max Grünleitner am Schultor wider Erwarten mit seinem richtigen Namen. 'Haben Sie gut geschlafen?' Das Aas, dachte Ottokar Limpel, er hat es bereits gelesen, was sehr ungewöhnlich war. Normalerweise waren die Schüler nicht so eifrig, die aufgetragene Lektüre bereits zuhause vorzubereiten. Er sah dem hübschen Burschen, Sohn des Kleintierarztes und einer seiner besten Schüler hinterher, wie er blitzschnell im Klassenzimmer verschwand. Dort würde er den Finger an den Mund legen und die Klassenkameraden warnen: 'Pssst! Der Przemysliden - König reitet heran!' Als Ottokar Limpel das Klassenzimmer betrat, sah er sich einer Schar still feixender Sechzehnjähriger gegenüber. Heute schien sich die ganze Klasse vorbereitet zu haben. Zu seinem großen Leidwesen. Herr Lehrer Limpel warf mit Schwung seine abgetragene, altgediente Aktentasche auf den Tisch und rief mit vorgetäuschter Munterkeit: 'Guten Morgen. Auf geht's. Holen Sie Ihren Shakespeare heraus' - verhaltenes Kichern in den hinteren Reihen, das er geflissentlich ignorierte - 'und schlagen Sie den 1. Aufzug auf. Wir lesen die 2. Szene auf Seite 8 weiter. In verteilten Rollen.' Heftiges Geraschel und Wühlen in den Schultaschen. 'Max, Sie übernehmen den Cassius. Andreas.....Andreas!!!.....Herr Andreas Fröhlich! Hier spielt die Musik!' 'Verzeihung Herr Lehrer Lämpel, ich habe nur schon ein wenig weitergelesen. 'Julius Cäsar' ist ja sooo spannend.' 'Das ist mir neu, dass Sie so ein Liebhaber von Shakespeares Dramen sind. Außer Fußball interessiert Sie doch sonst wenig.' 'Das sehen Sie ganz falsch, Herr Lehrer', verteidigte sich grinsend und unter beifälligem Gekicher der Klassenkameraden Andreas. 'Ich bin nämlich auf eine interessante Sache gestoßen. Auf Seite 11 sagt Cäsar zu Antonius:
Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein,
Die Schar der unreifen Sechzehnjährigen prustete los. Max stand auf. 'Ich will den Cassius nicht lesen, Herr ... äh, Herr Lehrer .... äh, Herr Lehrer Lämpel. Ich habe keinen hohlen Blick.' Ottokar Limpel fuhr sich hilflos über seinen kahlen Schädel, was eine neue Lachsalve hervorrief. Max Grünleitner meldete sich erneut zu Wort. 'Ich hätt' da mal eine Frage: Warum schlafen dicke Männer mit Glatze gut und was soll daran so gut sein, dass Julius Cäsar die um sich haben will?' Ottokar Limpel hatte sich während seiner schlaflosen Nacht auf derartige Fragen bereits die passenden Antworten zurechtgelegt. Doch er kam gar nicht dazu über die Weisheit des Alters zu sprechen, dann, wenn der Körper ruhiger, der Geist aber umso wacher wird und leider, leider sehr oft die Haare ausfallen, der Schädel blank und sauber glänzt. Er wollte über männliche Sexualhormone sprechen und über die in der Literatur gerne benutzte Metapher von vollem lockigem Haar für die ungestüme Jugendzeit und dem haarlosen Schädel für das weise und besonnene Alter. Gerade als er sich in Positur stellte, um möglichst wissenschaftlich zu argumentieren, sprang Andreas aufgeregt fuchtelnd auf. 'Herr Limpel....' Man stelle sich vor, wie aufgeregt Andreas sein musste, dass er Ottokar Limpel mit seinem rechtmäßigen Namen ansprach. 'Herr Limpel', rief er. 'Dem Shakespeare ist da aber ein Fehler unterlaufen. Cäsar deutet auf Cassius und sagt, der sei gefährlich. Die Glatze aber hat ein anderer. Als gefährlich gelten heute doch Menschen mit kahlen Köpfen, die 'Glatzen' eben und das sind weder alte, noch wohlbeleibte Männer. Die 'Glatzen', die ich kenne, tragen Springerstiefel und sehen gar nicht so aus wie Cassius, von dem Cäsar sagt, er denke zuviel'. 'Andreas, da haben Sie bis zu einem gewissen Grad Recht. Einerseits, und damit liefere ich mich wieder Ihrem Spott aus, einerseits sind die hier gemeinten dicken Männer tatsächlich oft einfach ein wenig träge. Vielleicht auch im Geiste'. Zu seinem Erstaunen lachte niemand und so fuhr er fort: 'Andererseits sind die tumben Nichtdenker oft die für das Staatsgefüge weitaus Gefährlicheren. Sie folgen wie die Ochsen dem Bauern, lassen sich vor jeden Pflug spannen. Doch das ist eher eine Diskussion um Denken und Nichtdenken und die ihnen innewohnende Gefahr.' 'Was ist dann aber mit den Glatzen?', wollte Max wissen. 'Cäsar sagt dick, alt und glatzköpfig ist okay. Ich sage dünn, jung und glatzköpfig ist gefährlich.' 'Glatze ist schließlich nicht gleich Glatze', sagte Lehrer Limpel und bemühte sich redlich aus dieser schwierigen Diskussion einen einigermaßen plausiblen Ausweg zu finden. 'Die Glatze eines weisen alten Mannes ist eine völlig andere als die eines jungen und wie Sie sagen gefährlichen Burschen. Die Alopecia senilis, die Glatze des alten Mannes, ist gekennzeichnet durch einen Ausfall der Haare. Die Glatze des Jugendlichen ist in den meisten Fällen eine Glatze durch Rasur des Haupthaares. In beiden Fällen hat es mit Intelligenz nichts zu tun.' 'Weshalb aber, Herr Limpel, haben Sie eine Glatze, wo Sie doch noch gar nicht so furchtbar alt sind?' 'Nun, es kann ja sogar zum Haarausfall kommen, wenn ein Lehrer durch Stress und ständige starke Konzentration auf die Bosheiten der Schüler zu einer dauernden Muskelverspannung im Kopfbereich neigt. Dann werden die Haarfollikel nicht mehr ausreichend durchblutet und das Haar fällt aus.' Ottokar Limpel schielte auf seine Armbanduhr. Bald musste die Deutschstunde und damit die endlose Glatzendiskussion zu Ende gehen. Doch auch die Schüler wirkten allmählich des Glatzengeplänkels müde. Das Lesen mit verteilten Rollen wurde auf die nächste Stunde vertagt. Enttäuscht sagte Max Grünleitner: 'Das nächste Mal wollten Sie doch, wie es im Lehrplan vorgesehen war, Grillparzers 'König Ottokars Glück und Ende' mit uns lesen.' Dieses neue Leiden für Ottokar Limpel, genannt König Ottokar Przemysl, verschob sich dadurch in die fernere Zukunft und gewährte dem geplagten Lehrer eine kleine Atempause. Doch aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben, auch nicht ein 'Trauerspiel in fünf Aufzügen'.
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