Unser Buchtipp
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Ramses und die Blondine© Birge LaudiEs war heiß, das Haar klebte mir im Nacken und es war an der Zeit, wieder einmal beim Märchenfrisör vorbei zu schauen. Eigentlich war Herr Karabani ein ganz normaler Frisör, doch er war bekannt dafür, ständig Geschichten zu erzählen, ohne dabei in seiner Arbeit inne zu halten. Während er redete, schnippelte er so wie nebenher im Nacken klebende, verschwitzte Haare ab, wusch rote und schwarze, kurze und lange Haare, kämmte, drehte auf Lockenwickler, kräuselte glattes Haar und glättete gekräuseltes. Seine Geschichten handelten ausschließlich von Haaren. Er erzählte wahre Geschichten aus aller Welt, er erzählte erfundene, rein seiner Phantasie entsprungene Begebenheiten und er erzählte manch ein klassisches Märchen. Man konnte nie wissen, was Ernesto Karabani an einem Tag wie heute erzählen würde. Schwungvoll stieß ich die Türe zu Karabanis Laden auf und tauchte ein in die exotisch duftende Schwüle der Frisörstube. Ich kam in der berechtigten Hoffnung auf einen guten Haarschnitt gegen gutes Geld und gratis auf eine Geschichte wie aus Tausend und einer Nacht. Zwischen drei andächtig lauschenden Schülern fand ich noch einen schmalen Sitzplatz. Sie rückten ein wenig widerwillig zusammen, ließen mich in ihrer Mitte teilhaben am Wartevergnügen aufs Haarschneiden. Karabani säbelte an einer blonden Mähne herum. Sie gehörte zu einem verdrossen dreinblickenden Mädchen, das seiner langen Zottelfrisur überdrüssig geworden war. Die junge Dame verlangte einen rasanten, modischen Kurzhaarschnitt. Eine freche Fönfrisur sollte es werden, sollte ihr allzu schmales und etwas zu langes Gesicht in eine Ikone modischer Schönheit verwandeln. Karabani hatte ihr einen Umhang in der Farbe vergossenen Märtyrerblutes über die Schultern gelegt. Während er unschlüssig durch das feine Haar fuhr, ein zu Gold gesponnenem Stroh, wie er sagte, erzählte er von einer Auktion. Ein Kollege hatte das lange Blondhaar einer überdrehten Schönheit aus dem Showbusiness versteigert. "Man kann es kaum glauben, aber die junge Frau hatte sich doch tatsächlich selbst und eigenhändig in einem Akt der Verzweiflung in seinem Salon eine Glatze geschoren, weil der Frisör diesen Radikalschnitt verweigert hatte." Ernesto Karabani machte eine kurze Pause, schnippelte zaghaft und unentschlossen ein wenig vor dem Ohr und im Nacken herum. Fast wie in einem Selbstgespräch fuhr er zögernd fort, nickte dabei aber seiner blonden Kundin im Spiegel zu. "Wenn das Haar von Natur aus blond ist, lang und sanft gelockt, so wie Ihres, dann ist es richtig schade, fast eine Sünde, es zu opfern, nur weil man einen schlechten Tag hat." Das Gesicht des Mädchens über dem Umhang lief zornrot an. Trotzig fuhr sie den Frisör an: "Ich habe keinen schlechten Tag. Ich habe mir das sehr genau überlegt. Sie sollen nicht an den Haaren einfach so herumschnippeln, sondern sie ganz abschneiden. Natürlich keine Glatze. Das steht mir nicht. Aber sehr kurz will ich die Frisur. Die abgeschnittenen Haare aber will ich dann nämlich auch im Internet zum Kauf anbieten." Ein wenig enttäuscht wegen der ausbleibenden Geschichte, lauschte ich dem Geplänkel der beiden. Auch die Schüler rutschten ungeduldig auf ihren Stühlen herum, kicherten über die 'dumme Gans', wie sie flüsternd über das Mädchen urteilten, wagten jedoch nicht ihre Meinung laut kund zu tun. Herr Karabani seufzte ein wenig, fragte, ob die junge Dame es sich nicht wirklich noch einmal überlegen möchte. Er könne das Haar ein paar Zentimeter kürzen und ihr eine wundervolle modische Mähne hinzaubern. Alle Männer würden sich nach ihr umdrehen. "Ich kann auch zu einem anderen Frisör gehen, wenn Sie mir die Haare nicht abschneiden wollen." Schon war sie drauf und dran, sich den Umhang von gleichem Rot wie ihr zornverfinstertes Gesicht herunter zu reißen. "Gut, ich sehe ja ein, dass Sie die Frisur satt haben. So herrliches naturblondes Haar wie das Ihre aber sieht man eben selten und deshalb..." "Bla, bla, bla" ergänzte das Mädchen. "Genau deswegen möchte ich es ja bei ebay versteigern." "Ich mache Ihnen aber nicht viel Hoffnung auf einen guten Preis. Haare im Internet sind im Augenblick nicht sehr gefragt." "Und warum nicht, bitte schön?" "Na, seit der Geschichte mit dem Haar von Ramses II. bei ebay." "Und wer soll Ramses sein? Hab noch nie von ihm gehört. Ein Popstar aus Ihrer Jugend vielleicht?" Herr Karabani seufzte tief und die Schüler lachten. Sie machten den Scheibenwischer vor dem Gesicht und einer sagte laut und deutlich: "Was will man von einer Blondine anderes erwarten. Sind doch alle strohdoof." Herr Karabani schaute strafend in unsere Richtung und ich fühlte mich ebenso ertappt, obgleich ich meine Meinung über Blondinen nicht laut geäußert hatte. Ich hatte es aber gedacht. PISA lässt grüßen!, hatte ich gedacht. Ich kann es nicht leugnen. Und: Hirn hängt eben doch mit der Haarfarbe zusammen. Unter dem wissenden Blick Ernesto Karabanis duckte ich mich und starrte auf meine Schuhspitzen. Ich überlegte, ob unser Märchenfrisör vielleicht eine Erklärung für das Phänomen hatte, dass Intelligenz und Haarfarbe miteinander zu korrelieren schienen. Dumm und blond. Ich setzte meine Diskussion mit mir selbst fort und ich verteidigte meinen Stundpunkt heimlich und unausgesprochen. Schließlich ist es eine allgemein und weit verbreitete Meinung, dass Blondinen nichts unter der Schädeldecke haben, sagte ich mir. Eine Tatsache, die inzwischen zur Wahrheit zusammengeredet worden war. Doch Herr Karabani ging nicht auf die Bemerkungen der drei Schüler und natürlich auch nicht auf meine bösartigen Gedanken ein. Ruhig begann er zu erzählen. "Vor etlichen hundert Jahren regierte in Ägypten Pharao Ramses II." Schon unterbrach ihn das blonde Mädchen. "Was hat denn diese geschichtliche Leiche mit mir und meinen Haaren zu tun?" Ernesto Karabani nahm ihren Einwurf ohne Kommentar hin, teilte die goldene Haarpracht in einzelne Strähnen, lockerte sie wieder und inspizierte die Haarspitzen. "Sie haben es gerade richtig ausgedrückt. Die 'geschichtliche Leiche', ja sie hat sehr viel mit Ihrem Wunsch zu tun, Ihr Haar bei ebay zum Kauf anzubieten. Das nämlich kam so. Ramses II. war ein großer Herrscher, einer der bedeutendsten der altägyptischen Könige. Er führte Kriege, hatte etliche Haupt- und Nebenfrauen, mit denen er etwa 100 Kinder in die Welt setzte..." "Moment mal, was soll das? Hat das etwa mit meinem Wunsch nach einer neuen Frisur zu tun? Und überhaupt! Ich selbst habe mit diesem geilen Alten aus Ägypten schon gleich gar nichts am Hut." Das blonde Mädchen war empört. Die drei Schüler kicherten wieder, doch sie wagten unter dem scharfen Blick Karabanis keine Bemerkung, gleich welcher Art. Und ich enthielt mich selbst des dümmsten Gedankens, der in dieser Situation aufkeimen wollte. Herr Karabani schenkte der Empörung seiner Kundin unter dem aggressiv roten Umhang keine Beachtung und redete weiter. "Der Pharao lebte ein für die damalige Zeit unmäßig langes Leben und starb im Alter von 90 Jahren. Am 19. Juli 1213 vor Christi Geburt. Also vor 3220 Jahren. Er wurde innerhalb von 70 Tagen durch Mumienpriester einbalsamiert und in ein königliches Grab gelegt." Nun mischten sich die Schüler ungefragt in die Erzählung ein. "Mann, Sie sind ja verrückt! Woher will man das alles wissen? Nach 3220 Jahren?" "Stimmt", sagte der Junge zu meiner Rechten. "Das sind doch alles nur noch Märchen." "Mit dem Unterschied, dass dieses Märchen bis in die heutige Zeit hineinwirkt und direkt zu der jungen Dame hier führt." Ernesto Karabani hatte inzwischen die blonde Mähne gewaschen und fuhr mit einem grobzinkigen Kamm durch das nasse, lange Haar. "Die Spitzen müssen aber erst weg, wenn Sie die Haare zu Geld machen wollen. Da ist der Spliss drin." "Hat den der geile Ramses-Bock etwa auch gehabt?" Ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Die ganze Diskussion ging der jungen Frau auf die Nerven und doch war sie neugierig, was dieser uralte König mit dem Haufen von Kindern mit ihr zu tun hatte. "Über das Haar der Pharaonen wird kaum etwas berichtet. Es ist auf allen Abbildungen fast immer unter einer weiten Haube verborgen. Also kann ich auch nicht sagen, ob sich seine Haarspitzen gespalten haben." "Haarspalterei also", warf die Blonde giftig ein. "Nun, wie man will". Unbeirrt setzte Karabani nach der kleinen Plänkelei seine Erzählung fort. "Ramses II. war begraben, das übliche Hickhack um den Nachfolger wiederholte sich über Generationen, bis es keine Pharaonen mehr in Ägypten gab. Im Laufe der Jahrhunderte war das Grab des Königs vom Dunkel der Geschichte verschlungen worden. Niemand wusste mehr, wo es lag. Nach 3000 Jahren, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, wurde das inzwischen von Grabräubern geplünderte Königsgrab wieder gefunden. Ramses II. wurde nach Kairo gebracht und dort ausgestellt." "Der muss ja ausgesehen haben wie der Ötzi. Vertrocknet und vergammelt." "Da habt ihr nicht ganz unrecht", wandte sich der Frisör an die Schüler. "Und genauso, wie die Leiche des Ötzi durch Feuchtigkeit und Pilzbefall vom Zerfall bedroht ist, so hatte auch der große Pharao Schaden genommen. Er musste dringend konserviert werden. 1976 wurde er per Flugzeug nach Frankreich gebracht und auf dem Flughafen Le Bourget mit militärischen Ehren empfangen. Dann brachte man die Mumie zur Untersuchung in ein Labor nach Grenoble. Dort wurde Ramses II. innerhalb mehrerer Monate wieder in Ordnung und dann zurück nach Kairo gebracht." "Und? Was hat es nun mit meinen Haaren zu tun?" "Ja, da müssen wir jetzt wieder einen Zeitensprung machen, zwar keinen von 3000 aber immerhin von etwa 30 Jahren. Im vergangenen November tauchten nämlich im Internet Haare vom Kopf der Mumie auf. Sie wurden zum Kauf angeboten. Erstgebote lagen für ein paar Schnippselchen bei 2000 Euro." "Na bitte! Es lohnt sich also doch!", triumphierte die Blondine. "Nicht unbedingt." Karabani lächelte ihrem Spiegelbild zu, bevor er fortfuhr. "Die Offerte war kaum erschienen, da griff die Polizei zu. Der Anbieter der Ramses- Haare war ein einfacher französischer Briefträger und der gab an, die Haare hätte er von seinem Vater geerbt. Dieser war seinerzeit in dem Labor in Grenoble beschäftigt gewesen und hatte ein paar Schnipsel von den Mumienbinden und ein kleines Büschelchen Haare mitgehen lassen. Sie waren bei der Präparation auf den Boden gefallen. Niemand hatte es bemerkt und er hatte sie als Andenken eingesteckt. Sie wurden nicht vermisst. Nun war der Sohn darauf verfallen sie zu Geld zu machen." Karabani schnitt nun die langen Haare der jungen Frau gerade und sah den nassen blonden Haarfetzchen nach, die achtlos zu Boden klatschten. Niemand würde sie aufheben und heimlich einstecken. Es sei denn, er sei ein glühender Verehrer der Blondine. "So, jetzt werde ich die Haare erst einmal auf Nackenlänge abschneiden, bevor ich einen Formschnitt machen kann." "Nein, Moment, erst will ich wissen, wieviel der Briefträger für das alte verfilzte Mumienhaar bekommen hat." "Nichts hat er bekommen. Kein Geld, auch keine Strafe, dafür aber jede Menge Ärger mit der ägyptischen Regierung. Schließlich hat er sich entschuldigt und die kleine Locke ist zu Ramses II. nach Kairo zurückgekehrt." "...und man hat sie ihm wieder auf den vertrockneten Schädel gepappt", ergänzte einer der Schüler lachend. "Das nicht", belehrte ihn Karabani mit ernster Miene. "Die Haare werden nun gesondert ausgestellt." Und damit griff Ernesto zur Schere und säbelte der Blondine, wie gewünscht, das Langhaar ab. Klatschend fiel es zu Boden und entsetzt starrte das Mädchen auf ihr Spiegelbild. In diesem Augenblick schepperte die Glocke am Eingang und die Türe zum Salon wurde aufgerissen. Mit einem fröhlichen "Hallo, Ernesto" kam ein eleganter Mann mittleren Alters herein. Er schleppte einen umfangreichen Musterkoffer mit sich. Voller Begeisterung stürzte er auf Karabani und seine Kundin zu. "Da komme ich ja gerade zur rechten Zeit. Ich sehe, die junge Dame mit den abgebissenen schütteren Haaren braucht sicher für die nächste Zeit eine passende Perücke. Ich habe sie in allen Farben und Frisuren dabei. Auch eine wundervolle blonde Mähne, die der Dame sicher gut stehen würde." Die Dame mit den abgebissenen Haaren brach in Tränen aus. Gleichmütig kehrte Herr Karabani ihre abgeschnittene Mähne zu einem Haufen nasser Strähnen zusammen, steckte sie in eine Tüte und überreichte sie seiner Kundin. |