Haarige Geschichten
Kurzgeschichte - Haar, Haare, Frisur, Friseur, Haarfarben, blond, Blondine, Rothaarige, Glatze, Haarausfall, Bart, Rasur, Zöpfe, Locken, Dauerwellen ...

Unser Buchtipp

Abenteuer im Frisiersalon

Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Friseurbesuch

© Sonja Beilke

Ich brauche einen neuen Pullover. Also betrete ich einen Laden, der unter anderem Pullover verkauft. Dieser Laden ist so vollgestopft mit Kleidung, dass die Kundinnen sich diese kaum genauer betrachten können, da sie von anderen Kundinnen und genervten Verkäuferinnen im Vorbeieilen in die mit Kleidung zugehängten Wände hineingedrückt werden. Da erspähe ich ein paar Pullover: schwarz mit V-Ausschnitt. Und alle sehen so passend aus. Ich wühle mich durch die zugehängte Wand, werde gelegentlich von unfreundlichen Verkäuferinnen mit dem Gesicht in die mit Kleidung zugehängten Wände gedrückt und ergattere schließlich einen Pullover der Größe 38 und vorsorglich noch einen in der Größe 42. Manchmal fallen die Größen eben unterschiedlich aus.

Dann stelle ich mich zehn Minuten ins Gedränge vor die beiden Kabinen, deren Anzahl für die etwa hundertzwanzig Kundinnen nebst männlicher Begleitung verhältnismäßig knapp ausfällt. Endlich wird eine Kabine frei. Ich hole tief Luft, ziehe den Bauch ein und quetsche mich hinein. Nach einigen halsbrecherischen Verrenkungen gelingt es mir doch tatsächlich, den ersten Pullover überzuziehen. Mit hoch erhobenen Armen stehe ich nun da und kriege das verdammte Ding keinen Zentimeter weiter über den Brustkorb. Es reißt und knirscht an allen Ecken, bewegt sich jedoch kein Stück. Ich zerre ihn mir wieder über den Kopf. Meine Haare laden sich dabei elektrostatisch auf und stehen wie ein verrückter Kranz von meinem Kopf ab. Es knistert wie wild. Entnervt und schwitzend will ich mir den anderen Pullover der Größe 42 greifen. Mit Tränen in den Augen muss ich jedoch feststellen, dass ich Größe 42 soeben bereits versucht habe anzuziehen. Wem bitteschön soll dieses klitzekleine Stückchen reines Polyester-Acryl für den stattlichen Preis von 29,95 € passen?

Ich trete mit elektrischen Fusselhaaren und rotem Gesicht aus der Umkleidekabine und sehe sofort, wem das Polyester-Acryl passt: ein dürres Blondchen dreht und wendet sich mehr vor ihrem braungebrannten Kerl als vor dem Spiegel und lässt sich bewundern. Traurig und unzufrieden mit mir selbst verlasse ich den Laden.

Ich beschließe, in einen anderen Laden zu gehen. In den schwedischen. Dort ist es auch nicht so eng und man riskiert nicht, mit dem Gesicht in einen Pulloverständer gedrückt zu werden. Dort finde ich einen Pullover: schwarz mit V-Ausschnitt. Ich stelle mich in die Schlange vor den zwei Kabinen und komme nach einer halben Stunde an die Reihe. Angestrengt geradeaus starrend damit ich meine Pölsterchen nicht im Spiegel sehen muss ziehe ich den Pullover über meine fettigen fliegenden Haare. Sie knistern zornig und legen sich wütend über mein Gesicht. Ich atme ein Büschel Stroh ein und betrachte mich im Spiegel. Der Pullover reicht mir bis in die Kniekehlen und schlabbert so um meinen Körper, dass man meinen könnte, ich hätte ihn Arnold Schwarzenegger geklaut. Schnell ziehe ich ihn wieder aus. Die Gackergänse in der Kabine neben mir grölen und kichern, wispern und gackern, dass es eine Freude ist. Lachen die über mich? Ist da irgendwo ein Loch in der Kabine? Traurig und genervt verlasse ich die Kabine. Meine knisternden Haare greifen einzeln mein Gesicht an und attackieren es mit zornigen Strohstichen.

Wo soll ich den jetzt noch hin?

In den Laden mit den Übergrößen? Nein, da sind die Pullover ja noch größer. In den Designerladen? Bin ich Krösus? Wahrscheinlich würde ich auch gar nicht dazu kommen, einen vorsichtigen Blick auf die kleinen Preisschildchen zu werfen, weil ich vorher unter pikierten Blicken stillschweigend hinauszitiert werde.

Mir kommt plötzlich ein ganz anderer Gedanke während ich mit meinem Haupthaar kämpfe und es mühsam dazu bringe, sich ruhig und artig auf meinen Kopf niederzulegen.

Warum nicht zum Friseur gehen?

Alles in mir sträubt sich, denn die letzten Friseurbesuche meines Lebens endeten grundsätzlich in einer Katastrophe und hinterließen Ebbe in meinem Geldbeutel. Das ist auch der Grund warum mein letzter Friseurbesuch rund sechs Jahre zurückliegt. Aber andererseits habe ich noch nicht alle Friseure der Stadt durch. Zwischendurch haben schließlich ein oder zwei Läden neu eröffnet, die ich noch nicht ausprobiert habe. Ich nehme all meinen Mut zusammen und betrete das nächste Friseurgeschäft in der Nähe.

Nach zehn Minuten dumm herumstehen werde ich dann auch beachtet. Es macht schließlich keinen guten Eindruck, wenn eine Frau mit verrücktem Haarkranz sinnlos im Friseurstudio herumsteht. Nach langem hin und her bequemt sich die Friseuse, mich sofort dranzunehmen. Ich stehe tief in ihrer Schuld und kann die Gnade, die sie mit zuteil werden ließ kaum ertragen. Nach zwanzig Minuten, ohne dass mir ein Kaffee angeboten wird, darf ich auf dem Friseurstuhl Platz nehmen.

Nachdem Gitte, wie sich meine Friseuse mir kurz und knapp vorstellt und sich dabei so gar nicht für meinen Namen interessiert, ein fünfminütiges Pläuschchen mit ihrer Kollegin gehalten hat erscheint sie gnadenvoll im Spiegel hinter mir. "Was wollen wir denn machen?", fragt sie. 'Wir'? Wieso 'wir'? Soll ich etwa mitarbeiten an meiner neuen Frisur? Ich schaue etwas verwirrt drein. Sie wertet dies als Unentschlossenheit, greift nach einem Kamm und kämmt meine Haare auf meinem Kopf hin und her. "Die sind ganz schön dünn", sagt sie. Ich weiß nicht ob das eine Feststellung, eine Frage oder einfach nur eine beiläufige Anmerkung ist. Ich bestätige einfach mal. Schließlich weiß ich es am besten.

Sie kämmt meine Haare hin und her. "Soll der Scheitel so oder so?", fragt sie und kämmt einen Scheitel einmal nach links, einmal nach rechts.

Scheitel? Wieso Scheitel? Und warum soll ich ihn links oder rechts tragen? Die Mitte ist doch gut. "Mir gefällt die Mitte am besten", wage ich zu sagen.

"Das trägt man aber nicht mehr", wehrt Gitte brüsk ab. Sie nimmt eine meiner Haarsträhnen zwischen zwei spitze, manikürte Finger und hält sie mit einem leicht angewiderten Gesichtsausdruck hoch. "Haben Sie die selbst gefärbt?", fragt sie mich und hätte genauso gut fragen können ob ich ihr Meerschweinchen umgebracht hätte.

"J-Jaah!" sagte ich zögernd.

Energisch kämmt sie meine Haare auf meinem Kopf hin und her und murmelt Dinge wie "Kaufhausfärbung. Schadet den Haaren. Lieber vom Friseur machen lassen" Dann hält sie erneut eine Haarsträhne hoch und verkündet: "Die müssen mindestens bis hier ab" und hält den Finger an die Hälfte der Strähne.

Mir kommen fast die Tränen. 10 Jahre hat es gebraucht, die Haare so lang wachsen zu lassen und nun sollen sie mit einem Schnitt ab? Weg? Für immer? "Na ja, wenn Sie sagen dass das sein muss?", sagte ich zögernd.

"Ja, das muss sein", sagt sie und schlägt einen Stufenschnitt mit Pony und Linksscheitel vor.

Das hört sich gut an denke ich. Das hört sich an wie ein neues Leben ohne Starkstrom am Kopf und ohne Mittelscheitel. Ich willige voller Hoffnung ein.

Das anschließende Haarewaschen ist sehr angenehm. Rücksicht auf mein Make-up und auf den Hinweis, dass ich Kontaktlinsen trage ist jedoch nicht angesagt. Immer wieder wird meine Augenpartie mitgeduscht. Das Resultat ist schwarzer Kajal, der vor meinen Augen davonrennt und drückende Kontaktlinsen. Aber wer schön sein will muss ja bekanntlich leiden. Also lasse ich auch das energische Kämmen meiner empfindlichen Haare über mich ergehen. Dann beginnt sie, einzelne Strähnen mit kleinen Kämmchen zu fixieren und schneidet die ersten Spitzen ab, die auf meinem grünen Friseurkittel landen. Ich betrachte die erste Spitze und schätze sie auf ungefähr zehn Zentimeter. Ich erschrecke innerlich. Meine Güte. Wie viel schneidet sie da ab? Ich WILL keinen Kurzhaarschnitt. Meine lustige Bemerkung, dass sie doch bitte noch das ein oder andere Haar dranlassen möge quittiert sie mit einem unwilligen Knurren. Ich sinke etwas zusammen und sage nichts mehr.

Friseuse und Kundin nebenan plappern munter aufeinander ein, lachen, haben Spaß. Meine Gitte schnibbelt konzentriert an meinen dünnen, selbst gefärbten Haaren herum und sagt nichts. Da mir auch nichts einfällt, was ich sagen könnte, schweigen wir uns an.

Nachdem sie erstaunlich lange an meinen paar Haaren herumgeschnibbelt hat, beginnt sie zu fönen. Der Fön versengt mir als erstes die Kopfhaut und ist so laut dass mir das Trommelfell zu bersten droht. "Sagen Sie Bescheid wenn's zu heiß wird", schreit Gitte über de tosenden Lärm hinweg.

"Jaaah … IST zu heiß!", brülle ich zurück.

Der Fön wird kühler. Aber nur um nach ein paar Sekunden wieder Fegefeuerstufe zu erreichen. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht als Weichei und nörgelnde Kundin dazustehen, und hoffe, dass meine eh schon geschädigten Haare diese Tortour überleben werden.

Gitte fönt und zerrt mit einer Rundbürste an meinen Haaren herum. Je mehr sie fönt und zerrt desto schrecklicher sieht mein Spiegelbild aus. Ich beschließe, es zu ignorieren und starre auf die leere Friseurkonsole vor mir.

Nach endlosen weiteren Minuten ist meine Kopfhaut gar und Gitte stellt den tosenden Fegefeuerfön endlich ab. "Haarspray?", fragt sie und ich freue mich, dass sie offensichtlich erstmals Konversation betreiben will.

Ich schaue mich im Spiegel an und erschaudere. Diese "Frisur" auch noch mit Haarspray fixieren? Nein, lieber nicht. Lieber schnell nach Hause und auswaschen, Tüte drüberziehen und ins Kopfkissen heulen.

Doch Gitte ist bereits fleißig am sprühen. Einige feine Tröpfchen des Haarsprays legen sich auf meine Schläfen, meine Augen, meine Stirn und trocken dort sofort fest. Dann holt Gitte den obligatorischen Spiegel hervor um mir die Katastrophe auch noch von hinten zu zeigen. Ich will sie fragen ob wir darauf verzichten können, doch es ist zu spät. Ich muss mir ansehen, wie mein Hinterkopf aussieht. Ein geplatztes Sofakissen, dessen Inhalt krampfhaft auf Volumen gebürstet wurde ist nichts dagegen. Ich würge den Kloß in meinem Hals unter und zwinge mir ein Lächeln ab. "Toll", flüstere ich heiser. Gitte wertet dies als Sprachlosigkeit vor Begeisterung und ringt sich ebenfalls ein gequältes Lächeln ab.

Sie nimmt mir den Friseurkittel ab und all meine mühsam gezüchteten und im Laufe der Jahre lieb gewonnenen Haarsträhnen landen auf dem Fußboden. Ich trauere kurz um sie, entleere den Inhalt meines Portemonnaies an der Kasse, gebe Gitte ein Trinkgeld, das sie nicht verdient hat, und vermeide dabei jeden Augenkontakt mit dem Spiegel. Ein weiterer Friseurladen reiht sich in die Kette derer ein, die nie wieder von mir besucht werden. Ich fahre nach Hause, wasche meine Haare aus, ziehe mir eine Tüte drüber und weine in mein Kopfkissen …

Eingereicht am
23. August 2007

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Ein haariges Lesevergnügen
Noch mehr haarige Geschichten finden Sie in dem Buch, das aus unserem Wettbewerb "Abenteuer im Frisiersalon" hervorgegangen ist.

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Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

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