Unser Buchtipp
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Die Augen der Liebe© Britta Söder"Da, da, ein Neuer, seht ihr ihn auch?", raunte es durcheinander. "Ach nein", die Kommode seufzte. Jetzt ging das schon wieder los. "Du sei still", zischte der Kamm und sein Freund, das Haarspray, nickte zustimmend. "Was wärst du denn ohne uns, kahl und leer." Die Haarnadeln duckten sich. Sie hatten, obwohl in der Überzahl, sowieso nichts zu melden. "Genau, genau", pflichtete der Puderquast, ansonsten eher schüchtern, ihm bei. Sicherlich wollte er sich anbiedern, denn die anderen schätzten ihn nicht sonderlich, da er staubte und sie alle mit einem weißen Film bedeckte. Der Parfumflakon überhörte ihn großzügig. Er, der König in diesem Reich, wollte sich den Auslöser dieses Gerangels einmal genauer betrachten. Es handelte sich um eine längliche Schale. Zart rosa, mit eingeschliffenen kleinen Blütenköpfen. Sie wirkte verstört. Mit einem solch feindseligen Empfang hatte sie wahrhaft nicht gerechnet. Im Gegenteil. Ihr erstes Zuhause betrat sie eingehüllt in fünf Lagen feinstes Seidenpapier, das von einem, zu einer großen Schleife gebundenen, Seidenband zusammengehalten wurde. Sie war ein große Freude auslösendes Geschenk und als solches zollte man ihr dort viele Jahre den nötigen Respekt. "Wer bist du?", fragte der Flakon streng. "Ich bin eine Kammablage", antwortete die Schale selbstbewußt. "Ph", machte der Kamm, "da stecke ich doch lieber weiterhin in der Bürste." Insgeheim aber dachte er, wie gut ihm, dem Kamm aus geschnitztem Elfenbein, solch ein neues Zuhause kleiden würde - zumal die Bürste mit ihren einst edlen Naturborsten, mehr und mehr einem räudigen Hund glich. Jetzt war es an dem Neuankömmling, Fragen zu stellen: "Wer seid ihr? Die Bedeutung einiger von euch ist mir völlig unbekannt." Dabei sah die Schale den Lippenstift fragend an. "Ich bin ein Lippenstift", sagte dieser hochmütig. "Und was ist deine Aufgabe?" Der Lippenstift war tief erschüttert über soviel Dummheit. "Ich färbe den Mund unserer Gnädigen rot, auf das er gesund und frisch aussieht. Deshalb bin ich der wichtigste und sollte König sein." Er blickte den Flakon herausfordernd an. "Diese Stellung steht ja wohl mir zu, entrüstete sich der Nagellack. Ich färbe ihre Nägel rot, schöne Hände sind sehr wichtig. Ich sollte König sein." Er wusste nicht, dass seine Zeit begrenzt war und bald ein anderes Fläschchen seinen Platz einnehmen würde. "Eine glänzende Nase ist der Alptraum einer jeden Frau", brachte sich der Puderquast beherzt in Erinnerung. "Deshalb gebührt mir die Stellung des Königs." "Ungekämmt geht sie nie aus dem Haus", wetteiferte der Kamm. "Genau", stärkte das Haarspray seinem Freund den Rücken. Würde der Kamm König, wäre ihm der Ministerposten sicher. "Hört jetzt auf mit dem Gezeter", polterte der Parfumflakon. "Ich bin der krönende Abschluss ihrer Morgentoilette und deshalb bin ich der König und bleibe es auch." Die Schale war von soviel Wichtigkeit beeindruckt. Der Flakon war der rechtmäßige König, soviel stand fest. "Ohne deinen Minister wirst du nicht mehr lange regieren können und dann werden wir dich stürzen", drohten die anderen dem Flakon. Die Schale horchte auf. Einen Minister gab es auch noch. Wer mochte das sein? Der König wandte sich erklärend an die Schal: " Der Minister ist schon alt. Er hat unserer Gnädigsten viele Jahre lang treue Dienste geleistet und jetzt darf er sich ausruhen." "Es gibt für mich auch nicht mehr viel zu tun", ertönte eine schwache Stimme, welche der Schale seltsam bekannt vorkam. Sie blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. "Bürste, bist du es wirklich?", die Stimme der Schale überschlug sich fast vor Freude. "Schale, entschuldige bitte, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Bin wohl mit den Jahren etwas kurzsichtig geworden. Wo warst du nur so lange?" "In einem Antiquariumgeschäft", sagte die Schale. "Wo?", die Bürste fragte sich, ob sie bereits schwerhörig wurde. "Antiquitätengeschäft heißt es", korrigierte der König seine neue Untertanin hoheitsvoll. "Meine Großtante war auch in der Branche tätig und verbrachte viele Jahre in einer Vitrine." Er versank in Gedanken und schwieg lange. "Wie hast du das vorhin gemeint, dass du keine Aufgabe mehr hast?", frage die Schale ihre alte Weggefährtin besorgt. "Ach", sagte die Bürste, "ihr Haar ist so fein und so dünn, da nimmt die Gnädigste lieber den Kamm." "Hätte sie von Anfang an mich genommen, wäre ihr Haar immer noch voll und schön." Ihr Rivale, der Kamm, funkelte die Bürste triumphierend an. Die beiden alten Freunde, die so glücklich waren, dass sie sich wiedergefunden hatten, beachteten ihn gar nicht. "Wieso warst du damals so plötzlich verschwunden?"", fragte die Bürste. Unsere Besitzerin brauchte damals dringend Geld, und so bot sie mich einem Trödler zum Kauf an." erinnerte sich die Schale traurig. Nicht uneitel dachte sie an den hohen Preis, den der Mann ohne zu Murren für sie bezahlt hatte. "Sicher", giftete der Lippenstift höhnisch, "du warst ja auch zu entbehren. Du bist das Unwichtigste was es gibt". Der Nagellack grinste boshaft. Ja, hier waren sie sich die beiden Todgeweihten einig. Jetzt war die Schale doch beleidigt. "Es ist so schön, dass sie dich zurückgeholt hat", tröstete die Bürste ihre alte Freundin. "Zurückgeholt?" wunderte sich die Schale, "bin ich denn wieder bei ihr?" "Ja", antwortete die Bürste glücklich. "Aber wer ist dann die alte gebeugte Frau mit dem weißen dünnen Haarknoten?" Die Schale verstand die Welt nicht mehr. "Das ist sie", antwortete die Bürste. Sie selbst war mit ihr alt geworden. "Und all diese Dinge hier", die Schale schaute sich um. Ihr Blick wanderte vom Nagellack über den Lippenstift zum Haarspray und von dort zum Puderquast, "die benutzt sie jetzt?" "Ja", sagte die Bürste schlicht. "Ja, aber weshalb denn?" Die Schale war hartnäckig. Sie musste es wissen. "Damit sie jünger erscheint." "Jünger als sie ist?" Die Schale kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ihr eigener Wert stieg mit zunehmendem Alter. Dass jemand jünger wirken wollte als er war, befremdete sie. "Aber weshalb will sie jünger erscheinen als sie ist?" War die Schale wirklich so begriffsstutzig? Hilfe suchend blickte die Bürste sich um. "Weil alte Menschen heute leider nicht mehr geehrt, sondern abgeschoben werden in Heime", half der König seinem Minister. "In was? Heime?" "Altenheime. Ich glaube beinahe, in dem Antiquitätengeschäft, aus dem du kommst, ist die Zeit stehengeblieben." Die Bürste verlor langsam die Geduld. "Ja, das glaube ich auch", die Schale war zerknirscht. Sie überlegte einen Augenblick. "Aber dann betrügt sie doch jeden", wagte sie noch einzuwenden. "Nicht jeden", meldete sich da zum ersten Mal der Spiegel zu Wort. "In mich blickt sie morgens zuerst, seit über 70 Jahren. Und für mich ist sie noch genauso jung wie damals. Ihre Haare glänzen wie Gold. Ihre Haut ist zart und die Wangen sind prall und rosig. Ihre Augen sind immer noch von diesem tiefen Veilchenblau und sie haben ihre Neugier nie verloren." "Dann solltest eigentlich du der König sein", meinte die Schale ergriffen und alle anderen nickten andächtig. Warum hatte sie ihn eigentlich nicht gleich erkannt? Bei seiner Größe war er doch nicht zu übersehen. Irgendwie hatte er sich verändert. Er wirkte längst nicht mehr so glanzvoll und strahlend wie früher. Und auf einmal begriff sie: Er war blind. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Ein haariges Lesevergnügen
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