Unser Buchtipp
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Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Dunkle Rastalocken© Franziska ReinhardEr steigt ein. Deine Augen verfolgen gespannt jede seiner Bewegungen. Seine Hand zückt elegant die Buskarte, zeigt sie vor. Du bist völlig auf ihn fixiert, die Welt um dich herum scheint zu verschwimmen. Da ist nur er. Sein Zeh wippt auf und ab, beult dabei die ausgeblichenen Turnschuhe aus. Er kommt auf deinen Platz zu. Neben dir sitzt niemand. Diese Mal freust du dich, dass der Platz leer ist. Dieses Mal siehst du nicht sehnsüchtig zu den Anderen hinüber, wie sie miteinander reden, Spaß haben. Dein Herz klopft schneller. Deine Blicke sind flehen, setz dich zu mir, sagen sie. Wird er diesen bittenden, fordernden Glanz in deinen Augen bemerken? Sich neben dich setzen? Du kennst ihn. Er ist eine Klasse über dir. Du magst ihn, auch wenn du es nie zugeben würdest. Tief in deiner Seele schlummern die Gefühle für ihn. Nie könntest du einen Anderen davon wissend machen. Außer ihn. Er kommt deinem Platz immer näher. Kurz davor dreht er sich, setzt sich vor dich. Dein Herzschlag scheint auszusetzen, fängt wieder an, normal. Du starrst nach vorne. Sein Nacken. Dann die Mütze. Die Mütze, weit, gestrickt und bunt. Rot, schwarz, grün. Diese Mützen hast du schon einmal gesehen. Aber nicht bei ihm. Bestimmte Musiker tragen solche Mützen. Du weißt nicht, um welche Musikrichtung es sich handelt. Musik lag noch nie in deinem Interessenbereich. Er trägt immer diese Mütze, noch nie hast du seine Haare gesehen. Vielleicht hat er wilde Rastalocken, wie diese Musiker. Dunkelbraune Rastalocken. Wunderschön dunkelbraun. Ganz deutlich kannst den dunklen Haarwirrwarr vor dir sehen. Schöne, dunkle, dicke Haare. Schon ist es für dich so real geworden, dass du dich fragst, wie man solche Haare verstecken kann. Schon hast du den Schritt zwischen Realität und Vorstellung gemacht und es nicht gemerkt. Du denkst an deine eigenen Haare, schämst dich. Langweilig nach hinten gebunden. Langweilig, der Farbe entsprechend. Ein Farbton irgendwo zwischen braun und blond. Noch immer spukt das Bild der Rastalocken in deinem Kopf herum. Läst dich nicht mehr los. Dunkel und wild. Wie fühlen sich diese Haare an? fragst du dich. Einen Moment versuchst du, dir sein Gesicht vorzustellen. Es fällt dir nicht ein, doch es ist egal. Seine Augen, Nase, Mund scheinen furchtbar unwichtig gegen die überwältigende Haarpracht. Die Illusion, so echt, so nah. Du willst sie berühren. Willst die Rastalocken um deinen Finger wickeln. Irgendwo, tief in deinem Unterbewusstsein, merkst du, wie deine Hand sich seinem Kopf nähert. Ihm immer näher kommt. Schließlich die Mütze zu fassen bekommt. Noch kannst du aufhören. Noch hat er nichts bemerkt. Aber angetrieben von dem unbändigen Wunsch seine Haare zu berühren, packst du fester zu. Dann kannst du nicht mehr warten, begierig, wie ein hungriger Löwe, reißt du ihm die Mütze vom Kopf. Er dreht sich um. Starrt dich an. Du bemerkst seinen fassungslosen Blick nicht. Die Mütze krampfhaft in der Hand haltend, ist dein Blick starr auf seinen Kopf gerichtet. Die Illusion zerplatzt, gleich einer Seifenblase, noch tausendmal schneller. Da ist nichts. Glatze. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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