Unser Buchtipp
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Samantha und Delano© Jasmin EngelSie saß vor dem Kosmetiktisch und bürstete sich ihre hüftlangen Haare. Der runde Spiegel gab das Bild einer gedankenverlorenen jungen Frau wieder, deren Gesicht von überaus kräftigen und glänzenden braunen Haaren umrahmt war. Samantha strich mit der Bürste sorgfältig durch jede einzelne Kastaniensträhne. Sie hatte links außen begonnen. "Ich wusste einfach, dass dieses Jurastudium das Richtige für mich ist. Aber, dass ich eine der wenigen sein würde, die das Stipendium bekommen, hätte ich nicht gedacht", jubelten ihre Gedanken. Samantha nahm sich die nächste Strähne vor, es ziepte ein wenig und sie biss sich auf die Unterlippe. Sie dachte: "So gern ich mein Studium mag, es tut doch gut, am Wochenende wieder etwas Sport zu machen. Ich müsste eigentlich öfter zum Training." Plötzlich kochte Wut in ihr auf, Hitze schoss in ihre Wangen. "Wenn dieser Typ mich noch ein Mal provoziert… Den Kampf kann er haben! Beim Taekwondo macht mir so leicht keiner was vor." Allmählich beruhigte sich Samantha wieder. Ja, sie neigte zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen. Ja, sie war sehr reizbar. Und ja, wenn sie sich wieder abgeregt hatte, schämte sie sich für ihre locker sitzende Faust. Das war vielleicht ihre einzige große Schwäche. Die junge Frau war schon immer ein Glückskind gewesen. Sie hatte etwas Strahlendes an sich, war gerecht, intelligent und schön. Doch ihr Jähzorn hatte ihr so manchen zum Feind gemacht. Sie setzte die Bürste - ruhiger - in der Mitte ihrer Mähne an. Samantha ließ ihren Blick im Schlafzimmer umherschweifen. Ein großes Himmelbett war das neueste Möbelstück des Raumes, der noch etwas Mädchenhaftes hatte. Einiges stammte noch aus ihrem alten Kinderzimmer. Prinzesschen-Rosa, Lavendel und Braun kuschelten miteinander. "Jetzt habe ich mich hier in Berlin schon etwas eingelebt. Ich bin froh, dass ich diese hübsche Altbauwohnung gefunden habe. Doch ich vermisse meine Familie…" sann sie nach. Dann wechselte sie zur nächsten Haarsträhne, wobei sich ihre Stimmung wieder hob. Sie begann in ihren Lieblingsgedanken zu schwelgen. "Er ist das, was mir zu meinem Glück noch gefehlt hat. Auf einen Mann wie ihn habe ich all die Jahre meines Single-Daseins gewartet, denn ich wusste, es gibt ihn da draußen. Delano…" Das Gefühl, dass sie nur eine Zimmerwand von ihm trennte, kribbelte süß in ihrer Kehle, wie zuckriger Sekt: berauschend. Als hätte er ihre Gedanken erraten, erschien er in der Tür des Schlafzimmers. Schweigend trat er hinter sie, nahm ihr die Bürste aus der Hand und ließ sie durch die letzte ungezähmte Strähne ihrer Haare gleiten. Herbst und Winter im Park - Samantha und Delano schlenderten Arm in Arm. Sie war wie Oktobersonne: warm, kraftvoll, zufrieden leuchtend. Er war wie ein Dezembermorgen: kühl, düster, verheißungsvoll. Samantha lächelte ihn verliebt an. "Ich kann kaum glauben, dass wir jetzt schon ein Jahr zusammen sind!" meinte sie. "Ich auch nicht", erwiderte er und verlagerte seinen Arm auf ihre Schulter, streichelnd. Delano war kein Mann großer Worte, er drückte sich lieber in Gesten und Taten aus. Er überragte Samantha um einen halben Kopf, war schlank, blass und hatte beinahe schwarze Haare. Sie schwärmte: "Dieses Romantik-Wochenende auf Rügen wird wunderschön. Allein wenn ich an das Hotel denke, Candlelight Dinner, Champagner auf dem Zimmer…" Es war seine Idee gewesen und er freute sich nun auch schon seit Wochen darauf. Delano drückte sie an sich und hauchte: "Ich liebe dich." Mit überrascht geweiteten Augen sprudelte sie hervor: "Aber… aber… das hast du mir noch nie gesagt! Wie lange ich schon darauf gewartet habe, dass du… oh Delano!" Dann suchten seine Lippen die ihren um mit einem langen Kuss diese magischen drei Worte zu besiegeln. Nachdem sie sich wieder von einander gelöst hatten, standen sie sich einige Momente still gegenüber. Samantha brach das kurze Schweigen mit einem Anflug von Feierlaune. "Komm, lass uns Essen gehen! Dieser neue Inder hat doch hier in der Nähe aufgemacht!" Delano war so guter Dinge, dass er sogar spontan sein konnte und nickte. Sie verließen den Park und hatten wieder Geschäftigkeit um sich. Freitagabends war viel los, vor allem in einer Stadt wie Berlin. Obschon sie doch sehr auf einander konzentriert waren, übermütigen Herzens. Sie plauderten munter wie unbeschwerte Kinder - Delano zumindest für seine Verhältnisse. Sie ließen sich Zeit, bummelten an Schaufenstern vorbei und unvermittelt wie völlig grundlos schoss es Samantha in den Kopf: "Delano, das heißt dunkel." Sie verscheuchte diesen Gedankenblitz. Die beiden überquerten eine Straße und kamen an einem Blumengeschäft vorbei. Er hatte wirklich ein unglaubliches Talent, ihre unausgesprochenen Wünsche zu erraten. Delano kaufte ihr eine tiefrote Rose, an der sie dankbar roch. Sie konnten das Restaurant schon sehen, als sie noch einen Frisörsalon passierten. Er sah das Werbefoto einer Frau mit kinnlangem Haar und ein wenig Ähnlichkeit mit Samantha. In guter Stimmung merkte er an: "Das würde dir aber auch stehen." Sie wog ihren Kopf nachdenklich hin und her bis er einräumte: "Das war nur so eine Idee." Für eine Minute herrschte Stille zwischen ihnen, doch als sie das Lokal betraten, wechselten sie das Thema und wurden wieder ausgelassen. Müde lag sie auf der Couch im Wohnzimmer. Samanthas Anblick verdunkelte die warme Ausstrahlung des Zimmers, dessen Einrichtung in Rot- und Erdtönen gehalten und mit etwas Orientalistik verfeinert war. Ihre Augen waren geschwollen, ihr Körper wirkte wie in sich zusammengesunken. Samanthas verzweifelte Seufzer sprachen ganze Bände von Zorn und Trübsal. Aufgepeitscht aus einem schönen Traum, von einer Welt voll Ordnung und Zuckerbrot: so lebt es sich mühsam. Tränen nässten ihre Bluse. Tage hatte sie so verbracht. Samantha sprang plötzlich auf, trat vor den Spiegel und schlug auf ihn ein bis ihre Faust blutig wurde. Die restlichen Splitter reflektierten eine junge Frau mit kinnlanger Frisur, die ihr durchaus stand. Ohne ihre Hand zu verarzten, warf sie sich wieder auf das Sofa und wälzte ein weiteres Mal in Gedanken all die Dinge, die sie verloren hatte. Nachdem Delano sie verlassen hatte, war sie so depressiv geworden, dass sie ihr Studium hinschmiss. Zum Training war sie ebenfalls nicht mehr erschienen, ihr war alles egal geworden. In trauriger Wut hatte sie sich selbst mit ihrer Familie zerstritten. Wo war ihr Glück geblieben? Seit sie ein Kind war, hatte sie sich nie mehr als die Haarspitzen schneiden lassen… Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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