Unser Buchtipp
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Zweitfrisur© Annika PlambeckSpäter würde sie erzählen, dass ihr zuerst seine speckige und dreckverkrustete Kleidung aufgefallen war, als er in ihren kleinen Frisörsalon trat. Tatsächlich aber, da sie vor ihm stand in ihrer blütenweißen Bluse und dem enganliegenden Rock, betäubte sie sofort der beißende Gestank, den er ausströmte und der ihr Tränen in die Augen trieb. Noch bevor sich ihr instinktives Gefühl von Unbehagen und Ekel zu dem Gedanken formen konnte ihn so schnell wie möglich loszuwerden, hatte er sie schon mit überraschend angenehm tiefer und fester Stimme begrüßt und um einen Termin gebeten. Die Haare wolle er sich waschen lassen, schneiden und föhnen. Es war erst früh am Morgen, in ihrem Salon war noch kein einziger Kunde und so verwarf sie schnell den Gedanken ihm kalt lächelnd mitzuteilen, dass sie keine Zeit für ihn habe. Er hatte Ähnliches bestimmt schon häufig erlebt, hätte sie sicherlich sofort verstanden und wäre mit etwas Glück friedlich umgekehrt. Spontan fiel ihr jedoch keine elegante Möglichkeit ein ihn abzuwimmeln und so bat sie ihn in ihrer Not Platz zu nehmen, obwohl sie die Vorstellung, dass er sich mit seiner fleckigen Cordhose auf ihren mit Leder bezogenen Frisierstuhl setze und mit seinen womöglich schweißig klebrigen Händen ihre Einrichtung begrapschte grauste. Der Salon war ihr ein und alles, sie hatte hart für diesen Traum gekämpft, übellaunige Friseurmeister ertragen, in etlichen Überstunden graue Haare auf Lockenwickler gedreht, war schon seit Jahren nicht mehr in den Urlaub gefahren. Doch das war es ihr wert, sie hatte das Gefühl, durch diesen Laden ein Gesicht in der riesigen Stadt zu haben, sie liebte den Duft von Shampoo und Haarwasser und auch wenn es ihr nicht immer gelang die Erwartungen ihrer Kundinnen zu erfüllen, genoss sie das Vertrauen, mit dem sich die meisten an sie wandten und sie freute sich umso mehr wenn es ihr gelang, dem ein oder anderen Gesicht ein zufriedenes Lächeln zu entlocken. Hingerissen hatte sie immer wieder auf ihre ersten Visitenkarten geblickt, hatte sie ihrer Mutter und Freundinnen ständig unter die Nase gehalten und dabei aufgekratzt gelacht. Nun ertrug sie es kaum mit anzusehen, wie er in ihren Stuhl plumpste, sich zurücklehnte, sie meinte noch nie einen so schmutzigen Wollpullover gesehen zu haben. Dennoch rang sie sich ein gequältes Lächeln ab, trat noch einen Schritt an ihn heran und erkundigte sich nach seinen Vorstellungen. Im nächsten Moment frohren ihre Gesichtszüge ein, der Gestank, der in einem erbarmungslosen Schwall über sie schwappte, verschlug ihr die Sprache. Flach durch den Mund atmend zwang sie sich nicht darüber nachzudenken wonach genau es roch aber bereits einen Atemzug später hatte ihre Nase erbarmungslos Urin, ranzigen Schweiß und feuchte, modrige Wolle erkannt, mein Gott, dachte sie, dass ein Mensch so schweinemäßig stinken kann. Sie hörte, dass er redete und nahm seine Gesten aus den Augenwinkeln wahr aber wie gebannt starrte sie auf seine langen, strähnigen Haare, die ölig am Kopf klebten, entdeckte haufenweise Knoten und verfilzte Stellen, vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Hände hineingreifen, ihr wurde übel. Mit einer Selbstbeherrschung, die sie ehrlich überraschte, erkundigte sie sich höflich ob er einen Kaffee wolle, gerne, antwortete er und so floh sie so schnell sie nur konnte ins Nebenzimmer, beugte sich über die kleine Spüle, drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf und würgte- erst unterdrückt, dann hemmungslos und heftig. Schnaufend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand, rutschte langsam nach unten und landete mit einem Satz auf dem kühlen Boden. Beruhig dich, befahl sie sich selbst, sie spürte förmlich wie ein hysterischer Lachanfall nur darauf wartete aus ihr herauszuplatzen. "Nu ma Budder bei die Fisch", hätte ihr Opa wohl schmunzelnd geraten, na prima, sie musste prompt an seinen Ölkopf denken, pah, jetzt kicherte sie ja doch albern. Seufzend rappelte sie sich auf und kehrte mit zwei Plastikhandschuhen bewaffnet in den Salon zurück. Mochte er doch denken was er wollte, mit bloßen Händen würde sie ihn nicht anfassen. Kaum dass sie sein Gesicht im Spiegel erblickte, fiel ihr der versprochene Kaffee ein, sie murmelte schnell eine Entschuldigung, ihre Maschine habe den Geist aufgegeben, macht nichts, brummte er. So, dann woll'n wir mal, flötete sie und es war vielmehr an sie selbst als an ihn gerichtet. Auch mit dem stärksten Wasserstahl waren seine Haare nicht zu bändigen, trotz der halben Flasche Haarspülung, die sie inzwischen verbraucht hatte, verfingen sich Shampooreste in den verfilzten Partien, da muss ich ordentlich was abschneiden, verkündete sie und als er darauf nur kurz nickte war sie froh, sie hatte ja nicht zugehört, als er ihr die von ihm gewünschte Frisur beschrieben hatte. Hatte sie sich zu Beginn noch vorgestellt über ihm die gesamten Shampooflaschen ihres Sortiments auszuschütten, vor ihrem inneren Auge verschwand er in einer gigantischen, blubbernden Schaumwolke, gewöhnte sich ihre Nase ganz allmählich an seinen Geruch so wie sie es von stickiger Luft in Zügen gewohnt war; übertreiben wollte sie nicht, er miefte noch gewaltig aber sie konnte es überraschenderweise ertragen. Es war die zwischen ihnen herrschende Stille, die sie so irritierte, meist plapperte sie munter mit ihren Kundinnen aber was sollte sie ihm erzählen? Er schien mit ihrem Leben keine Überschneidungen zu haben, sie konnte sich wohl kaum mit ihm über ihre neueingerichtete Wohnung unterhalten, über Fernsehsendungen? Unmöglich. Sie hatte Angst ihn zu brüskieren, fürchtete aber gleichzeitig eine peinliche Stille. "Meine Geschichte springt von einem Stein auf einen Kamelrücken und landet auf dem Kopf des kleinen Latif." Erstaunt blickte sie in sein Gesicht. Er schaute sie mit den ernsten Augen eines Märchenerzählers an, die verrieten, dass seine Gedanken in eine weit entfernte Welt entrückt waren und die zum Mitreisen einluden. "Latif und seine zwei Brüder lebten mit ihren Eltern in einem Lehmhaus in der Stadt. Bahir, sein älterer Bruder war mit erstaunlicher Intelligenz gesegnet, Rechenaufgaben löste er schneller als alle seine Lehrer, was er einmal gelesen hatte vergaß er nie mehr und so beschlossen die Eltern eisern zu sparen, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Die Mutter arbeitete nachmittags in einer Textilfabrik und verkaufte bunte, selbstgenähte Taschen auf dem Basar, der Vater und die übrigen Söhne unterhielten einen kleinen Gemischtwahrenladen am Stadtrand. Latif liebte Bahir sehr, denn dieser war nicht nur klug sondern auch sanftmütig und bescheiden, ja, aber er verabscheute die Arbeit im Geschäft, er fand keinen Gefallen am Feilschen und Anpreisen der Ware, im Umgang mit den Kunden war er zurückhaltend und unsicher. In seinen Träumen ritt er auf einem prächtigen goldenen Kamel durch den Sand, Khalil nannte er es." Dem Charme seiner warmen Stimme und den ruhigen Bewegungen seiner Hände erlag sie sofort, sein fülliger Bauch hob und senkte sich gemächlich unter dem ruhigen Atmen und mit einem mal fühlte sie sich geborgen wie auf dem weichen, grünen Sofa ihrer Großeltern, sie vergaß die Welt um sich herum und bunte Bilder tanzten vor ihren Augen. Doch der Vater schüttelte über die Träume seines Sohnes mürrisch den Kopf. "Ich weiß nicht was du willst, Latif, der Laden läuft gut, eines Tages werde ich ihn dir und deinem Bruder vermachen. Euch soll es an nichts fehlen." erwiderte er und Stolz blitzte in seinen gutmütigen Augen. Auch die Mutter verstand ihn nicht. "Dein Vater braucht dich" flüsterte sie und strich ihm sanft über das dichte Haar. Doch Latif konnte seinen Traum nicht vergessen und eines Abends kam es zu einem schrecklichen Streit, noch in der Nacht packte Latif einen Koffer und geduckt verließ er sein Elternhaus. Wind und Sonne führten ihn und eines warmen Morgens entdeckte er die Anzeige eines Tierheilers, der einen Lehrjungen mit Schulabschluss suchte. Latif erinnerte sich an die Zeugnisse seines Bruders, im Laden seines Vaters hatte er lesen und schreiben gelernt und so fälschte er mit geduldiger Hand ein Abschlusszeugnis. Weil der Heiler Latifs Gespür für Tiere erkannte, wählte er ihn aus. So erlernte Latif die Kunst des Heilens und sein guter Ruf eilte über die Grenzen hinaus, die Menschen nahmen lange Reisen auf sich, um seine Dienste zu erbitten. Nie kehrten sie unzufrieden heim. So blickte Latif eines Tages in das Gesicht Sharifs, der ein guter Freund seines Vaters war. Dieser erkannte Latif sofort. "Deine Augen haben nie eine Schule von innen gesehen. Wie kannst du meine Tiere heilen?" schrie er und spukte vor Latif auf den Boden. "Ein Betrüger bist du, deine Familie hast du verraten, dass soll jeder erfahren." Die letzten Sätze hatte er mit heiserer Stimme gerufen, hastig blinzelte er Tränen aus den Augen. Beklommen strich sie die letzten Haarspitzen von seinen Schultern, öffnete den Klettverschluss des Plastikumhanges und befreite ihn davon. Sein Gesicht verzog sich zu einem lahmen Lächeln, er fuhr sich mit der rechten Hand über den Hinterkopf und stand mit einem Ruck auf. Schweigend gingen sie zur Kasse, das Klacken ihrer Absätze war ihr unangenehm. Aus seiner Hosentasche zog er ein altes Lederportemonnaie, blitzschnell griff er nach einem glänzenden Hunderteuroschein und legte ihn bestimmt auf den Zahlteller. Dann drehte er sich schnell um und verließ mit erhobenem Kopf den Salon. Gerne hätte sie ihm noch irgendetwas gesagt, nachgerufen. Tage später lief in der Fußgängerzone ein Mann in dunkelblauem Anzug schnellen Schrittes an ihr vorbei. Sie hätte schwören können, dass er es gewesen war. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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