Unser Buchtipp
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Wer schön sein will muss leiden - oder: Geheilt für ein ganzes Leben© Tanja KüstersDa stand ich nun. Über beide Hände Schutzhandschuhe gestülpt. In der Rechten hielt ich ein Fläschchen mit dunkler Farbe. "Seltsam", dachte ich, "das soll hinterher blond werden?" Ich schüttelte skeptisch die dickflüssige, tiefbraune Farbe. Ich gab mich damit zufrieden, dass Millionen anderer Frauen auch ihre Haare tönten und bestimmt nicht nur eine von ihnen auch diesen Farbton ausgewählt und gekauft hatte. In meiner linken Hand hielt ich eine andere Flasche. Eine Lösung, oder was auch immer das war, die mit der Farbe vermischt werden sollte, ehe sie aufgetragen werden durfte. Ich hatte mir absichtlich alte Klamotten angezogen. Eine uralte giftgrüne Jogginghose und ein pinkfarbener Paillettenpulli, der schon lange ausgedient hatte. Ich begann nach der Zusammenführung beider Flüssigkeiten, ordentlich zu schütteln. Währenddessen las ich vorsichtshalber die Beschreibung. Punkt 1: Haare nicht waschen. Gut, wenn die meinten, dass das so besser ging. Punkt 2: Alte Kleidung tragen oder ein altes Handtuch umlegen. So weit war ich auch schon. Punkt 3: Die Flüssigkeiten erst unmittelbar vor dem Auftragen mischen. Ich schaute auf meine schüttelnde Hand. Das sollte reichen. Punkt 4: Bei dunkler Grundhaarfarbe fünf Minuten länger einwirken lassen. Na toll, es deckte also besser, je heller der Typ war. Warum musste ich ausgerechnet hellbraune Haare haben? Punkt 5: Eine Nuance entspricht zehn Minuten Einwirkzeit ... bla, bla, bla. Ich wollte anfangen und hatte genug gelesen. Schließlich tönte ich nicht zum ersten Mal meine Haare. Und so fing ich an die Flüssigkeit aufzutragen, bis das Fläschchen leer war. Ich wollte endlich hellblonde Haare haben und da eine Nuance zehn Minuten bedeutete, entschied ich mich für sechs Nuancen. Das müsste reichen, dachte ich, um sie schön blond zu kriegen. Während das stinkende Zeug auf meinem Kopf Brennen verursachte, erzählte mir meine Freundin Tina, die derweil in meinem Zimmer saß, dass das vom Ammoniak käme. War mir auch egal. Ein paar Minuten später schaute ich in den Spiegel und war erfreut, dass aus der dunklen Farbe inzwischen eine orange-gelbe geworden war. Zufrieden ging ich zurück in mein Zimmer, wo ich mir die restlichen fünfzig Minuten die Zeit um die Ohren schlug, während meine Freundin las, Musik hörte oder ihre Neugierde anderweitig befriedigte. Als meine Uhr mir endlich signalisierte, dass die Zeit um war, ging ich aufgeregt ins Bad. Ich glaubte da stand was von gut ausspülen. Ich beugte mich über die Badewanne und ließ das lauwarme Wasser laufen. Ein kurzer Blick nach unten verriet mir ein Farbenspiel. Rottöne, Orange, Gelb, Braun. Das Wasser schillerte in allen erdenklichen Farben. "Wow", dachte ich. "Und daraus wird blond. Eine geniale Erfindung. Aber so ein Aufwand für eine Tönung?" Gut, ich hatte absichtlich eine Intensivtönung haben wollen, die nicht nach ein paar Wäschen wieder ausgewaschen war. Dass es jedoch so aufwändig und zeitintensiv werden würde, hatte ich mir nicht vorgestellt. Langsam ließ die Farbenpracht nach und als das Wasser endlich klar war, schnappte ich mir das alte Handtuch, welches ich schon auf den Wannenrand gelegt hatte. Gleich war es so weit. Ich rubbelte lange und kräftig, ehe ich das Tuch weglegte. Ein Blick in den Spiegel verriet nicht wirklich etwas, außer das ich meiner Wunschhaarfarbe anscheinend näher gekommen war. Erst musste das Haar getrocknet werden, damit das Ergebnis zu Tage gefördert werden konnte. Ich fönte und summte vor mich hin. Die Schnur des Föns reichte nicht bis zum Spiegel und so fönte ich immer einen Moment und schaute in den Spiegel. Nach dem dritten Mal wurde es mir zu lästig und ich geduldete mich, bis meine Haare gänzlich trocken waren. Als ich dann in den Spiegel schaute, verschlug es mir die Sprache. Ich schrie laut auf und lachte dann hysterisch. Allerdings wurde mir schlagartig bewusst, dass ich da über meine Haarpracht lachte. Die Tränen ließen nicht lange auf sich warten. Sieben Mark neunzig, etliche Vorbereitungen und sechzig Minuten später hatte ich quittengelbe Haare und sah aus wie ein laufender Postkasten. Es war Hochsommer. So konnte ich unmöglich auf die Straße gehen. Meine Freundin und meine Mutter kamen angerannt und zeigten beide parallel die gleiche Gestik, allerdings mit unterschiedlichem Wortlaut. Meine Mutter hielt sich die Hand geschockt vor den Mund: "Ach du liebe Zeit. Um Gottes willen. Kind, was hast du getan?" Meine Freundin hielt sich die Hand amüsiert vor den Mund: "Ach du Scheiße. Wie hast du das denn hingekriegt?" Mehr brachte sie nicht heraus, denn ein Lachanfall durchschüttelte sie, während meine Mutter vor Mitleid mit mir zerfloss und für mich weinte. Ich war dazu gar nicht mehr in der Lage vor Entsetzen. Aber was tun?
Ein paar Minuten später stand ich vor der Entscheidung, ob ich nun mit Regenschirm bei 29 Grad Celsius zum Friseur gehen, oder ob ich mir bei brütender Hitze eine Regenjacke überziehen sollte, die eine Kapuze hatte. Ich entschied mich für Letzteres. Die Blicke auf der Straße waren mir sicher, aber wenigstens nicht der Haare wegen. Sollten sie doch denken, ich sei verrückt. Das war mir lieber, als dass sie mich auslachten. Als ich den Friseursalon meines Vertrauens betrat, trat dort betretenes Schweigen ein. Man glaubte ich sei dort falsch und wollte mich gerade wieder hinausschicken, als ich mit gesenktem Blick die Kapuze vom Kopf zog. Dem Schweigen folgten geweitete Augen und offene Münder. Ich war drauf und dran schreiend den Laden zu verlassen. Eine Angestellte bat mich ganz hinten durch in den Salon auf den letzten Platz. Nicht dass vorne nichts frei gewesen wäre, nein, aber dort war die Schaufensterfront, hinter der ich mich nicht zum Gespött machen sollte. Wie einfühlsam. Die andere Angestellte rannte in den Aufenthaltsraum und holte die Meisterin. "Ach du liebe Zeit, das ist aber eine gewagte Frisur." Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Sie machte sich Sorgen um meine Frisur? War sie etwa farbenblind? Oder nur ignorant? Die beiden Angestellten hatten anscheinend die gleichen Gedanken wie ich und räusperten sich auffällig. "Ach, Sie wollen eine andere Farbe? Diese sieht aber noch sehr frisch und kräftig aus", sagte sie, während sie mir durch die Haare ging. Das war zu viel für mich. Ich war gerade sechzehn geworden, hatte mich verliebt und es war Samstag. Waren da wirklich noch Worte nötig, bei diesem Anblick? Ich begann lautstark zu weinen. "Na, so schlimm ist das aber auch nicht. Was wollen Sie denn?" Ich spie ihr förmlich entgegen, dass ich "meine" Haarfarbe wieder haben wollte. "Und die wäre?", fragte sie. "Hellbraun", sagte ich resignierend. Sie offenbarte mir, dass sie nicht einfach in diesen Ton meinen exakten Naturton hineinfärben könnte, sondern dass meine Haarfarbe Stück für Stück wieder zum Vorschein kommen würde. Das verursachte mir ein Ziehen im Magen, aber schlimmer konnte es kaum werden, dachte ich. Eine Stunde später, war Versuch Nummer Eins getätigt und meine Haare waren Braun. Ja, Braun, allerdings mit einem Dunkelgrünstich! Da um mich herum alle zuversichtlich dreinblickten, ersparte ich mir Verzweiflungstränen oder gar einen Suizidversuch. Fünf Stunden später waren meine Haare hellbraun, meine Kopfhaut feuerrot und mein Gesicht kalkweiß. Ich hatte das Gefühl, auf meinem Kopf fand ein Waldbrand statt. Aber ich war glücklich.
Am nächsten Morgen waren mir Haare ausgefallen und ich hatte dicke Blutkrusten auf dem Kopf. Der Waldbrand war über Nacht zum Steppenbrand geworden. Es war Sonntagmorgen und ich kam nicht umhin, noch einer fremden Person mein Missgeschick in die Hände zu legen, nämlich dem Dienst habenden Arzt in der Notfallambulanz. "Ach du liebe Zeit, was ist denn da schief gegangen?" Ich hätte ihm so gerne eine reingehauen, konnte mich aber so gerade noch zurückhalten. "Um das wirklich begutachten zu können, müsste ich die Haare rasieren …" Ich unterbrach ihn durch mein entschiedenes Rückwärtsgehen. "Ich habe fünf der schrecklichsten Stunden meines Lebens hinter mir um von gelb nach braun zurückzukommen. Und Sie wollen mir eine Glatze machen?" Der Arzt schaute mich erstaunt an. "Dann kann ich nicht viel für Sie tun, außer ihnen den Rat zu geben, die nächsten Monate ihre Kopfhaut zu schonen. Waschen nur mit lauwarmen Wasser und allerhöchstens parfumfreiem Babyshampoo." Ich verließ die Notaufnahme mit einem Rezept zur besseren Wundheilung und etwas Antientzündlichem.
Zuhause angekommen ging ich ins Badezimmer, wo vor Stunden der Albtraum seinen Lauf genommen hatte. Ich öffnete den Mülleimer und nahm die Packung heraus. Mein Blick fiel als erstes auf den Schriftzug: Färbung. Ich schloss die Augen und schüttelte meinen Kopf. Dann las ich noch einmal den Beipackzettel. Mir stockte der Atem als ich bei Punkt 5 an der Stelle weiter las, wo ich abgebrochen hatte: … aber nicht länger als dreißig Minuten, also höchsten drei Nuancen. Wer schön sein will muss eben leiden! Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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