Unser Buchtipp
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Ein tief frisiertes Trauma© Jörg VogelEs kommt selten vor, höchstens zwei bis drei Mal im Jahr, dass meine sonst so liebevolle Frau zu mir folgenden unschönen Sätze sagt: "Ich kann dich nicht mehr sehen. Geh endlich mal wieder zum Friseur!" Dabei sehe ich meistens gar nicht so furchtbar aus. Aber meine feurige Frau mag eben Männer mit sehr kurzem Haar, wie diesen muskulösen Rasierwassertypen, der allabendlich durch die Fernsehwerbung geistert. Dass ich so selten und ungern zum Friseur gehe, hat vor allem zwei Gründe. Einerseits wächst mein Haupthaar sehr langsam und andererseits prägte mich ein altes Kindheitstrauma.
Früher hatten wir nämlich in unserer Straße einen Friseur. Der Laden sah von außen eigentlich nicht anders aus als alle Friseurläden in den siebziger Jahren: ein Schaufenster, in dem ein paar Scheren und Kämme herumlagen und im Zentrum ein Glaskopf, aus dessen Schädelmitte ein Neonröhrenschriftzug wuchs. "Ihr Friseur" stand da in roter Leuchtschrift. Diese Information war wichtig für die vorbeihastenden Menschen, da der Glaskopf ein Glatzkopf war, was nicht gerade eine Werbung für einen Frisiersalon darstellte. Der Meister dieses Salons hieß übrigens Schneider, und er wurde nicht müde zu betonen, dass sein Name tatsächlich aus uralter Zeit stammte. Auch sein Vater, Großvater und Urgroßvater gingen bereits dieser Profession nach - ein altes Barbiergeschlecht sozusagen. Angeblich hatte sein Großvater sogar mit Feldfrisierausrüstung vor Verdun gelegen ... In diesen Friseursalon wurde ich jedenfalls von meiner Mutter geschickt, wenn ich ihrer Meinung nach drohte, zuzuwachsen, und zwar mit ähnlichen barschen Worten wie sie meine energische Frau zu verwenden pflegt. Was damals weder meine Mutter noch ich wussten: der Herr Friseurmeister trank. Ach was, er soff! Und wenn er wirklich mal nicht getrunken hatte, dann sah man das schon an seinen Kundinnen. Die verließen dann seinen Salon mit einer Art Schüttelfrisur, weil ihm die Hände gezittert hatten. Deshalb wollte bald auch niemand mehr einen morgendlichen Termin bei ihm haben. Aber spätestens wenn es auf den Nachmittag zuging und des Haares Schneidermeister sich seinen "Frisier-Spiegel" angetrunken hatte, dann war er auch wirklich gut drauf. Meistens begrüßte er mich dann mit den aufmunternden Worten: "Na Dicker, wieder einen lockeren Rundschnitt heute?!" Doch eines Tages passierte es. Er schnitt mir ins rechte Ohr! Und ich war an diesem Tag nicht sein einziges Opfer. Neben mir saß nämlich ein Chinese, der im Lokal um die Ecke als Koch arbeitete. Diesem armen Teufel schnitt er gleich zweimal hintereinander ins Ohr. Der inzwischen recht fröhliche Herr Friseurmeister hatte es nicht einmal bemerkt, lediglich, dass dem armen Kerl die Tränen die Wangen hinunterliefen. Er beugte sich zu ihm vor und sagte mitleidsvoll: "Na, haben Sie Heimweh?!" Nein, es war nicht schön in diesem Frisierladen, und es gefiel mir auch nicht, dass ich permanent im Spiegel beobachtet wurde, und zwar von den älteren Frauen im Damenabteil gegenüber. Die saßen dort unter einer Art Kosmonautenhelm, aus dem vorn riesige Gabelzinken austraten. Einige blätterten in Frauenzeitschriften, andere langweilten sich. So schwitzten sie da stundenlang vor sich hin und ich fragte mich als Jüngling immer wieder: "Wozu machen die das? Was ist da noch zu retten?" Heute weiß ich es, es würde heute unter den Begriff "Altbausanierung" fallen. Aus all diesen Gründen wollte ich nicht mehr zum Friseur. Ich ging da wirklich nur hin, wenn es unbedingt sein musste, zum Beispiel wenn unsere Schulklasse ins Kino ging und ich wusste, dass ich neben der Kerstin Böhme sitzen würde. Kerstin Böhme war unsere Klassenschönste, zwar etwas storchenbeinig aber mit wundervollen rehbraunen Augen ... Als ich an einem solchen Tag (und vor allem freiwillig) den Frisiersalon aufsuchte, um mir meinen lockeren Rundschnitt abzuholen, sagte ich in freudiger frühpubertärer Erwartung des kinematischen Nachmittags zum Herrn Friseurmeister: "Heute möchte ich nach dem Schneiden etwas Duft!" Auf einmal herrschte Totenstille im Salon. Es war, als wären die Sicherungen aller Kosmonautenhelme plötzlich durchgeglüht. Keine Schneidemaschine surrte, keine Schere klapperte. Dann ließ der Meister seine Instrumente fallen und fiel fast ohnmächtig zu Boden vor Lachen. Der ganze Salon begann zu wiehern wegen dieses zwölfjährigen, vollschlanken Rundschnittträgers, der etwas Duft wollte. Da lernte ich, dass alte Weiber beim Friseur auch noch hässlicher werden können! Der Meister holte grinsend einen großen Flacon aus der Damenabteilung und begann, mich über und über einzustäuben: Ch Ch Ch ... Aber ich ertrug es tapfer - weil ich es mir wert war! Im Kino streckte ich dann meine parfümierte Rübe immer weiter zu Kerstin Böhme hin - bis sie sich wegsetzte. Sie warf sich dann ausgerechnet dem Hagen Matschke, unserem Klassenfrechsten, an den ungewaschenen Hals, na ja, sollte sie! Später, im jugendlichen Alter, kamen dann zum Glück längere Haare in Mode, so dass ich über Jahre hinweg nicht mehr zum Friseur brauchte. Ich war inzwischen auch von zu Hause unabhängiger, jedenfalls, was die Anweisungen meiner Mutter anging. Da sich ab dem dreizehnten Lebensjahr mein Haar sowieso immer mehr lockte, näherte ich mich in meinem Aussehen zunehmend einer gewissen Angela Davis an, einer schwarzen, kraushaarigen, amerikanischen Bürgerrechtlerin, die damals unter anderem deshalb aus Amerika ausgewiesen wurde, weil sie gegen Friseure demonstriert haben soll ...
Auch heute gehe ich immer noch höchst ungern zum Haare schneiden. So wie sich der Nylonumhang um meiner Hals schließt, bricht mir der Schweiß aus und ich glaube zu spüren, wie sich der kalte Stahl der Schere unaufhaltsam in meine rechte Ohrmuschel frisst. Da kann die Friseuse noch so hübsch sein und mir Komplimente ins andere Ohr säuseln, es nützt alles nichts. Aber die Natur hat inzwischen ein Einsehen mit mir und reduziert allmählich meinen Haarbestand immer mehr. Nur wenn das Resthaar dann doch irgendwann zu lang wird, dann sagt meine stets gut aussehende Frau eben solche hässlichen Worte: "Ich kann dich nicht mehr sehen. Geh endlich mal wieder zum Friseur!" Das sollten wir Männer uns mal trauen, so mit unseren Frauen zu reden! Aber das brauchen wir auch gar nicht. Jede Frau geht gerne zum Friseur, schon um zu erfahren, was die Nachbarin über sie redet. Und um selbst über die Nachbarin zu reden. Wenn es doch einmal Frauen gibt, die lange nicht beim Friseur waren, dann kann man allerdings als liebender Gatte oder Lebenspartner nicht einfach so etwas sagen wie: "Ich kann dich nicht mehr sehen ..." Nein, dann muss man es zärtlich umschreiben, in etwa so: "Liebste, ich weiß, dass du durch mich schon so manches graues Haar bekommen hast. Aber das braucht doch die Nachbarin nicht zu wissen. Lass Dir doch mal wieder die Haare tönen, hier hast du hundert Euro ... Ich gehe mich inzwischen bessern!" Oder so: "Schatz, du weißt, du bist für mich die schönste Frau der Welt. Und neulich habe ich genau gesehen, wie hässlich die Heidi Klum mit einem Kurzhaarschnitt aussah. Der würde dir viel besser stehen. Hier hast du fünfzig Euro ... ach kostet auch hundert ... na gut ... ich dich auch ..." Und der Erfolg gibt uns Männern recht: der Abfluss in der Dusche ist nicht mehr verstopft! Ganz wichtig ist es auch, der Frau abends zu sagen, wie schön sie mit ihrer neuen Frisur aussieht. Ich schreibe mir das immer gleich in den Kalender ein: " Dienstag, 17.11. Frau schön finden!!" Auf diese Art vergesse ich das nicht ... Ja, Frauen wollen so etwas hören. Sonst kommen sie abends mit ihrer parfümierten Rübe immer näher und näher, so wie ich damals bei Kerstin Böhme ... Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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