Unser Buchtipp
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Vater und Sohn© Marc HieronimusEs war nicht alles wichtig. Aber blond musste sie sein. Heiner zog den Stöpsel aus der Wanne, leerte das Weinglas und lehnte sich noch einmal zurück. Mit hellen Augenbrauen und ganz dünnen Härchen auf den Armen. Nicht zu üppig. Und natürlich: Eine mit Zeit und Geduld. - Dauert das da drin noch lange?! - Gleich fertig! Er stand auf, brauste den Schaum von den Beinen, trocknete sich ab. Sauber ist der Junge ja, dachte er. Will unbedingt noch duschen. Um dann doch wieder den ganzen Abend mit seinem Laptop zu verbringen. Jetzt kam er schon mal raus aus seiner Kleinstadt ... Das Gerät stand schon aufgeklappt auf dem Bett. Heiner zog sich an, überflog beiläufig den Hotelprospekt, dann schaute er aus dem Fenster. Domhotel, bitte sehr. Hätte er doch zwei Einzelzimmer nehmen sollen? Es war nicht so, als bräuchte er seinen Sohn nur zu fragen. Er horchte an der Badezimmertür. Drinnen lief schon die Dusche. - Tom? ... Thomas? - Was ist? - Ich bin dann jetzt weg. Das noch, ähm... Vielleicht kommt noch jemand ein Kuvert abholen, ich leg es auf die Kommode. Du bleibst doch hier, oder? Also viel Spaß mit deinen Spielen. Morgen gucken wir uns Köln an, ja? - Was? Das Rauschen setzte aus. Heiner wartete auf das Knirschen des Schlüssels. Die Badezimmertür blieb zu. - Was ist denn?! - Nichts, mein Junge, bis morgen! Das Wasser wurde wieder angestellt. --- Draußen trat er vor das Massiv der Kathedrale. Der Blick hoch zu den Kreuzblumen machte ihn schwindeln. Er wollte noch ein paar Meter gehen vor seiner Mission. Der Strom der Einheimischen und Touristen verstreute sich auf dem großen Domvorplatz. Das lachte, trank und sang in kleinen Gruppen. Heiner steckte Bettlern kleine Münzen zu, las Flyer über Falun-Gong und Palästina und kaufte ein Los der Dombaulotterie. Eine Niete. Rollbretter klackten. Letzte Museums-, erste Konzertbesucher schauten auf Kunstdrucke, lauschten einer Stahlgitarre, einer Laute. Handyblitze zuckten. Und überall blies Wind: Die verlorenen Seelen, die nicht in die Kathedrale dürfen, sagte man. Am Bahnhof nahm er sich ein Taxi. Der Wagen warb schon auf dem Dach für das Etablissement, zu dem er ihn dann auch fuhr. Das sei eines der größten überhaupt, und "sauber und gepflegt", sagte der Türke am Steuer. Warum nicht, dachte Heiner. Warum es nicht dort versuchen, bei der Auswahl. Blond musste sie sein. --- Das Eingangspersonal half ihm freundlich aus dem Mantel und gab einen Überblick über den Aufbau der Einrichtung. Er konnte sich nicht konzentrieren. Im ersten Saal wummerte Diskomusik. Er bestellte mühsam einen Kaffee an der Bar, dann schaute er sich um. Sie hatten wirklich von jeder Sorte. Krause, Glatte, Lange, Kurze, Gefärbte und Geschorene. Die Damen auf den Tischen raubten die Sinne. Vielleicht war doch alles eine dumme Idee gewesen. - Kann ich dir helfen? Eine Frau in Uniform lächelte ihn an. Schwarzer Pagenschnitt. Heiner gaffte verständnislos. - Sollen wir was trinken? - Es ... es ist für meinen Sohn, das Erste Mal, ich selbst bin gar nicht ... Ich wollte nur gucken. Sie zog eine Augenbraue hoch, sonst lächelte sie weiter. Heiner fing sich. Im Grunde ist es wie Schuhe kaufen, dachte er, wie Schuhe kaufen, ich bin nur in der falschen Etage. - Sehen Sie, früher, vielleicht bin ich hoffnungslos veraltet, oder zu romantisch, aber früher gab es diese versteckten Einrichtungen und sagen wir: "Freizeitdamen"... Ihr Gesicht kam ganz nah an seines. Es war heiß und duftete unaufdringlich. Sie bat ihn, sich zu wiederholen. Heiner wiederholte. Er hörte kaum die eigene Stimme. Die Frau nickte. Sie mochte zwanzig, dreißig, vierzig sein. Kurz war sie ernst. Dann lächelte sie wieder. - Auf dem Zimmer ist das ganz privat, wir sind unter uns, romantisch, ganz wie früher, wenn du magst. Ich habe auch Kostüme und so. Heiner schüttelte den Kopf, versuchte es erneut, verhaspelte sich. Übertrieben deutlich bat er, sich in ruhigerem Ambiente zu unterhalten, vielleicht in besagtem Zimmer. Nur unterhalten, betonte er. Die Frau zog wieder die Augenbraue hoch, diesmal ganz ohne Lächeln. Sie gab Heiner die Hand: Eine Zimmernummer. Er müsse sich aber einen Augenblick gedulden. Ein Schrank von einem Mann wies ihm lächelnd die Richtung. "Nicht mein Tag", hörte er sie im Abgehen sagen. --- Eine halbe Stunde später saßen sie sich im Halbdunkel an einem Küchenklapptisch gegenüber. Ein Vorhang trennte sie vom prunkvolleren Wohn- und Schlafzimmer. Elli war ihr Name. Sie hatte etwas von ihrem Schrecken verloren, seit sie kein Jackett mehr trug. - Ich finde das ganz rührend, was Sie mit Ihrem Sohn da vorhaben, aber sind Sie sicher, dass der Junge nicht längst allein zurechtkommt? Die Küken sind so schnell flügge heute. Wenn ich da an meinen denke ... Heiner schluckte. Er hatte ihr umständlich erklärt, dass Thomas sechzehn sei und rechtlich also keine Bedenken bestünden, er selbst übrigens die "körperliche Liebe" nicht anders kennengelernt habe als durch ein eben solches Arrangement, und dass er auf Ruhe und soweit möglich eine gewisse Zärtlichkeit großen Wert lege, wo es doch das so wichtige Erste Mal sei, dass nur die Zeit leider etwas dränge, heute Abend müsse es geschehen, weil sie morgen weiterreisten undsoweiter. Jetzt musste er wohl wieder etwas sagen. Vielleicht war doch alles eine dumme Idee gewesen. Er schaute vor sich auf den Klapptisch. Das Beste wäre, er bliese alles ab. - Außerdem hatte ich an eine blonde Frau gedacht, Sie verstehen ... - Ach, mein Lieber, wenn's nur das ist! Elli lachte, riss sich die Perücke vom Kopf und löste ihr Haar. Plötzlich saß da eine andere Frau, und die war unerhofft und unverfroren schön. Heiner ging ein ganzes Leben durch den Kopf, die lange Suche, die Fügung in die Einsamkeit, die späte Heirat mit der falschen Frau, Thomas' Geburt, dann allzu bald die Scheidung ... Sie war es. Sie musste es sein. Er räusperte sich. - Auf dem Tisch liegt ein Kuvert mit der Aufschrift "Fräulein Annette". Und wieder lachte sie so herrlich, tupfte vorsichtig die Augenwinkel, schaute gerührt und brach wieder los. Heiner lachte mit. Wann hatte er das letzte Mal mit einer Frau so lachen können? Sie gaben, streichelten sich die Hände. - "Fräulein Annette", warum nicht! Wenigstens nicht "Lola". Ich rede mit ihrem Sohn, in Ordnung? Und wenn er mag, werden wir viel Spaß zusammen haben. Das Taxi müssen Sie allerdings bezahlen, ich arbeite eigentlich nie außer Haus. - Selbstverständlich. Da ist noch was: Können wir uns sagen wir um eins noch einmal treffen, vielleicht im Brauhaus Früh? --- Heiner lief durch die Altstadt. Gut zwei Stunden noch. Das Hänneschen Theater, ein Schlagzeuggeschäft, das Rathaus. Knapp zwei Stunden noch. U-Bahn-Baustellen, römische Ausgrabungen, Philharmonie. Wieder der Dom. Die Zeit wollte nicht vergehen. Er ging ins Hotel und nahm in der Lobby Platz, mit Blick auf die Treppe. Irgendwas geschah jetzt da oben. Auf dem Tisch lagen Zeitungen mit den üblichen geschminkten Modefrauen. Elli war schöner. Wunderschön. Hatte er ihr erzählt, dass sie der ersten Frau in seinem Leben glich? Oder vielmehr überlagerte sie das Bild der anderen, er konnte sie beim besten Willen nicht mehr trennen. So oder ähnlich hatte er sich das gedacht. Durfte man hier eigentlich rauchen? Er sah sich um. Keine Aschenbecher. Gut, er hatte sowieso keine Zigaretten. Die letzte hatte er sich feierlich vor sechzehn Jahren angesteckt, im Wartezimmer eines gewissen Krankenhauses. Thomas dürfte auch schon qualmen, wenn er wollte. Ob er's schon probiert hat? Vielleicht würden sie nachher zusammen rauchen. Ein großer Moment, Vater-Sohn, der Eintritt in die Erwachsenenwelt. Ein bisschen was hatte er ihm ja schon zu erzählen vom Leben. Wenn auch nicht gerade von den Frauen. --- Der Nachtportier bedauerte, das Licht im Saal nun dämpfen zu müssen, der Herr könne aber gerne weiter warten ...? Heiner schaute auf die Uhr. Gerade erst Mitternacht. Finster stapfte er zum Ausgang, drehte sich noch einmal um. Da kam sie die Treppe herab. Entspannt, fand er. - Sie können jetzt hoch zu ihm, er will mit Ihnen sprechen. - Wie war es denn? Ich meine ... Sie sind so früh dran ...? - Er war überrascht ... Elli umarmte ihn, gab ihm beide Hände. Da glänzte was in ihren Augen. Heiner hätte weiter fragen wollen, aber sie schüttelte nur den Kopf und hastete hinaus. Fräulein Elli. Auf Wiedersehen! Er ging zurück zur Treppe und hatte es gar nicht mehr eilig. Oben klopfte er, bevor er aufschloss. Parfüm lag in der Luft. Thomas grüßte vom Sessel her mit dem Kuvert, dann schaute er auf den Boden. Auf dem Bett saß noch jemand, mit einem Ohrring, wie sie heute tragen. Der schaute etwas verlegen zu Thomas, Thomas zu ihm. - Das ist Chris, wir kennen uns vom Chatten. Wir dachten, wir wären heute Abend unter uns. Chris war siebzehn, achtzehn Jahre alt. Ein schlanker blonder Junge. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
|