Unser Buchtipp
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Die Schönheitskönigin© Petra WittenburgSie betrachtete das Foto lange. Schön war sie. Lange Beine, lange blonde Haare. Ein Männertraum. Auf dem Kopf hatte sie eine Krone und um den Körper die Schärpe mit den Worten Miss Deutschland. Das war 20 Jahre her. Damals dachte sie, sie hätte alles erreicht und alle Türen stünden ihr offen. Sie jobbte eine Zeitlang als Model und hatte unzählige Liebschaften. Durch ihre Affären konnte sie sich einen gewissen Luxus leisten und lernte Menschen kennen, die sie auf der Karriereleiter immer weiter vorwärts brachten. Ihr letzter Liebhaber verließ sie, als er die Diagnose erfuhr. Das war jetzt ein Jahr her. Seitdem kämpfte sie alleine ums Überleben. Es ging Schritt für Schritt bergab. Als sie anfing, sich immer schwächer zu fühlen, musste sie mit ihrer Arbeit aufhören. Es hätte sowieso keinen Sinn mehr gemacht. Wie sollte sie jetzt noch auf Menschen zugehen? Sie nahm all ihre Kraft zusammen und stand auf. Das wurde auch immer schwieriger. Sie ging mit schleppenden Schritten ins Badezimmer. Dort fiel ihr Blick auf den Spiegel. Sie sollte dieses dumme Ding endlich abnehmen. Aber konnte sie sich vor der Realität verstecken? Sie trat ganz bewusst vor den Spiegel. Ihr Gesicht war eingefallen und sie sah mehr als zwanzig Jahre älter aus, als sie eigentlich war. Ihre langen blonden Haare waren weiß geworden. Sie waren kurz. Zumindest die, die noch da waren. Sie fuhr sich durchs Haar und das endete wieder damit, dass sie ein ganzes Büschel Haare in der Hand hatte. Das Haar war stumpf und glanzlos. Wie das Haar einer alten Frau. Sie warf es in den Mülleimer. Dort warteten schon viele andere Büschel Haare. - Wie ein Nest. Nur wo ist das Vogeljunge? Wo gibt es neues Leben? Sie hatte vor kurzem damit angefangen, mit sich selbst zu reden. Sie hatte sonst niemanden. Auch das erinnerte sie an eine alte Frau. Sie war nicht alt! Sie war immer noch in ihren Dreißigern. - Ja und? Was bringt mir das? Ich wäre jetzt lieber achtzig Jahre alt. Sie blickte wieder in den Spiegel. Ihre Haare lagen platt am Kopf. Sie hasste sich. Sie hasste ihre Krankheit. Ihr Leben war nichts mehr wert. Sie selbst war nichts mehr wert. Sie könnte einfach aufhören, ihre Medikamente zu nehmen. Sie könnte in die Stadt gehen und sich vor eine U Bahn werfen. Sie sah sich selbst in die Augen. Stumpfe Spiegel ihres Ichs. - Nein, das werde ich nicht tun. Sie sah wieder auf ihre Haare. Dann blickte sie in den Mülleimer. Plötzlich musste sie lachen. Langsamen Schrittes verließ sie das Badezimmer und ging zum Telefon. Zuerst rief sie ihren Makler an und wies ihn an, ihre Wohnung mitsamt den Möbeln zu verkaufen. Dann rief sie im Reisebüro an und bestellte ein Flugticket nach Rom. Sie rief bei ihrem Friseur an und bestellte eine Echthaarperücke. Schwarz, lang. Als das erledigt war, rief sie einen Kurier an, der ein Päckchen abholen sollte. Sie lächelte und schleppte sich wieder ins Badezimmer. . - Herr Mittermann, dieses Päckchen ist gerade für Sie abgegeben worden. - Danke, Frau Schulze. Nachdem seine Sekretärin sein Büro verlassen hatte betrachtete er das Päckchen eingehend. Die Schrift auf dem Adressenaufkleber kannte er nur zu gut. Er fragte sich, was Caroline ihm wohl geschickt hatte. Und warum? Vor einem Jahr hatten sie sich im Streit getrennt. Sie lag auf dem Boden und hatte geweint und geschrien. Sie konnte nicht verstehen, warum er sie alleine ließ, warum er sie verließ. Sie hatte keinen Platz mehr in seinem perfekten Leben. Sie war nicht mehr die passende Frau für ihn. Er verstand ihr ganzes Theater nicht. Sie waren ja noch nicht mal verheiratet gewesen. Was erwartete sie eigentlich von ihm? Dass er sich kompromittierte mit ihr? Was für eine alberne Gans. Er drehte das Päckchen von einer Seite zur anderen. Es war leicht. Schließlich siegte seine Neugier und er öffnete es. Er blickte verwundert auf den Inhalt. Sollte das ein Witz sein? Er griff hinein, doch in dem Päckchen waren nichts anderes als weiße Haarbüschel. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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