Unser Buchtipp
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Claudia und mein Großvater© Sabrina MeißnerEs ist genau siebzehn Uhr vierzig. Und der Plan ist perfekt. Ich werde langsam ungeduldig. Langsam muss sie doch losschreien! Immer muss sie sich beim Duschen so viel Zeit lassen und lässt mich warten. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie ich auf die Idee gekommen bin. Aber irgendwie musste ich ihr einfach Einhalt gebieten. Ich lebe bei meinem Großvater, weil meine Eltern sehr früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Er ist mein Ein und Alles und wir passten lange Zeit sehr gut aufeinander auf und kamen auch gut miteinander aus. Ich war die Frau im Haus, er der Mann und er hatte sie Hosen an. Meine Oma hatte ich nie kennengelernt. Meine erste Stiefgroßmutter auch nicht und die zweite nur flüchtig. Mein Opa hatte in Liebesangelegenheiten einfach kein Glück. Er war schon immer zu gutgläubig gewesen. In allen Hinsichten. Im Urlaub, als er einem Bettler etwas Geld geben wollte, wurde ihm gleich die ganze Brieftasche gestohlen. Er kauft Vertretern an der Tür, wenn ich nicht zu Hause bin und aufpassen würde, viel Mist ab. Und mir glaubte er auch immer alles. Nie merkte er, wenn ich statt Hausaufgaben zu machen, mit Freunden telefoniert hatte. Ich liebte ihn, aber manchmal merkte man wirklich, dass er alt wurde. Und ich immer selbstständiger und unabhängiger. Mit vierzehn Jahren kam ich mit schwarzen Haaren zum Frühstück. Er fragte mich, was denn passiert sei. Mir gefiel es. Mit sechzehn kam ich mit einem Bauchnabelpiercing nach Hause. Durch eine Entzündung und starke Schmerzen musste ich es ihm noch sagen. Aber er meinte immer nur: "Was machst du denn für Sachen." Und schüttelte den Kopf über mich. Aber sonst waren wir immer füreinander da. Das war auch nötig, denn irgendwann brachte er diese Person mit nach Hause. Ich war siebzehn, er neunundsiebzig und sie neunundzwanzig. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich die beiden Händchen haltend auf unser Haus zugehen sah. Er meinte, dass dies Claudia sei, dass er sie auf dem Golfplatz kennengelernt hätte und sie jetzt wohl öfter mal bei uns sein würde. Und dabei zwinkerte er mir zu. Lange Beine, ein liebes Gesicht, welches von rotgefärbtem Haar umspielt wurde, topfit, diese Person machte sich an meinen Opa ran. Es war bekannt, dass er herzleidend war und er ein beträchtliches Vermögen besaß. Man hört doch immer wieder von solchen Erbschleicherinnen. Ich konnte nicht fassen, dass er darauf hereinfiel! Ich ließ die Sache eine Weile laufen, vertraute noch auf die Ehrlichkeit von Claudia, aber ich wurde schnell enttäuscht. Ich sah sie mit einem Mann in ihrem Alter in der Stadt, sehr vertraut, doch konnte ich es meinem Großvater nicht sagen. Er hätte es mir auch nicht geglaubt. Dann stand der achtzigste Geburtstag von ihm an. Ich plante ihn mit Claudia, und ich muss sagen, wir kamen recht gut miteinander aus. Kurz vorher wollte mein Großvater mit mir sprechen. Er meinte, dass er großen Wert darauf legen würde, wenn ich mir meine Haare, die ich bis jetzt seit drei Jahren jeden Monat einmal schwarz gefärbt hatte, eine andere, menschenfreundlichere Farbe bekommen würden. Und Claudia würde es auch schöner finden. Auf meine Frage, welche Farbe sie denn vorgeschlagen hätte, meinte er nur, dass sie sich auf blond geeinigt hätten. Ich war so gar nicht der Blondtyp, doch ich ließ mich, weil es der Wunsch meines Großvaters war, von ihr die Haare färben. Ich hätte es wirklich nicht tun sollen. Ich dachte vorher noch, dass sie mir wegen dem Geld meines Opas gut gesonnen wäre. Doch als ich meine Haare ausgespült hatte, sah ich das Dilemma. Sie waren grün. Die Mission Blond war fehlgeschlagen. Es stellte sich heraus, dass das Haltbarkeitsdatum um zwei Jahre überschritten war, dass wir die Farbe zu lang eingezogen lassen haben und dass ich zu allem Übel auch noch darauf allergisch reagierte. Und das einen Tag vor der großen Geburtstagsfeier. Claudia entschuldigte sich natürlich, mein Opa nahm sie in Schutz. Und ich hatte die perfekte Tarnfarbe für die Bundeswehr. Als wir wieder alleine waren, trat sie dicht an mein Ohr und flüsterte: "Wenn du deinem Opa erzählst, dass du uns in der Stadt gesehen hat, passieren noch ganz andere Dinge." Das Biest. Sie sollte es bereuen, meinen Opa betrügen zu wollen und sich mit mir angelegt zu haben. Die Party wurde ein durchschlagender Erfolg. Meine Haare wurden nur als Phase eines wilden Teenangers abgetan und meinen Ausschlag an den Armen konnte ich unter meinem langärmligen Kleid verbergen. Claudia trank eine Menge, stand aber neben meinem Opa im Mittelpunkt, weil sie übermorgen einen Managerposten in einem Hotel antreten würde. Mein Opa hatte sie einem Freund empfohlen, sonst wäre sie nie an so etwas Gutes herangekommen. Heute ist der Tag nach der Party. Claudia hat lange geschlafen, sehr lange. Und nach dem Aufwachen hatte sie schlechte Laune gehabt. Ihre Aspirin hatten merkwürdigerweise nicht gewirkt, sondern eigentlich alles nur noch schlechter gemacht. Es gab keinen Kaffee mehr. Da bekam sie noch schlechtere Laune. Ab diesem Moment schaute sie mich merkwürdig und misstrauisch an, doch ich beachtete sie gar nicht und versuchte wieder Ordnung in unseren Garten zu zaubern. Sie ging duschen. Oder wollte es, denn in der Dusche saß unser Kaninchen Oskar. Wir hatten es vor dem Zigaretten- und Grillgeruch und vor den vielen Menschen am Abend aus dem Käfig im Garten gerettet und ihm ein neues, weiches und gut ausgepolstertes Nest gemacht. Sie hasste Oskar. Mein Opa musste ihn wegräumen. Sie hätte ihn nie angefasst. Als sie duschen ging, öffnete sie vorsichtigerweise eine neue Flasche Shampoo und Spülung, wahrscheinlich dachte sie, ich würde gleiches mit gleichem rächen und wäre so vor allem geschützt. Ich hörte sie duschen und danach ins Schlafzimmer gehen, um sich dort vermutlich wieder ansehnlich zu machen. Sie benutzte mit Sicherheit ihre vielen Cremes und Tuben, die sie hatte. Es ist siebzehn Uhr fünfundvierzig. Sie hat gerade das ganze Haus zusammengeschrien. Das Aspirin habe ich mit Abführmittel vertauscht, sie schob es auf den Alkohol. Den Kaffee habe ich weggeschmissen, da nur sie ihn trinkt. Oskar habe ich aus Versehen früh vergessen wieder in seinen Käfig zu stecken. In die neue Shampooflasche habe ich die Anti-Milben-Creme für Oskar getan. Sie fängt immer nach einer halben Stunde so an zu stinken, dass wir uns gar nicht mehr in seiner Nähe aufhalten konnten. Aber sie half immer. In eine ihrer blauen Für-frische-Haut-Cremes hatte ich blaue Lebensmittelfarbe gemischt. Ich weiß, dass sie sich immer mit geschlossenen Augen eincremt, es ist so ein Tick von ihr. Als sie sie wieder öffnete, war es schon geschehen, ihre Gesicht, ihre Fingerspitzen und ein Teil des Halses waren blau. Von oben höre ich sie meinen Opa anschreien, wie furchtbar ich sei und dass sie das alles nicht verdient hätte. Sie beschwerte sich, dass sie nun schon ein Jahr zusammen waren und er sie immer noch nicht geheiratet hätte, dass es langsam Zeit werden würde, weil er ja auch nicht jünger werden würde und sie nicht mehr auf das Geld warten wolle. Sie verriet sich aus blanker Wut. Sie hatte schließlich morgen vor ein ganzes Hotel zu treten und das mit blauen Körperteilen und stinkendem Haar. Keine gute Vorraussetzung. Sie war außer sich, bemerkte ihren Fehler aber sofort. "Dann gehe ich wohl lieber packen", meint sie ohne große Gefühlsregung zum Abschied. Mein Opa nickt enttäuscht. Jetzt sind wir wieder alleine. Und ehrlich gesagt, ich glaube, ich färbe meine Haare wirklich blond. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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