Haarige Geschichten
Kurzgeschichte - Haar, Haare, Frisur, Friseur, Haarfarben, blond, Blondine, Rothaarige, Glatze, Haarausfall, Bart, Rasur, Zöpfe, Locken, Dauerwellen ...

Unser Buchtipp

Abenteuer im Frisiersalon

Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

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Und Schnitt!

© Alexa Kril

Das Klappern und Schneiden der Schere hallte fast schon unnatürlich laut in meinen Ohren, während meine Frisörin munter mit ihrer Kollegin plauderte. Ungläubig konnte ich nur in den Spiegel schauen, aus dem mich verschreckte Augen anstarrten und eine gequälte Miene mitverfolgte, wie meine Haare Stück für Stück sanft und anmutig zu Boden fielen. Meine Haare, bei denen ich mich jahrelang geweigert hatte, mehr als die splissigen Spitzen schneiden zu lassen. Meine Haare, die in jenen Jahren eine beachtliche Länge erlangt hatten und die man auf ihre Art und Weise schon zu meinem ganzen Stolz dazuzählen konnte.

Erst jetzt im Friseurstuhl wurde mir bewusst, wie sehr ich eigentlich an meinen Haaren hing. Ich musste sogar eine aufmüpfige Träne wegblinzeln, als die letzte lange Strähne abgeschnitten wurde. Die ganze Situation war fast schon grotesk: Im Spiegel konnte ich wie in Zeitlupe sehen, wie sich die einzelnen Haare in der Luft drehten und noch leicht im einfallenden Sonnenlicht schimmerten, bevor sie auf den gefliesten Boden prallten und dort kurz sanft wippend liegen blieben. Ich merkte, wie meine Unterlippe unkontrolliert zu zittern begann, und schnell biss ich darauf und atmete mehrmals tief ein und aus, bis ich mir sicher sein konnte, mehr von meiner sonst so unerschütterlichen Fassung wiedergewonnen zu haben.

Aber am meisten ärgerte ich mich über mich selbst. Über mich, meine Sturheit und meine felsenfeste Überzeugung. Es ging um einen erst kürzlich zusammen angeschauten Film. Ich war mir so sicher gewesen, dass am Ende der einen Szene der Held noch einmal nach seinem Schwert gegriffen und es über die Mauer geschleudert hatte, begleitet von einer Musik, die einem die Gänsehaut auf die Arme kriechen ließ. Ich war mir so sicher, war so felsenfest überzeugt, dass ich mit einem Brustton der Überzeugung diese blöde Wette mit meinen Freundinnen eingegangen bin. Und was kam, was natürlich kommen musste? Genau. Ich verlor.

Nicht, dass ich als Verliererin jeder von ihnen jeder eine Gummibärpackung kaufen musste - nein! Das wäre ja wirklich zu einfach gewesen! Vielmehr hatten wir eine Wette abgeschlossen, auf die sie sowieso schon ganz lange scharf gewesen waren: Verloren sie, weil sie die Szene falsch in Erinnerung hatten, würden sie mir eine Konzertkarte für meine Lieblingsband kaufen. Im Gegenzug würde ich, wenn ich verlieren würde - und jetzt kommt's - meine Haare abschneiden lassen. Jahaa, das war der Moment, auf den sie alle gewartet hatten. Ich - ich! - nachdem ich mich jahrelang geweigert hatte, meine Mähne zu kürzen, war nun so wagemutig, war so überzeugt, dass jene Szene im Film so war, wie ich sie in Erinnerung hatte, sodass ich sogar so übermütig war und auf meine Haare gewettet hatte. Auf meine Haare, meinen ganzen Stolz!

Und was musste ich mit Entsetzen feststellen, als wir den Film alle zusammen anschauten? Der Held griff zwar nach seinem Schwert, ließ es aber sinken und sprang selbst über die Mauer! Ich wäre beinahe ohnmächtig geworden, als meine Augen das Schauspiel auf der Mattscheibe mitverfolgten, während meine Freundinnen begeistert johlten und in die Hände klatschten. Super für sie, schlecht für mich. Sehr schlecht.

Und nun saß ich hier im Friseursalon, ließ eine mir unbekannte Frau an meinen Haaren herumschnippeln und starrte wehmütig auf den großen Haarberg, der sich zu ihren Füßen angesammelt hatte. Und die Friseuse schnitt und schnitt und schnitt. Als ich schon zögerlich fragen wollte, ob sie überhaupt noch aufhören würde, zog sie mit einem zufriedenen Lächeln einen kleinen Spiegel hinter ihrem Rücken hervor und zeigte mir erwartungsvoll ihr Resultat. Ich nickte nur schwach, kletterte vom Stuhl, bezahlte und trat mit hängenden Schultern aus dem Salon. Sofort sprangen mir meine Freundinnen kreischend an die Seite, begutachteten meine diesmal nur streichholzkurzen Haare von allen Seiten, lachten und quatschen, was das Zeug hielt. Alle hatten blendende Laune, nur ich nicht. War das ein Wunder? Schnell verabschiedete ich mich wieder in ging ins nächstbeste Drogeriegeschäft, um mir Haarschaum, -gel und -spray zu besorgen. Wenn ich schon so eine Frisur hatte, wollte ich auch das bestmögliche daraus machen. Wenigstens redete ich mir das die ganze Zeit ein, damit ich nicht in Tränen ausbrach, während ich an der Kasse stand.

Zuhause war die Hölle. Meine kleine, sonst so gemütliche Wohnung schien mir auf einmal furchtbar unbequem, unaufgeräumt und einfach kalt. Ich mied den Blick zu jenen Bildern, auf denen ich mit taillelangen, wehenden Haaren zu sehen war und hielt mich für die nächste Stunde im Badezimmer auf, um vor dem Spiegel mit Gel oder Schaum eine halbwegs passable Frisur hinzubekommen. Ich scheiterte kläglich. Wieso konnten das alle so gut? Alle, nur ich nicht? Es war zum Verweifeln!

Schließlich griff ich frustriert nach meinem Schlüsselbund, schnappte mir meine Jacke und knallte nach einem besorgten Blick zum dunkelgrauen, wolkenverhangenen Himmel die Haustür zu. Ich würde mir diesen Abend die Kante geben, und zwar aus purem Trotz! In der Tankstelle ein paar Straßen weiter würde ich noch mein alkoholisches Lieblingsgetränk bekommen (nämlich "Klappe zu, Affe tot" - kurz Kzat. Sehr effektiv, wenn man mit übelsten Kater am nächsten Morgen aufwachen wollte) und schon konnte ich einen wehleidigen, melancholischen Abend alleine in meinem Zimmer verbringen, wo ich ganz in Ruhe meinen Haaren nachtrauern konnte.

Die schrägen Blicke aufgrund meiner deformierten Haare ignorierend schlenderte ich schließlich durch die Regale und griff wahllos nach einer Flasche, als ein Donnern erklang, gefolgt von einem Wolkenbruch. Genervt stöhnte ich auf. Na prima, jetzt musste ich auch noch im strömenden Regen wieder nach Hause laufen. Missmutig bezahlte ich und drehte mich bereits zur Tür, als ich wie ein Reh vor Fernlicht erstarrte.

Dort stand er. Er, der der Grund war, weshalb ich jahrelang nie meine Haare schneiden ließ. Er, dessen Aufmerksamkeit ich vergeblich in den letzten Monaten versucht hatte zu bekommen ... Er war auch an der Uni, studierte Musik, war im selben Semester wie ich und bis auf ein paar scheue Blicke in den Fluren der Uni hatte ich nichts weiter mit ihm gewechselt. Oh, doch, einmal redeten wir kurz in der Cafeteria ... Oder als wir nebeneinander im Vorlesesaal saßen. Oder in der Bücherei ... Naja, jedenfalls bin ich seitdem hin und weg von ihm und leider auch zu schüchtern, ihn weiterhin anzusprechen. Meine Freundinnen halten mich für blöd, weil ich seine langen, schwarzen Haare unheimlich toll finde und ich mich so einfach von seinen dunkelbraunen Augen gefangen nehmen lasse. Oder von diesem strahlenden Lächeln, das er nur jenen schenkt, die ihn richtig amüsieren oder gefallen. Bisher wurde ich leider noch nie so angelächelt. Jedenfalls nicht von ihm.

Und jetzt stand er vor mir. Mit einem kleinen Lächeln trat er an mir vorbei und bezahlte den getankten Sprit, ehe er sich zu mir umdrehte, weil ich mich immer noch nicht von der Stelle bewegt hatte. Meine Gedanken flogen kreuz und quer in meinem Kopf herum, mein Herz raste und meine Beine fühlten sich wie Pudding an. Mayday, Mayday! Mir brach der Schweiß aus und ich fühlte, wie sich mein Gesicht aufheizte, als sein Blick zu meinen Haaren glitt. "Neue Frisur?" Ich machte eine unverständliche Kopfbewegung, die eine Mischung aus Nicken und Kopfschütteln darstellte, und piepste peinlicherweise auch noch los: "War nicht meine Idee." Schmunzelnd ging er weiter, bis er sich an der Tür noch einmal umdrehte. Draußen prasselte der Regen in dicken, schweren Tropfen auf den Asphalt, der Himmel war dunkelgrau. "Soll ich dich irgendwo hinbringen? Es regnet ziemlich stark." Ich dachte für einen kurzen Moment, mein Herz würde stehen bleiben. Er bot mir tatsächlich eine Fahrt in seinem Auto an! Schnell nickte ich und folgte ihm, um ein "Danke, das ist echt nett" herauszuquaken. Verlegen räusperte ich mich, um den Frosch im Hals zu verbannen.

Als wir im Auto saßen und stumm auf die langsam vor uns her kriechenden Wagen blickten, begann er schließlich das Gespräch. "Und wie sieht dein Wochenende so aus?" Er machte eine Geste in Richtung der Flasche in meinen Händen.

Fast schon verlegen fummelte ich am Deckel herum. "Eigentlich nicht viel. Vielmehr wollte ich mich betrinken und wegen der verlorenen Wette jammern ..." Ich zeigte seufzend auf meine Haare. Zu meiner Überraschung lachte er auf, bis ich ihn mit einem leisen "Bei der nächsten rechts einbiegen" unterbrechen musste. Dennoch ignorierte er mich, zumindest dachte ich das, als er die Hauptstraße weiter entlangfuhr und bei einem Reihenhaus hielt. "Ich muss nur schnell ein paar CDs holen, dann bring ich dich nach Hause. Willst du kurz mit hochkommen oder so lange im Auto warten?" Warum eigentlich nicht mit in seine Wohnung kommen? Alleine warten war schließlich langweilig und ich war gespannt, wie er so hauste. Seine Studentenwohnung war klein, etwas unordentlich und man sah deutlich, dass ein Musiker hier wohnte: Notenblätter lagen auf dem Boden verstreut, eine Gitarre hing an der Wand und in der hinteren Ecke des Wohnraums stand ein Keyboard. Ich ließ mich auf das Sofa sinken, während er zielstrebig zu einem Regal ging und zwischen den unzähligen CDs zu wühlen begann. "Heute Abend ist Band-Contest in der Metal-Bar an der Metro. Hast du Lust mitzukommen?" Er drehte sich um und fügte mit einem spöttischen Lächeln hinzu: "Es sei denn, du willst alleine griesgrämig zuhause hocken." Ich schwankte für einen Moment, ob ich schmollen oder lachen sollte. Ich entschied mich für die Mitte. "Aber doch nicht mit diesen Haaren!", jammerte ich und griff mit beiden Händen theatralisch in meinen grauenvollen Versuch von aufgestylter Frisur. "Sieh doch nur! In der Metal-Bar werden alle nur mit langen Haaren herumlaufen und dann komm ich da an wie so ein Depp ..." Stirnrunzelnd unterbrach er mich. "Gehts vielleicht noch ein bisschen übertriebener? Es gibt dort garantiert auch Leute mit kurzen Haaren." "Einer von hundert, oder wie?", entgegnete ich nur finster und zupfte an meinem Shirtärmel herum.

Seufzend ging er schließlich nach einer Weile störrischen Schweigens zur Tür. "Warte kurz, bin gleich wieder da." Als er wieder zurück in sein Zimmer kehrte, hatte ich bereits mit allem gerechnet: Mit Gläsern, etwas zu trinken, vielleicht auch einem kleinen Snack ... Mit allem, nur nicht mit dem! Mir klappte der Mund auf und ich schnappte für ein paar Sekunden nur ungläubig nach Luft, ehe sich ein paar unverständliche Wörter an meiner Zunge vorbeibahnten. "Wassug'macht?" Fast schon beiläufig blickte er auf die dunklen Haare, die er in den Händen hielt. "Oh, du meinst die hier?" Er schüttelte kurz den Kopf, sodass die nun nur noch knapp schulterlangen Haare sanft hin und her wippten. "Ich dachte mir, dass es mal wieder Zeit für eine Veränderung wäre. Gefällt es dir?" Über diese fast schon foppende Frage konnte ich nur wie betäubt blinzeln, um mich selber zu überzeugen, dass dies hier kein Traum war und dass er seine jahrelang gepflegten und gehegten Haare abgeschnitten hatte. Er hatte es tatsächlich getan. Einfach so! Ungläubig lachte ich auf. Das konnte nicht wahr sein. "Aber ... Deine langen Haare!" Wehmütig griff ich nach einer langen dunklen Strähne, die zwischen seinen Fingern zu Boden gelitten war. Unbewusst begann ich, sie mir um die Finger zu zwirbeln.

"Die wachsen schon wieder nach", tat er seine Aktion mit einem fast schon zu lässigen Schulterzucken ab, bis er mich angrinste. "Wir können ja schauen, wessen Haare wieder schneller nachwachsen. Da deine generell schneller wachsen, habe ich meine einfach nicht ganz so kurz geschnitten. Das ist doch nur fair, oder nicht?" Ich nickte leicht benommen.

"Außerdem", fuhr er fort, "bist du nun nicht mehr die einzige Person mit kurzen Haaren." Auf meinen vielsagenden Blick mit hochgezogener Augenbraue fügte er noch hastig hinzu: "Jedenfalls mit kürzeren Haaren." Schließlich konnte ich nicht anders, als sein ehrliches Lächeln zu erwidern. "Da hast du wohl Recht", seufzte ich, "Ändern kann man es jetzt auch nicht mehr." "Eben." Selbstzufrieden nickte er. "Also was ist? Kommst du jetzt noch mit oder nicht?" Ich zögerte, aber auch nur für einen winzig kleinen Moment, bis ich lächelnd nach seiner dargebotenen Hand griff und mich hochziehen ließ. "Gerne."

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Ein haariges Lesevergnügen


Noch mehr haarige Geschichten finden Sie in dem Buch, das aus unserem Wettbewerb "Abenteuer im Frisiersalon" hervorgegangen ist.

Abenteuer im Frisiersalon Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

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