Unser Buchtipp
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Ein völlig misslungener Schnitt© Christian Knopp"Mon Dieu, was ist das?" Henry griff in die Haare vor ihm. "Ist das eine Kloake? Hast du gewaschen die Haare in der Toilette?" Mit unübersehbarem Abscheu im Gesicht, abgrundtiefer Verachtung in der von französischem Akzent gefärbten Stimme, griff er erneut zu. "Und benutzt die Klobürste als Lockenwickler? Mon Dieu, mon Dieu", schloss Henry kopfschüttelnd, den Kopf theatralisch zurück werfend, den kleinen Finger der linken Hand, mit der er eine Haarbürste hielt, abgespreizt. Gary lächelte still in sich hinein. Er hatte gewusst, was ihn erwartete. Als er den Termin letzte Woche verschob. Henry Dubois betrieb den Friseursalon der Stadt. Den Salon. Wenn man als Fremder einen Termin haben wollte betrug die Wartezeit mindestens acht Wochen. Wenn man überhaupt einen bekam. Was absolut keine Selbstverständlichkeit war. Er konnte sich seine Kunden aussuchen. Und bestimmte, wann sie wieder zu kommen hatten. Man musste ja schließlich nicht zu ihm gehen ... "Oh Gary, großer starker Gary, was hast du nur getan?" Ein ungeübter Beobachter hätte meinen können, Henry würde womöglich gleich in Tränen ausbrechen. Sein Ton war leidend, er schaffte sogar fast einen Schniefer, die Vorstellung war schlicht erstklassig. Eines schwulen Franzosen würdig, dachte Gary, doch es lag nichts Abwertendes oder Verächtliches in diesen Gedanken. Henry war genauso Franzose wie homosexuell. Wobei bisexuell für ihn zutreffender war. Der Friseur liebte nun mal diese Auftritte, sie waren Teil seines Images. Und seines Erfolges. Denn der Ausgang stand keineswegs fest. Es konnte passieren, dass Gary gleich aufgefordert wurde den Salon zu verlassen. "Eine Kloake, womit ist das gewaschen worden? Oh nein, bitte sag es nicht, Gary." Der Ton war nun heulend, definitiv war der Besitzer der Stimme den Tränen nah. Womit mag das wohl gewaschen worden sein?, dachte Gary weiterhin amüsiert. Wasser und Shampoo wäre 'nen erstklassiger Tipp. "Oh, mon Dieu", schüttelte Henry ein letztes Mal den Kopf. Dann wusste auch er, die Dramaturgie verlangte eine Veränderung. Entscheidung. Würde er tatsächlich ...? Nein, wird er nicht, war sich Gary sicher. Alles nur Show. Ich zahl jede dieser abstrusen Rechnungen plus Irrsinns Aufschlag ohne mit der Wimper zu zucken. Alles nur Show. "Cherie. Cherie komm her", wedelte Henry ungeduldig mit der Rechten eine seiner Assistentinnen heran. "Nadine, Cherie, ich muss dich leider bitten ...", obwohl es schon eigentlich überher war machte er doch noch einmal eine theatralische Pause, griff mit spitzen Fingern eine Locke von Garys Haar, ließ sie mit verzogenem Gesicht wieder fallen, "Cherie, ich muss dich leider bitten diese Kloake zu waschen. Mach es gründlich bitte. Nimm Handschuhe, das wird besser sein." Gary nahm die mitleidigen Blicke der Mittvierzigjährigen, die er im Spiegel sehen konnte, gelassen hin. Er kannte Nadine. Die junge Frau hatte Probleme mit den Inhaltsstoffen von Shampoos und diesen Dingen. Sie nahm immer Handschuhe beim Waschen. Er lächelte Henry breit durch den Spiegel an. Na also, ging doch. Der stockte kurz, fuchtelte mit der Linken in der Luft herum. Dann warf er sich herum wie es eine Diva auf der Bühne des Theaters nicht hätte besser machen können. Gleich darauf war er aus dem Spiegel verschwunden. Gary meinte, Nadine, die Henrys Stelle einnahm, war die weit bessere Alternative, die man in einem Spiegel anschauen konnte. Sie war hübsch, ohne Frage. Obwohl er fand, irgendwie passte nicht alles hundertprozentig zusammen bei ihr. Sie hatte ein schmales Gesicht, welches aber dennoch rund wirkte, denn die hohen Wangenknochen fehlten. Der Kopf war klein, wobei sie allerdings fast eins achtzig groß war. Sah man nur den Kopf so erwartete man eine Frau gut einen Kopf kleiner. Ihre Haare waren so wunderbar schwarz, das konnte nur falsch sein. Oder wie es heute so schön hieß "Nach coloriert". Oh Herr nimm sie zu dir oder wirf wenigstens Hirn herunter. Nadines über alle Kritik erhabene Figur steckte in einem auf Taille gearbeiteten Kittel der knapp auf der Hälfte der Oberschenkel endete. Darunter kamen wohl geformte, heute rot bestrumpfte Beine zum Vorschein. Das ganze wurde mit reichlich High Heels abgerundet. Gary wusste, vergleichbare Figur war Einstellungsvoraussetzung, der Erhalt ebenso. Hier wurde ein Gesamtkunstwerk verkauft. Erstklassige Frisuren erschaffen von den besten ihres Faches, serviert in exklusivem Ambiente von schönen Menschen. Nadines männliche Kollegen standen ihr in Aussehen und Aufmachung in nichts nach. Als Resultat hatte Henry reichlich alle lokale und etliche überregionale Prominenz, Vertreter der Oberschicht und solche die sich dafür hielten beziehungsweise dafür gehalten werden wollten, in seiner Kundenliste. Wie man so etwas finanzierte, das fand die Kundschaft auf den Rechnungen wieder. Aber, Herr im Himmel, wer sich damit beschäftigen musste der ging denn doch besser zum Friseur um die Ecke. Gary gehörte zu einer speziellen Sorte Kunde. Unsicher, unwissend oder was auch immer, jedenfalls nicht wissend, welche Art von Schnitt, Styling etc. am besten anzuwählen wäre überlies er dieses gerne Henry und seinem Team. Der diese Verantwortung natürlich mit Freuden übernahm, den saftigen Aufschlag auf dem Kassenzettel brauchte man nicht extra erwähnen. Henry kam zu einem, Henry nahm sich Zeit. Auf keiner Provinzbühne der Welt wurden bessere Stücke aufgeführt als "Henry wählt die passende Frisur". Wow, das war eine Show. Gary hatte schon davon gehört, dass angeblich manche extra dafür bezahlten dann einen Termin zu bekommen, wenn solch ein Ereignis anstand. Und es war ein Ereignis. Henry kam, sah ...schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Nahm einige Strähnen in spitze Finger, ließ sie wieder fallen. Angewiderter Gesichtsausdruck inklusive, genau wie vorhin. Dann erste Variation: Manchmal war das Vorgefundene so schlimm, da musste erst jemand vom Hilfspersonal Hand anlegen und waschen. Gründlich, wie es sich für das Reinigen einer Kloake gehörte. Dann kam der Meister wieder, nun war der Klageteil vorbei, der künstlerische Teil begann. Ungefähr achtundachtzig Muster wurden gezeigt, manche auch am lebenden Modell. Haare raufen, eigene und die des Patienten, jedenfalls kam man sich vor als wäre man einer, auf den Kamm beißen, der nie auch nur einen Haarschopf von weitem gesehen hatte, selbstverständlich, vom Kamm zum kleinen Finger wechseln, je nach Verfügbarkeit das eigene Personal oder auch Kunden nach deren Meinung befragen. Das letztere war Henrys absolute Spezialität. Es war schleimig, schmierig, anbiedernd, nach dem Mund redend, schlicht und ergreifend widerlich. Und doch liebten es die Kunden. Jene wenigen, die schon seit 1988 Kunde waren, den Salon gab es erst seit 2000, jene Auserwählten, die dem Meister helfen durften. Gary hatte das mehr als einmal erlebt, fragte sich ernsthaft, ob das womöglich als extra Position auf der Rechnung erschien. Bei Henrys Geldgeilheit sowie dem unzweifelhaft vorhandenem durchschnittlichen Verblödungsgrad der Kundschaft ein Verdacht der nicht einfach von der Hand zu weisen war. Sobald der Meister endlich eine Auswahl getroffen hatte standen zwei Dinge unverrückbar fest: Erstens, die ausgewählte Frisur war nur zweite Wahl. Das kam daher, weil der Kunde entweder zu dicke oder zu dünne Haare, zu wenige oder zu viele, zu kurze oder zu lange oder, was durchaus häufiger vorkam, jedenfalls häufiger als man zunächst vermutet hätte, dass der Kunde sein Haupthaar tatsächlich mitten auf dem Kopf trug. Hätte es ich also beispielsweise um Achselhaare oder solche in der Nase gehandelt wäre die Wahl sowie die spätere Ausführung unzweifelhaft eine andere gewesen. Diese Einleitung diente jedoch nicht dazu einem etwaigen späteren Missfallen vorzubeugen sondern nur dem zweiten unverrückbarem Punkt, dass der Weg zur Traumfrisur, sei sie auch aus erwähnten Gründen lediglich zweite Wahl, nur in mehreren Schritten zu erreichen war. Und einmal erreicht in festen Intervallen aufgefrischt werden musste. Das Einverständnis hiermit war unabdingbare Voraussetzung für eine Empfehlung des Meisters. Wenn er sagte "Im ersten Monat fünfzehn mal, damit wir Grund rein bringen, Cherie.", dann war das so. "Danach gehen wir auf alle drei Tage, ich hoffe in zwei Monaten können wir dann endlich auf wöchentlich übergehen", so war das kein Vorschlag sondern schlichte Tatsache. Ansonsten wusste man schließlich wo die Tür war, bitte ordentlich von außen zu machen. Und nie wieder öffnen, weil hier dann keine Bedienung mehr. Alles sehr einfach, oder? Henry konnte sich das leisten. Ohne Frage. Der Salon war eine Institution, acht Leute scharrten mit den Hufen den Platz des Bedauernswerten abgewiesenen einzunehmen. Wobei die weibliche Kundschaft nur knapp in der Überzahl war. Nun, Gary war einer jener mutigen, die es dennoch gewagt hatten. Einen Termin abzusagen. Und gleich um eine komplette Woche zu verschieben. Das hatte unterschiedliche Gründe. Die eine Woche Verschiebung war notwendig gewesen, weil er zurzeit beruflich sehr angespannt war. Der konkrete Grund für die Verschiebung war blond, noch aufregender gerundet als Nadine, ein Genuss im Bett mit ebenso ausgeprägter Nehmerqualität, eben hinter Nadine durch das Spiegelbild gegangen ohne ihm auch nur den Hauch von Beachtung zu schenken. Ja, Inge war eine Wucht. Dass sie Henrys Frau war musste da einfach in kauf genommen werden. So was kam halt vor. Ebenso solch unschöne Ereignisse wie die Terminverschiebung weil Inge sonst keine Zeit hatte. Frank war es gewohnt Prioritäten zu setzen. Die richtigen, wie er stets betonte. Sein bisher gleichmütiges Gesicht, das von Zeit zu Zeit von einem flüchtigen Lächeln erhellt worden war, bekam nun einen konzentrierten, fast finsteren Ausdruck.
Über hundert Menschen waren im Salon, auch wenn er keine dreißig Minuten mehr auf hatte. Dass es später wurde merkte man auch daran, das Verhältnis Angestellte, sonst in der Minderzahl, zu Kunden begann sich umzudrehen. Hundert Menschen, hundert Träume, hundert Pläne für den Abend. Wobei jedoch für drei von ihnen vor wenigen Minuten zum letzten Mal das Stundenglas umgedreht worden war. Wovon die drei betroffenen Personen selbstverständlich nichts ahnten. Das hieß, zwei von ihnen würden beim letzten Akkord nicht wirklich überrascht sein. Es gehörte dazu und wenn man ehrlich war musste man ja zumindest zugeben, die eine Person war immerhin zum töten gekommen. Da lag der eigene Tod so fern schließlich auch nicht. Oder doch zumindest nur für Idioten, Ignoranten und überhebliche arrogante Arschlöcher. Zu dieser Kategorie gehörte ohne Frage die dritte Person, welche noch genau 23 Minuten zu leben hatte. So erstaunlich es auch sein mochte, tatsächlich würde es sich für diese Person erweisen, ein Tanz mit dem Teufel ist nur für diesen wirklich amüsant. Das ist er in der tat, denn der Teufel ist ein glänzender Tänzer. Kaum einer kann es mit ihm aufnehmen, er ist der Herr des Parketts. Doch diese Person hatte es selbstverständlich besser gewusst. All diese Umstände galten natürlich nur für andere, nicht sich selber. Sie war anders, besser, gerissener, hart gesottener, so 'nen lächerlicher Gehörnter war da echt ne Nummer zu klein. Mit Sicherheit. Welch ungeheure Überraschung würde die Erkenntnis auf das Gesicht der Person malen, in 22 Minuten, dass auch sie nur ganz normal sterblich war. Der Teufel war eben der Teufel, all das, was auf der Verpackung stand. Das schloss seine Fähigkeiten als Tänzer ein. Sie selbst dagegen war nichts weiter als sterblich, lediglich der nächste elende Dummkopf, gestorben an der eigenen Überheblichkeit. Das bemerkenswerteste allerdings am Tod der Person würde sein, im Bericht der Polizei würde sie als unbeteiligte, unschuldige, zufällig am falschen Ort befindliches Zufallsopfer auftauchen. Ein Kollateralschaden sozusagen. Und während drinnen im Laden über die Person ein Laken bereitet wurde würde draußen im Auto ein angemieteter Killer den Schalldämpfer von seiner Pistole schrauben. Unbenutzt. Der Tod kennt und geht sie alle, die merkwürdigen Wege.
Nadine war etwas beiseite getreten damit Henry das Ergebnis begutachten konnte. Das selbstverständlich immer noch von einer Kloake nur eine Winzigkeit entfernt war. Doch der Meister war inzwischen ausreichend abgelenkt, Gary nur noch ein kleiner unbedeutender Nebenkriegsschauplatz. Sophie LaGalpur war erschienen. Wie immer gut zwei Stunden zu spät. Nichts Ungewöhnliches, eher guter Standard. Sie war schon in den Siebzigern, die LaGalpur. Eine ehemalige Schauspielerin, immer noch hoch gewachsen, immer noch schlank. Gut aussehend mochte einem bei ihr allerdings nicht mehr über die Lippen kommen. 87 mal geliftet, mindestens, so manche meinten, es wäre schon dreistellig, wenn sie es wagen sollte den Schal um den Hals abzulegen würde wahrscheinlich der Bauchnabel zum Vorschein kommen. Nun ja, ihre Tage als Schauspielerin waren lange gezählt. Da sie jedoch einen Milliardär geheiratet und zum Millionär gemacht hatte, der Rest gehörte nach der Scheidung ihr, konnte sie ihr divenhaftes Auftreten ohne Probleme aufrechterhalten. Sie gab sie gut, die Diva, Sophie LaGalpur, geborene Tekla Schmidt aus Castrop- Rauxel. Da fiel einem in Anlehnung an einen der größten Unterhalter aus dieser Gegend durchaus die Sache mit "Du Rose im Revier" ein. Was auch durchaus gestimmt hatte, vor ein, zwei Jahrhunderten. Bevor die natürliche Schönheit verblühte, sie nicht mehr die weites gehende Abwesenheit von Talent übertünchte. Das schlimmste, fand Gary, waren diese drei völlig misslungenen Versuche ganz zum Schluss der Karriere gewesen. Da hatte nur noch das Geld ihres Mannes überhaupt den Film ermöglicht, für einen erstklassigen Regisseur hatte allerdings auch das nicht gereicht. Es war traurig, würdelos. Die Aasgeier vom Boulevard stürzten sich darauf, gaben sie schonungslos der Lächerlichkeit preis. Was Gary nicht so sonderlich störte. Madame war für ihre Karriere förmlich über Leichen und durch jedes Bett gegangen. Nein, zimperlich war sie nicht gewesen, Tekla Schmidt auf dem Weg zu Sophie LaGalpur. Nur die Heuchelei der Klatschreporter fand er mindestens genau so unerträglich. Sie hatten sie schließlich zu einem nicht unerheblichen Teil zu der Diva gemacht, die sie nun genüsslich zur Schlachtbank führten. Andererseits verflog sein Unmut allerdings auch schnell wieder als er sich in Erinnerung rief, dass die Nummer schlicht und einfach so lief. Und im Übrigen auch alle Beteiligten recht prima dabei verdienten. Da musste man halt schon mal 'nen Satz eiserne Unterhosen zur Hand haben. Zumal la LaGalpur ja finanziell ganz gut bei der Sache davon gekommen war. Inge war so zuvorkommend gewesen ihn einzuweihen, die Lady ließ im Salon durchaus den durchschnittlichen Jahresverdienst eines Angestellten. Im Monat. Na, Gary kam sie heute ganz gelegen. Das lenkte Henry ein wenig ab. Das war gut. Sehr gut fand Gary. Sehr sehr gut für den schwulen, Froschschenkel fressenden Franzosen. Gary hatte genug von ihm und dem gesamten Salon. Er war heute zum letzten Mal hier. So oder so. Höchstwahrscheinlich eher so. Den Anfang hatte Gary sich bereits zurecht gelegt. Er würde sich verstecken und abwarten, bis alle Angestellten gegangen waren. Bis er allein war mit Henry und Inge. Dann wartete der Abend ihres Lebens auf sie. Der letzte Abend. Ja, der Anfang stand schon fest. Da würde er dem Kretin von hinten unter den Hosenbund greifen, die Unterhose packen und dem kleinen Schwulen die Eier abdrehen. Er wollte ihn wie ein Schwein quieken hören. Inge würde um die Zeit irgendwo bewusstlos in einer Ecke liegen. Ihr würde er nur schlicht und ergreifend einige auf die Fresse schlagen. Mehr, bzw. größeren Aufwand war sie nicht wert. Henry kam nicht mehr wieder. Sophie LaGalpur nahm ihn voll in beschlag. Obwohl sie sich am anderen Ende des Salons befand schallte ihre Stimme manchmal bis zu ihm herüber. Lautes, falsches Lachen zumeist. Erwidert vom Haufen des Speichel leckenden Geschmeiß rund um sie herum, Henry war ihr König. Einen Augenblick lang war Gary versucht auch die LaGalpur in seine finsteren Pläne einzubeziehen. Erschrocken stellte er fest wie leicht und überzeugend er sie dort einbauen konnte. Plötzlich hing die alte Schachtel an einer Eisenkette von der Decke des Salons, zwei Nägel in den Augen und einen Pflock im Arsch. Bei Gott, er war ein Dieb, ja, aber im Grunde hatte er im seinem ganzen Leben noch niemandem etwas zu leide getan. Auch bei Henry und dessen Frau würde es bei der Fantasie bleiben, das wusste er. Kein Haar würde er den beiden krümmen. Aber erschrecken, das ging schon. Ganz ordentlich erschrecken, schließlich wollte er wieder haben, was ihm gehörte.
Der Salon war fünfzehn Stunden am Tag geöffnet, von morgens sieben bis abends um zehn. In drei Schichten schufteten die Friseurinnen, Top Hairstylisten und das reichlich vorhandene Hilfspersonal zum waschen und sauber machen. Die Fluktuation unter den Angestellten nahm von oben nach unten ab, hieß, die hoch bezahlten Stylisten klebten an ihren Jobs wie Schmeißfliegen an den großen Exkrementhaufen, bei den Friseurinnen war man durchaus in der Lage mal zu einem anderen Scheißhaufen zu wechseln, die Hilfskräfte kannten oft auch die Schichtführer nur flüchtig. Hier, wo gut Aussehen alle anderen Eignungskriterien verblassen ließ war steter Wechsel die Routine. So konnte es nicht weiter verwundern, dass das neue Gesicht, welches neun Minuten vor Ablauf der drei Stundengläser in der Aufmachung einer Reinigungskraft den Salon betrat nicht weiter auffiel. Einer der Top Stylisten, dessen Empfehlungsliste ungefähr acht Meter lang und er selber so scheiße war, wie ein solch eingebildetes Arschloch nur sein konnte, erinnerte sich später daran, eine unwillige Bemerkung gemacht zu haben. Lag wahrscheinlich daran, dass die Reinigungskraft-Killer-Person mehr darauf bedacht war ihr Opfer auszumachen anstatt den Haufen abgeschnittener Haare aufzufegen, über den sie gerade lief. Davon erzählte der Top Stylist später der Polizei. Und auch seinen Freunden. Und vor allem natürlich denen, die er sehr passend für sein Bett fand. Verschweigen tat er allerdings lieber seinen Aufenthalt mit Brechdurchfall auf dem Klo, kurz nachdem die tödlichen Schüsse gefallen waren. Den Blick den er nämlich auf seinen Anraunzer geerntet hatte ließ ihn vermuten, der große Herr in der schwarzen Kutte, welcher immer recht gerne eine große Sense mit sich herum trug, habe zumindest kurzfristig mit dem Gedanken gespielt, auch seinen Namen mit auf die heutige Liste zu setzen. Nun, wer sollte einem solch tollen Kerl, der schon Dingsda aus Hollywood eine Empfehlung zur schonenden Entfernung von Nasenhaaren gegeben hatte, erklären, er hatte es mit Profis zu tun gehabt. Das war der 22. derartige Job der Reinigungskraft-Killer-Person gewesen. Alle gut bezahlt, alle. Hieß auf den Punkt, keine Bezahlung, kein Killen. Im Übrigen waren die Scheine so groß, die wehrten auch eine Anfuhr eines solch lächerlichen Arschloches ab.
Nadine hatte noch einmal gewaschen, abgetrocknet, nun harrte Gary der Ankunft jenes Aushilfsgenies, welches Henry zur weiteren Behandlung des Aufsässigen bestimmte. Der Herr aller Meister, der Friseur der Frisierkunst selber, war weiterhin mit der schnell alternden Diva voll ausgelastet. Das hat so ein wenig etwas von Chefarztbehandlung für Privatpatienten, dachte Gary und konnte bereits wieder in sich hinein lächeln. Er war im Prinzip durch mit seinen Gewaltfantasien bezüglich Henry und Inge, hatte die alte Schachtel wieder gestrichen. Wie hieß das doch so schön? Belohnt sie nicht auch noch. Allerdings, das Vorhaben mit dem Bleiben, dem unbemerkten Bleiben nach Öffnungsschluss war geblieben. Da führte auch kein Weg drum herum. Er würde dem überaus sauberen Ehepaar die Rechnung präsentieren. Einen Dieb zu bestehlen, da hörte sich doch alles auf. Noch dazu wo er immer der Meinung gewesen war, seine eigenen Sicherheitsvorkehrungen seien so erstklassig, da kam keiner durch. Zumal, wer sollte in dieser Umgebung, Gary bewohnte ein ganz gewöhnliches Apartment in einer überaus durchschnittlichen Gegend der Stadt, wer sollte da schon bei ihm einbrechen? Ja, wer, der nicht wusste, dass es dort etwas zu holen gab. Der Tresor, fantastisch in der Wand hinter einem großen Schrank verborgen, war gut gefüllt. Manchmal. Selten. Inge musste ihn entdeckt haben. Bei Gott, er hatte bei ihr einfach die nahe liegende Gleichung Blond entspricht doof aufgemacht und war unvorsichtig gewesen. Unvorsichtig, nicht fahrlässig, dennoch hatte es gereicht. Am lustigsten, wenn man es denn so nennen wollte, war der Umstand, wie er den Diebstahl bei sich daheim entdeckt hatte: Der Tresor seines eigenen Jobs aus der letzten Woche hatte Schmuck enthalten der sich zweifellos in dem seinigen hätte befinden müssen. Gary hoffte nur, wer immer für den Verkauf der Ware zuständig war, mochte es auch Inge selber sein, wusste was er oder sie tat. Denn die vorgefundenen Exponate waren falsch. Erstklassige Fälschungen, ja, dennoch falsch. Sie waren eigentlich Bestandteil eines Austausches gewesen, den Gary in der nächsten Woche hatte vollenden wollen. Echte Klunker klauen, kopieren lassen, Kopien zurück. Der Besitzer war kein ausgewiesener Fachmann, der Schmuck wurde nur selten bis gar nicht getragen. Alles sehr einfach, alles gut, bis er die Fälschungen in diesem Tresor fand. Wofür nur Inge verantwortlich sein konnte. Immer hatten sie sich in seiner Wohnung getroffen, nur für letzten Freitag hatte sie auf ein Hotel bestanden. Etwas außerhalb, sonst hätte sie es nicht einrichten können. Ja, dachte Gary, die Nummer dort war schon geil gewesen, dem kleinen Freudenspender nicht alleine das Denken zu überlassen wäre wahrscheinlich noch um einiges besser gewesen. Das da außerdem Inges sauberer Mann mit drin steckte stand für ihn fest. In der Zeit wo er unter Garantie auf einem dieser Stühle hockte hatte man den Coup in Ruhe vorbereiten können, Gegebenheiten erkunden und alles was dazu gehörte. Ja, sie waren ein sauberes Paar, diese Friseure. Aber ok, fügte er unfroh in sich hinein grinsend und fünf Euro in das Phrasenschwein steckend hinzu, hinterher ist man natürlich immer schlauer. Gary warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr. Noch 15 Minuten, dann kam endlich Bewegung in die Sache, dann war es nicht mehr lang bis zu seiner Genugtuung.
Der Polizeibericht gab nur unvollkommen Auskunft, warum es eigentlich zu dem Ergebnis gekommen war, das man vorfand. Eine der Salon Hilfen wusste eine recht gute Beschreibung der Abläufe zu erzählen. Welche jedoch nicht so recht ins Bild passte, oder anders ausgedrückt, zu viele Fragen nach sich gezogen statt Antworten geliefert hätte, so dass man diese Aussage lieber weites gehend unter den Tisch fallen ließ. Sie wurde erwähnt, so quasi unter Ferner Liefen, das war es denn auch. Was eigentlich schade war, denn wäre man der Aussage nachgegangen, das sich ergebende Bild wäre ohne Zweifel ein hoch interessantes gewesen. Wobei man definitiv nicht so vermessen sein sollte zu meinen, irgendwelches zukünftige Unheil hätte in diesem Fall vermieden werden können. Hätte vielleicht vermieden werden können, aller höchstens. Jedoch nur bei absolut fehlerfreier Interpretation der Schilderung.
Das ganze war eine Schnapsidee. Völliger Unsinn. War das bereits der beginnende Verfall? Mit nicht einmal vierzig Lenzen auf dem Buckel? Na, das konnte ja heiter werden. Gary ärgerte sich unwirsch still und leise in sich hinein. Was, verdammt noch mal machte er hier? Das war doch ein Wettbewerb, "wer ist der dümmste im ganzen Land". Er hatte noch nie etwas in einer Lotterie oder sonst wo gewonnen, diese Krone allerdings war ihm sicher. Ich versteck mich im Klo, ey, geile Idee, Mann. Da sucht mich keiner. Bestimmt nicht. Warum sollten sie auch? Haben mich ja nur beklaut, diese sauberen Arschlöcher. Deswegen werden sie keinerlei Wert darauf legen zu wissen, wo ich bin Ob ich also diese gastliche Stätte verlassen habe. Ne, werden die beiden, Henry und Inge, nicht. Weil, ist doch 'nen echt geiler Kick, Mann. Das turnt so richtig an, weißte? Einfach mal das eigene Leben aufs Spiel setzen, da macht doch jeder immer wieder gerne mit. Man, bist du geil, Alter, zumal, du wirst ihnen mit Sicherheit nichts tun. Du bist ein Dieb, ja, ein unglaublich guter dazu, aber sonst nichts. Schwachkopf, los, raus hier. Und dann raus aus der Stadt. Hurtig, Mann, nimm gefälligst die Beine in die Hand. Die Sache mit dem Austauschen der Juwelen war schließlich gewaltig schief gegangen, der Besitzer früher als erwartet wieder gekommen. Gott verdammte Scheiße, man sagte ihm gute Verbindungen in sehr finstere Kreise nach. Scheiße. Scheiße. SCHEISSE! Er spürte eine Berührung am linken Oberarm. In seinen Zorn versunken hatte er nicht gemerkt wie Inge neben seinen Stuhl getreten war. Die Berührung kam von ihrer Brust. Wie zufällig war sie damit gegen seine Schulter gekommen. Die riesigen, wie er wusste Silikon verstärkten Titten, die ihr wie stets aus dem um einen Knopf zu wenig zugeknöpften Kittel fielen. Breit lächelte sie ihn im Spiegel an. Gary kam es wie blanker Hohn vor. Ohne auf den fast schrillen, unwilligen Schrei des Friseurs zu achten fuhr er aus dem Stuhl hoch nach rechts. Sein kaum angetrunkener Kaffee auf dem kleinen Beistelltisch schwappte über, bildete ein wunderschönes Fußbad in der Untertasse, lief weiter, schwappte über die Kante. Unwillkürlich fasste Gary zu, verhinderte, dass das scharfe Messer aus der neben dem Kaffee stehenden Obstschale auf den Boden fiel.
Aus dem offiziellen Polizeibericht: Die getötete männliche Person stand schnell aus ihrem Stuhl auf als sie die mutmaßliche Mörderin im Spiegel hinter sich sah. Sie griff das neben ihr liegende Obstmesser. Der gezielte Wurf lässt auf häufiges Training schließen. Die bewaffnete konnte drei Schüsse abgeben, bevor das Messer sie genau ins Herz traf.
Aus der "verlorenen" Aussage: Warum das männliche Opfer aufstand konnte ich nicht sehen, da meine Aufmerksamkeit sich ganz auf die getötete Angreiferin konzentrierte. Sie fiel mir auf, weil sie sich so anders bewegte. Konzentriert und dabei doch geschmeidig. Man konnte sehen, wie sie die Gesichter in den Spiegeln musterte. Und dann schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Sie ... Zwischenfrage: Den Getöteten? Nein, definitiv nein. Ihre Augen waren bereits weiter gewandert. Zwischenfrage: Aber der Getötete erkannte sie? Wiederum nein. Er reagierte, auf das was nun geschah. Die andere muss sie erkannt haben.
Die Jahre als Chefin hatten in Inge bestimmte Verhaltensmuster eingebrannt. Etwas geschah, irgendein Missgeschick, sofort suchten Inges Augen nach einem Lohnsklaven zum Beseitigen. Ihr Blick fand die Helferin. Die ganz offensichtlich völlig uninteressierte Helferin. "Sie da", zischte Inge durchdringend. "Hierher", setzte sie befehlend hinzu. Garys Nerven waren überreizt. Reichlich sogar. Er hörte Inges befehlendes Zischen. Rasch ruckte sein Kopf zum Ziel dieses Zischens herum. Sie war eine Schönheit wie alle anderen auch, Kleidung stimmte ebenfalls. Sein Instinkt warnte ihn dennoch. Die Hand der Killerin verschwand in dem Eimer in ihrer Linken. Um einen Putzlappen hervor zu holen, denn gleichzeitig machte sie einen Schritt in seine Richtung. So hätte es jedenfalls sein können. War es aber nicht. Statt Lappen kam die Hand mit einer Pistole wieder zum Vorschein.
Aus dem offiziellen Polizeibericht: Die bewaffnete schießt zuerst auf den Mann, zweimal. Dieser schleudert das Messer, trifft die mutmaßliche Mörderin. Ein dritter Schuss löst sich, trifft die Inhaberin in den Kopf.
Aus der "verlorenen" Aussage: Sie hat zuerst auf Inge, also ich meine, die Frau Dubois geschossen. Dann auf den Typen, ich weiß nicht wie er heißt. Kam nicht so oft, gehörte nicht zu den wirklich guten Kunden. Zwischenfrage: Nicht zuerst auf den Mann? Nein. Nein, auf Frau Dubois. Dann auf ihn. Praktisch ohne hinzusehen (Anmerkung des Protokollanten: Hier ist die Stimme der Zeugin sehr leise, fast nicht mehr zu verstehen). Ich glaube, bin mir absolut sicher, sie wollte weder sie noch ihn erschießen. Ich meine, sie ..., die hat ..., hat die Morde praktisch ..., ja, praktisch nebenbei begangen. Ihr Kopf ist immer wieder nach rechts geruckt. Allerdings, dieser Messerwurf, das war auch schon was. Alle Achtung, der Typ hatte das drauf.
Erster Schuss. Ein kleines, harmlos aussehendes Loch entstand genau zwischen Inges Augen. Sie war schon tot bevor sie auf dem Boden aufschlug. Einen Wimpernschlag später verließ das Messer Garys Hand. Zweiter Schuss. Eindringen des Messers in die linke Brusthälfte und dritter Schuss zeitgleich. Das Messer durchbohrte das Herz der Killerin, ein weiterer Schuss war nicht mehr möglich. In Brust und Bauch tödlich getroffen brach Gary zusammen. Die Killerin fiel in einen der Beistelltische. Tee- und Kaffeetassen wirbelten durch die Luft, Shampooflaschen fielen um, vermischten sich mit dem aus der Brustwunde strömende Blut zu einem grotesken Farbenspiel auf dem Boden.
Aus dem offiziellen Polizeibericht: Bei dem männlichen Toten handelt es sich um Gary Balt, einem international gesuchten Dieb. Die weibliche Tote ist Inge Dubois, Ehefrau des Friseursalon Besitzers Henry Dubois, in dessen Salon die Morde stattgefunden haben. Frau Inge Dubois ist zweifelsfrei rein zufällig Opfer der Schiesserei geworden. Ziel war Gary Balt.
Aus der "verlorenen" Aussage: Weder sie noch er waren Ziel der Frau. Also, ich meine, wegen denen beiden war sie nicht gekommen, die Mörderin. Ganz bestimmt. Zwischenfrage: Woraus schließen sie das? Das hab ich doch bereits gesagt, sie hat sie sozusagen nebenbei erschossen. Zwischenfrage: Und wer war dann ihrer Meinung nach das Ziel? Das weiß ich nicht. Aber sie haben doch sicherlich alle befragt. Wer saß denn rechts von dem armen Mann?
Die Presse macht aus Gary den Dieb des Jahres. Dass er einer war hatte die Polizei auf einer der Pressekonferenzen eingeräumt. Sie ließen es sich so wunderbar widerstrebend aus der Nase ziehen, Schauspielkunst gibt es halt nicht nur im Kino oder auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ein international gesuchter, wohlgemerkt. Wobei man ein winziges, natürlich äußerst unbedeutendes Detail still und leise unter den Tisch fallen ließ. Gary Balt war nie als der eine Beschuldigte jener Vielzahl von Einbrüchen gesucht worden, als den man ihn später erscheinen ließ. Vielmehr fand die Polizei bei der Durchsuchung seiner Wohnung reichlich Hinweise die ihn als den Schuldigen jener Diebstähle in fünfzehn Europäischen Staaten entlarvte. Ohne seinen Tod im Friseursalon wäre man ihm wohl nie auf die Spur gekommen. Bis das Fehlen jener kopierten Juwelen auffiel sollten noch fast drei Jahre vergehen. Wobei sie dann zwar Gegenstand einer polizeilichen Untersuchung wurden, allerdings bezichtigten sich die Eheleute gegenseitig des Diebstahls. Ja, Scheidungen sind eine schmutzige Angelegenheit. Am Tag nach dem "Tod im Palast der Haare" wie eine der zahlreichen Schlagzeile der Boulevardpresse lautete, wurde am anderen Ende der Stadt die grauenvoll verstümmelte Leiche eines polizeilich bestens bekannten Hehlers gefunden. Zwischen den beiden Verbrechen wurde nie eine Verbindung hergestellt. Henry Dubois hätte das tun können. Wobei, von der Existenz und dem Trieben des Hehlers wusste er nichts. Die Morde hatten allerdings eine Fortführung der so überaus erfolgreichen Geldmaschine Highest Class Friseur Salon unmöglich gemacht. Die Kundschaft reagierte sehr nervös auf herum fliegende Messer und Kugeln. Keine gute Werbung diese Schlagzeilen. Mit einer bewegenden Schließungszeremonie hatte Henry Abschied genommen. Und sich mit einem sehr feinen finanziellen Polster in warme, von blauen Wellen umspülte Gefilde zurückgezogen. Dort ließ er sich von einem kleinen Rudel Nadine Verschnitte verwöhnen und deren männlichen Pendants beglücken als ihn ein Brief eines Anwalts erreichte. Er sei Inges Anwalt gewesen, erfuhr Henry zu seinem nicht geringen Erstaunen. Die Erkenntnis, seine verblichene Frau habe Geheimnisse vor ihm gehabt traf ihn schwer. Nicht weit von dieser Information entfernt stand eine weitere geschrieben, die den Schmerz über diese unerwartete Neuigkeit wieder in sehr erträgliche Regionen brachte. Die ihm zustehende Summe war von solchem Umfang, sie garantierte stets neue Nadines plus Gegenstücke bis ans Lebensende. Henry war die Herkunft des Geldes gelinde gesagt scheißegal. Ebenso wie sein ermordete Frau im Grunde nie mehr als ein lebendiges Schmuckstück gewesen war. Für die Polizei wäre das Geld jedoch selbstverständlich ein Anlass für intensive Nachforschungen gewesen. Zumal, eines stand fest, weder Gary noch all die anderen Gäste in Inges Bett hatten dafür Geld hinterlassen. Woher also kam dieses Geld? Wie gesagt, vielleicht hätte ja jemand eine Verbindung zu dem Hehler herstellen können, vielleicht wäre man dann auch über jenen Mann im Auto vor dem Salon gestolpert, der an jenem Abend von Inges Ableben den Schalldämpfer von der unbenutzten Waffe schraubte. Dem Mörder des Hehlers. Beauftragt von einem jener Berufsarschlöcher die es als absolut tödliche Beleidigung ansehen, wenn der leicht abgewandelte Grundsatz ihrer eigenen Handlungsweise "Was du nicht willst, das man dir tut, das füge jedem anderen zu", auch in Bezug auf sie angewendet wird. Ficke keinen Ficker. Doch wie so viele hatte auch Inge den Hals nicht voll bekommen können. Ja, vielleicht wäre die Polizei auf all das gekommen. Kam sie jedoch nicht. Die Frage nach dem Warum ließ sich äußerst einfach beantworten. Der Salon war so voll gestopft gewesen mit Leuten die, wenn auch aus durchaus unterschiedlichen Gründen, keine bis überhaupt keine Lust verspürten, sich mit der Polizei zu unterhalten, da musste auch ein Oberstaatsanwalt, zumal wenn er auch anderen, politischen Ergeiz hegte, äußerst behutsam vorgehen. Da endete eine intensive Nachforschung schon mal am Stuhl rechts des männlichen Opfers, wie Gary in den Polizei Berichten so häufig genannt wurde. Die Richtung also, in welche die Killerin immer versuchte ihre Aufmerksamkeit zu lenken, wie es in der "verlorenen" Aussage nachzulesen stand. Rechts von Gary hatte eine ganz besondere Person gesessen. Erstklassige Kundin für Henry. Großer langer Bon, mindestens zweimal die Woche. Die Dame hieß Veronique Farlal, ein Name der ebenso falsch war wie ihre Haarfarbe, zum Zeitpunkt der Morde rot, oder ihre Wimpern, Fingernägel und so weiter und so fort. Veronique Falal, ihr wahrer Name tut nichts zur Sache, war im ältesten Gewerbe der Welt tätig. Auf dem Niveau Tausend pro Nacht aufwärts. Ihre Kundenliste las sich wie das Who is Who der Honoratioren der Stadt. Der ermittelnde Oberstaatsanwalt war sich sicher, noch nie seiner Karriere war ein solch immenser Druck auf ihn und die Polizei ausgeübt worden. Aus allen Richtungen, normaler Weise gab es ja wenigstens zwei Lager, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machten. Hier nicht. Hier saßen sie nicht nur alle in einem Boot, sie ruderten auch in dieselbe Richtung. Mit gewaltigem Zug auf den Riemen. Dennoch hätte noch etwas aus den Ermittlungen werden können, doch irgendwann war so dermaßen viel Honig auf den Stock geschmiert, der Oberstaatsanwalt kapitulierte an ihm festklebend. Seine Karriere machte anschließend einen gewaltigen Satz nach oben. Alles hat halt seinen Preis. Die Dunstwolke, entstanden aus den Vertuschungen um die Farlal hüllte alles ein, legte sich wie eine schmierige, klebrige Decke über alle weiteren Ermittlungen. Welche an ihr festklebten, einfach nicht mehr voran gehen wollten. So kam der Kunde neben Veronique Farlal unbemerkt aus der Sache raus. Viel Aufwand hätte es nicht bedurft festzustellen, sein angegebener Name war falsch. Doch wie gesagt, die Nebelschwaden waren zu dicht. So konnte er entkommen, dieses Mitglied einer konkurrierenden Bande der hiesigen Drogenmafia. Auf dessen Veranlassung hin drei Wochen später ein niedlicher kleiner Verteilungskrieg der Banden ausbrach, neun Tote inklusive. Ihm hatte der Anschlag gegolten, was nie an die Öffentlichkeit kam. Ihn hatte sie gesucht, die Killerin. Und gefunden. Nur Gary war dazwischen gekommen. Beinahe wäre doch noch etwas aus der Untersuchung geworden. Da war jemand in dem Salon gewesen, der wollte in die Presse. Lechzte geradezu danach, gehörte in den Tagen danach zu den am meisten zitierten Menschen. Wer sollte das schon sein? Sophie LaGalpur natürlich. Endlich interessierte sich wieder jemand für sie. Nur indirekt, aber immerhin. Jedes Interview war als atme sie reinen Sauerstoff ein, machte sie zehn Jahre jünger, na ja, decken wir lieber den Mantel des Schweigens darüber, bei welcher Zahl von Jahren man dann gelandet wäre. Die Boulevard Blätter gruben alte Fotos von ihr aus, solche mit wenig bis gar nichts an. Einmal vom Anfang ihrer Karriere, auf Fotos, also wenn sie den Mund hielt, war das ein Genuss. Dann gab es noch welche aus der Zeit wo sie ihre verlöschende Popularität noch einmal mit derartigen Aufnahmen in Gang zu bringen versuchte. Hier konnte man zumindest bewundern welch beeindruckende Wirkung Weichzeichner haben konnte, ebenso galt es den Männern und Frauen Retuscheuren höchste Anerkennung zu zollen. Über den Rest galt es trotz all dieser unbestreitbaren Handwerkskunst den Mantel des Vergessens zu breiten. Nun, auch diese Phase ging vorbei. Sehr schnell, wenn man ehrlich war. Sophie LaGalpur selber war kaum noch eine Schlagzeile wert, während der Schüsse hatte sie sich so reichlich am Entferntesten Ort von den Morden aufgehalten. Sie glimmte noch einmal kurz auf, keine zwei Wochen später war der Spuk vorbei. Womit es endgültig Zeit war, den Fall mit Gary Balt als Ziel eines Anschlages zu beerdigen. Natürlich gab es da auch andere Berichte, in Nachrichtenmagazinen, da, wo die Buchstaben nicht so groß geschrieben waren. Hier wurde getextet "Dieb" und dann ein Fragezeichen dran gehangen, an "international gesuchter Meisterdieb" fügte man gleich zwei dieser Satzzeichen an. Ja, hier wurde schon mal hinterfragt. Hier kam die Theorie vom "Rachemord der Russenmafia", welche sich auf die völlig aus der Luft gegriffene Beschreibung der Mörderin als Frau "mit slawischen Zügen" stützte, kritisch auf den Prüfstand. Woher diese Beschreibung der Mörderin kam wusste später keiner mehr zu sagen, irgendeine der Boulevardzeitungen gebar sie. In diesen Artikeln wurde sie hinterfragt. Aber, ey Leute, das waren Berichte die gingen über mehrer Seiten, nicht nur drei Spalten. Normaldruck, nicht Fett, ohne Untersteichungen an den wichtigen Passagen. Einer sogar über acht DIN A4 Seiten. Voll beschrieben. Ok, so zwischen eineinhalb und zwei konnte man für Fotos, 'ne Zeichnung vom Tatort und solche Sachen abziehen. Dennoch, so viel Text, durchgehend geschrieben, las man das alles, da konnte man glatt 'ne Folge "Verbotene Hiebe" oder ähnlich wichtiges verpassen. Kein guter Tausch. Dann doch lieber Gary Balt, der Meisterdieb. Gary Balt, von dessen Existenz keine Polizeidienststelle der Welt wusste. Bevor man seine Wohnung durchsuchte hatte niemand je eine Verbindung zwischen all den Diebstählen herstellen können. Nichts wäre ihm geschehen, er war halt nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte falsch reagiert. Anderenfalls hätte der Nebel von Veronique Farlal wohl ihn umhüllt und geschützt. Tja, schlicht Pech. Na immerhin war er perfekt frisiert abgetreten. Ob es dafür wohl einen Bonus beim Sensemann und dem Teufel gab? Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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