Unser Buchtipp
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bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Schönheit© Mara TrevekIch atme tief durch, ehe ich die Tür zu ihrem Zimmer aufstoße. "Guten Tag, Mutti!", rufe ich und bemühe mich, meiner Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. Aber ich bin nicht fröhlich. Jedes Mal, wenn ich sie im Altenheim besuche, habe ich das Gefühl, sie ist wieder ein bisschen weniger geworden. Im Raum hängt der Geruch des Alters. Ich sehe sie nicht. Der Rollstuhl steht neben dem Pflegebett, also hat sie den Rollator genommen. Im Bad höre ich ein Geräusch. Sie steht gebeugt vor dem Waschbecken, ihr Rücken ganz krumm. Wie klein sie geworden ist. So schmal. "Zerbrochen", denke ich unwillkürlich. Ich lächele ihr im Spiegel zu. Aus dem Spiegel sieht mich der Tod an. Er hat einen Schädel, aus dem weiße Haare sprießen, und trübe, violett geränderte Augen. Die Zähne sind viel zu groß. "Guten Tag, Kind." Muttis Stimme höre ich aus dem zittrigen Krächzen immer noch heraus. Wie von Ferne weht sie vertraut zu mir herüber. Mit einer Hand krallt sich Mutti am Waschbecken fest. In der anderen hält sie eine Bürste. Eine sehr weiche, weil ihr Haar so dünn und fein ist. Mit fahrigen Bewegungen kämmt sie sich und merkt gar nicht, dass sie immer über dieselbe Stelle fährt. "Lass mich das machen, Mutti." Ich hole den Rollstuhl, helfe ihr, sich hineinzusetzen, und bürste vorsichtig das Haar. Dabei kann ich überall die rosa Kopfhaut sehen. "Danke", sagt sie. "Gib mir bitte mal das Haarspray." Sie sprüht sich ein, ausgiebig, rechts und links, aber nicht hinten und auch nicht oben. Dann stellt sie die Sprayflasche ab, senkt den Kopf und presst ihre Hände auf die Ohren, als hätte sie Schmerzen. "Was ist?", frage ich erschrocken. Ohne Eile nimmt sie die Hände fort und richtet sich ein wenig auf. "Ich drücke die Haare fest, damit sie ordentlich bleiben", erklärt sie. Dann schaut sie mich an. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Jetzt bin ich wieder schön", sagt sie. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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