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Wer schön sein will ...© Sandra HolzmayrDer Wecker klingelte und weckte mich in einen neuen Tag. Ich fühlte mich etwas zerknautscht und auch geplättet. Aber mit ein paar Handgriffen, so wusste ich, war dies schnell wieder zu beheben. Ein Bürstenstrich hier, ein Bürstenstrich dort und ich war so gut wie neu. Ich stellte fest, ich war ein schöner Schopf auf diesem Kopf, welcher gerade in den Spiegel blickte. Ich glänzte, sah gesund und kräftig aus, strotzte vor Vitalität, war nicht spröde und nicht brüchig. Mein dunkles Mahagonibraun ließ mich in perfektem Glanz erscheinen, als würde ich ein Hauch von Schokolade sein. Mit einer fließenden Bewegung glitt ich von rechts nach links, als mein Besitzer den Kopf bewegte. Ein letztes Mal in den Spiegel geblickt, bevor er mit mir das Haus verließ. In freudiger Erwartung war ich, wo er mich heute hinführte - ausführte. Einen Spaziergang im Freien fände ich persönlich ganz besonders schön und angenehm. Mein Wunsch sollte Erfüllung finden. Zarte Sonnenstrahlen, die der Herbst mir schickte, fing ich erfreut und dankbar auf. Sie kitzelten und streichelten mich mit einer milden Wärme. Ein zarter Windhauch, glitt in das Gefilde und verlieh mir schöne Gefühle. Die milde Brise hielt mich in Bewegung, brachte mich zum Flattern und zum Schaukeln. Frei und leicht fühlte es sich an, als der Wind in mich fuhr und mit mir spielte. Ein wenig unordentlich und zerzaust ließ er mich zurück. Aber so eitel war ich nicht, als dass ich die Schönheit des Windes, sein Spiel mit mir, nicht zu schätzen gewusst hätte. Mein Besitzer jedoch fuhr schnell durch mich hindurch, um die Unordnung in mir zu richten. Jene Strähnen, die vom Wind zerzaust waren, wurden schnell wieder an den rechten Platz gerückt, den mein Besitzer wohl meinte bestimmen zu müssen. In Wahrheit jedoch, hatte ich das Sagen, jedenfalls soweit es mich betraf, wie er anhand der einen oder anderen, ihm missfallenden, widerspenstigen Haarsträhne schon erfahren hatte - erfahren musste. Ich bin mehr "Ich", als mein Besitzer denkt. Bin mehr der "Boss", als er es meint. Wir hatten schon so manche Meinungsverschiedenheit ausgetragen und doch würde ich mich nie beklagen wollen. Bin mir durchaus bewusst, welch Glück, das ich mit meinem Besitzer habe. Bin auf meinen Wegen schon vielen anderen Schöpfen begegnet. Habe deren Hilfeschreie erlebt, gehört und auch gesehen. Habe sie jammern, wimmern, schluchzen, schimpfen und auch weinen gehört. Jene hatten schlimme Schicksale erlebt, die mir, meinem Besitzer sei Dank, nie widerfahren waren. Glätteisen, Haartrockner und Lockenstab, hatten so manchen Schopf gebrannt, gebranntmarkt und verbrannt. Auch von rücksichtslosem Rupfen, Zupfen, Ziehen und Zerren habe ich schon gehört. Hatte jenen viel Schmerz und Qual beschert. Anstatt verwöhnt, gepflegt, gehegt, geknetet und massiert, geachtet und geliebt, so wie sie waren, wurden sie mit Dauerwellen und Lockenwicklern in eine Form gezwungen. In eine Form, die nicht sie selbst, nicht mehr ihrem "Ich" entsprochen hatte. Mit Gel und Haarspray der Freiheit beraubt, zu Regungslosigkeit und Bewegungslosigkeit bestimmt. Der Eine oder Andere Schopf, wäre daran fast erstickt. Mit dem Griff zu Farbe, Bleichmittel und Extension, wurden sie sich selbst fremd gemacht. Jene Prozedur den Besitzern von Nöten erscheint, denn grau werden ist nicht erlaubt. Die Top-Frisur vom Top-Friseur wohl ganz besonders angesagt. Waschen, schneiden, legen heißt es dann. Mit Kamm und Schere wird hantiert und anschließend dann viel kassiert. Üppigkeit, Beständigkeit, Robustheit, Widerstandsfähigkeit, Strapazierfähigkeit und Fülle wird von uns gewünscht. Mit Shampoo, Haarspülung und Haarkur sollen jene Wünsche in Erfüllung gehen. Egal wie uns das brennt, egal ob uns das juckt. Mit Haarwasser, Haarwuchsmittel und Tabletten, will man uns zum Wachsen oder Bleiben bringen beziehungsweise zwingen. Styling und Design der Schöpfe, scheint ein großes Muss zu sein. Das äußere Erscheinungsbild den Besitzern wohl sehr wichtig. Wohl wichtiger als unser Wohl. Ob ihre Schöpfe dadurch gequält, massakriert oder fast skalpiert werden, scheint ihnen gleich zu sein. Dass wir stumm sind, muss nicht heißen, dass wir nicht leiden. Dass wir nicht aufbegehren, muss nicht unser Einverständnis sein. Der Spruch "Wer schön sein will, muss leiden" wurde bestimmt nicht von einem Schopf erfunden. Ein erneuter Windhauch fuhr durch mich hindurch und holte mich aus meinen Gedanken. Bin froh und dankbar, dass ich so sein kann, wie ich bin, dachte ich für mich, bevor ich mich wieder den schönen Dingen zuwandte. Schönheit ist eben nicht alles. Schönheitswahn ist nichts. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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