Haarige Geschichten
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Traumberuf Friseurin

© Meike Blunk

Es gibt im Leben eines jeden Menschen mindesten drei kritische Phasen. Und in den Zeiten dazwischen sollte es genügend kritische Selbstbetrachtungen geben, damit wir Menschen mit uns und unserer Umwelt im Fluss bleiben.

Ich glaube aber, dass die wenigsten Erwachsenen sich das wirklich trauen. Die meisten von ihnen verbringen viel Zeit und Energie damit, am Gewohnten festzuhalten, was sie selbst angeht, aber auch ihre Umgebung.

Ich maße mir dieses Urteil an, weil ich aufgrund meines Berufes ständig mit Menschen und ihrer Vorliebe, Gewohnheiten zu pflegen, zu tun habe.

Ich bin zwar nur Friseurin. Doch gerade wir Haarstylisten bekommen ja so viel von unseren Kunden mit. Es wird uns ja ständig Intimes wie weniger Intimes erzählt. Veränderungen beginnen im und oft auch am Kopf.

Meistens kriege ich jedoch am Anfang einer Sitzung eines neuen Kunden den Satz: "So wie immer Marita", zu hören.

Das macht mich nachdenklich und ich finde es schade, da doch gerade die Haare so viele Ausdrucks- wie Veränderungsmöglichkeiten bieten.

Natürlich verstehe ich auch den Wunsch nach Beständigkeit und Gewohnheit. Aber es ist auch vergeudete Zeit.

Viele Menschen, die mich nicht als Kunde kennenlernen, schreckt mein Beruf ab, weil sie ihn als anspruchslos und irgendwie unterwürfig empfinden.

Doch ich stehe voll und ganz hinter meinem Beruf. Ich liebe ihn sogar und verbinde mit ihm auch einen großen Anspruch und Hingabe. Nicht Unterwürfigkeit.

Ich glaube, es ist meine Berufung, Friseurin zu sein.

Klar, ich hätte auch Erzieherin oder Malerin werden können. Kinder mag ich einfach unheimlich gern und malen kann ich auch recht gut.

Bei der Berufsberatung hatte ich auch viele Empathiepunkte für den Erzieherberuf.

Doch meine Schwäche sind nun einmal die Haare. Ich liebe manche Menschen einfach wegen ihrer Haare.

Wenn ich eine Personenbeschreibung machen soll, was zwar selten genug vorkommt - doch dies spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle - dann fange ich bei den Haaren an und höre bei den Haaren auf. -

Ich erlebe Menschen sozusagen durch ihre Haare. Ich nehme sie über ihre Haare wahr.

Auch fasse ich Haare unheimlich gerne an: Dicke, dünne, glatte, krause, schön locker und luftig gewaschene, selbst fettige Haare. Kurze oder lange Haare! Es ist für mich ein großes Vergnügen.

Ich denk und empfinde über Haare. Das war bei mir schon immer so. Schon als kleines Kind empfand ich Nähe zu meinen Eltern am stärksten, wenn ich die Haare von ihnen anfassen durfte; sprich, wenn ich von ihnen umgeben war und mit ihnen spielen durfte, ihren Duft und ihre individuelle Beschaffenheit inhalieren durfte, dann fühlte ich mich geborgen und froh.

Als ich älter wurde, mochten meine Eltern es nicht mehr so gerne, wenn ich mit ihren Haaren spielen wollte. So bekam ich mehrere Puppen mit langen Haaren geschenkt. Doch Puppenhaar ist Kunsthaar und von daher fast nicht zu gebrauchen. Zum Glück bin ich mit viel und gut wachsendem Haar ausgestattet worden. Ich konnte mich stundenlang als Kind mit ihnen beschäftigen, ohne dass mir langweilig wurde.

Heute habe ich die Haare meiner Kunden, die mir für relativ kurze Zeit anvertraut werden.

So gesehen habe ich schon meinen Traumberuf, da ich täglich von morgens bis abends von Haaren umgeben bin. Ich bekomme das Gefühl von Zufriedenheit und Selbstverwirklichung, obwohl ich weiß, dass dieser Beruf wenig Anerkennung bzw. Achtung erfährt. Das ist sehr schade. Denn ich finde, dass ich meinen Kunden viel Nähe geben kann. Ich kann sie durch meine Arbeit an ihnen selbstzufriedener machen, wenn nicht sogar glücklich. Die Haare bzw. der Haarschnitt spielt da schon eine große Rolle. Frauen empfinden jedenfalls ihren Haarschnitt als existentielle Herausforderung. So entscheide ich mit über Glück bzw. Unglück meiner Kundinnen. Männer sind da eher anspruchsloser. Sie sind zufrieden, wenn ich sie anfasse, ihnen eine schöne Massage beim Haare waschen verabreiche oder ihnen sage, dass sie einen schönen Haarwuchs hätten. Das macht sie manchmal regelrecht an und sie fühlen sich wieder einmal mehr in ihrem Ego bestätigt. Männer sind, was Schnitt und Form ihrer Haare angeht, manchmal eher willenlos.

Sie haben wenig eigene Vorstellungen und in gewisser Weise sind sie manipulierbarer als Frauen.

Ich empfinde es auch als meine Aufgabe, meine Kunden so zu beraten, dass sie den Mut entwickeln könnten, vom Gewohnten abzulassen bzw. ihren Typ zu entdecken oder ihm zumindest näher zu kommen

Haare sind doch der beste Beweis, dass wir Menschen uns ständig verändern oder wenigstens im Prozess des Wachstums sind: Augen, Nase, Mund und so weiter, bleiben ab einem gewissen Alter konstant, hingegen die Haare jeden Tag den Versuch unternehmen zu wachsen.

Habe ich schon gesagt, dass ich Haare im Allgemeinen liebe? Kann man im Allgemeinen lieben? Ich glaube schon.

Apropos Liebe: Meine Mum sagt öfter, dass ich weniger die Haare meiner Kunden liebe solle, dafür mich aber mal lieber wieder richtig in einen Mann verlieben solle.

Leichter gesagt, als getan. Wenn ich an meine beiden letzten Freunde denke! Also, der Sven, mein vorletzter Freund, der war sechs Jahre älter als ich. 28 Jahre war der. Ich fühle mich irgendwie immer zu älteren hingezogen. Obwohl sechs Jahre ja gar nicht viel sind. Egal!

Also, der Sven, der hatte dann ganz plötzlich genetisch bedingten Haarausfall.

Was soll ich da groß zu sagen: Wir hatten ein Problem. Das hört sich jetzt sehr oberflächlich oder so an. Aber es ging nicht mehr. Ich fand ihn, aufgrund seiner wirklich unvorteilhaften Kopfform, nicht mehr erotisch genug. Und mein letzter Freund Martin, der war, was sein Äußeres angeht, alles andere als willenlos. Er war so eitel und hatte ein zu vorgeformtes Bild von sich und seinem Haarschnitt, da hatte ich überhaupt kein Mitspracherecht. Das muss man sich mal vorstellen, wie das für mich war. Er weigerte sich, seine Friseurin aufzugeben, weil er zu der schon seit seiner Kindheit hinging. Diese Person hatte aber überhaupt nicht erkannt, was mein damaliger Freund eigentlich für einen Typ ist. Sie hat viel zu viel hinter den Ohren weggenommen. Dabei hat er so schönes Haar, welches auch unheimlich schön fällt, mit leichter Naturwelle. Die kam aber durch diesen bekloppten Haarschnitt überhaupt nicht zur Geltung.

Das zu meinen verflossenen Freunden.

Komischerweise bin ich ganz zufrieden und glücklich ohne Freund. Klar, manchmal stelle ich mir vor, wenn ich einen Mann mit wunderschönen Haaren sehe, der mir auch sonst ganz passabel erscheint, wie es wohl wäre, mit ihm zusammen zu sein. Gerade vorgestern war mein Spezialtyp bei mir und ich hatte das Vergnügen, ihm die Haare schneiden zu dürfen. Es war wirklich traumhaft. Er hat wunderschön kräftige Haare von einem wunderbaren dunkelbraunen Farbton. Ich kämmte ihn und griff in seine Haare und mir wurde schon etwas anders. Ich glaube, ich bin in seine Haare verliebt und wenn ich wollte, könnte ich mich ratzfatz in ihn verlieben. Ich glaube ihn auch schon ganz genau zu kennen, weil ich sein Haar so wunderbar gut frisieren kann und mir sein Haar so vertraut ist. Durch seine Haare, glaube ich ihn - ich mag es kaum sagen - auch in seinen sexuellen Wünschen und Vorlieben erahnen zu können.

Jedenfalls habe ich mir bei ihm die letzten Male schon besondere Mühe gegeben. Es war aber auch verführerisch schön, ihn die Haare samt Kopfhaut massieren zu dürfen.

Das sind für mich Momente, in denen ich mich wie in einer Meditation fühle.

Ich sage ja, dass ich schon einen Traumberuf habe.

Und das mit der Liebe wird schon ganz von alleine kommen, denke ich mir.

Er wird schon wieder kommen und sich von mir verwöhnen lassen wollen. Schauen wir mal.

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Ein haariges Lesevergnügen


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