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Engelsmähne© Renate MüllerRobert drückte auf den Halteknopf für den Aufzug. Heute stand er alleine vor der Tür, da er sein Büro bereits eine Stunde vor Schluss verlassen hatte. Gewöhnlich drängten sich hier nach Büroschluss im Korridor eine ganze Schlange von Büroangestellten, um vom fünften Stockwerk hinunter zum Ausgang im Erdgeschoss zu fahren. Robert schaute ungeduldig auf die blinkenden Zahlen oberhalb der Türe, neun, acht, sieben, sechs, fünf, endlich, die Türe öffnete sich, er stieg ein. Wieder war er alleine. Mit seinen Gedanken bereits am Flughafen, wo er einen Geschäftspartner abholen wollte, drückte er den Halteknopf E. Der Aufzug fuhr los. Wieder schaute er nach oben und beobachtete die blinkenden Zahlen, vier, drei, zwei. Der Aufzug stoppte. Robert ärgerte sich über diese Unterbrechung und schaute ungeduldig auf die sich öffnende Türe. Plötzlich stand ihm eine junge Frau gegenüber, oder war das nicht ein Engel? Eine füllige blonde Lockenpracht umrahmte ein junges, zartes Gesicht. Robert wollte nicht aufdringlich sein, aber er konnte seinen Blick einfach nicht von diesen geradezu golden leuchtenden Haaren abwenden. Dieses Blond, diese Locken, wo hatte er so eine herrliche Mähne schon einmal gesehen? Plötzlich fühlte er sich wie in einem Nebel, Bilder aus Kindertagen mit Engeln auf Wolken traten in seine Vorstellungskraft. Die Frau lächelte ihn an. Offensichtlich war sie es gewohnt angestarrt zu werden und sie genoss es. Robert räusperte sich, wollte etwas sagen, aber er fühlte nur wie sein Mund sich öffnete und kein Laut herauskam. Kurz ging sein Blick nach oben, aber anstelle der Stockwerkzahlen erkannte er nur eine Reihe von Sternen am Armaturenbrett. Er fasste sich an die Stirn, fühlte, dass der Aufzug kurz gehalten hatte, aber dann sich wieder bewegte. Robert schien es, als schwebe er nach oben. Plötzlich fühlte er eine Berührung auf seiner linken Hand. Er schaute nach unten und sah eine große Haarlocke, mit der die Frau durch das Bewegen ihres Kopfes ihn berührt hatte. Robert zuckte zusammen. Die Berührung hatte eine Welle von Energie von seinem obersten Halswirbel und hinunter entlang seinem Rückgrat bis zu seinem Steißbein verursacht. Nun fühlte er sich ganz leicht und beschwingt. Die Frau drehte ihren Kopf wieder zur Seite und Robert schaute sehnsüchtig auf ihre blonde Engelsmähne. Am liebsten hätte er diese Haare angefasst, nur ein wenig eine berührt, aber er getraute sich nicht. Dann ein Ruck, die Tür ging auf, Robert streckte die Hand aus, wollte gerade an den blonden Locken ziehen, aber er war wohl zu langsam. Die Tür schloss sich wieder, der Aufzug fuhr weiter. Robert versuchte, sich das Stockwerk zu merken, wo die Frau ausgestiegen war, aber wiederum konnte er anstelle von Zahlen nur Sterne auf der Anzeigetafel erkennen. Er glaubte, zu träumen, dann plötzlich wieder ein Ruck, der Aufzug blieb stehen. Robert schaute auf die Anzeigetafel. Ein großes E blinkte groß und rot auf. Robert stieg aus. Seine Knie zitterten, sein Herz jagte. Sollte er das Treppenhaus nehmen und zu Fuß nach dem himmlischen blonden Geschöpf suchen? Seine Gedanken wurden durch das SMS-Signal seines Handys unterbrochen. Er las: "Hallo Robert, warte am Ausgang 2, Terminal B, Harry". Robert umfasste seine Aktentasche, schlug sich auf die Stirne, rieb sich die Nase, verließ das Gebäude, stieg in seinen Pkw und fuhr direkt zum Flughafen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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