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Der Haargott© Anke JacobsIch habe einen kleinen Tick. Italien liebe ich über alles. Das war schon so, als ich noch ein kleines Kind war. Mit acht Jahren bin ich mit meiner Cousine und deren Eltern nach Österreich in Urlaub gefahren. War alles ganz toll, bis mein Onkel meinte: "Heute fahren wir nach Italien." Von der Sekunde an war ich wie elektrisiert. Leider war auf der Brennerautobahn zu viel Stau. Wir mussten umkehren. So enttäuscht war ich noch nie. Mir fiel es schwer meine Tränen zurückzuhalten. Dann einige Jahre später, ich war inzwischen sechzehn, wurde mein Traum endlich wahr. Mit meinem Vater und meiner Schwester befand ich mich auf dem Weg zum Gardasee, wir waren mit einem Reisebus unterwegs. Gerade haben wir die Grenze passiert. Mir entgeht nicht das kleinste Detail, ich frage mich ob hier die Luft anders riecht, die Häuser erinnern mich an Heidi-Filme. Im Bus wird durchgesagt, dass wir in wenigen Minuten eine Raststätte ansteuern, wenn ich nicht sitzen würde, ich glaube ich würde von einem Bein auf das andere hüpfen und womöglich noch dabei singen. Meine Schwester will was von mir. Lass mich in Ruhe, denke ich. Widerwillig beantworte ich Ihre Frage. Da endlich der Bus blinkt, und fährt zur Raststätte. Am liebsten würde ich als Erster aus dem Bus springen, und dann wie der Papst den Boden küssen, wie gesagt, ich habe einen kleinen Tick. Mein erster Atemzug in Italien war so als ob ich die Luft geschmeckt hätte. Ich hörte die Vögel zwitschern, sah das Rasthaus umgeben von grünen saftigen Wiesen und hohen Bergen, die Sonne wärmte mich angenehm, ich sah gar nicht wo ich lang ging, hier entdeckte ich eine Eidechse, dort einen riesigen Käfer. In der Raststätte waren Tische für uns reserviert. Ich setzte mich neben meine Schwester und frühstückte köstliches Südtirolerbrot. Die Weiterfahrt verbrachte ich mit aus dem Busfenster sehen. Nach zwei Stunden kamen wir am Gardasee in Limone an, das Hotel war einfach geil; die Zeit verging wie im Flug. Viel zu schnell war ich wieder zuhause. Doch jetzt war alles zu spät, ich war total mit dem Italienvirus infiziert. Kein Wunder dass mein Mann zufälligerweise Halbitaliener ist. Durch meine Heirat habe ich auf einmal überall in Italien Verwandte, ein Onkel wohnt in Rom, natürlich direkt neben dem Papst, der in Italien Papa heißt. Ein anderer wohnt in Mailand, eine Tante, die nennt man in Italien Zia, wohnt in Vicenca. Oma und Opa wohnen in einem malerisch gelegenem Ort in der Campania, zwischen Rom und Neapel in den Bergen gelegen. Der Ort ist klein und alt. Die Häuser erinnern mich an alte Piratenfilme irgendwie waren dort auch alte dicke Mauern und enge Gassen. Vom ersten Tag an, ich war noch nicht mit meinem Mann verheiratet, fühlte ich mich dazugehörig. Oma, Opa, alle Onkels und Tanten samt Familien waren wie meine Familie. Mein Schwiegervater war leider tot. Meine Schwiegermutter lebt in Deutschland, sie meinte zu mir, lass dir mal in Italien die Haare schneiden. Bei unserem ersten Besuch wollte ich sofort den Frisör aufsuchen. Ich nervte meinen Mann, mich zum Frisör zu begleiten, er wollte nicht. Was blieb mir übrig? Ich ging halt allein zum Frisör, von draußen sieht alles etwas runtergekommen aus; die Türe total alt, nein uralt mindestens zweihundert Jahre. Die Farbe ist abgeblättert, drinnen sieht es auch nicht neuer aus. Ein kleiner Raum, zwei alte Frisörstühle, die mindestens schon einen Krieg miterlebt haben. Aber ansonsten ist der Raum sehr sauber, der große Spiegel glänzt wie nagelneu. Es riecht sehr angenehm nach einem fruchtigen Shampoo und Haarspray. In dem Raum, der eine niedrige gewölbte Decke hat, befinden sich drei Personen, der Geräuschpegel ist für Italienische Verhältnisse normal. Bei uns wäre es entschieden zu laut. Niemand würde in einem deutschen Frisiersalon solch einen Lärm veranstalten. Vor allem nicht eine Omi, eine zwanzigjährige und die ca. dreißigjährige Friseuse. Ich nicke allen freundlich zu und stelle mich in eine Ecke. Ich habe Glück, die hübsche Friseuse spricht deutsch. "Wenn Du magst, kannst Du hier warten, ich brauch noch eine viertel Stunde, dann kann ich Dir helfen", sagte sie. "Gut ich bleibe hier." Etwas mulmig war mir schon. Irgendwie finde ich, gehe ich lieber zum Zahn- oder Frauenarzt als dass ich den Friseur aufsuche. Manche Friseure verschandeln einen, wie oft bin ich mit Tränen in den Augen, die ich kaum bis zu Hause aufhalten konnte aus manch noblem Salon gestolpert, todunglücklich. Verunstaltet für Wochen, am liebsten würde ich mit einer Plastiktüte auf dem Kopf rumlaufen, und dabei bin ich noch nicht mal eitel. Die parruchiera war mit den anderen zwei fertig. Mein Herz begann zu klopfen, in meinem Kopf entstanden Horrorbilder über Horrorbildern, mein Puls raste, der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn. Wie in Trance schlurfte ich zum Frisierstuhl. Für mich war er jetzt schlimmer als ein elektrischer Stuhl. Ich wartete auf meine Hinrichtung. "Wie hättest Du es denn gern?", fragte die nette Friseuse, die Nicoletta hieß. "Ich hätte gerne einen langsamen qualvollen Tod", dachte ich. Stellt den Strom nur auf kleinste Stufe, dann habe ich länger was davon. Gut, ich glaube, das reicht. Ich sagte nicht viel und ließ alles über mich ergehen. Was dabei rauskam konnte sich sehen lassen, ich traute meinen Augen nicht, das konnten doch nicht meine Stangenlocken sein, eine Stimme in mir sagte, die arbeiten hier mit verzauberten Spiegeln, oder meine Augen spielen mir einen Streich. Mein Gesicht war von engelsgleichen Locken umsäumt, mein seidiges Haar glänzte mit dem Spiegel um die Wette. Anstatt wie in Deutschland meine Haare stufig und struppig zu bekommen, hatte diese einfache Friseuse ein wahres Wunder vollbracht. Ich war mehr als zufrieden. Zu meinem Italientick gesellte sich jetzt auch noch das Haarschneidefieber. Nicht, an meine Haut lasse ich nur Wasser und CD. Nein an meine Haare, lasse ich nur Italienische Figaros. Bei meinem letzten Italienbesuch war ich am Gardasee, mir brannte es schon unter den Fingernägeln. Ich musste dringend zum Friseur. Na ja, so schlimm war es auch nicht. Ich war ja erst vor sieben Wochen, in unserem Sommerurlaub am Meer in Italien beim Friseur gewesen. Die Friseuse war voll dass Modepüppchen, aber ihre Frisur war der Knaller, ich teilte Ihr auf meinem minder guten Italienisch mit, dass ich die gleiche Frisur wie sie wollte. Sie erfüllte meinen Wunsch zu meiner vollsten Zufriedenheit. Normal hätte der Schnitt über ein halbes Jahr gehalten, aber wo ich doch nun schon einmal da war. Ich konnte nicht anders. Bei einem Bummel in Garda, überkam mich der Wunsch, zum Friseur zu gehen, wie gesagt, normal wäre es nicht nötig gewesen. Wenn ich einmal beschlossen habe, mir die Haare schneiden zu lassen, dann muss es am besten sofort sein überlegte wie ich meinen Mann am besten los werde. "Schatz hör doch mal, ich würd mir gerne noch mal die Haare schneiden lassen, willst Du dir nicht in der Zwischenzeit ein leckeres Eis essen gehen?" "Ich trink mir lieber ein Gläschen Wein, bis gleich." "Wo treffen wir uns dann?" Bei Luigi am See." "Gut, ich weiß Bescheid, bis gleich ich freue mich" Schnell machte ich mich auf die Suche nach einem Haarkünstler. Da vorne ist ja direkt einer, klasse. Ich lief eine kleine Gasse lang, hier duftete es aus jeder Tür, es war schon Abendbrotzeit, ungefähr sechs Uhr. Wie lange mag der Friseur hier eigentlich geöffnet haben? "Oh nein, der ist nur für Männer", fluchte ich. "Das gibt es doch gar nicht, so ein Mist!" Krampfhaft überlegte ich wo noch ein Salon sein könnte. Ich lief einfach durch den Ort in der Hoffnung fündig zu werden. Bingo, ein kleiner Haarschneidesalon ganz unscheinbar, direkt zu meiner Linken. Das Ladenlokal war winzig nur ein paar Quadratmeter, entweder ist die Einrichtung auf Barock gemacht, oder die Möbel sind aus den Siebziegern. Ich ging auf eine Treppe zu, ein Schild zeigt nach oben, komisch, keine Waschbecken, keine Spiegel, sehr seltsam. Ein junger Mann kam die Treppe runter. "Hallo, Entschuldigung, ich möchte mir die Haare schneiden lassen", sagte ich. Er sah mich belustigt an und zuckte mit den Schultern, "Sprechen Sie deutsch?", fragte ich. Aber er schüttelte nur den Kopf, und zeigte nach oben. Ich nickte Ihm zu und lief die Treppe hoch. Oben war ein kleiner Raum, ein richtiger Friseursalon, aber leider wie aus den vierziger Jahren. Der Opi, der einer nicht minder alten Omi die Locken eindrehte war mindestens achtzig Jahre alt und nach dem neuesten Schrei der siebziger, die ja in Italien schon mindestens ein Comeback hatten, gekleidet. Er sah in meine Richtung und nickte mir zu. "Hallo", sagte ich, "sprechen Sie Deutsch?" "Ja, eine kleine bischen, freulein." "Haben Sie vielleicht eine Haarkur? Meine Haare sind ein bischen trocken." "Ja, uno momento", er wühlte in einer Komode. "Hier." Ich sah mir die komischen Ampullen an, die sind ja mindestens schon ewig abgelaufen, die haben ja noch nicht mal ein Haltbarkeitsdatum, dachte ich. "Ich komme morgen wieder, Tschüs." Der komische Kauz nickte mir zu, und ich lief schnell die Treppe herunter. Draußen war ich heilfroh, dass ich auf die Idee mit der Haarkur gekommen bin, wenn ich mir nur vorstelle, dass dieser alte Mann mir eine Omafrisur verpasst hätte; nein nur bei dem Gedanken bekomme ich schon eine Gänsehaut. Doch was mach ich jetzt, zu meinem Mann gehen oder weitersuchen? Die Zeit wird knapp, wer weiß wie lange noch auf ist! Einen Versuch wage ich noch, wenn ich einen Friseur finde, gut wenn nicht dann habe ich halt Pech gehabt. Nach nur fünf Minuten hab ich dann tatsächlich einen kleinen, modernen Friseursalon gefunden. Die Tür ist noch auf, ein junger Mann und eine junge Frau frisieren jeweils eine Frau und einen Mann. Ich räuspere mich und frage auf Deutsch. "Wie lange haben Sie heute noch auf?" Alle vier schauen sich an und ziehen die Schultern hoch. Scheiße denke ich. "Spricht hier denn keiner ein kleines bisschen Deutsch?" Acht große Augen schauen mich an. O.k.! Ich frage in meinem katastrophalen Italienisch, ob ich heute noch eine Chance auf einen geilen Schnitt hätte. "No Problem", sagt der junge Friseur mit einem Lächeln, "only five minutes." Ich nicke lächelnd. Mein erstes Pferd habe ich gewonnen, cool die nehmen mich noch dran, meine Vorfreude ist schon richtig groß. Mensch der ist ja schon fertig mit dem Typ. Ju hu ich bin schon dran, das hätte ich vor einer halben Stunde noch nicht für möglich gehalten. Im Handumdrehen sitze ich auf dem modernen Friseurstuhl und schaue in den Spiegel. Der Figaro sieht mich an und lächelt. Ich zeige auf ein Poster, das eine schöne junge Frau abbildet, mit voll der Löwenmähne." I want my Hair like this", sage ich. Er nickt und fängt an. Ich beobachte jeden Schnipser der Schere. Mir wird ganz heiß ich glaube der schneidet zu viel ab. Stop denke ich, hör doch, bitte auf, genug abgeschnitten, es reicht, Schluss, doch er schneidet erbarmungslos weiter. Am liebsten würde ich weglaufen, ich spüre schon die Tränen in meinen Augen. Ich probiere ganz ruhig zu bleiben. Haare wachsen doch wieder nach, ich trau mich gar nicht in den Spiegel zu sehen. Ich glaube, der Friseur hat sie nicht mehr alle, der hat ja total nervöses Augenzucken, warum muss ich denn auch jedes Mal zum Haareschneiden gehen wenn ich in Italien bin, selber Schuld. Der Schnitt ist fertig. Ich lehne meinen Kopf zurück, er wäscht mir die Haare. Nur noch föhnen bezahlen und heulen denke ich. Er trocknet meine Haare mit einem Handtuch, und bittet mich meinen Kopf nach unten zu halten. In einer Minute ist er mit dem Föhnen fertig. Ich darf meinen Kopf wieder heben. Ich trau mich gar nicht die Augen aufzumachen, wow das glaube ich ja jetzt nicht. Ich habe eine Löwenmähne wie sie im Buche steht, sieht das toll aus! Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder, haue den Haarkünstler an und sage (bestimmt nicht fehlerfrei) "Tu sei un Dio di Capelli!" was auf Deutsch heißen soll: Du bist ein Haargott! Glücklich verlasse ich den Laden nachdem ich bezahlt und ein großzügiges Trinkgeld gegeben habe. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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