Haarige Geschichten
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Der Überfall

© Rüdiger Thomas

"Herr Meyer, wie haben Sie die heikle Situation am Wassersturz eigentlich zu einem glücklichen Ende gebracht?", wollte Frau Dreier wissen. Beide betätigten sich näm-lich mit einigem Erfolg als Freizeitdetektive, kamen dabei aber auch mal in böse Be-drängnis, wie unlängst beim Fall "Der geistlose Mr. Scrooge", oder zuletzt am Was-serfall.

Hermann Meyer, der Friseurmeister und eifrige Leser von Detektivgeschichten, schnitt Paula Dreier behände die Haare. Frau Dreier wollte mit einer ganz anderen Frisur etwas Neues, eine Typveränderung, wagen.

Ein selbstzufriedenes Lächeln wie der "Dünne Mann" Nick Charles, konnte der Fri-seur sich nicht verkneifen, als er zu erzählen begann.

"Tja, also das war so", fing er selbstzufrieden an, "die drei Mörder vor mir, hinter mir der reißende Fluss, Flucht unmöglich. Und nun kommt's Frau Meyer, halten Sie sich fest. Plötzlich, die …"

Die Tür des Friseurgeschäfts flog auf. "Hände hoch, Überfall. Niemand bewegt sich. Los, los, du da, Kasse öffnen."

Ein Mann, vermummt mit einer Motorradmütze, stürmte ins Friseurgeschäft, bedrohte die Anwesenden mit einer Pistole, und wies eine Mitarbeiterin an, ihm das Geld aus der Ladenkasse zugänglich zu machen. Dabei fuchtelte er nervös mit einem Schieß-eisen umher.

"Wird's bald, hab' nicht ewig Zeit", fauchte er die erschreckte Dame an.

Paula Dreier und Hermann Meier beobachteten im Spiegel das sich hinter ihrem Rü-cken abspielende Geschehen. Kurz nur war Frau Dreier irritiert. Dann erhob sie sich mutig aus dem Friseurstuhl, und wandte sich dem Überfaller zu: "Lassen Sie mich die Kasse öffnen, Sie sehen doch, das Mädchen ist völlig verstört."

In diesem Augenblick erinnerte sie Herrn Meier mit ihrer Tollkühnheit glatt an eine jüngere Miss Marple.

"Sie, Lady, rühren sich nicht vom Fleck", der Mann kam einige Schritte mit der Waffe näher und stand nun direkt hinter Hermann Meier, "sonst verpass' ich ihm eine hier-mit." Jedem war klar, was damit gemeint war.

Er drehte sich wieder zur Angestellten. "Los, Kasse öffnen."

Frau Dreier, die nun zwischen zwei Friseurstühlen stand, hatte eine Idee, deren Chance für eine erfolgreiche Umsetzung sie kurz abwägte. Dann ergriff sie blitz-schnell den gepolsterten Kindersitzaufsatz des anderen Stuhls, und reichte ihn mit einem Kopfnicken flugs an Herrn Meier weiter. Der packte das Ding reaktionsschnell, und zog es mit einer drehenden Bewegung wuchtig über den Kopf des Gangsters. Der sank benommen zusammen, verlor die Waffe aus der Hand und blieb, einem Häufchen Elend gleich, in den "alten Zöpfen" von Frau Dreier am Boden liegen.

"Sind wir ein Team?" schwärmte Herr Meier, "Emma Peel und John Steed sind kaum besser, oder Frau Dreier?"

"Ach Herr Meier", seufzte sie nur.

Dann zog sie flink dem Burschen die Maske vom Gesicht.

Großes Erstaunen bei Herrn Meier.

"Jan, das bist ja du. Was sollte das denn eben?"

"Sie kennen ihn?", wollte Frau Dreier wissen.

"Aber gewiss, das ist Jan Pracht, ein Junge von nebenan. Dem schneide ich schon seit", er dachte kurz nach, "nun seit etwa 17 Jahren die Haare. Also Jan, was war das?"

Jan richtete sich langsam auf, rieb sich den Kopf, klopfte die Haare von seiner Klei-dung, und stammelte aufgeregt: "Herr Meier, ich wusste einfach nicht weiter. Glau-ben Sie mir, wenn ich nicht bis heute Abend € 200,- zahle, schlagen die mich tot. Ich muss unbedingt …"

"Wer sind DIE?", schnitt Frau Dreier ihm misstrauisch das Wort ab.

"Ich, ähm werde bedroht von einer Straßengang. Habe mir mal € 100,- von denen geliehen und konnte sie nicht rechtzeitig zurückzahlen. Vor einigen Tagen erst haben die mich mit einem Messer bedroht. Ich soll nun € 100,- Zinsen berappen. Ehrlich."

Der junge Mann wirkte verzweifelt, das war nicht zu leugnen.

"Das ist ja fürchterlich", äußerte ein entsetzter Herr Meier. "Und die Waffe?"

"Ach, die ist nur Attrappe", verharmloste Jan mit einer abschätzigen Handbewegung.

Frau Dreier bemerkte einen am Boden liegenden Zettel und hob ihn auf.

"Den haben Sie wohl beim Sturz verloren." Gerade als sie ihn Jan zurückgeben woll-te, fiel ihr das Wort "Pfandleihe" darauf auf. Sie las laut: "Die Laufzeit der Pfandleihe endet am 19. Juli. Wird der beliehene Gegenstand bis dahin nicht mit € 200,- einge-löst, kommt er zur Versteigerung."

"Aber heute ist ja der 19. Juli." Pause. Man konnte förmlich den Groschen bei Herrn Meier fallen hören. Dann fragte er zutiefst gekränkt:"Mensch Jan, was ist bloß aus dir geworden?"

Und Frau Meier? Emma Peel gefiel ihr als Assoziation zu sich selbst ganz gut, wollte sie die viel bemühten Vergleiche des Herrn Meier ausnahmsweise mal zulassen. Und ihre neue Frisur, das fiel ihr soeben beim Blick in den Spiegel auf, passte da nahezu perfekt ins Bild. Aber das ließ sie niemanden wissen.

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Ein haariges Lesevergnügen


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