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Die perfekte Frisur© Natalia SchallenbergAls ich Daniel kennenlernte, hatte er dichtes haselnussbraunes Haar, das so gut, so perfekt zu seinen bernsteinfarbenen Augen passte. Ich liebte es, ihm mit meiner Hand über seinen Kopf zu fahren, um sein Haar zu streicheln. Oft liebkoste ich seine kurz geschorenen Haare, während er sein Auto durch den dichten Verkehr manövrierte oder versuchte in einer kleinen Parklücke einzuparken bis er meine Hand ungeduldig wegschob und mürrisch sagte: "Lass das!" Diese Frisur passte gut zu ihm. Er war groß gewachsen, schlank, sportlich durchtrainiert. Seine enge Kleidung betonte seine gute Figur. Sein Gesicht hatte eindeutig weibliche, wenn auch markante Züge. Seine Arme und Beine waren voller kleiner dunkler Haare. Mit seinen 18 Jahren konnte man jedoch kaum einen Bartansatz erkennen. Auch seine Augenbrauen und Wimpern hätten eher die einer jungen Frau sein können, aber seine körperliche Größe, die seine Stärke offenbarte, gab mir immer Sicherheit. Ich glaube, ich verliebte mich zuerst in seinen Körpergeruch. Er roch immer gut nach Sauberkeit, Geborgenheit, Gepflegtheit. Man war ihm gerne nahe. Auch heute noch - zehn Jahre später - passiert es mir oft, dass ich an der Ampel stehe und mir sein Duft in die Nase steigt, ich mich umdrehe und erkennen muss, dass ein Fremder neben mir steht - nicht Daniel. Auch nachdem wir uns getrennt hatten, liebte ich es, seine Haare, Arme und Beine zu streicheln. Sie waren mir mit der Zeit so vertraut geworden. Seine Haare an den Beinen waren lang, so dass ich immer versuchte, einen Knoten in sie hinein zu machen, bis er sich lauthals beschwerte, weil ich ihm dabei immer einige Haare ausriss. Nachdem wir beide unseren Schulabschluss gemacht hatten, sahen wir uns viele Jahre nicht mehr. Doch eines Tages erhielt ich einen Anruf. Ich erkannte Daniels Stimme und freute mich unglaublich darüber, ihn zu hören. Doch er klang gebrochen als er mir erklärte, dass er krank sei, dass er Leukämie hätte. Mein Daniel, so sportlich, voller Lebensfreude und Energie hatte Leukämie. Als ich ihn einige Tage später im Krankenhaus besuchte … ich erkannte ihn kaum wieder. Er war noch dünner, fast schon skelettiert, seine Augen schienen matt. Das Gesicht wirkte irgendwie unvollständig. Erst nach einiger Zeit wurde mir klar, dass er nicht nur seine Kopfhaare durch die Chemotherapie verloren hatte, sondern ihm auch seine Augenbrauen fehlten. Nach einigen Minuten, in denen wir uns stillschweigend betrachtet hatten, fielen wir uns plötzlich weinend in die Arme. Als dies das letzte Mal geschehen war - so viele Jahre war dies nun schon her - hatte er meinen Kopf gehalten, mir Mut zugesprochen und gesagt, dass ich nie aufgeben solle. Heute aber hielt ich ihn in den Armen, so fest als wollte ich ihn nie mehr loslassen. Ich streichelte zärtlich seinen kahlen Kopf, der sich warm anfühlte. Und heute kam kein barsches: "Lass das!" Er ließ es geschehen, versank in meinem Schoss und schien immer kleiner und kleiner zu werden. Von dem einst so dichten braunen Haar war nichts mehr zu sehen. Eine Stunde saßen wir auf einer Bank hinter dem kleinen Krankenhaus und konnten nur weinen. Keiner von uns sprach ein Wort. Doch immer wieder streichelte ich seinen Kopf und küsste ihn. Irgendwann - nur daran konnte ich immer wieder denken - sollten hier wieder Haare wachsen, wunderschöne braune Haare. Als wir nach einer Weile hoch in sein Krankenzimmer gingen, merkte ich wie erschöpft wir beide waren. Daniel ließ sich kraftlos in sein Bett sinken und lächelte mich an. Als ich ihn zudeckten wollte, sah ich, wie seine dünnen Beine unter seiner Hose hervorlugten. Auch hier war kein einziges Haar zu sehen. Die Beine, die ich früher zu streichen liebte, die ersten Männerbeine, die ich wirklich innig berührte, waren haar- und kraftlos geworden. Immer noch hatten wir kein einziges Wort gesprochen. Doch auf einmal lächelte er und sagte: "Deine Haare, du hast immer noch die langen Locken." Ich wurde rot und fasste mir an meinen Kopf. Ich konnte kein Wort sagen, fing an zu weinen und flüchtete mich in seine Arme. Nach einiger Zeit merkte ich, dass Daniel eingeschlafen war. Ich betrachtete ihn und erkannte wie erschöpft und matt sein Gesicht wirkte. Dieses Gesicht - zum ersten Mal gestreichelt, diese Lippen - zum ersten Mal geküsst. Aber nun war alles anders. Ich ging zum Spiegel und betrachtete mein Haar, mein braunes lockiges Haar, das mein Gesicht umrandete und mir einen wilden Ausdruck verlieh. Ich bückte mich und begann Daniels Tasche unter dem Waschbecken zu durchwühlen und fand, was ich brauchte: eine Schere und einen Einwegrasierer. Vorsichtig sah ich mich um. Daniel schlief immer noch, sein blasses Gesicht zuckte leicht. Ich wandte mich wieder meinem Spiegelbild zu, nahm die Schere und begann, mir die Haare abzuschneiden. Ich schnitt sie so kurz ich konnte. Immer wieder sah ich dabei in den Spiegel und mit jedem Mal sah mein Gesicht anders aus, denn mit jedem Schnitt veränderte sich meine Frisur. Als ich die Schere weglegte, fuhr ich mir mit der Hand über mein Haar. Es war ein merkwürdiges Gefühl und sah furchtbar aus. Alles war vollkommen ungleich lang geschnitten, merkwürdig stoppelig. Vorsichtig drehte ich schließlich den Wasserhahn auf. Ein sanfter Wasserstrahl ergoss sich ins Waschbecken. Ich befeuchtete meine Haare, schmierte mir noch etwas Seife auf den Kopf, nahm den Rasierer und begann damit, mir die noch verbleibenden Haare abzurasieren. Nach einigen Zügen merkte ich wie der Rasierer langsam stumpf wurde, so dass ich die Klinge immer wieder mit viel Druck an meinem Kopf entlang schaben musste, um auch wirklich jedes Haar zu erwischen. Nach einer scheinbar endlos langen Zeit war ich fertig. Das ganze Haar war abrasiert, an vielen Stellen an meinem Kopf blutete ich aus kleinen Wunden wegen der stumpfen Klinge. Der Boden, das Waschbecken und mein T-Shirt waren voller Haare. Lautlos fing ich an, ich die Überreste meiner Tat zu entfernen. Als alles sauber war, setzte ich mich in den Sessel neben Daniels Bett, nahm vorsichtig seine Hand und begann leise zu weinen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. Ein haariges Lesevergnügen
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