Haarige Geschichten
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Kein gutes Haar

© Dorothee Vohl

Wenn ich nicht gewusst, dass wir zwei miteinander verwandt waren, hätte ich es ums Verrecken nicht glauben wollen, so verschieden wie wir waren. Ich hätte jeden unumwunden der Lüge bezichtigt, wenn er mir gegenüber behauptet hätte, dass unser Blut aus ein und derselben Sippe stammte.

Bärbel, meine Schwester, war drei Jahre älter als ich. Mein Vater hatte ihr noch verzeihen können, dass sie ein Mädchen geworden war, hatte dies sogar im Laufe der Jahre irgendwie - sie wird ihm schon passend den Kopf verdreht haben - akzeptiert. In meinem Fall sah die Sache völlig anders aus: ich kam niemals bei meinem Vater damit an und durch weiblich zu sein. Ganz im Gegenteil, diesen Fakt, den Vater bei meiner Schwester schließlich als Natur gegeben hingenommen hatte, warf er mir gewissermaßen als meinen Trick vor, den ich benutzte, um mich beliebt zu machen. Immerhin wusste ja alle Welt, dass ich es nicht geschafft hatte, ein Junge zu werden. Es war folglich kein gutes Haar an mir. Ich war immer schon konsequent, deshalb stutzte ich mir meine Mähne auf Millimeterlänge, um nicht weiter aufzufallen. Ganz anders meine Schwester Bärbel.

Eigentlich sind wir beide dunkelhaarig, ich noch etwas dunkler als sie, wobei meine Haut auch von Natur aus einen leichten Ockerstich hat und sie immer schon mit allerlei Cremes und Mittelchen versuchte, den Farbton meiner Haut auch nur annähernd zu erreichen. Ich verfolgte ihre Piz-Buin-Aktionen mit mildem Interesse, ansonsten ließen mich sowohl meine Schwester als auch ihre Spiegelgänge eher kalt. Ich machte mir wenig Gedanken um meine Haut und um mein Haar.

Eines Tages, Bärbel war knapp dreizehn, da kaufte sie sich, ohne um irgendwelche Erlaubnis bei den Eltern ersucht zu haben, ein Blondierungsmittel. Ich war nun doch ziemlich neugierig geworden, wie sie sich verwandeln würde und blieb während der gesamten Färbe-Prozedur in ihrer Nähe. Meine Mutter, die nicht zuhause gewesen war, fiel, als sie wieder heimkam, vor Schreck in Ohnmacht, als unsere Bärbel als Blondine aus der Türe trat. Ganz anders mein Vater. Er fühlte sich richtiggehend geschmeichelt und legte ihr seitdem nur noch den roten Teppich aus.

Für mich hatte Bärbels neue Haarfarbe eigentlich keine unmittelbare Auswirkung. Meine Haare waren ja ohnedies kaum vorhanden so wie ich selber nach Meinung meiner Familie.

Bärbel erstrahlte und auch alle Freunde meines Herrn Papas, die mich immer schon übersehen hatten, warfen von nun an ein Auge auf sie, was Vater zwar einerseits in Rage brachte, aber andererseits nicht wenig schmeichelte. Er zeigte sich gerne mit seiner blonden Tochter in der aller Öffentlichkeit.

Bärbels Glück wuchs. Für sie war ich immer schon so etwas wie ihr Botenjunge und Kofferträger gewesen, jemand der für sie die Drecksarbeit erledigte, zu der sie keine Lust verspürte. Ansonsten gefiel es ihr nicht schlecht, sich über mich lustig zu machen. Wie konnte ich nur eine solche Frisur tragen?! Sie lachte schrill auf. "Aber mit blonden Haaren würdest du sicher noch blöder aussehen - bei deinem Gesicht!" Ich ging zum Spiegel und betrachtete mein Gesicht, das mir eigentlich nicht schlecht gefiel, denn es stand mir gut, es passte zu mir, ich hätte kein anderes haben wollen, selbst Bärbels nicht. Überhaupt war Bärbel der Meinung, und der schlossen sich sowohl mein Vater als auch meine Mutter an, dass bei mir im Grunde alles nicht so recht stimmte und zusammenpasste. Da die Stimmung nun einmal so war und ich dagegen auch nichts sagen und einwenden mochte - warum auch - entschloss ich mich, ihnen fürs Erste ihre Meinung zu lassen. Jedem das Seine! Sollten sie doch der Meinung sein und bleiben, das kein gutes Haar an mir war, ich dagegen blieb bei meiner Frisur, meiner Haarfarbe und bei meinem Gesicht und fand noch dazu so manches gute Haar an mir, das in keine Suppe gefallen war und das nicht herbeigezogen worden war. Alles in Allem war ich doch ziemlich perfekt und genau richtig, so wie ich war. Und das war auch gut so.

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Ein haariges Lesevergnügen


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