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Haarsträubend© Michael RappJulia saß auf einem braunen, mit goldenen Nieten versehenen Ledersessel am Kamin und betrachtete die Gemälde an den Wänden, während Frederik in der Küche irgendein fürchterlich aufwändiges Gericht zubereitete. Dies war ihre dritte Verabredung und eigentlich lief alles bestens. Nach einem Abend im Theater waren sie zu Frederiks Haus gefahren. Julia war beeindruckt von den antiken Möbeln, den Ölbildern und der makellosen Ordnung. Im Wohnzimmer roch es nach Leder, Holz und ihr unbekannten Substanzen, die sie vage an ein kleines Schuhgeschäft erinnerten, in das sie als Kind mehrmals mit ihrer Mutter gegangen war. Ihre Freundinnen, Manuela und Heike, würden platzen vor Neid, sobald sie ihnen Bericht erstattete. Was hatten die beiden nicht alles für Bedenken geäußert und für gemeine Andeutungen in den Raum gestellt: "Kein Gentleman ohne Spleens und Fetische" - völliger Unsinn. Oder doch nicht? Wenn alles so wunderbar war, warum bekam Julia dann die Unkenrufe nicht aus dem Kopf? Mehrfach hatte sie sich dabei ertappt, wie sie nach kleinsten Fehlern an Frederik gesucht hatte, so als wünschte sie sich, dass ihre Freundinnen Recht behielten. Julia kam sich schäbig vor. Nur weil ein Mann beschloss, sich zu kleiden, wie ein britischer Gentleman des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, mit Weste, auf der die goldene Kette einer Taschenuhr hing, einem Gehrock und handgenähten Schuhen, musste er nicht seltsam oder verrückt sein. Waren es nicht gerade diese Besonderheit, sein Charme und das altmodische Auftreten, die Frederik für sie interessant gemacht hatten? "Entschuldige bitte, wo finde ich das Badezimmer?", fragte Julia in Richtung der marmorverkleideten Durchreiche. Sie hoffte, etwas kaltes Wasser würde die unangenehmen Gedanken wegwaschen. Frederik erschien in der Öffnung. "Den Gang runter, dann links, die Tür am Ende des Flurs", erklärte er und rührte dabei ohne Unterlass den Inhalt einer Porzellanschüssel mit einem großen Löffel um. Julia stand auf und machte sich auf den Weg. Das Haus war eine alte Poststation und viel zu groß, für nur einen Bewohner. Was machte Frederik nur mit all dem Platz? Überhaupt hatte er noch kein Wort über seinen Beruf verlauten lassen. Natürlich nicht, ermahnte sich Julia, bei einer Verabredung über geschäftliche Dinge zu sprechen, wäre unhöflich gewesen. Frederik legte viel Wert auf solche Regeln. An dieser Sache war also nichts Geheimnisvolles. Gar nichts. Als sie am Ende des Flurs ankam und eine Tür öffnete, bemerkte sie, dass sie sich geirrt hatte. Der dunkle Raum, in den sie sah, war kein Bad. Hier wurde etwas gelagert; undeutliche Formen standen entlang der Wände und ein seltsamer Geruch, weder eindeutig chemisch noch natürlich, lag in der Luft. Sie schloss die Tür. Rechts neben ihr gab es einen zweiten Durchgang, hinter dem sie das Bad fand. Julia drehte den goldenen Wasserhahn auf und wusch ihr Gesicht. Das kalte Wasser war angenehm. Es beruhigte. Frederiks Bad hatte so gar nichts von dem, was man gemeinhin von einem Junggesellenbadezimmer erwartete. Die Einrichtung war hochwertig: Duschwanne, Badewanne und Waschbecken waren muschelförmig und glänzten in einem kühlen Kobaltblau; alles war penibel sauber und ordentlich. Leise öffnete Julia die oberste Schublade des Waschtischs. Unmengen an Körper- und Bartpflegeprodukten lagerten in ihren Tiefen, fein säuberlich sortiert. Das Leben als Gentleman schien seinen Preis zu haben. Allein drei wertvoll aussehende Rasiermesser warteten auf ihren Einsatz. Frederik musste eine Zeit lang einen ziemlich aufwändigen Bart betrieben haben. Julia drehte eine Tube Bayerische Schnurrbartwichse in der Hand. Was für ein Glück, dass er dieses Laster aufgegeben hatte. Frederik mit Kaiser-Wilhelm-Bart - Julia fröstelte bei der Vorstellung. Nach weiteren Minuten des Stöberns hatte sie immer noch nichts Anstößiges gefunden. Eigentlich doch beruhigend, dachte sie und versuchte damit die nervige Stimme von Manuela in ihrem Kopf zu übertönen, die Weisheiten zum Besten gab, wie: "Die Ruhigen sind immer die Schlimmsten" und "Besser ein Playboy zwischen den Socken, als eine Gummimaske unter der Matratze." Dieses Weib hatte wirklich eine blühende Fantasie und ein loses Mundwerk dazu. Das musste sich Julia nur immer wieder in Erinnerung rufen. Julia gab die Suche auf, überblickte das Bad, ob auch alles an seinem Platz war, und ging dann zurück ins Wohnzimmer. Frederik arbeitete immer noch in der Küche. Als sie den Raum betrat, drehte er sich um und fragte über die Durchreiche hinweg: "Was kann ich dir anbieten? Cognac oder Rotwein?" "Was kannst du mir empfehlen?", wich Julia aus. Im Stillen fürchtete sie bei solchen Fragen immer noch, in eine Stilfalle zu tappen. Er lächelte charmant. "Ich kann dir empfehlen, wann immer möglich, das auszuwählen, worauf du am meisten Lust hast." Julia versuchte nicht rot zu werden, was die Sache aber eher forcierte. "Dann nehme ich den Cognac." Sie hoffte, der Alkohol würde sie lockerer werden lassen. Er reichte ihr ein bauchiges Glas. "Das Essen dauert leider noch etwas. Ich meine es manchmal zu gut." "Das macht doch nichts." Julia war froh, endlich eine Schwachstelle an Frederik gefunden zu haben, und ein übertrieben bemühter Freund war mal etwas Neues im Vergleich zu den unordentlichen, selbstgefälligen und technikversessenen Typen, die sie bisher kennengelernt hatte. Sie ließ sich auf dem Sessel nieder und drehte ihr Glas nachdenklich in der Hand. Eines der Ölgemälde an der Wand ihr gegenüber zeigte ein blondes Mädchen, dem eine Dienerin die Haare flocht. Julia betrachtete die Szene eine Weile und kam nicht umhin, sich zu fragen, ob es nicht doch eine Sache gab, der Frederik mehr Aufmerksamkeit schenkte, als ihr lieb war. Sie sah sich um, und nun, da sich der Verdacht einmal eingenistet hatte, bemerkte sie es: Es war nicht nur das Bild, auch in Vitrinen und auf dem Kaminsims entdeckte sie Antiquitäten, die in irgendeiner Form mit Haaren zu tun hatten. Da gab es silberne Bürsten, Kämme aus Elfenbein, eine bunt bemahlte Frauenbüste mit einer 20er-Jahre-Bubikopf-Frisur und eine Art Wedel aus Pferdehaar - ein afrikanisches Zepter oder vielleicht auch nur eine Vorrichtung, mit der man sich Fliegen vom Hals halten konnte. In dem dunklen Raum ... In Julias Erinnerung schälte sich eine Form aus dem Schatten. Was es war, konnte sie nicht sagen, nur, dass es sie beunruhigte. Wie dumm ihr das schien. Leise erhob sie sich vom Sessel und stellte den unberührten Cognac auf den Wohnzimmertisch. Die Sache würde ihr doch keine Ruhe lassen, und wenn sie den Abend nicht durch ihre törichte Sorge verderben wollte, musste sie sich Klarheit verschaffen. Frederik stand mit dem Rücken zu ihr und suchte etwas im Kühlschrank. Es war Julia ein Rätsel, wie sich dieser Mann im Alltag ernähren konnte. "Er verspeist einmal im Monat ein Date", kicherte Manuela in ihrem Kopf. Bevor sie es schaffte, diesen Gedanken auszublenden, stand sie schon vor dem Zimmer. Zuerst öffnete Julia die Tür nur einen Spalt breit, doch so war es im Inneren des Raumes zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können. Was sollte dieser Unsinn? Entschlossen gab sie der Tür einen Stoß und ließ sie aufschwingen. Licht fiel vom Flur in das Zimmer hinein und die Umrisse der Gegenstände, die sie schon einmal gesehen hatte, zeichneten sich nun deutlich ab. Auf Werktischen entlang der Wände lagen seltsame Messer, Zangen, Stifte und Köpfe: Köpfe mit ausdruckslosen Gesichtern, viele kahl, aber einige auch mit Haaren. Julia ging rückwärts. Von dem Geruch, der aus dem Zimmer drang, wurde ihr übel. Während sie mit dem Rücken an der Wand lehnte, fluteten Albtraumgedanken ihren Kopf. Frederiks altmodische Kleidung erschien ihr nun in einem ganz anderen Licht: Vielleicht hielt sich der Irre für Nosferatu oder Jack the Ripper, durchstreifte des Nachts mit wehendem Gehrock dunkle Gassen, erdrosselte Frauen mit der Uhrenkette und schleppte sie durch die Abwasserkanäle in seine Werkstatt. "Julia, kommst du?" Frederiks Stimme trieb ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Wie hatte sie dieses Monster nur jemals für einen Traummann halten können? Schritte vom Wohnzimmer her. Julia blieb keine Zeit, die verräterische Tür zu schließen und ins Bad zu verschwinden. Sie schlüpfte in das dunkle Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Bebend vor Angst blieb sie auf der Stelle stehen. Julia mochte nichts von dem berühren, was um sie herum war. Ihr Herz raste und ihr Magen hatte sich auf die Größe eines Hühnereis zusammengezogen. So wie er krampfte, würde bald etwas schlüpfen. "Julia?" Er war direkt vor der Tür. Lautlos bewegte sie sich tiefer in den Raum, bis sie einen der Tische fühlte. Warum hatte sie nur nicht auf ihre Freundinnen gehört? "Julia? Wir könnten dann essen." Er musste glauben, sie sei im Badezimmer. Julia sah sich nervös um, als könnte sie die Dunkelheit durchdringen, wenn sie die Augen nur weit genug aufriss. Eine Waffe, schoss es ihr durch den Kopf. Auf den Tischen lagen Messer und andere Werkzeuge. Dinge, mit denen sie sich wehren konnte. Tastend glitten ihre Hände über die beschichtete Platte, fanden Papier, einen Bleistift, Nadeln, etwas Haariges. Einen der Köpfe. Er war aus Holz und das Haar fühlte sich seltsam kräftig an. Gegen ihren rebellierenden Magen ankämpfend, fasste sie zu und hob den Skalp hoch. Er löste sich leicht vom Holz und als sie ihn drehte, fühlte sie Stoff und darauf ein kleines Quadrat, wie ein Flicken - ein Etikett. Julia begann hysterisch zu kichern. Lachtränen stiegen ihr in die Augen. Das waren alles Perücken und Frederik zweifellos ein Perückenmacher. Das passte so gut: Ein beinah ausgestorbener Beruf war genau seine Kragenweite. Leise glitt die Tür auf und Licht fiel in das Zimmer. "Julia? Bist du hier drin?" "Ja." Sie richtete sich auf, wischte hastig die Tränen aus ihrem Gesicht und ordnete ihre Kleidung. "Alles okay bei dir?" Er sah sie besorgt an. "Alles bestens", antwortete sie bestimmt. "Ich ... ich hab jetzt richtig Hunger." "Ich fürchte, die Quiche ist mir gründlich misslungen." Frederik sah verlegen zu Boden. "Es gibt nur Chefsalat und als Nachspeise Crème brûlée." "Das ist doch was", sagte Julia und übernahm die Führung in Richtung Wohnzimmer. "Tolle Perücken übrigens." "Vielen Dank. Wenn es dich interessiert, kann ich sie dir nachher noch mal bei Licht zeigen." Ein haariges Lesevergnügen
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