Haarige Geschichten
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Abenteuer im Frisiersalon

Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
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ISBN 978-3-9809336-0-5

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Rosenhaar

© Sylvia Günther

Caroline sah versunken auf die goldenen Lettern der Einladung, strich mit ihren Fingern über die erhabenen Buchstaben. Wie eine Prinzessin fühlte sie sich plötzlich. "Was feines Büttenpapier bewirken kann", dachte sie und legte die Einladung zum Grande Ball auf das mit Intarsien verzierte kleine Nähtischchen ihrer Großmutter, die schon sehr lange tot war.

Sie nahm das Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin. "Stell dir vor, er hat mich zum Ball eingeladen", platzte sie mit der Neuigkeit heraus. "Hast du ihm endlich erzählt, dass du zwei kleine Kinder hast und keinen Unterhalt bekommst?", war die kühle Antwort der Freundin, die sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen wollte. "Nein. Später", unterbrach Caroline ungeduldig, "ich brauche deine Hilfe", forderte sie mehr, als dass sie bat. "Ich helfe dir ja, wie ich dir die ganze Zeit schon helfe, ich nehme die Kleinen, was brauchst du noch?" Schon im Sandkasten hatten sie zusammen gespielt. Nie würden sie sich im Stich lassen. Caroline wünschte sehr, der Freundin alle Liebesmüh einmal vergelten zu können. Sicher, dass ihr das je gelingen würde, war sie sich allerdings nicht. "Ich brauche ein Kleid, Schuhe, Abendtasche und eine märchenhafte Frisur." Diese Aufzählung kam wie aus der Pistole geschossen aus Carolines Mund, fast überschlugen sich ihre Worte. Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren etwas schrill. "Bitte", dachte sie dabei inständig, "schlag es mir nicht ab!" "Wenn es weiter nichts ist. Komm morgen gegen 11.00 Uhr vorbei, ich werde dich als eine Kollegin auf der Durchreise nach Wien ausgeben, der das Gepäck gestohlen worden ist und die nun leider kein entsprechendes Kostüm für den Auftritt hat. Die Nummer von Frau Uhlrich, der besten mir bekannten Friseurmeisterin von Berlin - ich übertreibe nicht - schicke ich dir gerade per SMS. Du brauchst einen Termin, vereinbare ihn sofort." Es lag auch Resignation in ihrer weichen Stimme, wenngleich sich die Freundin von Carolines sprunghafter Euphorie gern anstecken ließ. "Oh, danke, du Gute, du. Ich küsse dich, ich umarme dich, ich hebe dich in laue Frühlingslüfte."

Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete Caroline das Gespräch, fingerte das Mobiltelefon, das schon den Eingang einer SMS gemeldet hatte, aus der Tasche ihrer zerknitterten Baumwollstrickjacke und wählte die Nummer der sagenumwobenen Friseurin ihrer Freundin. "Uhlrich", meldete sich die Dame im sachlichen Ton. "Ich brauche für nächsten Samstagabend eine nie da gewesene Ballfrisur. Ich bin die Freundin von Frau Schorn, eine ihrer sehr zufriedenen Kundinnen." "Ach, Frau Schorn", die Stimme der Friseurin klang schon nicht mehr so sachlich. "Da haben Sie Glück, sie können um 14.00 Uhr kommen. Vorher müssen Sie allerdings in meinem Salon vorbeischauen und mir ihr Kleid, die Schuhe und die Tasche zeigen. Auch Sie selbst muss ich sehen und Ihr Haar, seine Länge, seine Farbe, seine Beschaffenheit, damit ich eine Vorstellung entwickeln kann. Das dauert nicht lange." Caroline war beeindruckt: "ein Profi", dachte sie und hauchte: "Danke, so schnell ich alles beisammen habe, werde ich kommen, ich rufe vorher an." "Welchen Namen darf ich eintragen?" "Winter", antworte Caroline und schaute dabei auf die weißen Flocken, die vor ihrem Fenster im stürmischen Wind flott tanzten. "Na, das passt ja" amüsierte sich die Friseurin und verabschiedete sich mit einem spöttischen "Bis bald."

Am nächsten Vormittag, die Kinder waren im Kindergarten und in der Vorschule, stand Caroline pünktlich vor der Tür der Garderobe, die sich in der Obhut ihrer Freundin befand. Nur Künstler, Models und andere Stars wurden hier ausgestattet. Caroline schaute beschämt an ihrer verwaschenen Wollhose und ihrem ausgebeulten Pullover herab und trat schnell durch die Tür. Die Freundin führte sie in die Abteilung für Abendgarderobe und ließ sie dort allein. Caroline stand wie in Trance vor mehren fahrbaren Kleiderständern traumhafter Abendkleider. Es fiel ihr schwer, eine Wahl zu treffen. Viel zu viele Roben hingen auf viel zu vielen Metern Kleiderstange. "Der Traum jeder Frau", sprach sich Caroline selbst Mut zu und setzte sich auf eine schmale Bank, die an einer langen Wand stand und den Raum teilte. Rechts und links von ihr hingen unzählige Gewänder in allen nur vorstellbaren Farben auf den rollenden Ständern und geradezu, die Wand gegenüber, war ein einziger riesiger Spiegel. In dem sah sich Caroline in ihrer alltäglichen Kleidung, strich sich das lange, volle und immer noch dunkle Haar mit dem leichten rötlichen Schimmer aus dem Gesicht, warf es in den Nacken, hielt es dann wie zu einer hohen Steckfrisur locker geformt nach oben. Sie musste die richtige Wahl treffen. Konzentriert lief sie die Kleiderstangen ab. "Besser eine schwere Wahl als keine", dachte sie.

Sie griff nach dem schlichtesten aller Kleider in einem Hauch von Gold, jedenfalls bei entsprechender Beleuchtung. Das Licht würde in bestimmten Augenblicken des Abends genau richtig sein. Zumindest auf der Tanzfläche. Dazu wählte sie aus einem Regal mit Abendtäschchen einen kleinen Pompadour aus fast durchsichtigem seidenartigem Material, durch das die Bernsteinintarsien auf ihrem kleinen Taschenspiegel hindurchschimmern konnten. Den Pompadour würde sie am Handgelenkt tragen können, wenn sie beim Tanz ihre Hand an seine Schulter legte. Sie fand einen Seidenschal, durchsichtig und mit sehr schmalem Nerzbesatz in der Farbe des Kleides, der jedoch nicht golden schimmern würde im Scheinwerferlicht. Caroline schwebte in ihrer Verkleidung einer Königin gleich durch den Raum, betrachtete sich von allen Seiten im Spiegel. Auch die Schuhe aus einem weichen, sehr hellen, schimmernden Leder mit einigen wenigen goldenen Pailletten und roten Perlen bestickt, waren bald gefunden.

Die Freundin packte alles in einen großen Kleidersack, wie ihn Turniertänzerinnen mit sich führen, und schob Caroline zur Tür hinaus. Vor dem alterlosen Gebäude atmete Caroline tief die eisige Luft ein und wählte die Nummer der Friseurin, um ihr Kommen anzukündigen. Im Salon breitete sie alle Sachen vor ihr aus, hielt sich das Kleid an, schlüpfte in die Schuhe. Die Friseurmeisterin stand, den Kopf etwas zur Seite geneigt, stumm an einen ihrer Spiegel gelehnt und betrachtete Caroline und ihre Ausstattung, fasste vorsichtig in Carolines Haar, lächelte dann und schickte sie mit der Bemerkung, sie wisse nun, was zu tun sei, fort. An der Tür hielt sie Caroline jedoch noch einmal auf. "Warten Sie, welchen Schmuck werden Sie tragen?" "Winzige rote Rosen als Kettenanhänger und an einem schmalen Armband sowie eine etwas größere Rose, die wie ein Siegel für einen Ring eingefasst ist. Dazu besitze ich noch eine Haarnadel mit der größten roten Rose des Ensembles", antwortete Caroline. "Sehr schön, bis Samstag", verabschiedete sie Frau Uhlrich mit einem erwartungsfrohen Lächeln im Gesicht.

Die Freundin kam zu verabredeter Stunde. Caroline gab die Kinder in ihre zuverlässige Obhut. Bevor sie jedoch die Wohnung verließ, ging sie noch einmal ins Schlafzimmer, wo Kleid, Tuch und Täschchen ausgebreitet auf dem Bett lagen, strich über die kühlen Stoffe, entnahm den Rosenschmuck aus dem Nachttischschubfach. Ein provencialischer Künstler stellte diese zarten Geschmeide aus echten Rosen her, die er konservierte und mit stabilisierenden Elementen aus Gold ergänzte. Caroline würde einen Lippenstift im Farbton der Rosen wählen.

Noch nie hatte sich Caroline für einen Ball oder einen anderen großen Abend frisieren lassen. Vollkommen ergeben überließ sie sich den geschickten Händen der Meisterin, die zunächst Carolines langes Haar auf angeheizte Lockenwickler rollte und mit Haarlack besprühte. Caroline saß unter der Haube. Im warmen Luftzug leicht angespannt beobachtete sie die Friseurin bei der Arbeit. Auf dem Stuhl, vor dem blau umrahmten großen Spiegel, saß eine unscheinbare graue Maus, wie die Freundin lästern würde, so grau und zottelig wie Caroline selbst. Die Meisterin bewegte sich bedächtig. Alle Handgriffe schienen durch jahrelange Erfahrung perfektioniert. Sie war nicht schlank und auch nicht mehr jung, strahlte Tatkraft und Bodenständigkeit aus. Souveränität, wie man sie gewöhnlich nicht von Friseurinnen erwartet. Schon wegen all der Klischees nicht. Der mausgrauen Frau, die im Spiegel die Metamorphose ihrer äußeren Erscheinung miterlebte, schaute die Meisterin mit wissenden, vielleicht ein wenig müden Augen fest ins Gesicht. Ein feines Lächeln umspielte dabei ihren sinnlich runden, dezent geschminkten Mund. Caroline fühlte, wie sie der Maus eine andere Möglichkeit des Auftritts schenken wollte, vielleicht gar eine neue Dimension zu sein. Skeptisch schaute die Maus, bis sich allmählich ein schüchternes Lächeln in ihr Gesicht stahl. Caroline hatte jahrelang keinen Friseurladen mehr betreten. Nach einem viele Jahre zurückliegenden Desaster kümmerte sie sich lieber selbst um ihre Haare. Ein Signal an der Haube zeigte das Ende des Trocknungsvorgangs an. Mit resolutem Schwung schob die Friseurmeisterin die Haube weg, rollte eine Haarsträhne vom Wickel, probierte Elastizität und Trockenheit, befand alles für richtig, rollte alle Wickel aus dem Haar. Dann toupierte sie die Haare in ihrer ganzen Länge, wand Strähne für Strähne umeinander, schuf eine große, sich öffnende Rose aus Haar auf Carolines Haupt. Die Haarrose folgte in ihrer Form Carolines schmalem Gesicht. In die Öffnung der Hauptrolle hinein steckte die Haarkünstlerin Carolines provencialische Rose, die als Miniatur das große Kunstwerk aus menschlichem Haar dezent durch Wiederholung betonte. Sprachlos hatte Caroline ihrer Verwandlung zugeschaut, hatte gesehen, wie die Friseurin allmählich versunken war im Erschaffen ihrer ungewöhnlichen Kreation und sich voll dank im Herzen von der Meisterin verabschiedet.

Die Freundin war begeistert, als Caroline mit freudig erröteten Wangen durch die Wohnungstür schritt. "Na, wenn das nicht hilft, dann ist dem Mann nicht zu helfen", meinte sie in ihrer lakonischen Art und spielte weiter Mensch ärgere dich nicht mit Carolines Kindern. Caroline verschwand, zog ihre ausgeliehene Abendkleidung an und schmückte sich mit den kleinen Kunstwerken aus echten Rosen. Nach einem Blick auf die Uhr, lief sie ins Badezimmer, noch etwas Rouge auflegen und den dunkelroten, schweren Lippenstift. Im Spiegel sah sie sich und gleichzeitig eine andere, viel mondänere Frau, verweilte Momente in ihren Bewegungen, die sie wie in Zeitlupe ablaufen ließ. Die Haarnadel mit dem Röschen verschwand fast in der Öffnung der wundervollen Haarrose. Sie zupfte daran, legte es wieder frei. Da schellte die Klingel an der Wohnungstür. Ihr Blick aus dem Badezimmerfenster fiel auf das Taxi, das vor dem Haus stand. Er rief sie nach unten. Das Taxi fuhr bis vor den überdachten Eingang. Sonst hätten sie durch eine zarte Schneedecke laufen müssen in ihren hauchdünnen Schuhen. Auch seine waren nur für Teppich oder Parkettboden geeignete, aus Lack, passend zum Smoking.

einen Fuß nur, hinter ihm, in seinem Schatten. Ihr Kleid rauschte zart und schimmerte in diesem schwer definierbaren Farbton. Nach der Eröffnungsrede spielte das Orchester den ersten Walzer, der die Tanzfläche sofort füllte. Die erfolgreichen Männer führten ihre Frauen - und die wiederum ihre Kleider - aus. Einige tanzten sehr gut, und wie es schien, gern. Es war ein Spiel, was Caroline plötzlich nicht mehr allzu ernst nehmen wollte. Morgen würde alles vergessen sein, aus und vorbei. Die ausgeliehene Eleganz wieder in der Asservatenkammer. Der Tanz in die Nacht war eine schöne Illusion, mehr nicht. "Besser, eine Illusion, als nichts", dachte sich Caroline und drehte sich geschmeidig im Takt. Ihr Kleid glitzerte mit sanftem Goldschimmer, ihr aufgetürmtes Rosenhaar zog bewundernde Blicke an und Blitzlichter der Presseleute.

Am Montagmorgen stand ein Bote im Schneegestöber in einer kleinen unbedeutenden Straße im Osten Berlins vor dem Frisiersalon Uhlrich, lieferte weiße Rosen aus. Eine ganze Woche lang sollten sie ihren zarten Duft im Raum verströmen, bis ihre Pracht vergangen war. Auf dem beigefügten Kärtchen, das heute noch in einer zierlichen Schale mit Halbedelsteinen zur Aufbewahrung liegt, liest man: "Das war nicht Udo Walz! Doch, wer war es dann? Wie heißt der Künstler? Dutzend Male gestellte Fragen. Der Künstlerin vielen Dank für einen langen Tanz über Blütenblätter von Rosen."


 

Ein haariges Lesevergnügen


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