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Prinzessin Zottelhaar© Lena KaluzaIch arbeitete damals im königlichen Schloss als Küchenjunge, rannte den ganzen Tag hin und her um dem Koch die benötigten Lebensmittel zu besorgen, die Wünsche meiner Herren entgegen zu nehmen und das fertige Mahl in den Speisesaal zu tragen. Die Arbeit war nicht wirklich schön, denn der Koch war ein griesgrämiger, selbstsüchtiger Mann, der mich immer herumkommandierte und mich für seine Fehler verantwortlich machte. Trotzdem genoss ich es, im Schloss zu arbeiten, weil mich den ganzen Tag der freudige Gedanke an den kommenden Abend begleitete, an dem die Königin ihrer Enkelin wieder eine ihrer Geschichten erzählen würde. Wenn es dämmerte, versteckte ich mich immer hinter der Ritterrüstung im Turmflur und lauschte andächtig ihren Worten. Eines Abends war ich besonders spät dran, weil der Koch mich noch zwang, die Scherben der Teller aufzukehren, die er hatte fallen lassen. Als ich endlich in den Turm hinauf flitzte und in mein Versteck huschte, stand die Königin schon an der Zimmertür der Prinzessin. Sie zögerte einen Moment und ich hatte schon die Befürchtung, sie hätte mich gesehen, doch dann öffnete sie die Tür und verschwand. Erst erklang ein leises Knarren, als die Königin sich in den Schaukelstuhl fallen ließ, der neben dem Bett ihrer Enkelin stand, dann ein Seufzer. "Welche Geschichte magst du den heute hören?", hörte ich sie fragen. "Eine alte oder eine neue?" "Eine neue.", sagte die Prinzessin aufgeregt. "Lass mich überlegen … ja, ich glaube, die erzähle ich dir", sagte die Königin. Im Flur kauerte ich mich hinter der Rüstung zusammen, zog meinen Mantel fester um mich und lauschte, als die Königin zu erzählen begann.
"Zu jener Zeit", sagte sie, "als es auf der Erde noch von Magie, Elfen, Drachen, Rittern, Königsfamilien und prächtigen Burgen nur so wimmelte, lebte in einem Königreich eine Prinzessin namens Frieda. So nannte sie jedoch nur ihr Vater, das Volk hatte ihr den Namen Prinzessin Zottelhaar gegeben. Jeder der sie je gesehen hatte, konnte diese Namensgebung sehr gut nachvollziehen, denn Frieda hatte so langes Haar, dass ihre Haarspitzen den Boden berührten und sie hasste es, sich kämmen zu lassen. Das war im ganzen Königreich bekannt. Wenn abends die Hofdame versuchte der Prinzessin die Haare zu kämmen, war das laute Schimpfen und Schreien überall im Schloss zu hören. Selbst die Knappen, die sich im Stall um die Pferde kümmerten, konnten es hören. Das Problem war, das Friedas Haar dichte rote Locken waren, die sich sehr leicht verknoteten und in denen sich ebenso leicht Dinge verfingen. Das erschwerte das Kämmen umso mehr. Zwei Wochen nach Friedas achtem Geburtstag gab die Hofdame auf und kündigte. Keine andere Hofdame ließ sich dazu überreden, der Prinzessin ihre Haare zu kämmen, egal was der König ihnen dafür anbot. So verknoteten und verzottelten Friedas Haare immer mehr. Den Einwohnern des Königreiches war es egal, wie ihre zukünftige Königin aussah. Frieda war freundlich und hilfsbereit, das war es, was für sie zählte. Der einzige, der sich über Friedas Haare aufregte, war König Luis, Friedas Vater. Auch er hatte vom Volk einen Beinahmen bekommen, König Luis "der Ordentliche", weil er ein absolut ordnungsliebender Mensch war. Beim Frühstück sortierte er das Obst, das in der Obstschale lag, nach Farben. Wenn er mit der Königin Schach spielte, stellte er die Figuren jedes Mal nach der Größe sortiert auf, so dass die Königin sich jedes Mal aufs neue schwor, nie wieder mit ihrem Gatten Schach zu spielen. Im Salon stand er oft am Fenster und zog an den Vorhängen um sie auf die gleiche Länge zu bringen. Er wusste nicht, dass die Näherin sich einen Spaß erlaubt und jeden Vorhang um ein paar Zentimeter kürzer oder länger genäht hatte. Kurzum, er wollte, dass alles gleichmäßig, sortiert und perfekt war. So war es also kein Wunder, dass ihm die Haare seiner Tochter missfielen. Vor allem, seit er bemerkt hatte, dass einige der Dinge, die er schon wochenlang suchte, sich in Friedas Locken verfangen hatten. Darunter war auch der Schlüssel für die Schatzkammer. Die Prinzessin ärgerte es sehr, wenn ihr Vater über ihre Haare schimpfte. Für ihre acht Jahre war sie schon ziemlich stur und erwiderte König Luis immer: "Lass mich doch einfach so sein, wie ich will. Aber gut, du hast die Wahl: Entweder ich lasse meine Haare so, oder ich schneide sie kurz. Kämmen werde ich sie nicht" Der König wollte jedoch auch nicht, dass Frieda die Haare abschnitt. In seiner Vorstellung von Ordnung hatte eine Prinzessin nun mal lange, gepflegte Haare zu haben, basta. Für seine neununddreißig war er immer noch ziemlich stur. Eines Abends stand der König mal wieder auf dem Dach des Astronomieturms und betrachtete den Himmel. Der Gong im Speisesaal wurde geschlagen. Frieda dachte sich, dass ihr Vater ihn auf dem Turm bestimmt nicht hören würde und rannte die Treppenstufen hinauf. Als sie die letzen Stufen hinauf sprang, sah sie den gewaltigen Schatten, der das Dach verdunkelte und fiel vor Schreck rückwärts drei Stufen zurück. Sie konnte sich gerade noch an dem Fackelhalter an der Wand festklammern, sonst wäre sie auf den kalten Steinen aufgeschlagen. Sie rannte zu ihrem Vater. Luis stand mit weit aufgerissenen Augen da und regte sich nicht. "Wir müssen hier weg", schrie Frieda, doch es war zu spät. Im selben Moment umfasste eine riesige. silberne Klaue ihren Vater und hob ihn in die Luft. Und dann sah Frieda ihn. Einen grünen Berglanddrachen, der gefährlichste Drache, von dem sie je gehört hatte. Auf den ersten Schreck folgte der nächste. Sie spürte etwas Hartes, Eiskaltes über ihren Arm gleiten. Der Drache hatte auch sie gepackt. Ein Ruck und der Drache war gestartet. Die Prinzessin sah mit an, wie sie das Schloss hinter sich ließen, wie es immer kleiner wurde, bis sie schließlich die Augen zusammenkneifen musste, um es noch als einen Punkt in der Ferne zu erkennen. Frieda schätzte, dass sie etwa schon eine Stunde so flogen. Sie hatte aufgehört, die Landschaft zu beobachten. Ihre Hoffnung war gewesen einen silbrigen Schimmer zu entdecken, einen Ritter in glänzender Rüstung, der ihnen zu Hilfe kam. Sie hatte gewunken und verzweifelt gerufen, doch weit und breit war kein Ritter zu sehen gewesen. Niemand war zu sehen gewesen. Ihr war schwindelig, alles drehte sich und sie schloss die Augen. Minuten vergingen, als sie plötzlich glaubte, eine Stimme zu hören. Die Stimme ihres Vaters. Frieda öffnete die Augen und sah zu ihm herüber. Seit sie auf den Astronomieturm gestiegen war, hatte sich ihr Vater kaum bewegt, sondern nur reglos, wie leblos in der Klaue des Drachen gehangen. Jetzt wand er sich, zappelte und versuchte seine Arme aus dem festen Griff zu befreien. "Wir brauchen einen Plan", hörte Frieda ihren Vater schreien. Gedankenversunken strich sie sich durch das Haar und merkte, dass wieder Gegenstände in ihren Locken hängen geblieben waren. Sie fühlte einen metallischen Griff und zog daran. Eine Gabel. Stimmt, sie war in der Küche gewesen und hatte Käsekuchen genascht. Da musste sich die Gabel in ihrem widerspenstigen Haar verfangen haben. "Schau mal, wir sind über dem Alessosee", rief ihr Vater. Frieda sah zu dem hellblauen Fleck hinab, der die Grenze zwischen ihrem und dem benachbarten Königreich bildete und da kam ihr eine Idee. Sie erklärte ihren Plan dem König. "Risikoreich, aber wir haben keine andere Wahl", sagte dieser schließlich etwas verunsichert. Frieda packte mit einer Hand fest das Ende ihres Haars. Mit der anderen Hand bohrte sie dem Drachen die Gabel in die Klaue. Wie sie gehofft hatte, ließ der Drache, vom Schmerz überrascht, sie und ihren Vater fallen. Im Fall fand der König den Arm seiner Tochter und klammerte sich fest. Friedas Haare wehten durch den Wind. Am anderen Ende festgehalten, blähten sie sich auf wie ein Fallschirm. Langsam segelten König und Prinzessin hinab, bis sie schließlich in den See fielen. Als sie zum Ufer geschwommen waren, ruhten sie sich erst mal aus und lagen schweigend nebeneinander im Gras. "Praktische Haare", sagte Luis plötzlich. Dann fing er an zu lachen. "Komm, lass uns nach Hause gehen." Er setzte sich Frieda auf die Schultern und wanderte los. Mittlerweile war es dunkel geworden und sie redeten über dies und das um sich von ihrer Angst vor den Nachtmahren abzulenken. Plötzlich fragte der König: "Sag mal, du hast nicht zufällig irgendetwas Essbares in deinen Haaren hängen? Ich habe so Hunger." Frieda schüttelte den Kopf. "Ich habe ja nicht geplant von einem Drachen entführt zu werden. Aber ich schau mal nach." Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fand eine Kerze, eine Zeichenfeder von Markus, dem Schossdichter und die Geldbörse ihrer Mutter darin. "Vielleicht können wir ja was davon gebrauchen", überlegte Frieda und sie behielt recht, denn eine Viertel Stunde später kamen sie in ein kleines Dorf. Mit dem Geld aus der Börse ihrer Mutter bezahlten sie die Herberge und gingen erst mal schlafen. Am nächsten Morgen liehen sie sich zwei Pferde aus und ritten nach Hause. Als sie ankamen, war die Königin zutiefst verwundert, als ihr Gatte ihr erklärte, mit dem Ordnungswahn sei es vorbei. Doch noch erstaunter war sie, als Frieda verkündete, sie werde sich nun zumindest einmal im Monat freiwillig die Haare kämmen." Die Königin verstummte. "Hat Friedas Vater nicht mehr über ihre Haare geschimpft?", fragte ihre Enkelin gähnend. "Nein, nie mehr", sagte die Königin lächelnd. Bald darauf hörte ich ein leises Schnarchen und dann sich nähernde Schritte. Die Königin trat aus dem Zimmer der Prinzessin und ging den Flur entlang. Als sie an der Ritterrüstung vorbei kam, hinter der ich mich versteckte, fiel eine kleine goldene Münze aus ihrem langen grausilbernen Haar zu Boden. Ein haariges Lesevergnügen
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