Gentechnik unser
© David Steiner
Vor nicht allzu langer Zeit da wuchs eine Tomate auf einer Staude - hm, Sachen gibt es, nicht wahr? Nun gut. Diese Tomate hieß Edeltraud. Tomaten haben Namen, dass kann man mir glauben. An dieser Stelle möchte ich nun erläutern, wie Edeltraud so ausgesehen hat, die Gefühlswelt kommt nachher an die Reihe. Edeltraud sah so aus, wie Tomaten eben nun einmal aussehen, sie war ziemlich rot, mehr oder weniger rund und hatte einen grünen Stängel. Nichts Außergewöhnliches also, würde man sagen. Das Außergewöhnliche an
dieser Tomate war, dass sie klein war. Nicht nur klein, sondern sogar mickrig oder lächerlich klein. Das fanden auch alle anderen Tomaten auf der Staude so und hänselten die arme Edeltraud. Die einen nannten sie "Zwergi", andere, etwas beschränktere Tomaten, die Intellekt und Körpergröße nicht unterscheiden konnten, hießen sie einfach "dumm". Dabei war sie gar nicht so dumm für eine Tomate, weiß Gott wie klug ist keine von denen. Edeltraud war eben sehr gekränkt von den anderen Tomaten. Sie
war nicht mehr ganz jung, deswegen war auch die Hoffnung auf einen Wachstumsschub sehr gering. Sie kapselte sich zusehends von den anderen Tomaten ab und sperrte sich recht häufig in ihrer Wohnung ein. Doch dort war es recht langweilig so ganz alleine. Denn was kann eine Tomate schon so machen? Sie las recht viele Bücher und spielte Mühle gegen sich selbst. Das war noch langweiliger, als es klingt. Nach ein paar Tagen schaltete sie den Computer erstmals ein, den sie sich vor einigen Wochen gekauft hatte. Dieser
Kauf war rein aus Gruppenzwang passiert, wenn sie schon die kleinste Tomate war, dann wollte sie wenigstens nicht die einzige ohne Computer sein. Edeltraud hatte eigens für diesen Blechkasten einen Computerkurs gemacht, den sie mit Ach und Krach bestanden hatte, sie interessierte sich einfach zu wenig dafür.
Aber jetzt wollte sie es einmal probieren. Nach ein paar Minuten hatte sie es auch schon geschafft: Der Einschaltknopf war gefunden. Der nächste Schritt war aber schon bedeutend schwerer: Was wollte sie eigentlich tun. Vielleicht ein Buch schreiben? Nein, sie war recht schlecht in der Rechtschreibung, konnte nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben. Sie schrieb ihn immer ungefähr so: Ähtteldrahudd. Also war das mit dem Buch vermutlich keine so gute Idee. Internet - was war das schnell? Davon hatte sie ja einmal
irgendetwas gehört. Ach ja, dieses neuwertige Zeug, wo man alles finden kann. Das wollte sie ausprobieren. Nach kurzer Zeit war sie auch schon drinnen. Hm, was suchen? Sie gab erst einmal "Kleine Tomate" ein. Sie wollte wissen, ob sonst noch irgendwo so arme Pflanzen lebten wie sie, um sich mit denen auszutauschen. Tatsächlich fand sie einige, mit denen sie ein bisschen chattete, aber diese Tomaten waren von Edeltrauds Rechtschreibung so verwirrt, dass sie das Gespräch meist schnell beendeten. Etwas
sehr interessantes zum Thema "Kleine Tomate" fand Edeltraud dann auch noch: "Befinden sich auf Ihren Stauden nur kleine Tomaten? Gentechnik ist die Lösung dieses Problems!"
G-E-N-T-E-C-H-N-I-K - was für ein seltsames Wort, davon hatte Edeltraud noch nie zuvor etwas gehört. Aber sie fand es sehr wissenswert, also informierte sie sich genauer darüber.
Mit der Zeit kam sie zu dem Schluss, dass Gentechnik Gott sein müsse, von dem der Bauer öfter geredet hatte. Sie stellte nämlich fest, dass Gentechnik kleine Tomaten groß und schön machen konnte. Das kann der Bauer nicht, den sie bis jetzt immer so bewundert hatte.
Edeltraud entdeckte auch bald, wie sie es schaffen konnte, dass Gott zu ihr kam, sie musste nur auf die Website einer Firma gehen, die gentechnisch verändertes Düngemittel verkaufte. Dort wählte sie dann das beste Produkt aus und klickte auf den Button "KAUFEN". Jetzt war der Messias schon unterwegs zu ihr. Von nun an betete sie jeden Tag zu ihrem Gott. Sie schrieb ihm etliche Lieder wie zum Beispiel "Gloria in excelsis Gentechnik" und noch mehr Gebete. Die gelungensten davon waren "Gentechnik
unser" und "Gegrüßet seist du Gentechnik". Jetzt hieß es für Edeltraud auch sich auf der Staude besser zu positionieren. Hatte sie sich früher immer eher im Hintergrund aufgehalten um nicht gesehen zu werden, so musste sie sich jetzt in den Vordergrund zu drängen, um vom Sakrament der Düngung am meisten abzubekommen. Die anderen Tomaten merkten schon, dass mit Edeltraud irgendetwas nicht stimmte, diese Aufbruchstimmung und dieser Frohmut passten so gar nicht zu ihr. Aber sie dachten sich: Wird
schon nichts Schlimmes sein, vielleicht ist sie mit dem Kopf irgendwo angerannt und es hat irgendetwas ein bisschen durcheinander gebeutelt.
Edeltraud war schon sehr nervös, jeden Tag sprang sie den Briefträger fast an und fragte, ob er etwas für sie habe, doch der verneinte täglich. Die kleine Tomate konnte doch nicht ahnen, dass diese Gentechnik - ihr Gott - mit dem Paketdienst geliefert wurde.
Eines Tages verfinsterte sich plötzlich der Himmel. Edeltraud blickte nach oben und sah einen Riesen, dass war vermutlich ein Prophet. In seiner Hand hielt dieser Prophet eine riesige Kiste, da wusste sie: Der Heiland ist erstanden! Plötzlich stolperte der Prophet und die heilige Kiste, in der sich der Messias befand, entglitt ihm. Sie fiel zu Boden und zermatschte alle Tomaten.
Eingereicht am 12. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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