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Das Reldiez-Museum zu Berlin

© Manfred Schröder


Im letzten Jahr bekam ich ein kleines Büchlein zum Geschenk, welches ich zunächst nur flüchtig, doch dann mit zunehmendem Interesse mehrmals las. Es handelte sich um `Berliner Malerpoeten´. In diesem Büchlein sind unter anderem Günther Bruno Fuchs und auch Günther Grass vertreten. Doch besonders hatte es mir die Geschichte des Reldiez-Museum von Hans-Joachim Zeidler angetan, den vielleicht nur noch wenige kennen. Und seitdem war es mein größter Wunsch gewesen, dieses Museum einmal kennenzulernen. Und vor einigen Wochen, hatte ich das Große Glück, dass mich der Weg nach Berlin führte. Und mein erster Gedanke war natürlich, jenes Museum zu aufzusuchen.
Doch da Hans-Joachim Zeidler auch das Zeughaus der Schrebergärten und das Boulettenmuseum erwähnte, beschloss ich, gleichsam als kulturelle Vorspeise, mir diese beiden Sehenswürdigkeiten, als erstes anzuschauen. Doch hier gab es gleich zwei Enttäuschungen. Trotz eifrigen Suchens und hartnäckigen Fragens, konnte ich das Zeughaus der Schrebergärten nicht finden. Der letzte Urberliner, der es mir hätte sagen können, war leider, wie der Neandertaler, ausgestorben. Das Boulettenmuseum fand ich zwar, doch gehört es jetzt der McDonalds-Kette, so dass ich darauf verzichtete, es zu besuchen.
Immerhin glückte es mir, und dies war ja auch mein Hauptanliegen, das
Reldiez-Museum ausfindig zu machen. Wenn es auch nicht so ganz einfach gewesen war. Denn erst in Kreuzberg, fand ich einen alten Türken, der mir in seinem Neudeutsch und gegen ein gutes Bakschisch, den Weg zum Museum zeigte.
Ich habe weder mich, noch den alten Türken gefragt, warum gerade er davon wusste. Anscheinend sind Allahs Wege, in der Tat, unerforschbar.
Nun, ich möchte nicht weiter darauf eingehen, worüber Hans-Joachim Zeidler schon in ´Berliner Malerpoeten´, ausführlich berichtet hat, und damit das
Reldiez-Museum weit über die Grenzen von Alt-Reinickendorf, wo es sich befindet, bekannt gemacht hat. Erwähnen möchte ich jedoch, dass ich das Glück und auch die Ehre hatte, Ignaz von Reldiez, den Großen Sammler und Kunstmäzen, zwar nur von weitem, doch persönlich zu sehen. Wenn er auch noch immer, den Umständen entsprechend, sehr rüstig ist, so ist doch nicht zu übersehen, dass der Zahn der Zeit, der leider immer noch nicht gezogen werden konnte, auch an ihn genagt hatte.
Wenn mir auch Kritik fern liegt, so möchte ich doch meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass weder Hans- Joachim Zeidler, noch eine Zeitung berichtet hat, dass man das Museum erweitert hat. Es konnten nämlich einige Zwischenräume, von denen man vorher nichts wusste, genutzt werden und die noch unbekannten Raritäten, die bis dahin unter Staub gelegen hatten, dem Publikum zugänglich machen. Darüber möchte ich nun, um auch diesen Teil des Museums bekannter zu machen, kurz berichten. Wenn ich auch, was Einfühlungsvermögen und Stil betrifft, weit hinter dem Bericht von Hans-Joachim Zeidler zurückbleibe. Übrigens ist das Reldiez-Museum auch heute noch, von jeglichen staatlichen und städtischen Subventionen, ausgeschlossen. Was leider kein gutes Zeichen für Berlin ist.
Als ich das Museum betrat, war ich, so weit ich feststellen konnte, der einzige Besucher. Doch wurde mir vom Museumsdiener, auf den ich noch zu sprechen komme, glaubwürdig versichert, dass dies eher die Ausnahme, als die Regel sei.
Die neuen Räume waren eher nach rein praktischen Gesichtpunkten, für die Sammlung eingerichtet. An den Wänden befanden sich Regale, die eine Mannshöhe nicht überragten. In der Mitte jeweils ein Großer Tisch, auf dem eine Menge der verschiedensten Gegenstände, jeder mit einem Informationszettel versehen, lagen. Und trotzdem man versucht hatte einen guten Überblick zu geben, schien es doch mehr Gegenstände zu geben, als das Museum verkraften konnte. Schon beim Betreten des ersten Raumes, wäre ich beinahe über einen Gegenstand gestolpert, der sich als ein Teilstück der Himmelsleiter Jacobs entpuppte. Auch lagen in einer Ecke, ein paar ungeduldige Warteschlangen, von beträchtlicher Größe. Und es dauerte eine geraume Zeit, bis sich das Auge an die Vielfalt der Dinge gewöhnt hatte.
Trotz der Beschriftungen, war der Mueseumsdiener mit seinen Erklärungen, eine Große Hilfe für mich. So erfuhr ich unter anderem, als ich die Klöppel von Schillers Glocke betrachtete, dass diese schon kurz nach ihrer Fertigstellung, wieder eingeschmolzen und zu einer Kanone gegossen wurde, mit der man dann auf Spatzen geschossen hatte. Wobei der Museumsdiener hinzufügte, dass es sich nicht um die `Dicke Bertha´, gehandelt habe. Es ist in der Tat schwierig zu sagen, welches die interessantesten Gegenstände waren; trotzdem einige sofort ins Auge fielen. So das Ei des Columbus, welches, was mir neu war, aus Versehen gebraten wurde. Daneben lagen einige Tonstücke Johann Sebastian Bachs und des zerbrochenen Kruges, der, na, Sie wissen es selbst. Eine andere Version ist, dass es sich um den zerbrochenen Krug von Kleist handelt, der ihm als Kind aus den Händen gerutscht war.
Trotz der ziemlich guten Übersicht, waren die Gegenstände nicht in Sachgruppen aufgeteilt und dies den Reiz der Ausstellung ausmachte. Da lagen zum Beispiel neben den Perlen, welche man vor die Säue geworfen hatte, jetzt allerdings gereinigt, ausgestopfte weisse Mäuse, die Trinker im Delirium gesehen hatten. Und dieses wurde umrundet von einem Teufelskreis, aus dem man nicht mehr herauskommt.
Da ich gerade von Trinker spreche; auf einem Großen Bild, welches eine ganze Wand in Anspruch nahm, war ein Sarg, mit ein paar Bier- und Schnappsfahnen auf Halbmast links und rechts, zu sehen. Ich bemerkte, wie der Museumsdiener sein feuchtes Auge trocknete und heimlich seine wohl tägliche Medizin, aus einer kleinen Flasche nahm. Im Volksmund nennt man diese Dinger, so weit ich unterrichtet bin, Flachmänner. Der Museumsdiener, der übrigens Gustav hieß, musste diese Person gekannt haben.
Zu erwähnen ist auch die Schallplattensammlung. Wenn auch klein, so doch sehr interessant. Auf einer, der schon angekratzten Scheiben, befand sich in den mit staubbedeckten Rillen, der dreimalige Schrei des Hahns, nachdem Petrus den Herrn verraten hatte. Ebenso sein bitteres Weinen, als er hinausging. Auf einer anderen Scheibe, war der letzte Modeschrei zu vernehmen. Ob aus Paris, oder Rom, das konnte mir der getreue Gustav nicht sagen. Ebenfalls war ein Marsch zu hören, den man jemandem geblasen hatte.
Besonders in Ehren gehalten, wurde die Schallplatte, mit der Stunde, die uns allen einmal schlägt. Mit einer persönlichen Widmung Hemingways.
Auf einem der Tische, waren auch unseren beiden Klassiker aus Weimar vertreten. Ich erkannte sofort Goethes Faust; trotzend und Prometheus geballt. Daneben lag ein Handschuh, den nach Schiller, ein Ritter einer edlen Damme ins Gesicht geworfen hatte, anstatt ihn auf Minneart zu übergeben.
Natürlich übermüdet solch ein Rundgang, weil man nicht alles mit gleicher Intensität aufnehmen kann. Doch ich wurde durch den dritten und letzten Raum auf´s Großartigste entschädigt. Gleich neben der Eingangstüre, befand sich die kleine Photoabteilung. Und die Bilder dort, waren wirklich eine Rarität.
Da war zum Beispiel das Photo des Weltmeisters im Seitensprung, wie er in Siegerpose, auf dem Treppchen steht. Daneben zwei Aufnahmen, die sowohl künstlerisch, als auch aktuell waren. Die erste zeigte eine Großartige Aussicht auf bessere Zeiten; die zweite, dass es keine geben wird. Ferner gab es ein Bild, auf dem Marcel Proust zu sehen war; auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Ich wollte Gustav dazu etwas fragen, doch dieser war einige Schritte hinter mir geblieben und nahm wieder einen Schluck Medizin aus seiner kleinen Flasche In einem Regal lag in einer Schachtel eine Eintagsfliege, welche das biblische Alter von drei Tagen erreicht hatte. Dann bemerkte ich einen Fleischwolf, der meine Aufmerksamkeit erregte. Ich fragte Gustav, was dieser Gegenstand zu bedeuten habe, weil keine erklärende Notiz angebacht war. Er hob seine linke Schulter, und erklärte mir, dass durch diesen Wolf angeblich Rotkäppchen und ihre Großmutter gedreht worden seien. Er selbst glaube es nicht, da die Gebrüder Grimm nichts davon berichtet hätten. Neben dem Fleischwolf, lag der Hans-Wurst; in Scheiben geschnitten.
Was wäre noch zu erwähnen? Ja, mehrere Steine, die vom Herzen gefallen waren, nebst einem gebrochenen Fuss. In einer Schachtel, neben dem schon stark verrosteten Ring der Nibelungen, lagen die Schuppen von Heideggers Putzfrau, die ihr von den Augen gefallen waren, als sie den Meister endlich verstanden hatte.
Nun, hier werde ich Schluss machen, mit meiner Aufzählung, trotzdem es noch viel zu berichten gäbe. Denn Ignaz von Reldiez ist ein Großer Sammler vor dem Herrn. Bekannt und anerkannt in den Fachkreisen der ganzen Welt. Möge auch diese Sammlung über die Grenzen Alt-Reinickendorfs hinausgehen..
Als ich mich wieder draußen befand, wunderte ich mich nicht, dass der alte Türke noch immer auf mich wartete und sich anbot, mir noch mehr Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Doch ich hatte leider dazu keine Zeit mehr und versprach ihm, beim nächsten Male, wenn ich wieder nach Berlin käme, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Und nach einem erneuten üppigen Bakschisch, trennten wir uns, wobei sich jeder wohl sein Teil dachte. Auch dem Museumsdiener Gustav , der so hilfreich gewesen war, gab ich seinen Bakschisch, damit er sich seine tägliche Medizin kaufen konnte. Ich hoffe, dass diese kleine Geschichte dazu beitragen wird, Berlin noch interessanter zu machen. Falls einer von meinen verehrten Lesern nach Berlin fahren sollte; besuchen Sie das Reldiez- Museum, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Auch wenn es schwierig sein sollte, es zu finden. Doch irgend jemand ist da, der hilft. Und sei es ein alter Türke.



Eingereicht am 15. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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