Wippi
© Manfred Schröder
Ich traute meinen Augen nicht. Nein, das durfte doch nicht wahr sein! Da saß ein Zwerg mit abstehenden Ohren und Haaren in meinem Apfelbaum, der einzige in meinem Garten, und ließ es sich gut schmecken. Wie er doch mit seinen Zähnen, besser könnte es auch ein Hase mit einer Möhre nicht, in den Apfel biss. In meinen Apfel. Bestimmt einer von den Besten. So richtig schön rund und rot. Warte nur, du Puckel-Muckel! Ich werde dir helfen! Und mit energischen Schritten und Zorn im Herzen, eilte ich auf den Baum zu.
"He, was machst du da oben?", schrie ich wütend.
Doch dieser kleine Wicht grinste mich bloß an und legte dann die seinen Finger auf den Mund. "Nicht so laut. Man könnte uns hier bemerken."
Das musste ich mir anhören! Man könnte uns hören.
Du bekommst jetzt was von mir zu hören, dachte ich.
Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, um ihm ordentlich Bescheid zu sagen und dass er sofort vom Baum herunterkommen sollte, fragte er mit freundlicher Kumpelstimme: "Willst du auch einen?" Und ohne eine Antwort abzuwarten, warf er mir einen Apfel zu. "Hier. Die schmecken gut."
Natürlich schmecken die gut. Sind ja auch meine Äpfel. Ich war mir sicher, dass seine Augen grinsten.
"Warte", sagte er, "ich komme herunter. Und fange die beiden Äpfel noch auf. Einen für dich und einen für mich!"
Bevor ich etwas sagen konnte, flogen sie schon durch die Luft und ich hatte Mühe, sie aufzufangen. Dann sprang er geschickt auf den Boden. Da lag viel Übung drin.
"Darfst den größeren behalten", sagte er gönnerhaft.
Was sollte ich dazu sagen, wenn es einem die Sprache verschlug.
"Das ist aber lieb von dir", konnte ich nur hervorbringen. - Er blickte mich an, wie ein alter Meister seinen Lehrling.
"Machst wohl zu ersten Mal so was, oder?" Er nickte mir aufmunternd zu.
"Komm, wir gehen von hier weg. Sonst erwischt uns noch der Eigentümer. Wer weiß, was das für einer ist."
Ich atmete tief durch und versuchte wieder Fassung zu gewinnen. Um ihn endlich klar zu machen, wer hier der Herr im Hause ist, im Garten. Ich hatte meinen Mund schon geöffnet, doch er kam mir wieder zuvor. "Wir könnten uns hier jeden Tag treffen. Solltest aber den Weg dort an der Mauer nehmen. Ist sicherer."
Und als wären wir vertraute Kumpane, reichte er mir die Hand. Ich konnte sie ja schlecht ausschlagen. Mir war ganz schwindelig im Kopf. So etwas passiert einem ja nicht jeden Tag.
Doch dann brach es aus mir heraus. Ein Lachen, das kein Ende nehmen wollte.
Der Knirps blickte mich besorgt an. Anscheinend dachte er, mir ginge es nicht gut. Als ich mich wieder beruhigt hatte lächelt er. "Ich habe schon richtig Angst gehabt, es wäre was mit dir. Übrigens; ich heiße Wippi; und du?"
Wippi! Ja. so siehst du auch aus.
"Ich heiße Mande."
Er nickte. "Bis morgen, Mande."
Dann hob er die Hand und war zwischen den Büschen verschwunden. Seitdem treffen wir uns hier jeden Abend.
Als ich mit Marjatta zwei Wochen später, jeder einen Korb in der Hand, zum Apfelbaum ging, wunderte sie sich. "So wenig Äpfel in diesem Jahr!"
Eingereicht am 06. Mai 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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