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Wie nur zähme ich dieses Ding?? (Au weia...)

© Gaby Schumacher


Es passierte vor 44 jahren auf der Hochzeitsfeier meiner Cousine Jutta. Ich war damals gerade elf.
Alles ging hoch vornehm zu. Die ganze Verwandtschaft in edlen Roben, ein typisches Restaurant der Oberklasse, noch typischere versnobte Kellner, die um uns herumschwirrrten wie aufgescheuchte Bienen und uns mit ihrem dämlichen nasalen Gequatsche, da ja vornehm, entsetzlich auf die Nerven gingen und eine entsprechend gedeckte und geschmückte lange Tafel in einem ebenso überladen hergerichteten Saal. Puuh, wie ich ein solches Theater hasste!
Aber wider meine Erwartung stieg die Stimmung mit der Zeit beträchtlich. Kaffee und Kuchen überlebten die Runde nur wenige Minuten. Heiraten ist schliesslich aufregend und Dabeisein und Zugucken aufregend und anstrengend. Also langten alle kräftig zu.
Sauer und auch ein wenig hilflos registrierte ich, dass man mich als Tafel-Nesthäkchen an das eine Kopfende derselben platziert hatte. Am anderen saß meine Oma. Als ob diese Platzverteilung nicht schon genug der Gemeinheit gewesen wäre, sassen über Eck diagonal von mir meine Mutter und neben ihr mein Bruder, der mich reichlich vielsagend angrinste. Der wusste genau, wie ich mir da auf dem Präsentierteller vorkam.
Juttas Jetzt-endlich-Angetrauter hatte schon lange vorher sämtliche verwandtschaftlichen Herzen im Sturm erobert. Auch meines! Doch es gab da einen Umstand, dessentwegen ich mich mit meinen Sympathiebezeugungen noch sehr zurückhielt: Er war Lehrer!!
Der Brautwalzer war vorüber. Jutta liess sich aufatmend auf ihren Stuhl plumpsen, sie hatte es hinter sich. Tanzen war nicht gerade ihre grosse Leidenschaft. Winfried dagegen hopste für sein Leben gerne auf dem Parkett herum und forschte also nach Ersatz. Eifrig bemüht, auch die letzten Zweifler von sich zu überzeugen, erinnerte er sich seines just angeheirateten, kleinen Cousinchens, kam aur mich zu, verbeugte sich formvollendet und...forderte mich auf.
Mutter und Bruder grinsten um die Wette und tuschelten eifrigst. Das wunderte mich überhaupt nicht, denn ich war rot wie eine überreife Tomate. Mir war noch nicht einmal die Chance vergönnt, mich gegen dieses Gewispere zu wehren.
Winfried war Frauenkenner, auch der ganz junger Frauen wie mich. Er wusste genau, wie er sich bei mir ins rechte Licht setzen konnte. "Du tanzt sehr gut, Gaby!", bemerkte er, was dann zur Folge hatte, dass ich total von den Socken gar nicht mehr so toll tanzte, sondern stattdessen nach Kraften auf seinen Schuhen herumtrampelte. Solch ein einziges Kompliment...und prombt vergab ich ihm "den Lehrer!"
Das Abendessen verteilte sich auf mindestens fünf Gänge delikater Happen, eher Häppchen, und stammte aus der feinsten französischen Küche. Es schmeckte mir doch tatsächlich ausgesprochen gut, obwohl ich da ansonsten sehr wählerisch war. Meine absolute Lieblingsspeise waren eigentlich Kartoffelsalat mit Bockwürstchen.
Das Menue verabschiedete sich. Mindestens zwanzig eine blasierte Mimik vorführende, nasal quatschende Kellner mit ebensovielen Tellern überfielen den Saal. Auf den Tellern entdeckte ich jeweils ein honigfarbenes, halbmondförmiges Etwas mit etwas Grün hinter seinen Ohren bzw. an seinem ebenfalls halbrunden Rücken.
Obwohl ich als gut erzogene Tochter bereits beflissen an den verschiedenen alkoholischen Getränken da vor mir auf der Tafel genippt hatte, tippte ich schon beim ersten Male direkt ins Schwarze, was da auf mich zukam: Eine süsse Melone.
Ich wusste, die erfrischten. Ich wusste, ich würde von deren Geschmack begeistert sein. Was ich aber überhaupt nicht wusste, war, wie um Gotteswillen ich diesem Imitat-Halbmond Herr bzw. Frau werden sollte.
Unter den Tisch zu kriechen, um sie da irgendwie kleinzukriegen, war nicht drin, gehörte sich nicht. Ich hatte mich stattdessen dem im Angesicht eines feixenden Bruders und nachsichtig lächelnder Onkel und Tanten oberhalb der Tischkante zu stellen.
Kerzengerade setzte ich mich hin, um so zu tun, als ob ein Melonenrendevous für mich das Alltäglichste der ganzen Welt wäre. Verzweifelt schielte ich um den ganzen feierlichen Tisch herum. Was machten die Anderen? Bissen sie einfach Žrein oder bearbeiteten sie das Ding mit Messer und Gabel?
Mir brach bei dem Gedanken, etwas falsch zu machen, der Schweiss aus sämtlichen Poren. Anstatt mir vielleicht Žmal Žnen nützlichen Tipp zu geben, grinste mein grosser Bruder immer unverschämter und amüsierte sich wahrhaft königlich.
"Wenn du glaubst, ich gebe jetzt auf, dann hast du dich geschnitten!" Ich würdigte ihn einfach keines Blickes mehr, heftete diesen lieber auf meine Oma. Ah, so ging das: Oma bediente sich des Besteckes und hatte damit sehr guten Erfolg, genoss sichtlich die saftige Frucht. Wenn sie das konnte, dann ich auch!
Ich griff mir Gabel und Messer in der Absicht, die Melone zwecks einfacheren Verzehrs in mundgerechte Scheiben zu zerteilen.
Pustekuchen! Plötzlich musste ich des berühmten Satzes gedenken: "Der Mensch denkt und... (in nur unbedeutender Abwandlung!): Die Melone lenkt!"
Sie hatte so unschuldig in ihrem Saft auf meinem Teller gelegen, honiggelb mit zartgrünem Rücken. Eben dieser Saft verhalf ihr urplötzlich zu ungeahnter Beweglichkeit. Je mehr das Messer drückte, um so mehr rutschte sie auf ihrer Saftrutschbahn hin und her. Die Gabel war machtlos, verwandelte die glatte Haut der Melone in einen super Schweizer Käse, fand aber keinen Halt in dem glitschigen Etwas.
Mein Messer kriegte, wie jeder wohl verstehen wird, einen ordentlichen Wutanfall der vielen vergeblichen Bemühungen wegen(schliesslich war es doch erst gestern elektrisch geschärft worden!) und rammte sich todesmutig ins Melonenfleisch. Das Fräulein Melone wurde biestig, sagte "So nicht!", brach einfach entzwei und liess das arme Messer mit Wucht auf den Teller knallen. Allerdings hatte sie zwischenzeitlich in Sekundenschnelle das Weite bzw. den Schoß meines weissen Festtagskleides gesucht.
Der Knall blieb nicht ungehört. Alles am Tisch erstarrte. Selbst Mutter und Bruder verging das Grinsen. Mutter des ungehörigen Knalles, aber noch mehr des nass-verdreckten Kleides wegen und meinem Bruder vor lauter Schreck, weil er mit sowas nicht gerechnet hatte.
Doch die Angelegenheit war damit noch nicht ausgestanden. Schliesslich hatte mich die Melone ganz gehörig angemacht. Ich gierte nach ihrem Saft. Mit anderen Worten: Ich hatte schrecklichen Durst.
Nein, ich bezwänge sie, diese olle Frcuht könnte mir weder auf der Nase, geschweige denn erst recht nicht auf meinem Schoss herumtanzen. Und das auch noch ungegessen!
Blitzschnell schnappte ich mir die aalglatte Sünderin mit zwei Fingern und bugsierte sie zurück auf meinen Teller. ich versuchte, an Eindruck zu retten, was zu retten war oder auch nicht, wie ich mir in meinem Herzen kleinlaut eingestand, hielt mit der rechten Hand dieses flutschige Biest fest und stach triumphierend mit der Gabel zu.
Siegessicher musterte ich die Gesichter meiner lieben Verwandten, allen voran das meiner Mutter und meines da überaus geliebten Geschwisterchens. Mutter war eindeutig eindeutig viel zu blass für ihren Teint. Mein Bruder stierte nur in purer Hoffnungslosigkeit, dies alles wäre nur ein Abtraum, die Tischdecke an, die sich aber wie vordem in unschuldiges Weiß hüllte. Auf meine Melone zu stieren, fehlte ihm offensichtlich endgültig der Mut.
Meine restlic Verwandtschaft glättete in aller Eile ihre Lach- bzw. doch witaus zahreichere Ensetzensfalten und übte sich in höflicher Disziplin. Warum quälte ich mich ihretwegen denn überhaupt mit Selbstvorwürfen? Schliesslich hatte ich denen zu Gesprächsstoff für mindestens vier Wochen verholfen.
Doch zurück zur Melone. Die stand zu meinem Glück wegen der Rückzwangsversetzung hoch auf den Tisch ganz gewaltig unter Schock, rührte sich kein bisschen mehr und benahm sich endlich einmal standesgemäss.
Das war ihr Fehler! Ich wollte endlich auch meinen Nachtisch geniessen, meinen ganzen Frust mit seinem Saft runter spülen. Entschlossen überredete ich Messer und Gabel zu einem Generalangriff und schnitt, die ich ja immer noch unkundig war, wie, einfach eine Scheibe Honigbraun mit hinten etwas Grün ab. Zwar wunderte ich mich, weshalb das Grün sich so schwer von der Melone trennte, aber ich sagte mir, die Beiden hatten ja auch extrem aneinander gehangen.
Ich tat den ersten Bissen, wieder ganz die wohlerzogene Tochter, sass da wie eine Eins, schmatzte auch nicht und liess es mir in keinster Weise anmerken, wie widerlich es schmeckte, wie komisch mir deswegen wurde.
Ein schneller Blick diagonal über den Tisch zu Mutter und Bruder verrieten mir, dass da etwas nicht stimmen konnte. Anstatt bleichen Gesichtes da zu sitzen, überzog Mutters Gesicht eine rasch intensiver werdene Röte. Mein Bruder hatte seinen tiefgefrorenen Gesichtsausdruck abgelegt und prustete stattdessen aus vollem Halse vor sich in.
Später dann erklärte mir Winfried auf seine so nette, charmante Art: "Weisst du, Gaby, das konnte ja gar nicht schmecken. Du hast die Schale mitgegessen!"
Deshalb Mutters Zweiminutenwundermakeup.
Daher Bruders hämische Fröhlichkeit.
Vor Scham wäre ich am liebsten in den Boden versunken!



Eingereicht am 05. Juni 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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