Böla Sester!!
© Gaby Schumacher
Ach, wie erholsam ist doch ein Nachmittag mit der Familie. Je kleiner der Kreis, umso erholsamer. Sind nur der Papa, die Mama und zwei Kleinkinder mit von der Partie, wie in unserem Falle, bedeutet das Glück und Frieden pur. So denken wir und freuen uns aufs Wochenende ohne Alltagsstress, ausschließlich mit Genuss.
Wie(!) beglückend solche Stunden sein können, erfahren wir dann an dem betreffenden Samstag.
An dem sehnlichst erwarteten ach so gemütlichen, gemeinsamen Nachmittag geht zunächst auch alles gut. Wir Eltern sitzen im Wohnzimmer, spielen mit unseren beiden Töchtern oder gucken einfach nur stolz zu, welche aparten Duplo- bzw. Legohäuser da vor unseren Augen errichtet werden. Manchmal fehlen denen zwar die Türen, aber die kleinen Architektinnen werden mit Sicherheit für Strickleitern sorgen. Bekanntlich sind der kindlichen Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Mit Feuereifer sind unsere Kleinen bei der Sache. Alexandra, dunkelhaarig mit brauen Augen, fünf Jahre und Nicole, hellblond mit blitzblauen Augen, gerade Žmal 2 1/2 Jahre alt. Bald stehen da die eigentümlichsten Bauten. Unsere Töchter strahlen vor Stolz, lassen sich auch nicht von uns verunsichern, die wir schüchtern auf gewisse mögliche statische Probleme hinweisen.
" Allet hichtig!", versichert uns Nicki.
Sie hat sehr spät angefangen zu sprechen und bedient sich zeitweise noch der Babysprache.
"Gar nicht wahr!", erklärt uns Aelxandra.
Mitleid mit den unkundigen Eltern schwingt in ihrer Stimme.
"Ihr habt keine Ahnung!", eröffnet sie uns.
Das trifft tief. Wir verstummen.
Das Häusermeer ist fertig. Doch jeder Ort hat Straßen und auf denen fahren Autos. Das weiß schon die kleine Nicki. Da das Hocken auf dem Teppich selbst für einen so gelenkigen Dreikäsehoch wie sie nach einer gewissen Zeit doch recht unbequem wird, sieht sie sich, eifrigst unterstützt von der älteren Schwester, fix nach einem geeigneteren Bauplatz um.
Ihr prüfender Blick fällt ausgerechnet auf den Couchtisch. Ausgerechnet, denn da habe ich das Rosenthalporzellan gedeckt. Wie gesagt, die kindliche Fantasie lässt sich nicht bremsen. Nicki und auch Alexandra sehen sofort Straßen und Gässchen zwischen Kuchentellern und Untertassen.
Für uns, ihre Erziehungsberechtigten, ist binnen einer Sekunde die Ruhe vorbei und weicht einer verkrampften, sich stetig steigernden Unruhe. In Gedanken verabschiede ich mich schon Žmal deprimiert von meinem Lieblingsporzellan und tröste mich damit, dass ich mich ja doch immerhin schon einige Jahre daran habe erfreuen können.
"Irgendwann findet eben alles sein Ende!", seufze ich im Stillen.
Derweil sausen Lego- und Duplogefährte mit zunehmender Geschwindigkeit quer über den Tisch, umrunden unablässig Tassen und Teller und kratzen dabei immer nur so eben die Kurve. Dieser Anblick macht mich fertig. Ich vergesse fast das Atmen.
Auch der Papa meiner Kinder ist sichtlich nervös. Bestimmt fragt er sich insgeheim, ob die Beiden wenigstens die wichtigsten Verkehrsregeln beherrschen. Dann zum Wohle des Porzellans und unserer Nerven.
Es erscheint uns wie ein Wunder. Weder fliegen Teller und Tassen zu Boden noch beobachten wir Auffahrunfälle. Alles läuft reibungslos ab. Trotzdem erinnern wir uns noch dem ersten Schock unserer Erziehungspflichten.
"Also, weißt du, das dürfen wir nicht durchgehen lassen!", raune ich meinem Mann leise zu. Der nickt.
Doch ich habe die Elternzeitschrift abonniert. Da steht drin, dass man Kinder nie heftig anfahren darf, da sonst die lieben Kleinen einen Schock fürs ganze weitere Leben davontragen. Das wiederum verantworten wir als liebevolle Mama und ebenso liebevoller Papa nicht. Also bleiben uns nur diesbezügliche zarte Hinweise:
"Hört Žmal, ihr Zwei, wäre es nicht besser, die ganze Stadt in euer Kinderzimmer zu verlegen?", schlagen wir zögernd vor und fügen hinterlistig hinzu:
"Da habt ihr viel mehr Platz und könnt prima Autobahnen bauen!"
Ob sie wohl darauf hereinfallen?!
Natürlich nicht. Sie stellen sich stur. Nein, sie wollen in unserer Nähe spielen. Immerhin lassen sie sich dazu überreden, das Häusermeer und die Straßen und Gässchen wieder auf den Teppich zu verfrachten.
Wir atmen auf.
Zu früh gefreut!
Dort sausen die Autos wild durcheinander. Sie müssen sich ja nicht mehr vorsichtig um das Porzellan herum schlängeln. Alles an Zusammenstößen wird nachgeholt, was vor ein paar Minuten noch erstaunlicherweise ausgeblieben ist.
"Die Nicki macht das extra. Die will mir das Auto kaputtmachen!", beschwert sich Alexandra.
"Is dar nich wahr!", meckert Nicki zurück.
"Du bis doof!", schleudert sie mutig der Älteren entgegen.
Darauf Alexandra:
"Mama, die hat Ždoof`zu mir gesagt!"
Und zu Nicki:
"Selber doof!"
Ein paar Minuten später. Mittlerweile zanken sich die Zwei wie die Rohrspatzen. Von einem gemütlichen Nachmittag ohne Stress kann keine Rede mehr sein. Unsere Nerven flattern.
"Herrgott, lass es Abend werden!"
Der Kampf da unten auf dem Teppich zu unseren Füßen eskaliert. Nicki hat es auf ein Auto abgesehen, mit dem Alexandra in wahnwitzigem Tempo durch die Straßen und auch schon Žmal, natürlich nur aus reinstem Versehen, durch die Häuser fährt. Anscheinend herrschen in der Legostadt andere Regeln. Jedenfalls stellen wir entsetzt fest, dass diese Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung in keinster Weise von den Playmobilpolizisten geahndet werden.
Alexandras Auto ist von leuchtendem Rot, Nickis Lieblingsfarbe. Deshalb möchte die Kleine es auch ihrer Schwester abnehmen. Keck greift sie zu. Alexandra hält aber hartnäckig fest. Zwei Kinderhände umklammern je ein Ende des Autos, das diesen zweiseitigen Angriff doch tatsächlich als Eintel überlebt. Lego ist eben doch ein gut konzipiertes Spielzeug.
Es wird gekniffen, getreten und gespuckt. Ja, leider auch das. Zwischen kleinen Mädchen gehört das einfach zum Zankrepertoire. Nicki spürt zunehmend die Überlegenheit der älteren Schwester. Die ist eben doch schon weiter und kennt vielerlei Tricks, um sich durchzusetzen.
Da greift Nicki zum allerletzten Mittel, um das Gesicht nicht völlig zu verlieren. Wutentbrannt rappelt sie sich auf, brüllt wie am Spieß, rast an uns vorbei aus dem Wohnzimmer und schreit: "Böla sester!!"
Im nächsten Moment knallt sie die Zimmertür von außen mit einer solchen Wucht zu, dass die vor Entsetzen fast aus ihren Angeln springt.
Wir wenden uns unserer Ältesten zu, die völlig erstarrt und mit fassungslosem Blick wegen dieser Frechheit der Jüngeren ihr gegenüber da steht. So etwas hat sich Nicki noch nie heraus genommen! Alexandra ist so geplättet, dass ihr so schnell keine passende Antwort einfällt.
"Das ist die Grundsteinlegung zu einer wahrlich innigen Freundschaft!", flüstere ich dem Papa meiner Kinder zu.
Um die Seele Alexandras zu schonen, bemühen wir uns verzweifelt um ernste Mienen. Erst, als auch sie, ebenfalls in Rage, dem Wohnzimmer den Rücken gekehrt hat, prusten wir los und lachen Tränen.
Diese Episode werden wir bestimmt niemals vergessen.
Eingereicht am 08. Juli 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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