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Fern und doch nah - meine Vergangenheit!

© Gaby Schumacher


Vor kurzem glückte mir etwas, was mich dem Heute entriss und mir eine innere Zeitreise bescherte.
Meine Gedanken galten der fernen Vergangenheit. Ich schwelgte in Erinnerungen an meine Kindheit, an Verwandte und dann auch an die Spielkameraden aus jener Zeit, besonders an meine Cousine Ute, mit der ich mich sehr gut verstanden hatte. Doch später wurden wir in alle Winde verstreut und verloren den Kontakt zueinander.
Mich ließ die Erinnerung an sie nicht los. Ich sah sie vor mir als hübsches, dunkelhaariges Mädchen, hörte regelrecht ihr Lachen (oh ja, wir lachten sehr viel miteinander!) und ihre Stimme, die selten verstummte. Ute war sehr lebhaft und plapperte für ihr Leben gern. Wir ergänzten uns da hervorragend. Ich war eine gute Zuhörerin.
Irgendwas drängte mich, es einfach zu tun. Es liess mir keine Ruhe mehr. Ich nahm es eines Tages in Angriff, aber schalt mich dessen gleichzeitig:
"Was soll der Unfug? Das bringt überhaupt nichts!"
Meine innere Stimme warnte mich. Sie verlor. Ich hegte die Hoffnung, Ute trüge noch unseren sehr seltenen, sehr wohl klingenden Mädchennamen, vielleicht angehängt an ihren jetzigen, dann durch Heirat erworbenen Hausnamen.
So setzte ich mich denn vor meinen Computer, schlug im Internet das Telefonbuch auf und tippte ein:
"Ute A.!"
"Das wird garantiert nichts!", redete ich mir ein.
War dies ein Selbstschutzversuch vor einer möglichen, heftigen Enttäuschung? Mit klopfendem Herzen wartete ich ab.
In der nächsten Sekunde stockte mir der Atem. Mein Blick klebte starr auf jener Zeile, die mir einen Teil meiner Kindheit zurück brachte. Ich wagte es nicht zu hoffen, geschweige denn zu glauben:
"Das gibt`s doch gar nicht!", murmelte ich fassungslos.
Aufgeregt las ich wieder und wieder jene Adresse und die nebenstehende Telefonnummer. Ich war wie erstarrt und erst recht keines vernünftigen Gedankens fähig. In meinem Kopf wirbelte alles, wirklich alles durcheinander.
Hoffentlich störte mich jetzt niemand. Hoffentlich war mir in dieser Situation die Ruhe vergönnt, erst einmal wieder zu mir selbst zu finden. Dort vor mir war der Schlüssel zu meiner Kindheit verzeichnet. Damit musste ich erst einmal fertig werden.
Das Schicksal meinte es gut mit mir. Niemand betrat mein Zimmer. Im Hause herrschte Stille. Stille, die ich dringend brauchte, um das zu verarbeiten, was sich mir da auftat. Setzte ich diesen virtuellen Weg fort, beeinflusste das mein Leben.
Ein zweites Mal redete mir meine innere Stimme gut zu:
"Lass es besser! Findest du denn die richtigen Worte, um dich vorzustellen, in einem Gespräch nach sage und schreibe 45 Jahren?"
Ich stellte in Frage:
"Gibt es denn in einer solch extremen Situation überhaupt falsche Worte??"
Darauf blieb sie mir die Antwort schuldig.
Ich schlug alle diese Mahnungen in den Wind. Ich hing an einer sehr langen Leine, die Leine der gemeinsamen Freude aus Kindertagen. Nichts hielt mich mehr vor dem entscheidenden Griff zum Telefon zurück. Ich würde ja merken, ob sie den Kontakt aufleben lassen wollte oder auch nicht. Falls mich ein entschiedenes "Nein" erwartete, müsste ich diese Ablehnung akzeptieren, das Bewusstsein darum schleunigst verdrängen und mein Leben weiterhin wie bisher seinen Gang gehen lassen.
Gegen Abend nahm ich all meinen Mut zusammen und wählte diese Nummer, die das Tor zu meiner Vergangenheit aufstieße. Vielleicht vernähme ich gleich Utes Stimme, so, als ob wir wieder elf Jahre alt wären.
Wie reagierte sie wohl?
Nach dreimaligem Freizeichen wurde abgehoben. Es meldete sich eine mir wohl bekannte Stimme:
"Ja, B.-A.??!"
Stockend antwortete ich:
"S., guten Abend!"
Sie entgegnete zögernd:
"Ja..Ich...?"
"Ute?"
"Wiee??"
"Ute, hier ist Gaby, Deine Cousine. Ich habe Deine Nummer aus dem Internet."
Stille.
Gewiss brauchte sie erst etwas Zeit. Schließlich war sie auf ein solches Gespräch nicht vorbereitet gewesen.
"G..Gaby, Duu...?", kam es gedehnt.
Dann aber:
"Mensch, Gaby, von wo aus rufst du an? Wo lebst du denn jetzt??"
Es wurde ein sehr langes, überaus herzliches Gespräch. Wir waren uns von der ersten Minute an vertraut. Ute hatte sich tatsächlich ihren Kindheitstraum verwirklicht und war Ärztin geworden. Außerdem war sie Mutter von drei fast erwachsenen Kindern. Wir redeten und redeten. Ich erfuhr 45 Jahre Leben dieses Zweiges meiner Familie.
Dann erwähnte sie:
"Vor einem Jahr haben wir Omas Haus verkauft. Die neuen Eigentümer haben die Räumlichkeiten unverändert gelassen. Auch der Garten ist noch so, wie er damals war. Heide (ihre jüngere Schwester) ist nach Borghorst gefahren, um das Haus nochmals zu sehen. Die Leute sind ausgesprochen reizend gewesen und haben ihr alles gezeigt."
Nach unserem Gespräch sass ich noch lange wie benommen vor dem Telefon und versuchte, all das Erfahrene zu verinnerlichen. In der Nacht darauf schlief ich sehr unruhig. Ich rang mit einer Idee, die ich aber nicht wieder verdrängen konnte. Am nächsten Morgen stand mein Entschluss fest:
"Wieso eigentlich nicht? - Ja, ich fahre auch nach Borghorst!"
Ich sehnte mich ebenfalls danach, diesen Ort fröhlicher Kindertage wiederzusehen.
Unwillkürlich dachte ich an meine Oma, die Mutter meines Vaters. Sie war eine sehr intelligente, immer fröhliche Frau mit einer blühenden Fantasie. Sie erzählte herrliche Geschichten. Für Ihre Kinder und erst recht für uns, ihre Enkel, war es ein Hochgenuss, ihr zuzuhören. Besonders wir Kleinen hingen gebannt an ihren Lippen.
Plötzlich musste ich sehr grinsen.
Ich erinnerte mich an eine ihrer Lieblingsgeschichten. Das Tollste an dem Ganzen war, dass Oma ihre Geschichten selber für wahre Münze nahm und sie in dementsprechenden Brustton der Überzeugung vorbrachte.
Einmal schlug ihre Fantasie wahre Purzelbäume. Oma war nicht mehr zu bremsen:
"Hört mal, Kinder...
Du, Hans-Jürgen (mein älterer Bruder!), Du könntest sehr wohl um die Hand der englischen Prinzessin anhalten!" Alles hielt dem Atem an:
"Äh...what???"
"Ja, denn wir sind um ein paar Ecken mit dem Fürstenhaus von Salm-Salm verwandt. Ihr seid also eigentlich alle Prinzessinnen und Prinzen!" "Omaa...!", warfen vorsichtig unsere Eltern ein.
Vorsichtig, denn sie wollten ja Oma nicht kränken.
Unbeirrt fuhr Oma fort:
"Doch, doch! Wir gehören alle zu denen. Das habe ich mir nicht ausgedacht!" "Also, ehm...!", versuchten ihre liebenden Kinder sie zu stoppen.
Stoppen war nicht drin. Oma geriet in Fahrt:
"Ja, nur...Leider dürfen wir deren Wappen nicht führen!" Warum aber wir das leider nicht durften, konnte sie allerdings auch nicht erklären.
Das blieb im Dunkeln.
Auf der Heimfahrt blödelten unsere Eltern, mein Bruder und ich nach Herzenslust herum und grübelten, wie wir wohl am besten Hans-Jürgen mit Prinzessin Anne verbandelten.
Wir lachten Tränen.
Soo war meine Oma!



Eingereicht am 14. September 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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