Der Verdacht
© Wolfgang Höll
Das monotone, ekelhaft schrille Geräusch des Weckers riss Oliver Klondike aus dem Schlaf. Es war fünfuhrdreißig in der Früh. Schlafestrunken tastete er mit seiner Linken nach dem Gerät um das Klingeln abzuschalten.
Langsam rappelte er sich auf. Was für ein Scheißtag heute wieder. Er rieb sich die Augen und gähnte, streifte mit der Handfläche durch sein zerzaustes, kurzes Haar. Sein Pyjama war zerknittert und Oliver ärgerte sich ein wenig, so brutal aus seinem schönen Traum gerissen worden zu sein. Er hatte zwar schon wieder vergessen, wovon er geträumt hatte, aber dass es schön gewesen war, daran hatte er keine Zweifel. Als er sich auf seinem Kopfkissen abstützte, bemerkte er den Speichel, der aus seinem Mund getropft war,
woraufhin er dieses angewidert auf das Fußende des Bettes warf.
"Schatz, wie viel Uhr ist es? Musst du denn immer schon so früh weg? Armer Schatz." kam es von dem undefinierbaren Haufen aus langem, blonden Haar und Bettdecke, der sich neben ihm befand.
"Tja, so ist das nun mal", sagte er und versuchte einigermaßen gut gelaunt zu klingen. Immer positiv denken, pflegte Elisabeth zu sagen und genau das hatte er heute morgen auch vor. Möglicherweise würde es hart werden, aber das musste man sich ja nicht gleich anmerken lassen.
Oliver stieg sanft aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln und begab sich in Richtung Badezimmer, sorgsam darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein, damit seine Frau weiterschlafen konnte.
Das Wasser war kalt. Ziemlich kalt, aber das war genau das, was er jetzt brauchte. "Starte gut gelaunt in den Tag, dann machst du deinen Job noch besser", murmelte er vor sich hin.
Nachdem er sich rasiert und Deodorant, sowie After Shave aufgetragen hatte, fühlte er sich auch gleich viel frischer. Während dem Zähneputzen schlich er sich noch einmal so still wie möglich ins Schlafzimmer und legte seine silberne Rolex an, die er am Abend zuvor auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Nachdem er damit fertig war, machte er sich auf und stattete dem Trainings- und Ankleideraum einen Besuch ab. Das Zimmer war vielleicht zwanzig Quadratmeter groß und wurde von einem langgezogenen, außen verspiegelten
Schrank dominiert, dem verschiedene Trainingsgeräte - ein Heimtrainer, ein Laufband und verschiedene Möglichkeiten zum Gewichtheben - gegenüber standen. Oliver pflegte abends zu trainieren, daher begnügte er sich jetzt lediglich mit fünfzig Liegestützen und ebenso vielen Sit-Ups, um seinen Kreislauf ein wenig in Schwung zu bringen, dabei aber gerade so nicht ins Schwitzen zu kommen.
Seinen Morgenkaffee trank Oliver schwarz und ohne Zucker, doch dafür genoss er reichlich Orangensaft und mit Vitaminpräparaten angereicherte Energydrinks als Ausgleich und während er seinen Toast erst mit Butter und dann mit Brombeermarmelade bestrich, überflog er beiläufig die Zeitung. Anscheinend nichts Besonderes, wie er es sich eigentlich auch gedacht hatte. Tatsächlich interessierte er sich auch gar nicht so sehr dafür, achtete jedoch penibel darauf, den Sport- und den Wirtschaftsteil ausgebreitet auf dem
Tisch liegen zu lassen, wenn er das Haus verließ. Aus den Boxen seiner Dreitausenddollar-Stereoanlage dröhnten leise die Eagles.
Oliver bevorzugte Armani. Er zog sich das leuchtend weiße Hemd über, schlüpfte elegant in seinen maßgeschneiderten, anthrazitfarbenen Anzug und rückte den Krawattenknoten zurecht, bevor er sich den, schon gestern Abend gepackten Aktenkoffer griff und sich anschickte, diskret sein Haus zu verlassen. Ein letzter Blick in den Spiegel: Perfekt.
6:20 Uhr. Die S-Bahn hatte exakt eine Minute Verspätung, so wie jeden Tag. Aber das kalkulierte Oliver längst mit ein. Wie so oft war sie zwar nicht sehr voll, würde sich im Laufe der siebenunddreißigminütigen Fahrt aber noch weiter füllen und bis er endlich aussteigen würde, würde es recht eng geworden sein. Sein Ziel, die Tumberland-Square-Station, erreichte er also keinen Moment zu früh. Oliver fühlte sich, wie die meisten Menschen, nicht wirklich wohl in größeren Menschenmengen, hatte aber auch kein allzu
großes Problem damit. Umso mehr Menschen an einem Ort verweilten, desto weniger fiel er in der Masse auf. Das gefiel ihm.
Oliver trug einen schweren, schwarzen Kutschermantel (keine besondere Marke), sodass ihm unangenehme Fragen über seine Kleidung und sein Aussehen erspart blieben.
Es war jetzt 6:36 Uhr und er stieg aus, um in einen anderen Waggon der S-Bahn wieder einzusteigen. Die dicke schwarze Frau gegenüber hatte ihn schon wieder zu lange beobachtet. Er beschloss, in Zukunft nie wieder in Waggon 3 mitzufahren. Seit einigen Wochen war er von Waggon 4 auf Waggon 3 umgestiegen. Oliver hasste es, jedes mal die gleichen Gesichter zu sehen, doch zuviel war zuviel. Jetzt sollte es also Waggon 1 sein. Hoffentlich fuhren hier nicht solche perversen Schweine, wie diese alte Schachtel mit. Sie
hatte einen so merkwürdigen Blick gehabt, wer war sie? Keine Ahnung, aber er wollte es gar nicht wissen.
Exakt einundzwanzig Minuten später stieg er an der Tumberland-Square-Station aus. Daraufhin musste er nur noch drei Blocks weiter laufen und schon war er angekommen. Triangle-Waterston-Building. Oliver grüßte den Portier mit einem dezenten Nicken und marschierte zielstrebig in Richtung des Aufzuges.
"Ah, Klondike, da sind sie ja."
Oliver drehte sich um. Es war O'Cheery, der alte Sack. "Immer noch am Bearer's Account?" fragte der dickliche Mittfünfziger, dessen wettergegerbte Haut einen Eindruck machte, als würde sie in spätestens zehn Jahren komplett abgefault sein. Oliver musste sich beherrschen, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen.
"Äh... selbstverständlich", antwortete er und setzte ein gespieltes Grinsen auf, das Zufriedenheit und auch ein klein wenig Angeberei ausdrücken sollte. Gefühle, freilich, die er in keinster Weise hegte. Es war ihm momentan einfach nur egal.
"Wow, dann müssen sie ja echt das Glück gepachtet haben, Klondike", lachte O'Cheery und klopfte Oliver dann auf die Schulter. Es sollte wohl so etwas wie Herzlichkeit darstellen, dachte sich Oliver und formte mit seinem Kiefer Kaubewegungen, obwohl er nichts im Mund hatte.
Die Aufzugtür öffnete sich und eine junge, attraktive Frau im cremefarbenen Hosenanzug, vermutlich Yves Saint Lauren, kam den beiden Männern entgegen. Vielleicht siebenundzwanzig. Auf jeden Fall ein verflucht fickbares Ding, überlegte Oliver. Er erwischte sich dabei, wie er ihr nachsah und bemerkte, leicht amüsiert, wie O'Cheery ihr auf den Po starrte. Alter, hässlicher Sack, vergiss es. Vergiss es einfach. Sie gehört mir, und zwar mir allein.
Nein. Er musste denken wie ein Profi, denn er war ein Profi. Schluss damit.
Sie betraten die Aufzugskabine. Zum Glück würde er vor O'Cheery aussteigen. Das ersparte ihm zumindest ein bisschen von seinem dummen, belanglosen Geschwätz, das ihn unzweifelhaft noch erwarten würde.
"Nette Braut", sagte der Alte und entblößte bei seinem aufgesetzten Grinsen einige Goldzähne. "Er hat Mundgeruch", dachte sich Klondike. "Oh mein Gott, er hat Mundgeruch." Er schluckte und sein Adamsapfel bahnte sich langsam, verkrampfend seinen Weg. Scheinbar beiläufig blickte Klondike auf seine Rolex. Viertel nach Sieben. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
"Ich habe gehört, Emily und Ted seien bei etwas erwischt worden..." warf O'Cheery in den Raum.
Oh nein, schon ging der Spaß los. Klondike machte gar nicht erst Anstalten, ihm einen erwartungsvollen Blick zuzuwerfen. Aber das war diesem eh egal. Denn seine genauere Schilderung würde so sicher folgen wie das Amen in der Kirche. Es war quasi schon vorprogrammiert. Der Mann spulte nur ein Tonbandgerät ab, dass ihm irgendein verrückter Chirurg hinter die Stimmbänder transplantiert hatte.
"Wussten Sie, dass die beiden was miteinander hatten? Ich bin ja kein großer Freund von diesem Frauengeschwätz, aber," er lachte dümmlich, "das ist es schon wert, darüber ein paar Worte zu verlieren." Natürlich bist du ein Freund von diesem Frauenkram. Und wer zum Teufel sind Emily und Ted, dachte sich Oliver.
"Tja, sie wurden wohl incognito erwischt. Wenn sie verstehen was ich meine." er grinste und stieß Klondike dabei mit dem Ellenbogen in die Magengrube. Viel stärker, als man es bei einer solchen Geste eigentlich erwarten sollte und für einen Moment wusste sein Bauch nicht, ob er den Kaffee und das Marmeladenbrot wieder hoch, durch die Speiseröhre herauswürgen sollte oder nicht.
Vermutlich war O'Cheery der "Ernst der Lage" aufgefallen, aber er machte keine Anstalten dies zu zeigen und entschuldigte sich auch nicht. Die Peinlichkeit der Situation gebot es, am besten einfach zu schweigen. Und das war auch Klondike am liebsten.
"Kling" tönte aus dem kleinen Lautsprecher über der Tür. Siebentes Stockwerk. "Oh, ich muss raus", sagte er. "War nett sie gesprochen zu haben... äh... O'Cheery. Sayonara, sozusagen."
O'Cheery zwinkerte ihm zu und schnipste in einer spielerischen Geste mit dem Finger. Was für ein Trottel.
Oliver Klondike. Zweiunddreißig Jahre alt und in der Blüte seines Lebens schritt den langen, von Neonröhren erleuchteten Flur entlang und machte schließlich vor einer großen Holztüre halt. Er stellte den Aktenkoffer kurz auf dem Gang ab und kramte seinen Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und verschwand dahinter.
Einige Minuten später öffnete sich die Tür wieder. Ein schwarzgelockter, gut gebauter Mann mit langem Mantel aus cremefarbenem Wildleder, hochgestelltem Kragen und dunkler Sonnenbrille schritt aus ihr heraus. Es war Klondike. Um sein Outfit abzurunden hatte er sich einen falschen Schnurrbart angeklebt.
"Ah, Mister Kowalski. Schön Sie zu sehen", rief ihm eine klangvolle Frauenstimme entgegen. Es war Mira. Mira Cunningham. Sie arbeitete in einem Büro zwei Stockwerke über dem seinigen und war Angestellte bei "Amazon, Leyk and Pulmer", einer, in Klondikes Augen zweitklassigen Anwaltskanzlei mit allerdings erstklassigem Ruf - zumindest wenn man Mira Glauben schenken mochte.
Wenn er sich Klondike nannte, dann hatte er schon mehrere Male in der Lobby des Triangle-Waterston-Building mit ihr und ein paar anderen "Bürohengsten" - wie sich die Truppe dann scherzhaft nannte - gegessen. Als Paul Kowalksi hingegen lediglich zwei oder dreimal mit ihr einen Kaffee getrunken. Er betrat erneut die Kabine des Aufzuges. Die Tür schloss sich und Miss Cunningham drückte auf die Taste für das Erdgeschoss.
"Netter Mantel, Paul. Ich darf Sie doch Paul nennen?" sie guckte etwas beschämt auf den Boden. "Inzwischen kennen wir uns nun doch ein wenig", sagte sie.
"Selbstverständlich", erwiderte Klondike mit einem Lächeln auf den Lippen.
Sie fuhren bis in die Lobby und unterhielten sich dabei über genetisch veränderte Tiernahrung (Mira hatte zwei Katzen und hielt nichts davon) und über eine neue Gemüsediät. Wobei der Teil mit der Diät eher den Charakter eines inneren Monologes von Mira hatte.
"Auf Wiedersehen", verabschiedete sich Klondike und verließ das Gebäude exakt drei Minuten nachdem der Portier seinen Posten verlassen hatte und zwei Minuten bevor dessen Ablösung eintreffen würde.
Er lief um die nächste Ecke und marschierte anderthalb Blocks auf dem Bürgersteig entlang. Dann rief er ein Taxi und fuhr neun Blocks weiter, bis zur Park Lane und stieg aus. Der Fahrer erhielt ein nicht zu knappes, aber keineswegs ungewöhnlich hohes Trinkgeld.
Klondike überquerte das Rondell und kam schließlich in dem etwas heruntergekommen Mehrfamilienhaus an, wo er eine kleine Wohnung angemietet hatte. Niemand schien da zu sein. Bis auf den Hausmeister, der wohl irgendwo im Keller etwas reparierte.
"Mister Sanchez", rief dieser ihm begrüßend zu, als Klondike sich gerade auf der Treppe zwischen dem zweiten und dem dritten Stock befand. Er hatte einen südasiatischen Akzent. Ein Inder oder ein Pakistani.
"Guten Tag", gab er zurück.
"Bitte betreten Sie nicht den Keller. Hier unten ist ein kleines Malheur passiert. Bitte entschuldigen Sie."
"Kein Problem." Klondike blickte nun im Hausflur am Geländer hinab, sodass er den Mann unten sehen konnte. Er lächelte bestätigend.
Dann ging er weiter, bis er schließlich an einer Tür ankam. Sie war recht schlicht, dafür schwer und ziemlich. Klondike hatte sie selbst eingebaut. Eine exakte Nachbildung der ursprünglichen, aber schallgedämmt. Auf Augenhöhe war ein Guckloch angebracht, durch das, im Flur stehende Personen beobachtet werden konnten. Er schloss die Tür auf und Betrat das kleine Apartment. Gegenüber des Einganges war ein, von Rollladen abgedunkeltes Fenster. Davor ein Schreibtisch auf dem ein Laptop thronte. Klondike schaltete
den Computer an.
Der Raum war relativ spartanisch eingerichtet. Der Tisch. Ein drehbarer Stuhl. Zwei hohe, kantige Schränke. Klondike machte einen von ihnen auf und griff sich aus dem obersten Fach einen Revolver. Sich auf seinem Stuhl niederlassend drehte er verspielt die Trommel.
Er machte die Schublade unter der Tischplatte auf. Darin lagen mehrere Wegwerfhandys - ohne Vertrag. Er schaltete eines ein und checkte einige der eingespeicherten Nummern. Gleichzeitig tippte er irgendetwas in den Rechner. Kurz darauf beendete er das Programm und für den Bruchteil eines Augenblicks war auf dem Desktop das Bild eines jungen, gut gekleideten Herrn zu erkennen.
Klondike setzte sich ein Headset auf und schaltete ein anderes Programm ein. Mal sehen, ob einer seiner Mittelsmänner ihm einen neuen Auftrag an Land gezogen hatte. Er kramte ein Päckchen Kugeln hervor und raschelte damit leise vor sich hin, während er mit den Fingern der Linken auf der Tischplatte herumtrommelte, wartend, bis die Software endlich geladen hatte. Er starrte dabei beiläufig in den Nebenraum. Die Tür stand offen. Nur das rötliche Leuchten kleiner Hightechgeräte war darin zu sehen. Der Raum war dunkel.
Es war exakt drei Minuten nach 8 Uhr.
***
Einundzwanziguhrsiebenundfünfzig. Elisabeth Klondike saß bei einem Glas Rotwein auf ihrer weißen Couch und sah sich auf dem Breitbildplasmafernseher ein Magazin mit dem Thema "Schlafstörungen - ein Anzeichen für ein gestörtes Verhältnis zum Arbeitgeber?" an und war nahe daran einzuschlafen. Selbstverständlich konnte sie sich nicht mit der Materie der Sendung identifizieren. Zumindest nicht wirklich. Sie hatte noch nie gearbeitet. Nach der Uni hatte sie direkt Oliver geheiratet. Aufgewachsen war sie
in einem streng katholischen Elternhaus und obwohl sie nicht an konservative, gutbürgerliche Rollenverhältnisse glaubte, so war es doch ihr Mann, der das Geld nach Hause brachte. Er verdiente wirklich gut, aber er arbeitete so schrecklich viel. Manchmal kam Oliver erst sehr spät nach Hause. Heute war so ein Tag. Sie wartete ungeduldig, wollte nichts anderes, als von ihm in die Arme genommen zu werden. Der Tag war für sie eine einzige Katastrophe gewesen... Sie seufzte und schloss kurz die Augen.
Genau in diesem Moment - und sie bemerkte es nicht - konnte man von ihrem Wintergartenfenster aus einen kleinen, roten Punkt in der Dunkelheit erkennen, zu dem sich bald mehrere hinzugesellten. Sie kamen langsam näher. Wenn man genauer darauf geachtet hätte, so hätte man sicherlich ein leises Rascheln von Draußen vernommen, aber Elisabeth war ganz in Gedanken versunken. Ihr Glas war leer und sie stand auf, Richtung Küche schreitend und hatte die Absicht, sich ein weiteres einzuschenken.
Dann hörte sie das vertraute Schlüsseldrehen an der Tür. Olli. Endlich. Sie nahm sein Parfüm war. Ja, er war es. Das Licht im Flur ging an. Sie sah seinen Schatten am Boden.
"Schatz? Komm her. Ich brauche dich. Mein Tag war so schrecklich", sagte sie und stöhnte dabei übertrieben.
Schweigen. Ein Moment verging.
"Schatz?"
Ein winziger Augenblick des Schweigens. Dann steckte sie ihren Kopf hinter der angelehnten Tür hervor.
Er war es. Ihr Mann, Oliver Klondike. Er war blass.
"Was ist Schatz?"
"Nichts. Ich glaube nichts. Ich dachte nur gerade. .. Ich hätte irgendwas gehört."
"Mein lieber Schatzibär", sagte Elisabeth. Klondikes Worte ignorierend. Die Frage nach seinem Wohlergehen - auch wenn er ganz offensichtlich blass war, ziemlich blass - war nur ein Tonband. Abgespielt auf dem gleichen Tonbandgerät, das man auch O'Cheery eingepflanzt hatte. Ihre Stimme hatte einen verniedlichenden Klang angenommen. So als würde sie mit einem Kleinkind sprechen, das seinen Teddybär verloren hatte. Dann umarmte sie ihren Ehemann und wollte ihm einen dicken Kuss auf die Wange geben.
Doch genau in diesem Moment ertönte ein lautes Klirren. Glas splitterte, der Wintergarten. Und hinter Klondike wurde die Tür aufgestoßen. Jemand hatte sie aufgebrochen.
Männer in Schwarz. Viele Männer in Schwarz strömten in das Haus.
Klondike wusste nicht, was er tun sollte. Er griff in die Innenfuttertasche seines langen, dunklen Mantels und zog etwas Silbriges daraus hervor. Doch bevor er reagieren konnte und die völlig verdutzte Elisabeth realisiert hatte, was um sie herum geschah, klickte es leise und eine Kugel bohrte sich in seinen Kopf. Dann blutete er und fiel leblos in sich zusammen.
Einige Sekunden Stille. Dann fing Elisabeth an zu schreien. So laut und so lange sie konnte.
Die letzten Buchstaben, die Oliver Klondike in seinem Leben gesehen hatte, waren S, W, A und T gewesen.
***
23:34 Uhr. Elisabeth kauerte, eingewickelt in eine warme Decke, irgendwo auf einer Couch. Neben ihr saßen ein Polizeipsychologe und ein Arzt, der ihr eine Valium gegeben hatte. Sie hatte einen Schock erlitten.
Das silbrige Ding, das Oliver versucht hatte, aus seinem Mantel hervorzuholen, war ein Handy gewesen, keine Pistole. Sie hatten den falschen erschossen. Die einzige Waffe, die Oliver Klondike besessen hatte, war ein Revolver Kaliber 38, legal eingetragen auf seinen Namen. Sie waren wohl in das falsche Haus eingebrochen. Der Fehler war unverzeihlich und der verantwortliche diensthabende Offizier würde wohl fürs Erste suspendiert werden. Neben den Klondikes wohnte ein Mann namens Abraham Lancaster. Ein Profikiller,
der unter dem Namen "Der Luchs" seit Jahren Attentate für die Mafia und deren Auftraggeber durchführte.
In Klondikes Manteltasche konnte dagegen ein Videoband sichergestellt werden. Wie sich herausstellte, verdiente Oliver Klondike mit dem Drehen von Schwulenpornos mit tragisch-komischer Handlung seinen Lebensunterhalt. Nicht als Börsenmakler, wie er gegenüber seiner Frau immer beteuert hatte. Das Bild, bei dem der Bezirksstaatsanwalt Howser das Band stoppte um seinem Kollegen die fatalen Ereignisse und das merkwürdige Doppelleben des Oliver Klondike zu schildern, zeigte einen engen Raum, in dem ein großes Bett
aufgestellt war (wo es gerade heftig zur Sache ging). Im Hintergrund der halboffenen Tür war ein spartanisch eingerichteter Raum zu erkennen. Ein paar kantige Schränke, ein Tisch auf dem ein Laptop stand, davor ein drehbarer Stuhl.
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Eingereicht am 12. Februar 2007.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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