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Eingereicht am
05. März 2007

Hallo Herr Doktor - wo fehlt es denn?!

© Susanne Winter-Meier

Feierabend. Der Kopf ist längst voll mit allem, was heute nach der Arbeit noch ansteht: erst zum Hautarzt, dann wie üblich der Einkauf, heim, Sohn Nr. 2 abholen für einen Vorstellungstermin, eventuell Fitness - oder doch lieber Kaffeeklatsch bei Lieblingsfreundin Kathrin? Noch in Gedanken umorganisierend stehe ich in der Praxis am Empfang und werde erfreulicherweise von Andrea gleich in den Behandlungsraum gewiesen. Ein schöner großer Stuhl steht mit dem Rücken zur Tür vor mir, als ich das Zimmer betrete. Der Arzt ist nebenan noch beschäftigt.

Ich setze mich eben mal hin, überraschend bequem, wippe auf und ab, dreh ich mich gelangweilt wartend nach rechst und links. "Ein bisserl hoch dieser Sessel - wo ist nur der Hebel, ihn nach unten für kleine Patientinnen zu verstellen?" Ich finde ihn nicht, "na gut, dann eben nicht". Vor mir steht der Bildschirm und ich kann meine Daten lesen, die die Sprechstundenhilfe schon mal für den Doktor aufgerufen hat. Ich denke: "Das find ich ja nun nicht gut, dass hier der Patient eine direkte Einsicht in den PC hat - wo ist denn da der Datenschutz? Was, wenn ich mit der Mouse klicke, um eine andere Seite anzusehen?" Meine rechte Hand führt vorsichtig die Mouse - ein wenig nervös, nicht dass mich der Doktor dabei erwischt! Und so, als ob das sprichwörtliche Zehnerl in meinem Gehirn in Zeitlupe gefallen wäre, aber dennoch fiel es, schoss mir blitzartig die Idee in den Kopf, dass ich möglicherweise auf dem falschen Stuhl sitze! Mein Blick schweift über den Schreibtisch hinweg und siehe da: auf der anderen Seite steht tatsächlich ein dem Patienten angemessenes Sitzmöbel: ein Holzstuhl! Ich hüpfe wie von der Tarantel gestochen aus dem Chefsessel und sause mit Herzklopfen, roter Birne und Schweißhänden um den Schreibtisch herum - "hallo Herr Doktor…" Gerade noch diese Peinlichkeit verbergend und mit innerlichem Lachanfall versuche ich mein Verhalten, gebührend der Frau Mitte 40, wieder auf Normallevel zu bringen.

Das Wochenende ist endlich da, ich entspanne mich in der Badewanne, jedoch nicht wirklich, weil schon wieder der Kopf durch diskutiert, ob ich mal mit dem Hintern daheim bleiben oder mit Freunden zum wöchentlichen Salat essen gehen soll. Da bringt mir Sohn Nr. 1 das Telefon ins Bad - Mist, warum hab ich nur nicht abgesperrt - und ich höre ihn sagen: "die Polizei ist dran." Zack - schon ist die gerade begonnene Entspannung völlig weg, das Adrenalin bringt mein Blut zum blubbern, mein Kopf leistet Unwahrscheinliches, denn er holt alle erdenklichen Möglichkeiten und Schrecklichkeiten hervor, die nun auf mich zukommen könnten: "Hat nicht der Freund meines Sohnes irgend welchen Stress mit der Polizei gehabt? Oder ist mir ein schweres Verkehrsdelikt von mir entgangen? Oder…"

"Winter" meldet sich mein bravstes innerstes Ich. "Grüß Gott, Huber, Polizei ….." "Worum geht es denn?" "Frau Winter, ist es richtig, dass Sie diese Woche bei dem Hautarzt Dr. Müller waren?" "Ja, wieso?" "Es wurde in der Praxis eingebrochen." "Ähh - ja - und was hab ich damit zu tun?" "Frau Winter, wir haben Ihre Fingerabdrücke auf dem Computer von Dr. Müller gefunden." Meine Gedanken galoppieren wild hin und her, das Herz will aus mir heraus hüpfen, ich überlege krampfhaft, was ich nun sage und zerquetsche fast den Hörer dabei. Da fällt mir ein, was ich meinen Kindern beigebracht habe: am besten immer genau das sagen, wie es war! Nur wie? Was wird der Polizist denken, wenn ich ihm erzähle, dass ich so bescheuert war, auf dem falschen Stuhl im Sprechzimmer zu warten und noch dazu am Computer herum zu spielen? Ich versuche es: "Also das werden Sie mir jetzt vielleicht nicht glauben, aber es war wirklich so Herr Huber, weil ich war doch wie immer so im Stress und da, na ja, da hab ich mich doch tatsächlich in den falschen Stuhl gesetzt und ich weiß auch nicht warum, denn normalerweise würde ich ja so was nie machen, also ich hab dann so in Gedanken mal mit der Mouse herum gespielt…." (sehr kleinlaut) "Wie bitte?" (streng) "Sie haben also fremde Daten angesehen?" "Nein, ehrlich, da waren nur meine Daten zu sehen und ich mach das auch nie wieder, versprochen, aber so sind dann meine Fingerabdrücke auf die Mouse gekommen." Schluck, fast würg. Da höre ich plötzlich eine vertraute lachende Stimme: "Hallo Susi, welches Datum haben wir heute denn?" "Robert? Bist Du das? Wo bist du?" "Wir sitzen hier bei deiner Freundin Kathrin, die uns gerade von deinem ungewöhnlichen Arztbesuch diese Woche erzählt hat und - sei bitte nicht böse - aber heute ist der 1. April ..."

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