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Alltäglicher Wahnsinn© Stephanie J. SchultzSchweißgebadet schrecke ich aus dem Schlaf.
Herzrasen, Magenschmerzen, speiende Übelkeit. Sinnkrise. Lebenskrise. Julian Biermann, der Mann den ich liebe möchte mit mir nur noch auf geistiger Ebene kommunizieren, um mehr Selbsterfahrung zu gewinnen. Aha, so verkauft Mann also heute das Ende einer Beziehung. Komisch, ich hatte noch die bekloppte Illusion, Mann wäre ein ehrliches und mutiges Wesen der göttlichen Schöpfung. Was war passiert? Wann? So langsam dämmert es mir. Entwarnung, haha, alles nur ein blöder Alptraum.
Entspannt sinke ich zurück in meine Kissen, drehe mich um, da fällt mein Blick auf den Wecker. Mist, 8.30 Uhr. Da müsste ich schon hinterm Lenkrad sitzen. Also raus aus der Kuschelmulde, rüber ins Bad. Blick in den Spiegel. Grauenhaft, die Mascara breitet sich genüsslich in sämtlichen Augenfalten aus. Der Rest klebt vermutlich im Kopfkissen Selber Schuld, warum war ich nach der Desperate Housewifes DVD Session mit meinen Mädels nachts um halb drei bloß zu faul zum Abschminken. Also, Reinigungsmilch auf die müde Haut, Zähne putzen, Haare kämmen. Pumuckl lässt grüßen, was soll's, duschen ist nicht mehr drin. Ersatzweise ein halber Liter Haarspray, ok, passt, heute ist im Büro eh kein VIP angesagt.
Kaffee zuhause fällt aus, egal, den genehmige ich mir als erstes im Büro, schön gemütlich mit Musik und einem Croissant. Mein BMW Z3 schlängelt sich dynamisch durch sämtliche PKW Lücken - mein Gott, was trödeln die Leute bloß rum auf der Strasse, ham die nix zu tun, hier darf man 60 fahren, also da kann man ja wohl wenigstens 85 anpeilen, du Opa. Na prima, nun fängt es auch noch an zu schiffen, da schippern alle wie beim sightseeing nur noch mit 40 durch die Gegend. Super, der Regenschirm steht im Büro, wie soll ich denn da zum Bäcker kommen, ohne hinterher wie eine nasse Ratte auszusehen? Ganz große Nummer, hoffentlich hab' ich noch Müsli im Schrank.
Geschafft, 9.40 Uhr, nur zehn Minuten overdue hechte ich ins Büro und hinterlasse, offensichtlich nicht als erste, meine Fußspuren auf dem repräsentativen hellbeige melierten Hochflor Bodenbelag. Da, die Spur vor mir, lange, spitze Schuhe Größe 48, das ist mein Chef. Könnte sich wenigstens die Schuhe abtreten bevor er über den ganzen Flur latscht, der arrogante Sack, wir müssen seinen Dreck nachher wieder wegwischen.
Ok, PC hochfahren, ab in die Küche, Kaffee machen. Da schallt die Stimme des Herrn durchs Büro: um 10.00 Uhr kommt ein gaaaanz hohes Tier von der Bank, also Leute, zack, zack, nun bringt den Saustall hier mal auf Vordermann, der Mann fliegt extra aus München ein. Schön, dass man das so rechtzeitig erfährt, na ja, bestimmt ein Überraschungsgast, der sich spontan in den Flieger gesetzt hat, weil in Hamburg so geiles Wetter ist. Alle Mann angetreten zum Teppich saugen, Küche wienern, Kaffee kochen und Tee, man weiß ja nie , Konfi von den Spuren unseres gestrigen Meetings befreien. 9.55 Uhr - geschafft, wir und die Räume.
So, nun aber endlich den wohlverdienten Kaffee und ab an den Schreibtisch. Blick ins Bankkonto - schön, minus 15 Tsd, da geht heute nix mehr, eine Stunde online-banking gespart. Dafür drei Stunden Lieferanten vertrösten, hey, kotzt mich doch nicht an, was kann ich denn dafür, wenn die Krankenkassen zum Monatsende immer soviel Kohle abbuchen.
Blink. Blink. Blink. Urgent. Wiedervorlage. Anruf beim Finanzamt. Blöde Zicke, wie soll ich denn die Fristen einhalten bei den ganzen Auflagen. Die kann mich mal, Anruf beim Bundesamt für Finanzen. Ich lerne wieder dazu, ich muss einen Antrag für einen Antrag auf Erstellung einer Antragformulars stellen. Gesprächsdauer gut zwei Stunden. Kein Wunder, das deutsche Steuergesetz hat weltweit alleine einen Anteil von 55 % aller Steuergesetze.
Verzweifelter Blick auf die Uhr. 14.20 Uhr. Meine Stimmung ist 3 km unterm Teppich. Ich muss hier raus, mein Gehirn frei pusten. Mein Alptraum kommt mir in den Sinn, lächerlich das Ganze. Ich greife zum Hörer, Herr Biermann, nein tut mir leid, der ist mit der neuen Kollegin zu Tisch. Hat er mir noch gar nicht erzählt, neue Kollegin. Der kann was erleben heute Abend. Na gut, dann eben jetzt das Müsli, bin ohnehin zu dick.
Zurück am Schreibtisch, türmt sich auf selbigem die Eingangspost. Haben die die ganze Woche extra für heute gesammelt? Das dauert ja mindestens eine Stunde. Was haben wir denn da? Eine Mahnung, aha. Und hier, eine letzte Mahnung, oha, das ist unser Hauptlieferant, da muss ich meinen ganzen Charme einsetzen, die haben Lieferstop verfügt.
Der Tag geht so weiter, aber auch der hat nur 24 Stunden und nach 8 Stunden verlasse ich die heiligen Hallen, mache mich auf den Weg zu meiner Bank, um über einen höheren Dispo zu verhandeln.
Nur zehn Minuten zu spät schwebe ich mit zuckersüßem Lächeln in die Filiale: Guten Abend, ich habe einen Termin mit meinem persönlichen Bankberater, Herrn Schmalspur. Wie, der hat einen Termin? Jetzt? Hallo, geht's noch, der Idiot hat mich doch extra vorgestern im Büro angerufen, um den Termin heute zu vereinbaren. Der sollte mal Tai Ginseng nehmen, damit sein Gedächtnis wieder funktioniert. Es tut Ihnen leid? Dafür kann ich mir auch nichts kaufen. Eine Tüte Gummibärchen als Entschuldigung? Wollen Sie mich verarschen? Ob ich eine Stunde warten will? Nee, glauben Sie , ich habe in meiner kostbaren Freizeit nichts besseres zu tun als auf Ihren Finanzfuzzi zu warten? Ich komme am Montag wieder, und richten Sie Herrn Schmalspur aus, noch mal lasse ich mich nicht abspeisen.
Endlich zu Hause, genehmige ich mir ein Entspannungsbad mit belebendem Lavendel, meinen mit Haarspray verklebten Haaren gönne ich eine Kur mit Eigelb und Kamille, creme mich von Kopf bis Fuß mit einer milden Körperlotion ein, damit die Haut, wie die Werbung auf der Flasche ebenso lebhaft wie glaubhaft versichert, wieder so zart wird wie ein Babypopo .
Erwartungsvoll sitze ich danach im Sessel, schön wie Aphrodite und warte auf den Anruf meines Liebsten. Yip, pünktlich um halb acht klingelt das Telefon: wie, es tut Dir leid, Du hast noch eine Besprechung und die dauert sooo lange? Ach, Ihr geht hinterher noch zusammen was trinken? Wer bitte ist wir? Deine neue Kollegin? Ja, natürlich, die ist erst vor ein paar Tagen nach Hamburg gezogen und kennt hier noch niemanden. Klar habe ich Verständnis - Scheißkerl.
Katie und Beckie jubeln: wir dachten schon, du kommst heute gar nicht mehr. Ja, die zweite Staffel von Desperate Housewifes liegt schon im DVD Player. Und Süße, bring 'ne Flasche Wein mit, wir haben hier nur noch zwei.
Ein Glück, dass der Tag 24 Stunden hat ...
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