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Eingereicht am
16. Oktober 2007

Im Schwimmbad

© Klaus Buschmeier

Seit einiger Zeit habe auch ich die Zeichen der Zeit erkannt und versuche, den sich langsam in meinem Körper nach unten bewegenden Schwerpunkt aufzuhalten und an seinen vorgesehenen Platz zurückzuführen. Nach einer schwerwiegenden Ernährungsumstellung von Bier auf Brot habe ich mir zusätzlich Bewegung verschrieben. Noch vor dem Wachwerden wandle ich nun täglich Richtung Schwimmbad, um dort - wie es unter Insidern heißt - einige Bahnen zu ziehen.

Beginnend mit dem Ablegen der Straßenbekleidung und dem Überwurf eines Feuchtraumfetzens inmitten einer Pilzfarm, begibt man sich anschließend unter die Sammeldusche. Hier kann man sich sicher sein, dass der Vorduscher sich garantiert schockgefroren hat. Man kann sich aber ebenfalls sicher sein, dass man die fein abgestimmte Duschgrundeinstellung jeden Morgen aufs Neue vergessen hat und sich in Schmerzensschreien und Verwünschungen ergießt, deren Inhalt andere Warmduscher Abstand halten lässt.

Endlich im Wasser, ähneln die ersten Bahnen mehr einer verschreibungspflichtigen Trinkkur, da jeder im Becken befindliche Frühschwimmer mit einem gurgelnden Gruß empfangen wird. Man ist ja freundlich...

Irgendwann ist auch dieses Ritual beendet, alle Flossenquastler begrüßt, kann man sich ganz dem Abspulen der auf dem Fitnessplan notierten 50 Bahnen konzentrieren. Acht, Neun, Zehn, Ausweichen, Brille putzen, neuer Schwimmer, Gurgelnder Gruß, Äh...Elf oder Dreizehn? Mist... Gut Dreizehn...

Nun muss man wissen, dass um diese nachtschlafende Zeit, die man als berufstätiger Mensch nutzen muss, um anschließend pünktlich der Leistungsgesellschaft zur Verfügung zu stehen, außer anderen wenigen fitnessverrückten Malochern, das Becken hauptsächlich von Rentnern bevölkert wird. Diese ehrenwerte Bevölkerungsgruppe der Altvorderen faltet die noch jungfräuliche Wasseroberfläche eines leeren Beckens morgens wirklich als erstes durch, quasi noch bevor der Bademeister das letzte Licht angeschaltet hat.

Da sich in unserer kleinen Stadt eben auch nur ein ebenso kleines Badebecken befindet, ist es nur logisch, dass man sich also eine Bahn mit mindestens 8 - 10 Schwimmern gleichzeitig teilen muss. Ebenso logisch ist es, dass die Faltvorderen einen älteren Rechtsanspruch auf diese Bahn geltend machen und daher keinen Millimeter weichen, wenn ihnen ein Jungspund von gerade mal knapp über 40 Jahren in die Quere schwimmt. Wo kommen wir denn da hin? Da gibt es für mich nur eine Möglichkeit: Ausweichen!

Aus diesem Grund kann ich die Sache mit dem Zählen der Bahnen auch auf die leichte Schulter nehmen, da eine gerade Verbindung zwischen zwei Beckenrändern nur selten zu erreichen ist. Neuerdings tauche ich häufig zwischen den Falten hindurch, was mir zusätzlich ein Gefühl von Urlaub, Karibik und Korallengräben vermittelt. Nur der Geruch der Karibik ist meines Wissens ein anderer. Statt nach Maracuja, Limonen und Rum, riecht es im morgendlichen Becken penetrant nach Chlor und Knoblauch. Man möchte meinen, dass das Shampoo einiger Kollegen mit Knoblauch versetzt ist - die Glatzenpolitur aus Knoblauch besteht oder das Deodorant aus Knoblauch hergestellt wird. Man durchschwimmt nahezu eine Wand aus Knoblauch. Ein sprichwörtlicher "Knofi - Nebel des Grauens" überzieht allmorgendlich das Wasser. Man könnte das Badewasser auf Flaschen ziehen und es als Gewürzmittel verkaufen.

Schlimmer geht es nimmer - sollte man meinen. Geht aber ...

Habe ich mich morgens verspätet und den Rentnerschwarm verpasst, sehe ich mich inmitten einer laut quakenden, seufzenden und duftenden Menge von Rentnerinnen und Hausfrauen wieder. Die Rentnerwürze wabert noch knapp unterhalb der Hallendecke, da wird ein neuer Giftcocktail gemixt, der aus Nonchalance, 4711 und Channell No. 5 besteht (Inhalte aus Flakons von der Silberhochzeit vor 20 Jahren). Die Nase fängt an zu kribbeln. Um ein Nießen zu vermeiden, versuche ich während des Schwimmens selbige zu reiben und schlucke erneut einige Liter Jungbrunnen-Wasser.

Die stringente Ordnung der parallel geführten Schwimmbahnen wird gänzlich aufgehoben, da die Riege der weiblichen Schwimmkörper, deren Wasserverdrängung wohl bereits in Bruttoregistertonnen gemessen werden könnte, nun in Quadriga -Form vorwärts drängt. Ein fächerförmiges Hundeschlittengespann, welches alles weg beißt, was ihr in den Weg schwimmt. An ein Vorbeischwimmen ist nicht zu denken, da das entgegenstürzende Rudel die komplette Breite des Wassers einnimmt.

Ein Bitten, ein Flehen um Durchlass ist sinnlos, da das Gackern, Kichern und Blubbern mein bibberndes Ansinnen um Passage sinnlos macht.

Nur durch ein beherztes drunter her tauchen, bei dem ich von den schwer im Wasser hängenden Leibern noch zum Beckenboden gedrückt werde und von den lackierten Nägeln der Flossenfüße zerkratzt, blutend und um Luft ringend wieder auftauche, wie ein Matrose nach dem Kielholen am Heck der Fregatte - leidend, aber lebend.

Anschließend geht es wieder unter die Dusche, um das Knoblauch-, Parfüm- und Blutgemisch abzuwaschen. Wieder war die Dusche eiskalt.

Das Shampoo brennt in den chlorgeröteten Augen. Die Kollegen tuscheln heimlich bereits über meine möglichen Eheprobleme und eine vielleicht drohende Scheidung.

Ab Morgen werde ich wohl anfangen zu joggen. Keine Rentner, keine Hausfrauen. Stattdessen rüpelhafte Radfahrer, bremsenlose Skater und freilaufende Kampfhunde?!

Will mal noch eine Nacht drüber schlafen.

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