Nachtgeflüster
© Manfred Schröder
Die Nacht ist schwarz, wie die Kutte von Pater Dominicus, der auf den Knien liegend, im Schweiße seines Angesichtes mit dem Teufel ringt, und zu Gott fleht, dass der sündige Kelch an ihm vorbeigehen möge. Der sündige Kelch ist dunkelhaarig und steht meist mit lächelndem Mund und Bein unterm Schein der Laterne im Park. Er hört den Teufel lachen und Gott fällt mit ein und der gequälte Priester fährt hoch aus schrecklichem Traum.
Ja, die Nacht ist schwarz und die Schiffe haben Fernweh und atmen unruhig am Kai. Eine Stimme mit Rum veredelt, singt zum Schifferklavier das Lied von Madagaskar und der Pest an Bord. Dunkle Wolken treiben im kalten Nachtwind nach Osten, wo ein ferner Morgen am Horizont sich entfaltet. Nur ab und zu blinkt ein Stern hervor; immer bereit, den Seeleuten den Weg übers Meer zu zeigen. Doch was da gluckst und gegen die Schiffswand schlägt, ist nicht die weite See, sondern das trübe Wasser des Flusses. Kaschemmen und
Kneipen, Orte des Frohsinns und der "Sünde", schließen ihre Pforten. Aus einer tritt der Herr Pfarrer, protestantisch und luthergewaltig mit hochgeschlagenen Kragen und scheuem Blick. Und der Herr Studienrat, Freigeist der Stadt, Spötter und Nachtschwärmer, grinst und summt:
Es ging eine Biba Kirchenmann
ums Freudenhaus herum.
Da sah ihn eine fromme Schwester
und er stellte sich ganz dumm.
Als ein Hirt´ für alle Schafe
sei er hier zur Abendstund`.
Um auch deren Seelen zu retten;
dies sei der wahre Grund.
Da lächelte die fromme Schwester,
um Augen und um Mund.
´Auch sie sei eine arme Seele;
so einsam und so wund.
Er schaute fromm und grinste fein;
das sei doch zu versteh´n.
Sie könne doch, wenn sie nur möcht´,
mit ihm nach
Hause geh´n!
Derweil irrt ein Trinker durch enge Gassen und ruft vergeblich nach seinem Feinsliebchen. Die Flasche in seiner Hand gähnt Leere bis zum Grund. Noch stehen Nixen am Ufer und singen verführerisch, wie einst an der Loreley und winken einladend mit ihren Flossen. Dann naht so mancher Freier, wie die Motte zum Licht. Und nicht selten sieht man am anderen Morgen eine Leiche, die im Wasser treibt und einen Mann, der um die Ecke biegt. Hin und wieder begegnen sich Dieb und Katze auf den Dächern und in engen Hinterhöfen,
und erweisen sich gegenseitig ihre Reverenz. Im Park, unter einer Laterne feilschen der brave Bürger und die Dirne um den Preis. Die Polizei indessen fährt zufrieden ihre Runden, denn es herrschet Ruhe in der Stadt. Die Nacht ist wie jede andere. Auch heute wird ein Kind geboren und die Heiligen Drei Könige sind Wesen in weißen Kitteln. Und Engel singen leise im Radio von Liebe, die nie vergeht.
Die Häuser liegen jetzt still und geduckt wie schlafende Hunde. Für viele ist das Bett zu groß und sie wälzen sich einsam von einer Seite zur anderen.
Junge Mädchen träumen ihren hundertjährigen Schlaf und warten auf den Prinzen. Doch nicht alle ruhen in ihrer Kammer. Krankenschwester, Polizei und andere nützliche Wesen haben wie der Dieb, den Tag zur Nacht gemacht und eilen geschäftig hin und her. Auch der Nachtwächter, der noch nie einen Tag gearbeitet hat, dreht getreu und gewissenhaft seine Runden. Nachtwächter haben viel gesehen und gehört. Und wenn sie sich still verhalten, dann leben sie länger. Als er wieder an der Laterne vorbeikommt, sind der brave
Bürger und die Dirne schon verschwunden. Auf einer Bank sitzen drei vermummte Gestalten und die Flasche kreist von Hand zu Hand. Der junge Dichter in seinem Kämmerlein, blickt mit zerkautem Stift auf ein höhnisch grinsendes Blatt weißem Papier und kämpft mit Sein, oder Nichtsein. Es klopft an der Türe und als er sie öffnet steht der sündige Kelch als Muse vor ihm und lächelt mit Mund und Bein. Und der brave Bürger, der nach Hause kommt, sucht vergebens seine Brieftasche.
Aus einer Seitengasse eilt der Dieb und schaut sich vorsichtig nach allen Seiten um. Er ist müde nach harter Arbeit; doch zufrieden und mit einem schweren Sack beladen. Und leise singt er vor sich hin:
-Laterne, Laterne,
Sonne, Mond und Sterne,
den Polizisten hab ich gerne!-
Die Katze liegt auf dem Dach und träumt von großen und kleinen Fischen. Der Schiffsjunge, voller Sehnsucht nach unbekannten Ländern, öffnet verschlafen seine Augen und blickt auf die Uhr. Er seufzt und mit einem leisen Fluch erhebt er sich, denn der Kapitän und der Matrose dürfen noch weiterschlafen.
Beide wünscht er samt Schiff zum Teufel und wird doch, wonach er sich sehnt, in ihre Fußstapfen treten.
Bald klappert und scheppert es in den Straßen und engen Gassen. Die Hügel von Sand und Kohle stoßen ab vom Kai und die Schiffssirenen wünschen sich gegenseitig eine frohe Fahrt. Im Morgenlicht erheben sich die Häuser und öffnen ihre Augen für einen neuen Tag. Bäcker und Metzger grüßen einander über die Gasse hinweg. Pater Dominicus dankt Gott und lässt die Glocken läuten. Und wer in der Nacht artig in seinem Bett gelegen hat, darf zur Belohnung schon früh zur Arbeit gehen.
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Eingereicht am 27. November 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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