Der Traum von China
© Maximilian Mauracher
In Shanghai fand ich für die Zeit, die ich dort blieb, schnell Freunde. Nachdem ich meine Eltern jetzt schon zwei Jahre gebeten hatte, in den Ferien zu meiner Tante nach Shanghai fliegen zu dürfen, erlaubten sie es mir endlich. Vor zwei Wochen also kam ich dort an und meine Tante empfing mich mit ihrem Gatten auf dem Flughafen Shanghais. In der Küche meiner Bleibe erwartete mich ein fantastisches Festessen. Sushi vom Feinsten, und dann noch diese tollen Frühlingsrollen und die Shitake- Pilze, einfach traumhaft.
Diese niedrigen Tische hatten den Vorteil, dass ich meine Schmerzen im Rücken fast vergaß.
Heute spielte ich mit meinem besten neuen Freund Chi- Wau im Kaminzimmer. Mit dem Kaminbesteck taten wir so, als wären wir Ninjas. Da passierte es. Ich holte zum Schlag aus und - klirrrrr!!! Das Erbstück meiner Tante fiel auf den Parkettboden und zerschellte in tausende Teile. "Was soll das?", schrie Tante Maria aus der Küche und schob dabei den Raumtrenner zur Seite. Ich versuchte währenddessen die Scherben der goldenen Figur zusammenzukehren und entdeckte dabei ein kleines zusammengefaltetes
Stück Papier, das schon fast zu Staub zerfiel. Schnell ließ ich es in meiner Hosentasche verschwinden. "Hände weg! Was fällt euch ein? Ich glaube, ich sollte dich zurück nach Wien schicken!". Sie deutete auf mich. "Nein, bitte nicht!! Ich will hier bleiben. Es tut mir wirklich Leid!!! Entschuldigung!!", jammerte ich, aber schauspielerte ein wenig und mit ein paar Tränen konnte ich meine Tante schnell umstimmen, "Na gut! Aber wenn so etwas noch einmal vorkommt, ist es aus und du
sitzt im Flieger. Raus jetzt!! Ich muss sauber machen." Mit einem herzerweichenden Blick zog ich mich in mein Zimmer zurück und zerrte Chi- Wau, der sich während der kleinen Auseinandersetzung still verhielt, hinter mir her.
Ich ließ mich aufs Bett fallen, doch gleichzeitig schossen mir tausende Gedanken durch den Kopf. Hoffentlich muss ich nicht zurück nach Wien. Wieso ist in der Figur ein Stück Papier und vor allem was steht drauf?? " Hier, das lag in der kaputten Figur", sagte ich und reichte meinem Freund das Papier. "Das ist ein Rätsel. »Wer findet Krieger aus grüner Seide und hohl, wer kommt in die Verbotene Stadt, wer findet eine Säule, der holt seinen Wunsch aus der Vergangenheit.« Das soll wohl ein
Scherz sein", meinte Chi- Wau, nachdem er das Papier gründlich gemustert hatte. " Na ja, wir können es ja lösen, einfach so, nur zum Spaß", sagte ich und dachte dabei darüber nach, was passieren würde, wenn das Rätsel der volle Ernst des Schreibers war. Doch wie soll man bitte etwas aus der Vergangenheit zurückholen?? " Die grüne Seide ist… Hmm.. Ach ja, das wäre dann wohl Jade, da Jade früher genauso viel wert war wie Seide. Und Jade ist grün. Der Krieger befindet sich vermutlich unter
einem hohlen Gegenstand. Natürlich!! Im Mausoleum stehen Dutzende Krieger ", erklärte der Chinese. " Und die Verbotene Stadt??", fragte ich. " Ich weiß, davon hat mir mein Großvater erzählt. Also, mit der Stadt ist der riesige Königspalast in Shanghai gemeint, und "verboten" deshalb, weil dort alles schwer bewacht wird!". Ich staunte nicht schlecht über Chi- Wau's Kenntnisse. "Dann ist ja nur noch die Frage, wo diese Säule ist", stellte ich fest. "Das ist
schon schwieriger. In unserem Geschichtsbuch wird etwas von einem leeren Sockel, der sich zentral im Palast befindet, erwähnt", erinnerte er sich. "Gut, dann machen wir uns auf die Suche nach diesem Krieger!", ich grinste, da wir natürlich niemals in diese verbotene Stadt kommen würden. Zuerst musste ich meine Tante fragen, ob ich bei Chi- Wau übernachten durfte, und sie willigte trotz langer Überlegung ein. Mein Freund überredete seine Mutter mit demselben Vorwand. Sogleich schnappten wir
uns unsere Taschenlampen, packten uns ein paar Vorräte in unsere Rucksäcke, sogleich machten wir uns auf den Weg. Wir gingen gemütlich - doch ich glaube auch Chi- Wau hatte, genauso wie ich, Angst - die Straße entlang, bis wir zu einem kleinen Feldweg kamen, der uns direkt zum größten Mausoleum in ganz China führte, wo wir nach der Figur suchten. Ich überließ Chi- Wau den Vortritt, und gemeinsam erblickten wir die riesigen Bronze- Statuen von Dutzenden Kriegern. "Wir müssen an die Statuen klopfen,
um zu sehen welche hohl ist, wahrscheinlich befindet sich unter ihr der Jade- Krieger", beschloss mein Freund. Also begannen wir zu klopfen. Nach einer Weile, mir kam es vor, als vergingen bereits Stunden, schmerzte meine Hand und ich schüttelte, bis ich aus Versehen an die nächste Statue stieß. Donggg. "Klopfe noch einmal an diesen Krieger", befahl Chi- Wau mir. Donggg. "Das ist sie! Die ist hohl!!", behauptete der Chinese und rannte zu mir. Er tastete den Boden um die Bronzefigur
ab und entdeckte dabei ein kleines Loch, das in das Innere des Standbildes führte. Langsam streckte Chi- Wau seine Hand in das Loch. Als er etwas Kaltes fühlte, schloss er seine Hand um es und zog sie schnell heraus. "Hurra, Hurra!! Wir haben ihn, wir haben den Jade- Krieger!!", jubelte der Tapfere. Schnell liefen wir aus der Grabstätte und sahen das kleine Standbild im Mondlicht schimmern. Rasch eilten wir zu mir nach Hause. Das Abbild des Samurais steckte ich unter meine Jacke und achtete darauf,
dass sie nicht herausfallen konnte. "Hallo, Tante!", rief ich, als ich die Haustüre öffnete. "Du bist schon da?", wunderte sich Maria über meine frühe Ankunft. "Ja, Chi- Wau's Eltern mussten wegfahren und sie kommen erst morgen wieder. Also, darf er bei mir übernachten?", fragte ich. "Aber sicher doch. Ich mache nur schnell dein Bett, Chi- Wau", sagte meine Tante mit einer nickenden Geste. Gründlich putzten wir uns die Zähne und legten uns ins Bett, konnten aber
nicht schlafen, da wir viel zu aufgeregt waren. Ich betrachtete den Krieger noch einmal im Licht, das durch die Türspalte aus dem Wohnzimmer kam. "Wie sollen wir denn in die Verbotene Stadt kommen?", fragte ich Chi- Wau, doch er schlief bereits. Die ganze Nacht lang lag ich im Bett ohne zu schlummern und weckte meinen Freund schon früh um sechs Uhr. Schließlich wollte ich mit ihm unsere weitere Vorgehensweise besprechen. "Sollen wir nicht lieber die Polizei verständigen?", fragte mich
Chi- Wau verschlafen und mit ängstlicher Stimme. "Die würden uns doch für verrückt erklären!!", erwiderte ich. "Du hast Recht. Ich habe mir Gedanken über die Verbotene Stadt gemacht und bin auf den Entschluss gekommen, dass sie vielleicht nur symbolisch gemeint ist, denn im Museum gibt es ein riesiges Modell des Palastes im Maßstab 1: 96!", äußerte sich der Chinese. "Na dann, wir können es ja versuchen. Aber dann machen wir uns am besten gleich nach dem Frühstück auf den Weg, damit
uns nicht zu viele Leute beobachten. Sonst können wir das Ganze ja gleich vergessen. Wenn das wirklich funktioniert, bin ich gespannt, welchen Wunsch wir aus der Vergangenheit holen", erläuterte ich und freute mich bereits auf einen Besuch im Kunsthistorischen Museum. Um acht Uhr kamen wir dort an und uns erwarteten Wachen, die mit der chinesischen Tracht bekleidet waren. "Toller Gag!", flüsterte ich Chi- Wau zu. Mit seinem fragendem Blick erkannte ich gleich, dass er nicht wusste, was ich
meinte. Am Ticketschalter bezahlte ich mit einem 10- Yen Schein und überließ der freundlichen Dame das Restgeld. Ich tastete meine Jacke ab, um zu sicher zu gehen, dass die Figur nicht verloren geht. Mit den Sätzen "Das ist toll!" oder "Das sieht aber gut aus!" verhielten wir uns ganz unauffällig, wie Gäste, die sich wirklich die Bilder und die Skulpturen anschauten. Endlich am Modell angekommen, traf mich ein überwältigender Anblick. Eine originalgetreue Nachbildung des Kaiserpalastes
erhob sich mehrere Meter hinauf an die Glaskuppel des Museums.
Menschen in Dienstkleidung, so groß wie meine Hand, gingen ferngesteuert auf dem Gelände herum. Dabei ertönten die typisch, chinesische Melodien. Fasziniert summte ich leise mit, dabei vergaß ich, warum wir eigentlich da waren. Mein Gefährte sah sich dabei um und nach circa zwei Minuten entdeckte er die Säule, während ich, noch immer von der berauschenden Musik abgelenkt, Luftlöcher starrte. "Komm her!", bat mich mein Freund.
Ich schritt langsam auf ihn zu und spürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Langsam zog ich das kleine Abbild eines Kriegers unter meiner Jacke hervor und setzte es auf die Säule, dabei rutschte mir die Figur fast aus meinem leichten Griff, denn ich schwitzte an den Händen. Nervosität machte sich in mir breit. "Wird es klappen? Oder war alles nur ein fauler Trick? Doch den Jadekrieger gab es ja wirklich, also wieso sollte der Wunsch nicht zurückkommen??", grübelte ich. Nachdem ich die Figur
platziert hatte, geschah erstmal gar nichts. Doch ein winziger Sensor löste den Alarm aus und ein Wachmann kam angerannt. "Halt! Nicht bewegen! Was tut ihr da??!", befahl er uns. "Entschuldigung, doch ich wollte so gerne das Modell berühren. Ich weiß, das darf man eigentlich nicht, aber…", ich setzte meine Trauermiene auf. "Schon gut! Alles nur ein Missverständnis!", erklärte die Wache der umstehenden Menge, "Ihr könnt gehen, und dass ihr mir so etwas ja nie wieder macht."
Enttäuscht, da noch immer nichts passierte, liefen wir nach Hause.
Daheim erzählte ich meinem Onkel davon. "Ach, ihr habt den Brief genommen, ich hätte euch gleich sagen können, dass das alles nur erfunden war. Ich habe mir damit nur einen Scherz erlaubt." Ich entgegnete ihm:" Aber.." "Meinst du den Krieger??", unterbrach er mich, "Da staunst du wohl, dass ich an alles gedacht habe." Zusammen lachten wir über diesen gelungenen Streich.
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