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Eingereicht am
02. März 2007

Dorf-Dallas

© Elena Merz

Vorwort: Diese Geschichte haben wir meinem Kumpel "Motte" zu verdanken. Als ich nämlich in einer feuchtfröhlichen Nacht in der Disco darüber jammerte, dass niemand meine Liebes- Schlunz und Geheimnisromane veröffentlichen wolle, wurde ich von ihm mit der Feststellung beglückt: "Du bist ja auch blöd." Damit erhielt er meine zwar gekränkte, aber ungeteilte Aufmerksamkeit. "Warum bin ich denn schon wieder blöd?" Verlangte ich zu wissen und Motte erklärte mir den Grund: "Weißt du, jeder Depp schreibt über Liebe, Romantik und bla bla. Das will keine Sau mehr lesen. Schreib doch mal die Geschichten, die deine "Kinder und Kekse" (mein Bekanntenkreis) immer so verbocken und die du mir immer erzählst. Die sind wenigstens witzig." Und - wie man sieht - hab ich mir Mottes Worte zu Herzen genommen und es versucht. Hier ist das Resultat:

Wichtige Fremdworte vom Land:
Korea - Getränk aus Cola und Rotwein gemixt
flippen - tanzen auf Heavy Metal Musik, indem man die "Mähne wild schüttelt"
Schnoida - schwäbisch für Schnaitheim

Es war Freitagabend - endlich. Karena saß vor dem Spiegel und bürstete ihre langen blonden Haare. Ihre grünen Augen blitzten unternehmungslustig und sie zwinkerte ihrem Spiegelbild verschwörerisch zu. Sie hatte es geschafft eine Bekannte zu überreden, sie und Gitta, ihre Freundin, mit auf eine Party zu nehmen. Es ging dabei nicht um irgendeine Party; nein, es war die "Griper"-Party. Griper war eine Hardrock-Band aus der Ulmer Gegend und bestand aus lauter hübschen, langhaarigen Jungs. Karena hatte gerade noch Zeit ihre knackige Figur in Jeans und Lederjacke zu verfrachten, als es auch schon klingelte. Karena eilte die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Draußen stand Melinda und erwartete sie bereits ungeduldig. Melinda war für ihre "Kontaktfreudigkeit" berühmt und nur über sie hatten Karena und Gitta von dieser speziellen Party überhaupt erfahren. Melinda stieg in ihren klapprigen BMW und öffnete Karena von innen die Beifahrertüre, da diese sich von außen gar nicht öffnen ließ. Im Heck des Wagens wartete bereits eine aufgeregte und aufgestylte Gitta auf Karena. Sie hatte etwas Platzmangel nach oben hin, denn sie war über einsfünfundsiebzig groß und hatte dazu noch ihre fast taillenlangen schwarzen Haare etwas hochtoupiert. Dies hatte zur Folge, dass sie ständig mit ihrer Frisur das Wagendach polierte. Ihre etwas barocke Figur war in schwarzes Leder gekleidet und sie trug eine altgoldfarbene Jacke, die zu ihren bernsteinfarbenen Augen sehr gut passte. "Wie seh ich aus?" Fragte sie aufgeregt. Karena musterte sie von oben bis unten und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Damit schien Gitta zufrieden zu sein. Mit quietschenden Reifen und aufgedrehter Musik fuhr Melinda los, denn alle drei konnten es kaum erwarten, auf der Party einzutreffen. In Senden (Ort bei Ulm) angekommen, erwartete sie der erste Schock. Die paar Jugendlichen, die sie nach der Griper-Party fragten, antworteten lapidar: "War die nicht schon gestern?". Drei ungläubige Gesichter starrten sich gegenseitig an. "Fragen wir lieber noch jemand anderen!" rief Gitta halb verzweifelt und deutete auf die nächste Ansammlung von jungen Leuten. Diesmal hatten sie Glück und der Weg zu der tatsächlich an diesem Tag stattfindenden Fete wurde ihnen beschrieben. Der zweite Schreck stand ihnen bevor, als sie besagten Ort der Festivität erreichten. Dieser war nämlich eine etwas ruinös aussehende Lagerhalle und der Weg zum Eingang führte über einen Berg aus Müll. Über diesem Abfallberg war allerdings sehr eindrucksvoll ein dicker roter Teppich ausgebreitet. Aufgeregt erstiegen Karena, Gitta und Melinda den Müll und erfuhren zu ihrer Freude, dass die Veranstaltung nur DM 5, Eintritt kostete und man damit alle Getränke und sogar ein Büfett frei hatte. Als sie die Halle betraten waren sie überrascht über die Dimensionen dieser Einrichtung. Sie war einfach riesig und es wimmelte vor Leuten. Überall waren alle möglichen und unmöglichen Sitzgelegenheiten vorhanden und die drei Mädchen ergatterten einen Platz auf einer überdimensionalen Stufe, der gerade noch frei war. Nachdem Melinda für alle drei je ein Korea geholt hatte und dann im Gewühl verschwunden war, hatten Karena und Gitta erst einmal Zeit sich in Ruhe umzusehen. Da sie schon zwei Konzerte von Griper besucht hatten, erkannten sie ganz in der Nähe den Gitarristen der Band. In das Bild des dunkelblond gelockten, großen Typen versunken murmelte Gitta in Karenas Ohr "Mann, der sieht aber gut aus." "Ja, der sieht nicht schlecht aus." antwortete Karena mit dem ihr eigen gewordenen Argwohn gegen die männliche Bevölkerung dieser Welt. Einige schlechte Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht hatten sie die Vorsicht gelehrt, während Gitta, trotz ihrer 24 Jahre, immer noch häufig in teenagerhaften Träumen schwelgte. Plötzlich wurde Gittas Blick ganz verschleiert und auf Karenas Frage, was denn los sei, schaute sie nur starr in eine Richtung. Noch bevor Karena klar wurde, um was es ging, stand auch schon besagter Gitarrist vor ihnen und stellte sich mit einem breiten Grinsen vor: "Hi, ich bin Micki und wer seid ihr beiden Schönen?" Da Gitta vor lauter Staunen erst einmal keine Worte fand, übernahm Karena die Vorstellung. "Salve! Wir sind Gitta und Karena aus "Schnoida"." "So, so, aus "Schnoida"." Sagte Micki grinsend. Da er aber nicht nachfragte, ging Karena davon aus, dass ihm der schwäbische Name ihres Heimatdorfes bekannt war. Nach ein paar Minuten hatte sich auch Gitta erholt und bald waren alle drei in ein angeregtes Gespräch über Musik vertieft. Erst als ein anderer Gast Mickis Aufmerksamkeit beanspruchte, entfernte er sich mit einer Entschuldigung von den beiden Mädchen. Während Gitta noch schwärmte, hatte Karena ein neues Objekt des Interesses erspäht. Es war der Lead-Gitarrist von Griper. Dieser entsprach mehr ihrem Typ. Er hatte langes dunkles Haar und war von etwas indianischem Aussehen. Allerdings entschwand er bald wieder ihren Blicken. Inzwischen hatte sich Melinda wieder eingefunden und erkundigte sich, wie es den beiden so gefiele. Als sie erzählten, dass sie sich so gut mit Micki, dem Gitarristen unterhalten hatten, brach Melinda unvermittelt in Gelächter aus. Fragend sahen Gitta und Karena sich an und warteten, bis Melinda sich wieder beruhigt hatte. "Was ist denn daran so komisch?" fragten Karena und Gitta wie aus einem Mund und Melinda versuchte zusammenhängend und ohne Lachen die Sache aufzuklären. "Bei Micki dürftet ihr keine Chancen haben." Und auf neugieriges Nachbohren der beiden Betroffenen erhielten sie die von Kichern unterbrochene Antwort: "Nun, man hört so, dass der schöne Micki kein Interesse für das weibliche Geschlecht hat." Ungläubig starrten Karena und Gitta auf Melinda, doch diese entfernte sich ohne weiter darauf einzugehen und begab sich zum Tanzen. Immer noch geschockt nahmen beide Mädchen einen tiefen Schluck von ihrem Korea und Karena machte sich dann auf den Weg um auf diesen Schreck Nachschub an Getränken zu besorgen. Als sie zurückkam stand derjenige, um den es eben gegangen war, neben Gitta und Karena stellte sich dazu, reichte Gitta ihr Getränk und lauschte neugierig der Unterhaltung. Da Gitta ja, wie bereits erwähnt, sehr träumerisch und sensibel war, versuchte sie auf verschlungenen Pfaden herauszufinden, ob Melindas Aussage der Wahrheit entsprach. "Micki", Gittas Wangen hatten die Farbe eines Feuermelders, "magst du eigentlich Männer?" Leicht irritiert sah Micki auf sie herab. "Natürlich mag ich Männer", antwortete dieser ungerührt. "Ich mag meinen Vater, ich mag meinen Bruder...." Verlegen wand sich Gitta innerlich. "Ich meine, ob du auch andere Männer magst?" Micki wusste anscheinend immer noch nicht auf was diese Fragerei abzielte. Karena aber wurde es indessen zu bunt und unumwunden warf sie ein: "Gitta wollte wissen, ob du schwul bist!" Nun war es an Micki, die Farbe zu wechseln und plötzlich hatte er es sehr eilig einen neuen Gast zu begrüßen. Ungerührt nahm Karena wieder auf der Stufe Platz und meinte: "Jetzt wissen wir es erst nicht." Gitta und Karena beschlossen abwechselnd flippen zu gehen, um den Platz nicht zu verlieren. Als Gitta beim Tanzen war, fiel ihr auf, dass ein junger Mann Karena die ganze Zeit beobachtete. Kaum war sie zurückgekehrt und Karena zum Tanzen gegangen, setzte sich eben dieser auch ohne zu fragen auf Karenas Stufe. Gitta fand, dass er gar nicht schlecht aussah und während sie noch überlegte, ob sie ihn darauf hinweisen sollte, dass die Stelle neben ihr bereits besetzt sei, tauchte Karena schon wieder auf. Gitta kannte Karena schon lange und deren Blick verhieß nichts Gutes, als sie den fremden "Eindringling" wahrnahm. Diesem schienen allerdings die Hormone die Sicht vernebelt zu haben, denn mit einem frechen Grinsen und einem noch frecheren Blick auf Karenas Dekollete fragte er: "Hallo, möchtest du vielleicht auf meinem Schoß sitzen?" Karenas Blick verbreitete eine Aura von der Temperatur der Antarktis während sie zischte: "Mach `nen Abflug, du Depp, du sitzt auf meinem Platz." Anscheinend fielen sämtliche Hormone des Typs in sich zusammen, ebenso sein Mut, denn er räumte kampflos das Feld. Gitta war sich nicht sicher, ob er eine so rüde Abfuhr verdient hatte, verkniff sich jedoch jeglichen Kommentar. Als allerdings nach einer Weile Karena sich beschwerte, weil niemand mehr sie beide ansprach, konnte Gitta sich einer ironischen Bemerkung nicht enthalten. "Karena, den einen fragst du ob er schwul sei, den anderen heißt du einen Deppen; wenn du so kratzbürstig bist, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir alleine rumsitzen." Schon auf einen bissigen Beitrag Karenas wartend wandte sich Gitta ihr zu. Karenas Blick war jedoch überraschender Weise mit einem ganz seltsamen Ausdruck in einer ganz anderen Richtung gefangen. Als Gitta diesem Blick folgte, wurde auch ihr Blick stier, denn dort stand er, der ultimative Typ. Er hatte lange, wellige schwarze Haare, leuchtend grüne Augen und eine super Figur. Während beide Mädchen immer noch ungläubig auf diese Vision eines Mannes starrten geschah das Unglaubliche und er schlenderte auf sie zu. Offenen Mundes sahen zwei Gesichter zu ihm auf. Dann begann die Vision zu sprechen. "Ich bin Klaus und bin nicht von hier. Von wo kommt ihr denn her?" Karenas Blick war immer noch vernebelt und mit einem sphärischen Lächeln sagte sie: "Aus der Brenzlestr. 39." Mit halb fragendem, halb amüsierten Blick sah Klaus sie an. Ausnahmsweise fing sich Gitta als erste wieder und versetzte Karena einen Rippenstoß, der sie ebenfalls in die Wirklichkeit zurückholte. "Wir heißen Gitta und Karena und kommen aus Schnaitheim. Das liegt bei Heidenheim, ich weiß nicht ob du dich da auskennst?" Klaus schien sich von Karenas undefinierbarer Antwort erholt zu haben und begann Gitta anzugrinsen. "Schnoida, kenn ich sehr wohl, ich komm nämlich aus Gerstetten." Karena und Gitta bemühten sich ihre Begeisterung zu dämpfen, denn Gerstetten war kaum 10 km von ihrer Heimat entfernt. Klaus fragte, ob er sich zwischen die beiden Mädchen quetschen dürfe und diesmal war sogar Karena damit einverstanden, ihren Platz zu teilen.

Wie es immer so ist, kam natürlich als man sich am besten amüsierte eine ziemlich betüdelte Melinda an mit einem relativ hübschen Jungen im Schlepptau, was ihre "Kontaktfreudigkeit" mal wieder bewies, und drängte zu einem baldigen Aufbruch. Klaus blieb gerade noch Zeit Karena mit einem tiefen Blick seiner grünen Augen zuzuraunen: "Man sieht sich." Wäre sie nicht vom Eifer des Aufbruchs mitgerissen worden, hätte Karena Klaus wahrscheinlich erwürgt, denn diesen Man-sieht-sich-Spruch hat wohl schon jede Frau zu hassen gelernt. Vorwiegend, weil er sich äußerst selten bewahrheitet.

Karena verbrachte eine äußerst unzufriedene Woche und musste sich schließlich ärgerlich eingestehen, dass dieser Klaus ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Endlich ging es wieder aufs Wochenende zu und am Freitagabend rief Gitta an, ob Karena bei ihr vorbeikommen und man anschließend ins "Dreary night", eine Hardrockdisko in der Nähe, gehen könne. Mit zwiespältigen Gefühlen sagte Karena zu. Da Gitta kein Auto besaß, fuhr Karena mit ihrem alten Ford Capri los und bald saßen sie Bei Gitta vor dem Video und schauten sich noch einen Film an, bevor sie ausgehen wollten. Sie hatten sich mit Candi, einer Freundin, gegen 22 Uhr in der Disco verabredet und hatten noch genügend Zeit. Nach dem Film zeigte die Uhr der Tagesschau gerade mal 20 Uhr 15 an und Karena meinte: "Mensch, wir haben ja noch massenhaft Zeit." "Ja genau, die Zeit vergeht heut äußerst langsam." Antwortet Gitta leicht überrascht. In diesem Moment lugte Gittas jüngere Schwester ins Zimmer und fragte lapidar: "Euch ist schon klar, dass die Tagesschau auf Video ist und es in Wirklichkeit schon 21.45 Uhr ist?" Karena und Gitta sahen sich ungläubig an und grienten über ihre eigene nicht vorhandene Intelligenz . Dann sprang Gitta auf und drängte plötzlich eiligst zum Aufbruch. Auf Karenas Kommentar, dass doch Candi schließlich ein paar Minuten warten könne, warf Gitta ihr nur einen geheimnisvollen Blick zu und drängte weiter. Mit einer Viertelstunde Verspätung erreichten sie die Disco und wurden schon ungeduldig von Candi erwartet. Man hörte den Felsbrocken von Candies Herz fallen, als sie endlich eine Ausrede hatte den an der Bar neben ihr sitzenden Rolli zu verlassen. "Äh, meine Freundinnen sind gerade gekommen. Ich setz mich mit denen an einen Tisch." Wäre der Boden im Dreary Night nicht ziemlich unsauber und klebrig gewesen, hätte Candies Eile Rolli zu entfliehen sicherlich eine Staubwolke hinterlassen. Rolli war Candies ständiger Verehrer und es war schon ziemlich lästig, dass er überall auftauchte, wo auch sie war. Er war eigentlich gar nicht ohne. Was sich aber als sehr störend erwies war, dass er nicht zwei Hände sondern mindestens zehn hatte und dass diese ständig irgendwo auf Wanderschaft waren, wo sie wirklich nicht hingehörten. Rolli liebte nämlich barock geformte Mädchen, und damit konnte Candi nun wirklich dienen. Mit traurigem Dackelblick sah der blonde schlaksige Junge Candies entschwindendem Pagenkopf nach. Während Karena Candi über den neuesten Stand der Dinge informierte, schaute sich Gitta auffällig oft suchend um. Mißtrauisch fragte nach einer Weile Karena: "Sag mal, auf wen wartest du denn so dringend?" Fast zu schnell stritt Gitta ab, nach jemanden Ausschau zu halten und da Candi noch mehr über die Griper-Party wissen wollte beachtete Karena die Sache nicht weiter. Als sie nach einer Weile eine Hand auf ihrer Schulter spürte meinte sie nur gelangweilt: "Rolli, das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten, also verschwinde!" Als die Hand aber hartnäckig auf ihrer Schulter liegen blieb wandte sie den Kopf, um Rolli noch deutlicher in seine Schranken zu weisen. Als sie jedoch den Blick hob, blieben ihr die Worte im Halse stecken und sie merkte selbst, dass sie keinen sehr intelligenten Gesichtsausdruck zeigte. Sie sah nämlich völlig unvorbereitet in Klaus` leuchtend grüne Augen. Endlich hatte sie die Sprache wiedergefunden und brachte ein zum Glück relativ normal klingendes "Hallo" heraus. Nachdem sie ihren Blick von Klaus losgeeist hatte, ließ sie ihn zu Gitta wandern und das triumphierende Grinsen in deren Gesicht ließ den Entschluß in Karena reifen, sie umzubringen; allerdings erst, wenn sie herausgefunden hatte, wie sie dieses Zusammentreffen gemanaged hatte. Freundlich erkundigte sich Klaus, ob er sich zu den drei Damen setzen dürfe und wurde natürlich freundlichst darum gebeten dies zu tun. Auf Candies neugierigen Blick hin wurde ihr der neue Bekannte ihrer beiden Freundinnen vorgestellt und wie auch schon auf der Party verstand es Klaus die Mädchen in eine interessante Unterhaltung zu verwickeln. Viel zu früh erklang das Schlußlied der Disco was bedeutete, dass man nur noch die Gläser leeren durfte und dann wohl oder übel das Lokal verlassen musste. Karena sah auf die Uhr; drei Uhr! wo waren nur die letzten Stunden geblieben. Sie hatte überhaupt keine Lust sich jetzt schon von Klaus zu verabschieden und ihn womöglich tage- oder wochenlang nicht mehr zu sehen. Da kam ihr unvermittelt Candi zur Hilfe indem sie sagte: "Heut ist so eine schöne laue Nacht, wollen wir noch ein wenig zu mir in den Garten sitzen?" Candi war, obwohl erst 19 Jahre alt, bereits verheiratet und lebte mit ihrem Mann Paul in einem kleinen Haus mit großem Garten. Wie bestellt stand plötzlich auch Rolli auf der Matte und wollte sich den Vieren anschließen. Da Paul aber Rolli sowieso schon auf dem Kieker hatte, sagte ihm Candi wo der Maurer das Loch gelassen hatte und mit einem sehr traurigen Dackelblick auf Candis Gesicht mit der frechen Stupsnase trollte er sich Richtung Ausgang. Karena, Gitta, Candi und Klaus überquerten den Parkplatz und als Klaus vor seinem Wagen stehen blieb sahen sich die drei Mädchen ungläubig an denn - es war ein Ford Capri. Karena grinste in sich hinein; anscheinend hatten sie und Klaus mehr Gemeinsamkeiten als sie gedacht hatte.

In Candies Garten stand unter einem großen Tannenbaum eine Biertischgarnitur und in einer kleinen Hütte standen für eben solche Zwecke wie in dieser Nacht ein paar Öllämpchen bereit. Innerhalb kürzester Zeit saßen die Vier gemütlich im Schummerlicht um den Tisch, während Candi ins Haus gegangen war um eine Flasche Lambrusco zu holen. Candi kam zurückl, stellte Gläser auf den Tisch und Karena wollte eben den Wein aufschrauben, als plötzlich der Schraubverschluß in die Luft schoß und der Wein in einer riesigen Fontäne nach oben in den Tannenbaum explodierte. Die Reaktionen waren äußerst gemischt. Während Gitta und Klaus die Katastrophe in Sekundenschnelle erkannten und sich mit einem großen Satz auf den Rasen retteten, starrten Candi und Karena fassungs- und regungslos nach oben in den Tannenbaum, in dem der Lambrusco verschwunden war. Was vorhersehbar war, aber irgendwie noch nicht durch der beiden Leitungen gedrungen, geschah. Der Wein erlag der Schwerkraft und kehrte aus dem Geäst der Tanne zum Boden zurück - unterbrochen von zwei immer noch ungläubig nach oben starrenden Gestalten. Als sich die ganze Bescherung dann über Candi und Karena ergossen hatte, schauten sie sich gegenseitig ziemlich belämmert an und brachen in schallendes Gelächter aus, in welches auch Gitta und Klaus in Anbetracht der zwei "begossenen Pudel" prustend einfielen. Als Karena und Candi das Haus betraten um kurz zu duschen, kam ihnen ein verschlafener Paul entgegen. Er zögerte kurz, rümpfte angewidert die Nase und fragte: "Seid ihr betrunken?" Die beiden Mädchen sahen sich an und begannen wieder zu kichern. Candi antwortete unter ständigem Grinsen: "Nur äußerlich, Paul, nur äußerlich." Zum Glück war der Schaden bald behoben und mit Nachschub an Wein kehrte man in den Garten zurück. Gegen halb fünf begann Candi zu gähnen und auch Gitta wagte zu erwähnen, dass sie sehr müde sei. Candi bot Gitta an, bei ihr im Gästezimmer zu übernachten; nicht ohne einen vielsagenden Blick auf Klaus und Karena, die sich immer noch unterhielten. Irgendwann saßen die zwei alleine im Garten und schauten sich wie erwachend um. Sie hatten gar nicht gemerkt, dass alle anderen verschwunden waren und sahen sich überrascht an. Für eine lange Weile versanken ihre Blicke ineinander und irgendwie lag Karena plötzlich in Klaus` Armen und selbstvergessen küßten sie sich in dieser lauen Juli-Nacht. Nach einer Karena endlos scheinenden Zeit lösten sich ihre Lippen voneinander und ihr Blick wanderte zum Himmel. "Da sind aber nicht mehr viele Sterne", meinte Karena und ihrem Blick folgend sagte Klaus: "Kein Wunder, es ist ja auch bald sechs Uhr." Jetzt bemerkten sie auch den breiten rosa Streifen, der schon den beginnenden Tag ankündigte. Schweren Herzens erhoben sich die beiden und gingen zu ihren Autos. "Wage ja nicht zu sagen - man sieht sich - ." Drohte Karena scherzhaft. "Ich ruf dich morgen an." Flüsterte Klaus in ihr Haar. Als er schon am Einsteigen war rief Karena erschrocken: "Du hast doch meine Telefonnummer überhaupt nicht!" Mit einem Lausbubengrinsen wedelte er ihr mit einem Zettel vor der Nase herum: "Von Gitta", damit schloß er die Autotür und fuhr davon. Karena beschloß sobald sie ausgeschlafen hatte bei Gitta anzurufen und ein Wörtchen mit ihr zu reden.

Der Samstagnachmittag war schon reichlich fortgeschritten als Karena zu einem relativ spät geratenen Mittagessen bei ihren Eltern auftauchte. Sie bewohnte eine winzige Wohnung im Dachgeschoß des Hauses und wenn sie zu faul zum Kochen war, brauchte sie nur ein Stockwerk tiefer nachzuforschen, was es dort zu essen gab. Während sie sich die Reste warm machte, rief sie bei Gitta an und erfuhr endlich, welche Kuppelversuche diese gestartet hatte. Gitta war am Donnerstagnacht auch schon im Dreary Night gewesen und hatte dort wirklich nur per Zufall Klaus getroffen. Nachdem sie sich eine Weile mit ihm unterhalten hatte, hatte er tatsächlich angefangen sie über Karena auszufragen. Als sie sein ehrliches Interesse bemerkte, hatte sie ihm - ganz unverfänglich und nebenbei - erzählt, dass sie und Karena am Freitag im Dreary Night sein würden und ihm mit verschwörerischem Zwinkern auch Karenas Telefonnummer zugesteckt. Eigentlich hatte Karena ja vorgehabt Gitta zurechtzuweisen, aber in diesem Fall sah sie noch einmal davon ab, da sie ja im Endeffekt etwas Gutes mit ihrer Aktion bewirkt hatte. Mit der Abmachung, später noch mal zu telefonieren, um übers Ausgehen zu reden, verabschiedeten sie sich schließlich. Kaum hatte Karena den Hörer aufgelegt, als das Telefon auch schon wieder läutete. Während sie im Kochtopf rührte, nahm sie den Hörer wieder von der Gabel und ließ diesen vor freudigem Schrecken beinahe in den Pott fallen, als sie die Stimme erkannte, die sie freundlich begrüßte: "Hallo, schon ausgeschlafen?" Ihr Herz begann schneller zu schlagen als Klaus schon weiterredete: "Karena, ich geh heut abend auf eine Fete in einer Hütte im Wald, willst du nicht auch kommen? Du kannst ruhig deine Freundinnen mitbringen wenn du willst." Etwas atemlos antwortete Karena: "Ja, klar." Sie ließ sich noch den Weg zur Hütte beschreiben und mit einem: "Ich freue mich." Verabschiedete sich ihr Traumtyp.

Karena hatte den Abend kaum erwarten können und, obwohl 20 Uhr ausgemacht war, stand sie schon um halb acht bei Gitta auf der Matte. Bei jedem Handgriff den Gitta tat, um sich zurechtzumachen, wurde die Arme von Karena gehektikt. Endlich war es soweit; sie mussten nur noch kurz Candi zuhaus auflesen und dann konnte es losgehen. Karenas alter Capri schien ihr heute viel zu langsam zu sein und selbst auf einer schmalen Landstraße überholte sie das Auto vor sich. Es war etwas eng, aber Karena konnte es einfach nicht erwarten Klaus wiederzusehen. Als das Überholmanöver beendet war, sah Gitta Karena vorwurfsvoll an und meinte: "Hätt ich das Autofenster runtergekurbelt, hätt mir der Typ aus dem anderen Auto problemlos Feuer geben können." Karena war jedoch viel zu gut gelaunt, um auf den Vorwurf einzugehen und außerdem musste sie auf den Waldweg einbiegen, der zur Hütte führte. Zur Überraschung der Mädchen standen auf dem Parkplatz und rund um die Hütte mindestens 30 Fahrzeuge.

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