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Glucksi das Eulenkind

© Manuela Korn


Es war drückend heiß im großen Wald. Nichts regte sich. Sogar die meisten Vöglein waren verstummt und saßen ganz still im Schatten der Zweige.
Aber etwas bewegte sich doch.
Man hörte ein Rascheln. Ein ganz leises Krabbeln. Was konnte das nur sein?
Zwischen den dichten Tannenzweigen kam plötzlich ein kleines Geschöpf mit zwei großen runden Augen hervor. Das Ding trug ein weiches Federkleid und hatte mitten im Gesicht einen kurzen braunen Schnabel. Es war eine junge Eule. Sie hieß Glucksi.
Ihre Eltern waren gerade auf Futtersuche, und das hatte sie sofort zu einem Ausflug genützt. Neugierig war sie aus dem Nest gekrabbelt, und einfach von Ast zu Ast gehüpft. Wenn sie nur schon fliegen könnte, aber dafür war sie noch etwas zu klein. Was gab es hier nicht alles zu sehen und zu bestaunen. Am Waldboden standen große Pilze, und überall roch es nach reifen Beeren. Waldbienen summten, und dann und wann flatterte ein Schmetterling vorbei.
Gerade kam Ferdinand der große Salamander aus seinem Erdhaus unter einem Farn hervor gekrochen. Er hatte wunderschöne gelbe Flecken auf seinem glänzenden schwarzen Körper.
"Hallo Ferdinand", rief Glucksi als sie ihn sah. "Wohin des Weges"?
"Guten Tag, Eulenmädchen" rief er zurück. "Schön dich zu sehen", aber ich habe leider keine Zeit. Ich muss ein paar Regenwürmer fangen. Sonst haben meine Kinder heute Abend nichts zu essen"! Er wackelte ein wenig mit seinem langen Schwanz, und schon war er unter den dicken grünen Blättern verschwunden.
Glucksi sah sich um, und entdeckte gleich wieder etwas Neues. Hanni, das braune Eichhörnchen war gerade dabei eine große Nuss zu vergraben. Es hatte einen prächtigen buschigen Schweif. "Was machst du denn da, Hanni"? rief sie ihm zu. "Ich lege Vorräte an. Wer im Sommer fleißig ist, der muss im Winter keinen Hunger leiden". Eifrig buddelte Hanni weiter. "Hoffentlich findest du sie später auch wieder", rief Glucksi und sprang auf den nächsten Zweig.
Ein Stück weiter plauderte gerade die Amselmutter mit einer ihrer Amselfreundinnen.
"Da kommt ja Glucksi", sagte die Amselmutter. "Weiß deine Mama dass du hier im Wald herumflatterst"? "Mach dir nur keine Sorgen" rief Glucksi, und schon hüpfte sie ein Stück weiter. So ging es in einem fort. Sie traf noch das Kaninchen, und später auch den Waldkauz. Dabei bemerkte sie gar nicht dass sie sich immer weiter von ihrem Nest entfernte. Plötzlich war sie in einem Teil des Waldes angelangt den sie noch nie gesehen hatte. Alles war ihr fremd geworden. Jetzt bekam Glucksi große Angst. Am liebsten wäre sie gleich nach Hause gehüpft, aber sie wusste nicht mehr in welche Richtung sie sollte.
"Vielleicht wäre ich doch besser im Nest geblieben", dachte sie.
Aber dafür war es nun zu spät. Was sollte sie nur machen.
"Bestimmt ist meine Mama schon zu Hause und macht sich große Sorgen. Was werde ich nur tun wenn es Abend wird".
Jetzt bekam Glucksi aber wirklich große Angst.
Sie kauerte sich auf einen dicken Ast und war ganz unglücklich.
Da hörte sie plötzlich ein Geräusch unter sich.
"Zisch, zisch", machte es. "Zisch, zisch". Erschrocken blickte sie nach unten. Sie erstarrte vor Schreck. Unter ihrem Baum sah sie eine große Schlange. Es war Kai, die Ringelnatter. Sie hatte schon schlimme Geschichten über Kai gehört. Kai hatte immer Appetit auf kleine Waldkinder. Und er war ein großer Ringelnattermann. Mit einem sehr großen Magen.
"Was haben wir denn da", zischte Kai.
"Ein Eulenjunges, mmmh, das wäre aber eine gute Mahlzeit für mich. Zisch, zisch".
Glucksi war wie gelähmt. Auch das noch! Sie wollte keine Mahlzeit für Kai sein.
Sofort begann sie kläglich zu piepsen. Vielleicht konnte sie ja doch ihre Mama hören.
"Das wird dir gar nichts nützen. Zisch, zisch". Kai streckte seine gespaltene Zunge heraus, und begann auf den Baum zu klettern auf dem sie saß. Glucksi hielt den Atem an, und zitterte. Kai kam langsam näher und näher. Was sollte sie nur tun.
Wenn ich nur schon fliegen könnte, dachte sie. Mit aller Kraft versuchte sie auf den nächsten Baum zu flattern. Sie kam aber nicht weit, ihre Flügel waren noch zu schwach und so sank sie erschöpft zwischen den beiden Bäumen zu Boden.
"Zisch, zisch, dann fresse ich dich eben hier unten", sagte Kai etwas ärgerlich, denn nun musste er wieder den Baum hinunter kriechen.
Verzweifelt sah sich Glucksi um. Weit und breit war keine Hilfe zu erblicken. Schon war Kai wieder am Boden angelangt, und kam auf sie zu.
Nur noch wenige Meter war er jetzt von ihr entfernt.
Glucksi presste ihre Augen zusammen, und hatte jede Hoffnung aufgegeben.
"Gleich habe ich dich, zisch, zisch" schnaufte Kai.
Da geschah etwas Unerwartetes.
"Nicht so eilig, Ringelnatter. Sonst kriegst du vielleicht bald wieder Zahnschmerzen", hörte sie plötzlich eine entschlossene Stimme sagen.
Überrascht öffnete Glucksi ihre Augen. Völlig unbemerkt hatte sich jemand zwischen sie und die Schlange gestellt. Es war ein großer kräftiger Igel.
"Geh mir aus dem Weg Mucki. Zisch, zisch". Dieses Mal kannst du mich nicht aufhalten.
Kai blickte den Störenfried wütend an. "Zisch, zisch".
Mucki zeigte aber keinerlei Angst vor ihm. Glucksi bewunderte ihren Helfer sehr.
"Wenn du das Eulenkind willst, dann musst du zuerst mich fressen, aber ich glaube das würde dir nicht so gut bekommen". Der Igel hatte sich auf seine Hinterbeine gestellt und richtete drohend seine Stacheln auf. In seinem geöffneten Maul blitzten viele kleine scharfe Zähne.
"Vielleicht erinnerst du dich noch an unsere letzte Begegnung, Kai".
Natürlich erinnerte sich Kai noch daran. Es war ein harter Kampf gewesen, aber am Ende gab er sich geschlagen. Er spürte noch heute die vielen Bisse die ihm Mucki beigebracht hatte. Und dann erst seine Stacheln. Jedes Mal wenn er nach ihm geschnappt hatte, stachen sie ihm in sein Zahnfleisch. So etwas wollte Kai nicht mehr erleben. Diesen stacheligen Gegner konnte er nicht besiegen.
Wütend sagte er daher zu Mucki: " Heute habe ich keine Lust zu kämpfen. Zisch, zisch. Vielleicht ein anderes Mal". Laut schimpfend schlängelte er sich davon.
"Immer wenn ich einen leckeren Happen sehe, dann läuft mir dieser Igel über den Weg", brummte er." Zisch, zisch". Bald war er unter den Pflanzen des Waldbodens verschwunden.
Die Gefahr war endlich vorüber und Glucksi war sehr erleichtert.
"Gestatten wenn ich mich vorstelle", sagte ihr Retter freundlich.
"Ich heiße Mucki, Freiherr von Igel. Kai und ich sind alte Bekannte. Wir haben schon so manchen harten Kampf ausgetragen".
"Mein Name ist Glucksi, ich bin ein Eulenkind und habe mich im Wald verlaufen".
Jetzt wo die Gefahr vorüber war, fiel ihr wieder alles ein, und sie begann zu weinen.
Sofort tröstete sie Mucki. "Nicht weinen, wir werden bestimmt eine Lösung finden. Für heute ist es schon zu spät, es wird bald dunkel werden. Aber gleich morgen werden wir versuchen deine Eltern zu finden. Mach dir keine Sorgen bestimmt wird alles wieder gut".
Glucksi war froh einen so tollen Beschützer kennen gelernt zu haben, und fasste wieder etwas Hoffnung. Mucki begann sofort eine kleine Wohnung aus Laub und Zweigen zu bauen. Glucksi half ihm dabei so gut es ging. In ihrem Schnabel konnte sie kleine Tannenzweige und Laub herbei tragen. Mucki war ein guter Baumeister, und als die Nacht hereinbrach, hatten sie eine warme und gemütliche Behausung. Am Himmel leuchteten die Sterne, und der volle Mond warf sein fahles Licht über den Wald. Sie krochen in ihr Nest, und es dauerte gar nicht lange, und Glucksi und Mucki waren eingeschlafen.
Gleich am nächsten Morgen machten sie sich auf die Suche. Alle Tiere die ihnen entgegen kamen fragten sie nach dem Eulennest. Aber niemand konnte ihnen helfen. "Ein Eulennest"? sagte die Drossel. "Keine Ahnung, da kann ich euch leider nicht helfen". Auch der Dachs wusste nichts davon. "Tut mir leid, nie etwas davon gehört". Wieder wurde Glucksi sehr traurig. Es tat ihr furchtbar Leid dass sie einfach davongelaufen war. Auch Mucki konnte sie nicht mehr trösten.
"Ich werde meine Eltern nie wieder sehen", schluchzte sie. "Nie wieder".
So liefen und flatterten sie Beide eine zeitlang dahin. Sie überquerten gerade eine kleine Waldlichtung, als Glucksi eine vertraute Stimme hörte:
"Ja wer kommt denn da einher"?
Es war die Amselmutter die ihr schon am Vortag begegnet war.
Erfreut hob Glucksi ihr Köpfchen. "Was für ein Glück, Amselmutter, dass ich dich treffe. Ich habe mich gestern verlaufen, und … "Ich weiß, ich weiß, zwitscherte die Amsel. Deine Mutter hat mir schon alles erzählt.
Sie ist ganz außer sich vor Sorge. Der halbe Wald ist auf den Beinen und sucht nach dir. Komm gleich mit, ich bringe dich nach Hause. Es ist gar nicht mehr weit".
Die ganze Zeit war Mucki schweigend neben Glucksi gestanden.
Traurig sagte er jetzt zu ihr: "Na, du brauchst mich wohl nicht mehr. Dann kann ich ja wieder gehen".
Er wandte sich mit hängendem Kopf um.
"Nein, nein. Mucki du kommst natürlich mit", rief Glucksi aufgeregt. "Du bist mein Lebensretter. Wir sind doch jetzt Freunde. Meine Eltern wollen dir bestimmt für alles danken".
Da freute sich Mucki. Er hatte Glucksi nämlich sehr lieb gewonnen. Und so flogen, flatterten, und liefen das Eulenkind, die Amsel und der Igel in Richtung Heimatwald.
War das eine Freude als sie wieder zu Hause war.
Ihre Eulenmama drückte sie ganz fest an sich und war einfach nur froh sie wiederzuhaben. Aber sie schimpfte auch ein bisschen. "Das darfst du nicht mehr machen, Kind! Hast du gehört? - Nie wieder".
Auch ihr Vater, die große Waldohreule brummte ein wenig vorwurfsvoll. Aber die Freude über das Wiedersehen war doch viel größer als sein Ärger. Glucksi versprach hoch und heilig nie wieder von zu Hause fortzulaufen. Natürlich erzählte sie das Abenteuer mit Kai der Ringelnatter. Alle bewunderten Mucki für seine mutige Tat. Besonders Glucksis Eltern waren ihm dafür sehr dankbar. Er war jetzt ein echter Held.
Dann wurde ein großes Fest gefeiert. Alle befreundeten Waldbewohner waren dazu eingeladen. Die feinsten Leckerbissen wurden serviert, und als die Nacht kam, beleuchteten tausend Glühwürmchen das Festgelände.
Alles war wieder gut, und aus Mucki und Glucksi waren richtige Freunde geworden. Sie bestanden später noch viele gemeinsame Abenteuer und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute im großen Wald.



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