Sonnenkind
© Gaby Schumacher
Marie, die kleine Prinzessin im Königreich Immerfroh, benahm sich so gar nicht, wie es in dem Reiche ihres Vaters Gesetz war, nämlich den ganzen Tag über immer nur strahlend vor Glück durch die Gegend zu laufen.
Dabei hätte sie wirklich allen Grund dazu gehabt. Das kleine Mädchen wurde von ihren Eltern sehr geliebt und verwöhnt. Diese lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Alle Tage besuchten sie die Prinzessinnen und Prinzen aus den umliegenden Schlössern zum Spielen. Dann jagten sie kreuz und quer, treppauf, treppab durch die riesigen Räume und spielten den Erwachsenen viele Streiche. Auch platzten sie in ihrem Übermut in so manch einer der wichtigen Besprechungen, die der König mit seinen Ministern abhielt.
Eines Tages einmal beredeten diese gerade, wie das Gesetz zum Glücklichsein nach gestrafft werden könnte, damit auch wirklich kein einziger Bürger des Reiches noch mit traurigem Gesicht herum liefe.
"Vielleicht sollten wir Strafen einführen!", warf gerade, als die Kinderschar den Saal stürmte und damit alles durcheinander brachte, ein noch junger, nicht ganz so erfahrener Minister ins Gespräch ein.
"Vielleicht ein Tag Gefängnis für eine Träne pro Tag.", forschte er lobheischend ob seines doch so klugen Vorschlages im Gesicht seines Herrschers.
"Und für hemmungsloes Weinen etwa eine mindestens ein ganzes Jahr dauernde Umschulung zum Frohsein!", ergänzte ein anderer.
Der König kam nicht dazu, sich zu diesen wahrhaft klugen Äußerungen seiner engsten Mitarbeiter überhaupt zu äußern. Ausgerechnet zu dieser wichtigen Stunde hing sein kleines Töchterchen urplötzlich im nächsten Augenblick laut schluchzend an seinem Hals und kriegte sich auch gar nicht wieder ein. Dem König war das mehr als peinlich vor seinen Untergebenen, denn die königliche Familie achtete darauf, vor allem, was Frohsinn anging, immer und überall ein blendendes Vorbild für ihr Volk zu sein.
Und jetzt das!
Erschreckt verstummten alle anwesenden hohen Herren, wandten schleunigst ihren Blick von diesem beschämenden Bild ab, damit sich der König vielleicht doch nicht ganz so schrecklich schämen sollte.
Der aber wusste sich gottlob zu helfen - schließlich war er der König - sah sein Kind liebevoll an und meinte:
"Marie, du weisst doch, dass es streng verboten ist, zu weinen. Wir leben in einem fröhlichen Land. Ich will sofort wieder ein lachendes Töchterchen an meiner Seite. Schau, wie schön alles um dich her ist. Da gibt es keinen Grund zum Traurigsein."
Maries Kameraden standen verlegen lächelnd da, während der König mit ihrer kleinen Freundin so ernste Worte sprach. Wie, um sie zu entlasten und ihn noch milder zu stimmen, setzten sie schnell ein noch fröhliches Lächeln auf, das dann zu einem hell perlenden Kinderlachen anwuchs.
Marie schluckte bei den Worten ihres Vaters tapfer mit einem letzten kleinen Seufzer die aller letzten, widerspenstigen Tränen hinunter und wagte ein scheues Lächeln. Doch lachen konnte sie nicht. Ihre blitzblauen Augen guckten nach wie vor ganz traurig.
"Weshalb bist du denn traurig?", versuchte der Vater es mit Sanftmut.
Ihn beunruhigte das Verhalten seiner Kleinen. Er war ein sehr liebevoller Vater und ganz vernarrt in sein Mädchen.
"Du hast doch alles, wovon ein Kind nur träumen kann!", forschte er nach.
"Ja, aber es wird langweilig. Es macht mir keinen Spaß, mit den vielen Sachen zu spielen. Selbst das Toben mit den anderen Kindern macht mir keine Freude mehr!"
Marie war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. Doch wollte sie ihren Vater nicht enttäuschen, riss sich brav zusammen und erklärte:
"Ich bin so traurig, weil ich nicht weiss, warum eigentlich ich so traurig bin!", erklärte sie leise.
Die umsitzenden Minister schauten ratlos und tuschelten leise miteinander.
"Ratlose Traurigkeit und das in unserem Lande?"
Bei diesem Gedanken blieb sogar ihnen das Lachen im Halse stecken.
"Ist unsere Prinzessin vielleicht krank?", murmelte einer besorgt.
"Hoffentlich ist das nicht ansteckend, unser König?!", wandte sich einer von ihnen an seinen Herrscher.
Nicht auszudenken, was das dann für das Land bedeutete. Nicht nur, dass sie das erquickende Image der Fröhlichkeit los würden. Nein, es war eine altbekannte Tatsache, dass muntere und fröhliche Leute ihre Arbeit viel leichter und besser verrichteten als Griesgrame oder, noch entsetzlicher, gar verzweifelte Menschen. Die Minister mochten es sich gar nicht ausmalen, welche Stimmung sich dann nicht nur im Schloss, sondern im ganzen Lande breit machte. Es wäre kaum auszuhalten. Dazu durfte es einfach nicht kommen.
Der König, die Minister und auch die kleinen Prinzessinnen und Prinzen legten grübelnd die Stirn in Falten. Das wiederum war für sie so ungewohnt, dass sie das erst ein paar Sekunden üben mussten, bis auch alle Sorgenfalten richtig saßen. Allerdings sorgten sie sich genauso sehr darob, dass sie diese möglichst schnell wieder würden glätten können. Um den Ruf ihres Landes zu retten und auch aus Angst vor Bestrafung. Selbst den König plagte diese Furcht, denn als mutiger Herrscher hätte auch er oder sogar erst
recht er deretwegen demütig harte Strafen auf sich nehmen müssen, um seinem Volk auch in dieser Hinsicht ein rechtes Vorbild zu sein.
Gott sei Dank durften die sträflichen Zeichen für Unsicherheit und Probleme nach bereits zwei Sekunden wieder gänzlich verschwinden. Da hatte sich nämlich ausgerechnet der Hofzeremonienmeister zu des Königs Ohr geneigt und ihm etwas zugeflüstert, worauf des Herrschers Gesicht zu leuchten begann.
Die Minister, die dies beobachteten, beeilten sich, sofort wieder eine ausgesprochen muntere Miene aufzusetzen, obwohl sie ja noch nicht die Spur einer Ahnung hatten von dem, was dieser dienstbare Geist dem besorgten Vater da vorgeschlagen hatte.
"Hört, was ich euch zu sagen habe!", hub der König mit fester Stimme an.
"Ich glaube, die Prinzessin braucht Abwechslung. Sie soltle die Welt draußen kennen lernen. Führt sie also vor die Stadt, damit sie all das Schöne sieht, das das Leben zu bieten hat."
Aufatmend und gleich viel munterer klatschten seine treuen Untergebenen Beifall. Die kleinen Prinzessinnen und Prinzen hopsten vor Freude wild herum. Ja, ihre Freundin würde bestimmt von ihrer Trübsinnigkeit geheilt zurück kommen. Das könnte gar nicht anders sein in diesem schönen Reich mit all seinen lachenden Bewohnern.
Bereits am nächsten Morgen zog Marie ihr aller schönstes Kleid an und die schöne bunte Holzperlenkette, die sie so sehr liebte. Sie verabschiedete sich immer noch traurigen Blickes von Vater und Mutter, den Ministern, dem Hofzeremonienmeister, ihrer kleinen Freundesschar und zu guter Letzt auch von Fips, dem Hofhund, der vor Kummer seine Ohren ganz tief hängen liess und einen Blick zum Steinerweichen aufgesetzt hatte. Er spürte die Stimmung seiner Herrin und war sogar fast noch trauriger als die kleine Prinzessin
selbst.
"Ich bin bald wieder bei dir!", versprach diese ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Schnute.
Das machte Fips noch verzweifelter, denn er wusste:
"Sie lässt mich allein. Sie geht weg. Ob sie überhaupt je wiederkommt?"
Winselnd legte er sich auf den königlichen Rasen vor dem Schloß und schloss seine Augen in der Hoffnung, im Traum seiner Trauer entfliehen zu können.
Marie wanderte langsam durch den riesigen Park und dann durch das mächtige Eingangstor. Betrübt wagte sie einen schnellen Blick auf die ihr fremde Umgebung, sah jedoch überall strahlende, singende und tanzende Leute. Die Bäcker vor ihren Öfen strahlten, die Frseure sangen bei der Arbeit und die Arbeiter auf den Feldern unterbrachen ihre Beschäftigungen immer wieder für einen kurzen Tanz.
"Wieso seid ihr so fröhlich?", fragte Marie.
"Wir sind zufrieden mit dem Leben. Uns geht es gut. Dein Vater sorgt dafür, dass niemand hungert, die Ernte ist reich und selbst die Sonne lacht vom Himmel. Warum sollten wir da traurig sein!?"
Maries Herz machte einen kleinen Sprung. Noch ahnte sie es nicht, dass diese Antwort ihr helfen sollte, wieder glücklich zu werden.
Das Mädchen spazierte weiter zu den schönen Weiden der Pferde und Kühe. Marie liebte die Tiere, seit sie denken konnte. Diese schenkten ihr die Zuneigung, die sie ihnen gab, tausendfach zurück. Als sie sich dem Gatter näherte, wieherten und sprangen die Pferde hoch in die Luft vor Freude. Die Kühe trabten heran, ließen sich mit Wonne von ihr streicheln und leckten hingebungsvoll ihre Hände.
Maries Herz tat einen zweiten Sprung.
"Sie mögen mich, so wie ich sie mag!", dachte sie und war ein kleines bisschen froh.
Sie spazierte zu einer kleinen Anhöhe und betrachtete von da aus den nahen, kleinen See mit seinem glitzernden Wasser, die weiten Felder und fernen Wälder am Horizont.
"All dies gehört meinem Vater und ist später Žmal meins!", überlegte sie und war stolz.
Ihre Schritte wurden schneller und schneller. Ohne es selber recht zu merken, begann sie zu hopsen und rannte zu dem See, der in der Sonne blitzte. Alles sah so zuaberhaft aus, dass das kleine Mädchen plötzlich die Traurigkeit der letzten Stunden vergaß und sich verträumten Blickes ins Gras hockte, das sie leicht kitzelte. Unwillkürlich fing Marie an zu lächeln. Um sie her wuchsen viele Wildkräuter mit zarten Blüten in allen möglichen Farben. Zwisdchen ihnen reckten vorwitzige Gänse- und Butterblümchen ihre Köpfe
der Sonne entgegen.
"Wie schön das aussieht. Wie fröhlich selbst die winzigsten Blumen im Winde schaukeln!"
Marie pflückte eines der zierlichen Pflänzchen und strich behutsam und zärtlich über dessen Blütenblätter.
"Du bist aber niedlich!", flüsterte sie ihr zu und fing an zu lachen. All der Trübsinn war wie weggeblasen.
Das kleine Mädchen empfand Freude, die ganz große Freude, die im Kleinen liegt, der Seele mehr gibt als jeder Besitz.
Sie spürte die Schönheit der Natur
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