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»»»   Hans-Jörg von Büren: Ein Fall für Andersrumdenkende. Trotz ausgeklügelter Sicherheitsmaßnahmen werden in einem führenden Modehaus die Entwürfe für die Frühjahrskollektion gestohlen.

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Ein Fall für Andersrumdenkende

© Hans-Jörg von Büren

Franco steckte seine Karte in den Schlitz neben dem Eingang und tippte den Code ein. Im Lautsprecher knackte es. "Stimmerkennung. Bitte sprechen Sie ein mindestens zweisilbiges Wort."

"Überfall", sagte Franco und die Tür ging auf.

Die Frau am Empfang sprach noch am Telefon. Sie winkte Franco herbei, und er wartete, bis sie aufgelegt hatte.

"Tag, Herr Schindler. Hatten Sie einen guten Flug?"

"Jedenfalls keinen ganz schlechten, wie Sie sehen. Was gibt's denn?"

"Der Chef möchte Sie gleich sprechen. Pardon, der Senior-Chef."

"Schon gut. Sie können mich anmelden."

Auch Frau Bleiker, die Erics Vorzimmer hütete, wollte wissen, ob Franco gut geflogen sei. Er beruhigte auch sie. "Kann man eintreten?", fragte er.

"Herr Damm erwartet Sie."

Eric erhob sich und kam Franco mit schnellen Schritten entgegen. "Schön, dass du zurück bist. Wir haben da ein Problem." Er wies zum Besprechungstisch. "Setz dich."

"Wo brennt's denn?"

"Signorina Calvi ist verschwunden."

"Wie furchtbar! Wer ist sie?"

"Eine Fotoassistentin bei Pedretti Mailand. Sie sollte am Bildschirm Digitalaufnahmen der Frühjahrskollektion bearbeiten und erhielt die Speicherkarten, natürlich gegen Unterschrift und mit Meldung an den Personalportier, wie mit uns festgelegt. Nachher sollte sie die Karten zurückgeben. Ohne Gegenquittung und Entwarnung für den Portier wäre sie nicht durch die Ausgangskontrolle gekommen, aber da kam sie gar nicht vorbei. Sie hat sich einfach in Luft aufgelöst, irgendwo im Betrieb."

"Samt den Chips?"

"Erraten."

"Wann ist es passiert?"

"Heute Mittag. Die Calvi hat eine Halbtagsstelle und beendet ihre Arbeitszeit in der Regel gegen ein Uhr. Um halb eins wurde sie letztmals gesehen. Nach ein Uhr suchte sie der Vorgesetzte, der ihr die Speicherkarten ausgehändigt hatte. Aber er und anschließend die halbe Belegschaft suchten vergebens."

"Wann hast du davon erfahren?"

"Um Viertel vor zwei. Der Commendatore persönlich rief an. Er wirkte gereizt und fast vorwurfsvoll. Für ihn sind wir dafür verantwortlich, dass so etwas nicht vorkommt; nur mit der entsprechenden Mandatserweiterung tut er sich schwer. Nun sollen wir ihm sagen, wie er wieder zu seinen Chips kommt. Er erwartet unseren Anruf."

"Da kommt er ja um seine Siesta! - Was verliert er, wenn die Bilder in die falschen Hände geraten?"

"Viel. Die Aufnahmen waren ausschließlich für den internen Gebrauch bestimmt, daher ja auch unter Verschluss. Sie zeigen taufrische Kreationen, speziell geeignet für die Prêt-à-porter-Linie. Ein Fressen für die Fälscher in Hongkong und anderswo; Pedretti gehört ja zu den Modeschöpfern, bei denen es sich lohnt."

"Hat Calvi versucht, die Aufnahmen übers Internet an einen Auftraggeber zu senden?"

"Das konnte sie gar nicht. Der Computer, an dem die Bilder bearbeitet werden, hat keine DFÜ-Verbindung. So lautete ja auch unsere Empfehlung."

"Schön, dass manchmal eine befolgt wird." Franco nahm einen Zigarillo aus dem Kistchen in der Tischmitte. "Bevor wir loslegen: Können wir triviale Erklärungen wie Ausstieg aus einem Fenster oder Bestechung des Portinaio vergessen?"

"Ja. Die Fenster im Erdgeschoss und auch im ersten Stock des Palazzos sind vergittert. Der Personalportier ist ein altgedienter, zuverlässiger Mann, der sich den baldigen Ruhestand nicht vermiesen lassen würde."

"Dann müssen wir wohl wiedermal in der Trickkiste nachsehen."

"Oder im Zauberkabinett. Die alte Frage: War die Assistentin, die der Magier von der Bühne verschwinden lässt, gar nie da? Oder ist sie immer noch da?"

"Vielleicht beides. Ich sehe auch die zersägte Jungfrau, nur andersrum."

Eric blickte zur Decke. "Ja, das trifft's noch besser. Die Frau in der Kiste, die in Wirklichkeit aus zwei Frauen besteht, oder eben zwei, die nur eine sind."

"So war's gemeint."

"Job-Sharing mit sich selbst, das ist doch mal etwas Neues. Ich habe mir die nachgeführte Personalliste und einen Ausdruck der seit heute früh erfassten Ein- und Ausgangszeiten faxen lassen. Hier sind Kopien für dich. - Schauen wir mal hinein?"

"Ja. - Da ist die Verschwundene: Calvi Olivia, siebenundzwanzig, beschäftigt im Fotostudio seit dem sechzehnten Juni. Sollzeit viereinhalb Stunden, Blockzeit halb neun bis halb eins."

"Arbeitsbeginn heute um acht Uhr zwölf. - Und wo ist das Gegenstück am Nachmittag?"

"Ich sehe nur einen, der in Frage kommt."

"Ein Mann?", fragte Eric.

"Ja. Venturi Aldo, vierundzwanzig, Grafiker, bei Pedretti seit dem fünften Mai. Sollzeit ebenfalls viereinhalb Stunden, Blockzeit eins bis fünf. - Würde passen: Am Morgen, wenn der Bart noch mit Make-up zugedeckt werden kann, ganz Frau, über Mittag dann Rückverwandlung."

"Und wie hat er die heute geschafft, ohne den Palazzo zu verlassen?"

"In irgendeiner Toilette oder Besenkammer. Weiß man, was Calvi heute trug?"

"Ja, eine Kollegin konnte sich erinnern: Jeans, hellgrüner Kasack, Mokassins aus braunem Wildleder."

"Nicht gerade Pedretti, aber zweckmäßig. Kasack aus, Hemd an - fertig."

"Und wie ist dein Verdächtiger den Kasack, die Perücke, den Büstenhalter samt Einlagen losgeworden?"

"War da nicht ein Reißwolf, in den alle nicht weiter bearbeiteten Modelle geschmissen werden müssen, ähnlich unserem Aktenvernichter?"

"Doch, ich erinnere mich. Am Ausgang der Ateliers. - Aber wie konnte Venturi über Mittag am Zeiterfassungsgerät einbuchen, wo er doch als Calvi schon seit heute früh drin war?"

"Hat er überhaupt eingebucht?" Franco blätterte im Kontrolluhr-Ausdruck.

"Zwölf Uhr vierzig", sagte Eric ohne hinzusehen.

Franco grinste und legte die Listen weg. "Du hattest also schon die ganze Zeit Venturi im Visier?"

"Ich hatte ja auch einen kleinen Vorsprung. Aber ich wollte noch dich hören, weil ich dachte, ich dächte vielleicht zu spekulativ."

"Das tun wir vielleicht beide. - Hast du schon eine Idee, wie Venturi sich die Eingangsbestätigung geholt hat?"

"Ja, aber ich konnte sie noch nicht überprüfen." Er drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. "Frau Bleiker?"

"Ja."

"Sind die Pläne aus dem Archiv schon da?"

"Ja. Ich wollte sie Ihnen gerade bringen."

"Bitte."

Frau Bleiker trat ein und legte einen Stoß gefalteter Pläne auf den Tisch.

"Danke", sagte Eric. Er zog den zweituntersten Plan hervor und entfaltete ihn. "Da, Pianterreno. Hier ist der Kundenempfang und hier der Eingang für das Personal. Die Pförtnerloge passiert man nach etwa fünf Metern; erst drei Meter weiter hinten, auf derselben Seite des Ganges, befindet sich das Zeiterfassungsgerät. So hatte ich es auch in Erinnerung; ich war mir nur nicht mehr sicher. - Siehst du, was ich sehe?"

"Du meinst, Venturi kommt von innen her zum Gerät, als hätte er die Einbuchung vergessen. Der Portier sieht das vermutlich gar nicht, denn er ist in der Mittagszeit mit den vielen Leuten, die vor seiner Loge ein- und ausgehen, beschäftigt und hat wenig Zeit, auch noch zur Seite zu schauen. Sieht er es doch, so murmelt Venturi etwas von Früh-Alzheimer oder so. Vergessene Ein- und Ausbuchungen sind ja nichts Ungewöhnliches. - Aber wie erklärt Venturi, dass er nicht an der Portierloge vorbeigekommen ist?"

"Muss er gar nicht. Hier kommt ihm die Beschränktheit unserer Wahrnehmung zu Hilfe. Mit einiger Sicherheit kann der Portier nur sagen, wen er gesehen hat, aber nicht, ob jemand, den er nicht gesehen beziehungsweise wahrgenommen hat, auch nicht vorbeigekommen ist. - Dass die Calvi den Palazzo nicht verlassen hat, will er allerdings beschwören können; auf sie hatte er ja gewartet."

"Warum hat Venturi beim Einbuchen nicht gleich Calvi ausgebucht? Er hatte ja beide Karten."

"Zu riskant. Jemand hätte ihn sehen können. Er konnte nur Dinge tun, die erklärbar waren, so wie die eigene Rückkehr zum Zeiterfassungsgerät. Zudem wäre er zum vielbefragten Zeugen geworden, da er ja der Calvi beim Gerät begegnet sein müsste. So viel Aufmerksamkeit durfte er nicht auf sich lenken, insbesondere da die gleichzeitigen Buchungen auch andere Leute auf unsere Idee bringen konnten."

"Mhm. - Ganz wasserdicht ist unsere Geschichte noch nicht. Wie kann sich jemand in einem westlichen Industrieland wie Italien mit falscher Identität anstellen lassen? Stichwort Sozialversicherung. Ich kenne das System da unten auch nicht so genau, aber es dürfte ähnlich funktionieren wie bei uns."

"Habe ich mir auch überlegt. Möglichkeit zum Beispiel: eine Komplizin namens Calvi, der angeblich die Papiere abhanden gekommen sind. - Weiter."

"Wir nehmen ohne weiteres an, dass Venturi und Calvi ungefähr die gleiche Statur haben und sich auch sonst gleichen. Ist das nicht der Fall, platzt unsere Vermutung."

"Ja, aber wenn sie zutrifft, müssen wir rasch handeln. Es ist jetzt zwanzig nach drei. Um fünf - Ablauf seiner Blockzeit - kann Venturi den Palazzo unbehelligt verlassen und die Speicherkarten mitnehmen. Bis dahin müssen wir etwas mehr in der Hand haben, so dass er durchsucht oder mindestens zurückgehalten werden kann. Am besten würdest du zuerst mit Fabrizi sprechen."

"Ich?"

"Tut mir leid; ich weiß, dass du eben erst von Liverpool zurück bist. Aber ich muss morgen früh in Toulouse sein, und du sprichst auch besser Italienisch."

"Okay. Ich werde mir einen doppelten Espresso machen."

"Fabrizi begreift schnell und hat die nötigen Kompetenzen. Er kann deine offenen Fragen beantworten und im Reißwolf oder anderswo nach den Klamotten suchen lassen. Erhärtet sich unser Verdacht, informierst du den Commendatore. Er kann dann auch die Polizei einschalten. Mit gleichen Fingerabdrücken an beiden Arbeitsplätzen wäre der Fall ja wohl erledigt."

"Ich denke, ich fange mal bei den Mokassins an. Wie heißt die Frau, die die Kleider der Calvi beschreiben konnte?"

"Di Maggio Angela. Sie weiß, dass ein Anruf aus Zürich kommt."

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