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»»»   Angela Pfeiffer-Werner: Der verhinderte Männerabend. Thomas holt im Kindergarten seinen Sohn Nikolas zu einem Ausflug in den Europa-Park ab. Derweil ist seine Ex-Frau Ramona aus dem Strafvollzug der Psychiatrischen Klinik ausgebrochen ...

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Der verhinderte Männerabend

© Angela Pfeiffer-Werner

"Es ist kalt geworden", denkt Thomas, als er die Autotür öffnet und aussteigt. Hier oben weht immer ein strammer Wind. Thomas zieht den Reißverschluss seines schwarzen Anoraks bis ganz oben zu und drückt sein Kinn unter den wärmenden Stoff. Er geht hinüber zum Kindergarten und als er die Tür öffnet, schallt ihm bereits fröhliches Kindergeschrei entgegen, dazwischen die mahnende Stimme einer Erzieherin. Hier ist es warm und seine Brillengläser laufen an, so dass er die Brille zuerst abnehmen und putzen muss, damit er überhaupt etwas sehen kann. Da hat ihn Nikolas entdeckt. "Papa!" Thomas fängt den kleinen Blondschopf in seinen Armen auf und denkt wie jeden Tag: "Mein Gott, was bist du dünn geworden." Er streicht Nikolas übers Haar und fährt mit seinen Fingern wie jeden Tag über die wulstige Narbe auf seinem Kopf. Fragend blickt er zu Susanne, der Leiterin von Nikolas' Gruppe. Sie nickt lächelnd, was so viel heißen soll, wie "alles in Ordnung, keine besonderen Vorkommnisse". Thomas fühlt sich jedes Mal erleichtert bei diesem Lächeln. Vielleicht sollte er Susanne mal fragen, ob sie gelegentlich mal mit ihm essen gehen würde? Ihm fällt ein, dass er gar nicht weiß, ob Susanne verheiratet ist.

Es war nicht immer so unkompliziert, Nikolas abzuholen. Er erinnert sich an Tage, an denen Susanne ihn im Büro angerufen hatte, weil Nikolas entweder ständig erbrechen musste, obwohl laut Kinderarzt mit seinem Magen alles in Ordnung war. Oder er weinte die ganze Zeit oder wurde aggressiv und schlug auf andere Kinder ein. Thomas hatte auch nie die gelegentlichen Prellungen bei seinem Sohn verheimlicht, im Gegensatz zu Ramona. Es war schwierig gewesen, das Jugendamt und das Gericht davon zu überzeugen, dass nicht er es war, der seinen kleinen Sohn misshandelte. Lange Zeit war er bösen Anfeindungen und viel Misstrauen vonseiten der anderen Eltern und der Erzieherinnen ausgesetzt gewesen, aber seit Ramonas öffentlichem Ausbruch im Juni letzten Jahres war das zum Glück vorbei. Niemand hatte für möglich gehalten, dass eine Mutter ihrem dreijährigen Kind so etwas antun kann. Aber da es viele Zeugen gab, die dann auch sahen, wie Thomas dazwischen ging und seinen Sohn rettete, verschwand das Misstrauen gegen ihn und wich tiefer Anteilnahme. Drei kräftige Väter waren nötig gewesen, um Ramona festzuhalten, bis die zwei Krankenwagen kamen - einer für Nikolas und einer für Ramona.

Nikolas ist zappelig vor Freude, als er ins Auto einsteigt. Er schnallt sich selbst an und es erfüllt ihn jedes Mal mit Stolz, wenn er die Verriegelung einschnappen hört. "Wann fahren wir denn los?", fragt er aufgeregt.

"Gleich, kleine Maus. Oma hat schon alles gepackt und sobald wir zu Hause sind, geht's los."

Nikolas freut sich sehr auf das Wochenende mit Oma und Opa. Sie fahren mit ihm zusammen in den Europa-Park, inklusive einer Übernachtung in einem nachgebauten Märchenschloss - das war sein Geburtstagsgeschenk gewesen, und Nikolas kann es kaum erwarten.

Thomas freut sich für Nikolas, aber er freut sich auch auf ein ruhiges Wochenende, ganz allein im Haus seiner Eltern, wo er mit Nikolas, seit den schlimmen Ereignissen vom letzten Sommer, wohnt. Er hat sich bereits in der Videothek "Transporter - the mission" ausgeliehen und seinen Kollegen Max für den Abend eingeladen. Er freut sich auf einen Männerabend mit Bier und Pizza und viel Action auf dem Fernsehbildschirm. Morgen wird er dann ausschlafen, anschließend vielleicht eine Runde joggen gehen oder, wenn das Wetter zu mies ist, vielleicht eine Reparaturstunde im Keller einlegen. Ein Staubsauger, ein CD-Spieler, drei oder vier Autos von Nikolas und ein zwanzig Zentimeter großer Tyrannosaurus Rex, der nicht mehr brüllen kann, warten auf ihn.

Thomas parkt den Renault direkt an der Straße. Er will seine Eltern und Nikolas noch zum Bahnhof bringen. Sein Vater scheint das Auto gehört zu haben, denn er öffnet sofort die Haustür und kommt mit zwei kleinen Koffern heraus, hinter ihm seine Mutter, die im Gehen noch ihren Mantel zuknöpft und sich ihre braune Handtasche unter dem Arm klemmt. "Hallo, Spätzchen!", ruft sie ins Auto in Richtung Nikolas und setzt sich dann neben ihn. Thomas hilft seinem Vater, das Gepäck zu verstauen, dann steigen sie ein und fahren los. Am Bahnhof angekommen, merkt Thomas, dass noch zwanzig Minuten Zeit sind bis zur Abfahrt des Zuges. Sein Vater hat immer Sorge, zu spät zu kommen und steht sich dann lieber die Beine in den Bauch. Thomas kauft im Reiseladen noch eine Flasche Fanta und einen Schokoriegel für Nikolas und eine Modezeitschrift für seine Mutter. Dann lässt er sich von Nikolas überzeugen, dass er unbedingt noch die neue Pettersson & Findus - Zeitung braucht, die mit der blinkenden Miniatur-Angel vorne dran. Als der Zug einfährt, umarmt Thomas seine Eltern und nimmt dann Nikolas hoch, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. "Tschüss, kleine Maus. Ich wünsch dir ganz viel Spaß!" Thomas fühlt einen Kloß in seiner Kehle. Er spürt ein seltsames Gefühl in sich - so als würde er Nikolas gerade zum letzten Mal sehen. Nikolas scheint davon nichts zu spüren. Er steigt in den Zug und winkt seinem Papa fröhlich nach. Seine Oma streicht ihm dabei liebevoll über den Kopf.

Thomas schließt die Haustür auf und legt die beiden Pizzakartons gleich auf dem Küchentisch ab. Er stutzt und schnuppert in die Luft. Irgendetwas stört ihn, irgendetwas kommt ihm seltsam vor. Er zieht seine Schuhe aus und geht durchs Haus. Alles wirkt still und verlassen. Auf seinem Weg zurück in die Küche tritt er mit dem Fuß auf einen kleinen Gummiball, den Nikolas liegen gelassen hat. Es gibt ein quietschendes Geräusch und Thomas fährt vor Schreck zusammen. "Die Nerven", sagt er sich. "Es wird Zeit, dass du dich entspannst." Er stellt ein paar Flaschen Bier in den Kühlschrank, schaltet das Radio an und sieht auf die Uhr. Max müsste in einer halben Stunde da sein. Die Pizza ist noch sehr heiß und Thomas hofft, dass sie bis dahin nicht abgekühlt ist. Ein Bier genehmige ich mir jetzt schon, denkt er.

"Hier noch eine letzte Meldung aus der Region", hört er den Radiomoderator sagen. "Zwei der geflohenen Frauen aus dem Strafvollzug der Psychiatrischen Klinik in Homburg sind wieder aufgegriffen worden. Die dritte Frau befindet sich noch immer auf der Flucht. Wie wir schon heute Morgen ausführlich berichtet hatten, waren gestern Nacht drei Frauen aus dem Strafvollzug geflohen, wobei sie einen Krankenpfleger schwer verletzten. Der 35-jährige Mann schwebt noch immer in Lebensgefahr. Bei der Frau, die sich noch auf der Flucht befindet, handelt es sich um die 31-jährige Ramona Siebert. Sie ist dringend auf Medikamente angewiesen und wird nicht davor zurückschrecken, Gewalt anzuwenden. Sie hat blondes ..."

Klirr!! Die Bierflasche zerbricht auf den Bodenfliesen und eine Pfütze breitet sich aus. Thomas steht wie erstarrt und ihm ist, als würde eine kleine eiskalte Hand über seinen Rücken kriechen und ihn im Genick packen. Ramona ist geflohen!! Jetzt fällt es ihm auch siedend heiß ein, was ihm so seltsam erschien, als er das Haus betreten hatte. Es ist dieser ganz leichte Duft nach Kamillan-Handcreme. Niemand in diesem Haus benutzt Kamillan-Handcreme, weil es immer an Ramona erinnern würde. Sie war verrückt danach. Alle zwei Stunden hatte sie sich die Hände eingecremt. Sie hatte mal gesagt, am Aussehen der Hände würde man das Alter einer Frau erkennen. Nur eine Frau wie Ramona würde sogar während einer Flucht aus der Psychiatrie ihre Handcreme benutzen, denkt Thomas.

Sie ist hier!! Hier im Haus!! Thomas zwingt sich, ruhig zu bleiben. Das Telefon steht im Wohnzimmer. Es sind nur ein paar Schritte bis dahin. Doch gerade, als er aus der Küche tritt, steht sie vor ihm. Thomas weicht erschrocken zurück. Wie sie aussieht! Sie muss in den letzten Monaten einige Pfunde abgenommen haben. Ihr Haar hängt strähnig neben ihren Wangen herab. An der linken Schläfe hat sie eine große, blutige Schramme und ihre Augen wirken dunkler als früher. Sie sieht ihn mit kaltem Blick an und Thomas bemerkt, dass sie in einer Hand das große Fleischmesser aus der obersten Schublade hält.

"Hallo, du fettes Arschloch!", begrüßt sie ihn und ihre Stimme klingt irgendwie kratzig. "Du dachtest, du wärst mich los, was. Damit du in Seelenruhe mit deiner Kollegin vögeln kannst. … Du erwartest wohl Besuch." Sie zeigt auf die beiden Pizzakartons, die in der Küche liegen.

Thomas überlegt fieberhaft, was er tun soll, aber ihm fällt nichts ein. Sie hat ein großes Messer in der Hand und er ist sich sicher, dass ihr Hass vor allem ihm gilt, und dass sie nicht zögern wird, es zu benutzen. Er versucht, sie ruhig und freundlich anzuschauen. "Ramona … wie geht es dir? Wirst du gut versorgt? ... Deine Eifersucht war schon immer grundlos, das weißt du doch." Er streckt eine Hand nach ihr aus. "Komm, gib mir das Messer, bevor du dich noch verletzt. Ich habe immer nur dich geliebt, das weißt du doch."

Ramona schaut ihn interessiert an, aber sie reagiert auf keines seiner Worte. "Wo ist mein Kind, Arschloch?", fragt sie.

In diesem Moment klingelt es an der Haustür. Beide fahren zusammen.

"Also doch eine Geliebte!", raunt Ramona leise und in ihren Augen blitzt es zornig auf.

"Nein!", ruft Thomas noch, aber Ramona ist bereits an der Haustür, reißt sie auf und stößt dem Besucher das Messer in die Brust.

Thomas kann noch den überraschten Ausdruck in den Augen von seinem Kollegen Max sehen, dann fällt Max auf die Knie und ist tot. Geschockt lässt sich Thomas auf den Boden sinken, den Blick unverwandt auf seinen Kollegen gerichtet, unter dem sich eine Blutlache ausbreitet. Er spürt ein Rauschen in seinen Ohren und zwingt sich, nicht ohnmächtig zu werden. Sie hat ihn einfach umgebracht, schießt es ihm immer wieder durch den Kopf. Sie hat ihn einfach kaltblütig abgestochen! Er merkt, dass er anfängt, am ganzen Körper zu zittern.

Bis auf die gänzlich fehlende Gesichtsfarbe ist Ramona nicht anzumerken, dass sie gerade einen Menschen getötet hat. Scheinbar ruhig schließt sie die Haustür wieder, steigt über den leblosen Körper und öffnet einen der Pizzakartons, die auf dem Küchentisch liegen. Gierig reißt sie sich ein Stück Pizza heraus und stopft es sich in den Mund. Kauend blickt sie zu Thomas. "Auch eins?"

Thomas kann die Übelkeit nicht so schnell unterdrücken, wie sie über ihn geströmt kommt. Er erbricht sich auf den Fußboden. Noch immer zittert er am ganzen Körper. Er sieht zu seiner geschiedenen Frau auf, die er doch einst geliebt hat, und Tränen treten ihm in die Augen. "Ramona, was hast du nur getan? Was ist nur aus dir geworden?" Dann fällt ihm etwas ein und er fasst wieder ein bisschen Mut. "Sie suchen nach dir! Sie werden sich denken, dass du hierhergekommen bist. Ramona, die Polizei wird bald hier sein!"

Ramona nickt und setzt sich neben Thomas auf den Boden. Fast zärtlich berührt sie sein Gesicht. "Ich möchte mein altes Leben zurück. Sag mir einfach, wo Nikolas ist. Er ist mit deinen Eltern weg, oder?"

"Ich werde dir nie sagen, wo Nikolas ist. Ist dir überhaupt klar, was du ihm angetan hast?"

"Er hat nicht gehört", sagt Ramona leise und sieht Thomas dabei gedankenverloren an. "Nie hat jemand auf mich gehört. Papa hat auch nie gehört, wenn ich NEIN gesagt habe. Er hat einfach nicht gehört … Und Mama hat alles gewusst."

Thomas sieht Ramona bestürzt an. Dann fällt sein Blick auf das Messer in ihrer Hand und er versucht, es ihr vorsichtig wegzunehmen. Ramona reagiert blitzschnell. Thomas spürt den Schmerz nicht sofort, als die Klinge in sein Bein dringt, aber dann sieht er das Blut durch die Hose quellen. Er stöhnt auf. "Bist du denn völlig verrückt geworden?!"

Ramona ist aufgesprungen. "Ihr wollt mich alle nur hintergehen, schon immer war das so! Aber ich lasse mir nichts mehr gefallen. Meine Eltern dachten auch, das kann immer so weitergehen. Aber ich habe einen Weg gefunden! Es war gar nicht so schwer und die Polizei hat nichts gemerkt. Es war ein ganz normaler Autounfall!" Dann fängt sie an zu schreien. "Und jetzt sag mir endlich, wo mein Sohn ist!"

Als Thomas nicht reagiert, läuft sie hinüber ins Arbeitszimmer, durchwühlt die Papiere. Es dauert gar nicht lange, bis sie das Gesuchte findet. Der Kalender von Thomas' Vater. "Europa-Park mit Nikolas" steht da dick umrahmt. Ramona fängt an zu lachen. Es klingt mehr wie ein Krächzen. Sie läuft hinüber in den Flur und durchwühlt Thomas' Taschen.

Thomas hat sich schwerfällig erhoben. Er versucht, den Schmerz zu ignorieren, versucht, Ramona am Arm zu packen, aber er rutscht weg und fällt direkt in die Scherben der zerbrochenen Bierflasche auf dem Boden. Er schreit auf vor Schmerz, registriert aber sofort, dass keine lebenswichtige Ader getroffen wurde. Ramona hat sich nur kurz nach ihm umgedreht. Sie hat die Autoschlüssel gefunden, wirft noch einen kurzen Blick auf ihren blutenden Ex-Mann, dann steigt sie über den toten Max und verlässt das Haus. Das Messer nimmt sie mit.

Thomas hat es geschafft zu telefonieren. Zehn Minuten später sind Polizei und Rettungswagen zur Stelle. "Mein Sohn …", sagt Thomas immer nur, als die Sanitäter ihn notdürftig verarztet und auf die Trage gebunden haben.

Der schon ältere Kriminalkommissar streicht ihm beruhigend über die Hand. "Keine Sorge", sagt er mit ernstem Gesicht. "Wir haben das Kennzeichen des Wagens. Der Europa-Park ist informiert. Ihre Ex-Frau kommt nicht weit. Und Ihrem Sohn wird nichts passieren, das verspreche ich Ihnen."

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