Sir Archibald war tot. Das Dienstmädchen Rosie fand ihn am Vormittag auf dem Boden der hohen und großen Bibliothek, als sie ihm den morgendlichen Tee bringen wollte. Er lag auf dem Rücken und ein roter Blutstreifen, dessen Quelle in dem grauen, doch noch dichten Haar zu vermuten war, zog sich über die rechte Seite seines energischen und würdevollen Gesichtes. Rosie ließ vor Schreck das Tablett mit dem indischen Teeservice fallen (dies scheint bei englischen Dienstmädchen ein automatischer Reflex sein, wenn sie eine Leiche sehen) und lief schreiend und um Hilfe rufend aus der Bibliothek.
Der Butler kam würdevoll und gemessen die hohe Wendeltreppe herunter. Er hörte mit ausdruckslosem Gesicht an, was Rosie zu berichten hatte, und begab sich in die Bibliothek. Er fühlte den Puls von Sir Archibald und schritt zum Telefon, welches sich auf dem Schreibtisch befand. "Wir müssen die Polizei verständigen."
Die Haushälterin war hinzugekommen. "Oh, mein Gott, was ist passiert?", stieß sie bleich hervor, als sie Sir Archibald auf dem Boden liegen sah, und ließ sich in einen der hohen Sessel fallen.
Der Butler schaute mit erhobenen Augenbrauen auf sie herab. "Sir Archibald ist tot." Und nach einer kleinen Pause: "Ermordet!"
Auch der Koch kam hinzu und stellte die gleiche Frage.
*
Chefinspektor Furgenson war groß und hager und mit seinem martialischen Schnurrbart hätte man ihn für einen wiederauferstandenen Rudyard Kipling halten können. Wie immer trug er einen hellen Regenmantel. "Wir sind in England", pflegte er zu sagen. Kricket oder Pferdepolo würden ihm gut stehen. Doch, als wäre er eine Fehlentwicklung in der englischen Evolution, hatte er für beide Spiele nicht das geringste Interesse.
Sein neuer Assistent, Jim Barden, hatte gerade die höhere Polizeischule absolviert. Vollgestopft mit Psychologie und Soziallehre war er eifrig bemüht, sich seine ersten Lorbeeren zu verdienen.
Die beiden traten ins Haus. Der Polizeiarzt hatte gerade eine erste Untersuchung vorgenommen und erhob sich schwerfällig. Einer der Beamten der Spurensicherung bewegte sich auf den Knien wie ein schnüffelnder Hund.
"Ein Schlag mit einem harten Gegenstand", wandte sich der Arzt an Furgenson. "Vielleicht ein Holzknüppel."
Furgenson nickte nur und blickte eine Weile auf die tote Gestalt. Dann rief er Barden zu sich. "Befragen Sie das Personal. Ich werde mich im Hause umsehen."
Barden machte ein erstauntes Gesicht. Es war das erste Mal, dass er etwas alleine machen durfte.
Furgenson schien seine Gedanken zu lesen. "Keine Sorge, Sie werden das schon hinkriegen."
"Danke, Sir!"
Als Jim Barden seinen Auftrag erledigt hatte, ging er zu Furgenson zurück, der am hohen Fenster des Salons stand, welcher sich im ersten Stock befand.
"Sir, ich habe einiges zusammengetragen." Er versuchte den Stolz mit einer lässigen Stimme zu dämpfen.
Furgenson schaute weiterhin zum großen Garten hinüber, wo der Gärtner Unkraut zupfte. "Lassen Sie hören!"
Jim Barden holte tief Luft. "Also. Das Dienstmädchen hat gestern gehört, als sie am Arbeitszimmer von Sir Archibald vorbei ging, wie dieser zur Haushälterin sagte, dass sie innerhalb von drei Tagen das Haus zu verlassen habe. Und froh sein könne, dass er nicht die Polizein einschalte. Das wäre doch ein Motiv, Sir."
Furgenson zog an seiner Pfeife. "Gut gemacht."
Jin Barden war erleichtert. "Und vom Koch habe ich erfahren, dass er mehrmals sah, wie Sir Archibald das Dienstmädchen Rosie um die Hüften gefasst habe, sodass auch sie ..."
"Alte englische Herrenart", bemerkte Furgenson trocken. "Vermutlich hat auch jemand gehört, dass Sir Archibald den Koch entlassen wollte, weil er mit dem Essen nicht zufrieden war. Dann hätte dieser ebenfalls ein Motiv gehabt."
"Nein, niemand hat etwas gehört", versicherte Jim Barden im Ernst.
Furgenson setzte sein Mephistolächeln auf. "Schon gut, Barden. Die Tatwaffe fehlt wohl immer noch. Na ja. Und was ist mit dem Butler?"
Jim Barden zuckte mit seinen Schultern. "Steif und stumm wie ein Stockfisch."
Furgenson lächelte sarkastisch. "So sind unsere englischen Butler." Und nach einer kleinen Pause. "Und der Gärtner?"
Jim Barden schaute verständnislos. "Der Gärtner?"
Furgensons linkes Auge wurde zu einem schmalen Spalt. "Mein lieber Barden. Na ... schon gut, lassen wir's. Ich werde zu ihm gehen."
Furgenson zog an seiner Pfeife und begab sich nach unten.
Jim Barden blieb am Fenster stehen. Jetzt bemerkte auch er den Gärtner, der immer noch gebückt Unkraut zupfte. Dann sah er Furgenson, der ruhigen Schrittes den Park durchquerte. Ein schwarzes Auto bog in das Parktor ein, um die Leiche von Sir Archibald abzuholen.
Als Furgenson beim Gärtner angelangt war, erhob sich dieser und reckte sich. Ein braungebranntes sympathisches Gesicht schaute den Inspektor freundlich an.
Furgenson erwiderte das Lächeln. "Ein herrliches Wetter heute. Als ich Kind war, wollte ich auch immer Gärtner werden. Doch was bin ich geworden? Kriminalinspektor." Er zog an seiner Pfeife. "Ein trauriger Fall."
Der Gärtner nickte. "Ja, ein trauriger Fall."
Furgenson blinzelte gegen die Sonne. "Warum sind Sie nicht im Haus wie alle anderen?"
Der Gärtner blickte aufmerksam in Furgensons Gesicht. "Der Tod von Sir Archibald ist eine Sache und Unkraut zupfen eine andere."
Furgenson nickte und schaute dem Rauch seiner Pfeife nach. "Jaja, der Gärtner. Ich glaube, dass Sie Sir Archibald ermordet haben."
"Und warum glauben Sie das?"
Furgenson nahm wieder einen Zug aus seiner Pfeife. "Weil in einer guten englischen Kriminalgeschichte immer der Gärtner der Mörder ist."
Beide lächelten und gingen ins Haus.
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