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Eingereicht am
25. Juli 2007

Mantis

© Marco Schott

Kurze Bestandsaufnahme:

Radio, Wettervorhersage, Rasenmäher, blauer Himmel, verspannter Rücken, ein Rothausbier mit der viel versprechenden Bezeichnung Tannenzäpflä, Ventilator des Personal Computers, ein juckender Fuß. ein Lied mit dem Titel "Gardermoen" von einer Frau Namens "Julia Kent".

Grüne Lichter, die aufblinken. Die Quarzuhr meines Handys zeigt 16:31 Uhr. Aber man spricht es 16 Uhr 31 aus.

Die Sonne wandert über den Himmel, wandert langsam, ganz langsam hinter meinem Kopf.

Im Grunde wandert die Sonne nicht, wissen wir alle, sagen aber dennoch was anderes. Wir sagen öfter was und wissen dabei was anderes. Denken und sagen, zwei unterschiedliche paar Schuhe.

Der Staub ist nur dazu da, um mich die Zeit nicht vergessen zu lassen. Nebst der Uhrzeit existieren sicher noch andere Zeiten.

Ich denke, das Ganze dauerte nicht länger als sieben Minuten, bzw. acht - sicher keine zehn, so viel steht fest.

So zwischen vier und acht Minuten wird es gedauert haben.

Dort riecht es nach neuen, elektrischen Geräten.

Man könnte den Geruch als ein Gemisch aus Kunststoff und elektrischer Entladung betrachten.

Wie wunderbar es doch wäre, diese Welt, in der ich lebe, eins-zu-eins erfassen zu können- so wie ich sie sehe, eins-zu-eins aufs Papier "spucken".

Den exakten Eindruck artikuliert, verbalisiert, schriftlich festgehalten zu bekommen, ganz mühelos.

Ein Fassungsloses Staunen springt aus meinem Gesicht, ich sehe es förmlich, mein Gesicht.

In rotorangefarbener Schreibschrift stand auf seinem Rücken, auf seinem grauschwarzen Jackett- "PERVERT". Das war noch nicht alles.

Der Servicepoint des Elektrogeräte-Marktes hatte ein gepflegt aussehenden Mann, im weißen Hemd auf einem Stuhl sitzen.

An der Decke schlängelten sich die in einer Art Aluminiumfolie eingewickelten Lüftungsrohre durch den Raum, man sieht sie nicht.

Wenn man nicht nach oben Blickt bleibt dieses System einfach unbemerkt. Eine Welt für sich- so sieht es aus!

Aber wie auch immer diese silbrig schimmernden Rohre ihren Weg durch das Gebäude finden- es berührt mich nicht! schon gar nicht jetzt!

Das eingefallene Gesicht blickt in meine Richtung.

Seine schmalen Lippen bewegen sich geringfügig. Seine schwarzgrauen Haare hängen glatt an den Seiten, über die Ohren, herab.

Die Welt hält für einen kurzen Moment ihren hyperventilierenden Atem an. Gelbe Krücken stehen an die Theke gelehnt, er selbst hält sich an der Theke fest, damit er nicht umfällt. Dann treffen mich seine Worte.

"Ein zeitlicher Ablauf, die Geschichte eines Mannes, erzählt in der ersten Person, nicht in der Dritten, der psychisch- erstens tot, zweitens- zusammenbricht und drittens- wiederaufersteht, nämlich als ein Anderer..." Mein Mund bleibt geschlossen.

Das hatte was Traumhaftes, Unwirkliches an sich, man möchte rennen und dennoch nicht vom Fleckt. Wenn ich das auf das Sprechen Übertrage.

"Was meinen Sie?" fragte ich verwundert.

Der Service-Point-Mitarbeiter stempelte gerade ein Formular ab und legte es in ein Basket. "Ja bitte?".

"Zweieinhalb Meter Schnur bitte!"

Der schäbige an manchen Stellen bereits abgewetzte Anzug verbreitet einen Geruch, der mich an den Keller eines alten Hauses erinnern lässt.

Die Griffe seiner Krücken waren genauso gelb und ebenfalls aus Kunststoff. Zwischen den Regalen standen Leute herum, zum einen Mitarbeiter, die konnte man an ihren roten Hosen und an den weißen Hemden erkennen.

Eine Mitarbeiter-Uniform dient dazu, dass man sich von den übrigen Leuten abhebt.

Die Nichtmitarbeiterleute sind die Kunden. Der Kunde, ein bestimmter Typus Mensch, es bezeichnet einen Menschen, in dem Moment, wenn er sich zwischen Regalen befindet um sich Dinge anzuschauen, die er möglicherweise erweben möchte.

So einen Menschen nennt man dann Kunde, ein potenzieller Käufer. Ein Käufer ist Jemand, der Geld für eine bestimmte Sache hin blättert, dass muss nicht immer ein Gegenstand sein, es kann sich auch um eine Dienstleistung handeln.

Der Servicepointe-Mitarbeiter übergibt dem Mann im Dunkelgrauen Anzug die Schnur, die er mit seinem Arm abgemessen hatte, es sollen drei Meter sein.

Es handelt sich um eine ca. 5 mm dicke Einpackschnur. kein Ausdruck des Erstaunens spiegelte sich in den Gesichtern wieder, weder in dem des Servicepointe-Mitarbeiters noch in dem des Mannes, mit dem grauen abgewetzten Jackett, auf dessen Rücken das Wort "PERVERT" draufgedruckt war- der in diesem neonlicht bestrahlten Raum, genauso existierte, vorhanden war, wie die Regale, wie der Boden, die Decke, der ganze Rest- er ist einfach vorhanden.

Seine Augen entschieden sich für mich. "Kommen Sie mit!"

Das war alles was er sagte, "Kommen Sie mit" So als hätte er bereits mit mir gerechnet. Ohne viel zu überlegen ging ich mit ihm mit.

Er wickelte die Schnur um sein Handgelenk und schritt mit seinen verdrehten Beinen durch den Elektro-Groß-Handel.

Mein ursprünglicher Grund, weshalb ich hier was, ließ ich einfach fallen. Das interessierte mich nicht mehr.

Wollte lediglich eine Auskunft, im Grunde nichts Wichtiges- nicht mehr jetzt.

Die Realität trommelt ab und zu auf meine Nerven herum, wie es manchmal dieser Zitherspieler in einer Unterführung tut, oder in einer U-Bahn. Wenn man gezwungen wird eine bestimmte Musik zu hören, ob die einem nun gefällt oder nicht. Und am Ende muss man dafür noch bezahlen.

Nicht wichtig, aber dennoch kann man es sagen. Er zog mich hinter sich her, so als hinge ich an einem unsichtbaren Stahldraht.

"Wie heißen Sie?" fragte ich. "Sie wollen die Mantis sprechen hören?

Das ist doch alles, der Rest ist unwichtig- finden sie nicht auch?

"Was ich finde oder nicht finde, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar. Eine Drehtür die uns in die Freiheit entließ, tauchte vor mir auf.

Leute gingen bemerkungslos an uns vorbei. Ab und zu stell ich mir vor, wie es wäre einfach unsichtbar zu sein.

Auf was die Leute schauen ist mir derweil ein Rätsel. Zu diesem Blick sagt man glaube ich Tunnelblick dazu, diesen Ausdruck hörte ich immer mal wieder, aus den unterschiedlichsten Mündern. Für die Behinderung, die verkrüppelten Beine, und Füße, die er hatte, bewegte er sich ausgesprochen behände über den schwarzen Asphalt.

Ich überlegte für einen Moment, während wir in einen runtergekommen Hausflur abbogen, für welchen Zweck er wohl diese abgemessene Schnur benötigt.

Hat er vor mich aufzuhängen? oder sich? und ich sollte zusehen? Könnte ja sein, dass er auf so was steht.

Würde den Grund erklären, weshalb er auf seinem Jackett "PERVERT" stehen hatte.

Der Hausflur, die Wände, ein ehemaliges Mintgrün, jetzt allerdings zum größten Teil abgeblättert, mit Blütenmotiven, Liliengewächse- auch die waren zum Teil abgeblättert. Liliengewächsfragmente. Alte Zeitungen die am Boden herum liegen, Zeitungen und Papier. Das Übliche was man in heruntergekommen Treppenhäusern vorfindet. Auch einige Dosen lagen herum. Irgendwelche leere Dosen, Erbsen-Bohnendosen könnten es sein. Eine halbnackte Puppe mit heraushängendem Auge und losem, an einem weißen Gummi hängenden Arm lag in einer Ecke und schaute auf nichts Bestimmtes. Die war sicher mal für den Müll bestimmt, wurde aber irgendwie vergessen. Vergessene Dinge haben die Eigenschaft irgendwo liegen zu bleiben.

Dann stiegen wir einige Treppen nach oben. Das schattige Treppenhaus erschien an manchen Stellen von mattgelbem Licht durchflutet vor uns. Wegen des dunkelgelb gefärbten Fensters wie es scheint, wie Urin das mit etwas Blut angereichert in ein Klo floss. Fenster- zwar aus Glas, aber dennoch verwehrten sie meinen Blick nach draußen. In dieses all bekannte Draußen. Sie taten es in der Vergangenheit, tun es jetzt und werden es in Zukunft auch noch tun. Eine Tür fiel in ihr Schloss. Hundegebell war zu hören, dann wieder nur unsere Tritte, seine Tritte meine Tritte. Ich schaute mir aus Gewohnheit die Treppenstufen genauer an. Dunkelbraun abgewetzt, lediglich am Rand glänzte das Holz noch ganz schwach an manchen stellen, von den unzähligen Tritten abgewetzt, abgeschliffen. Nein, das war nicht der Zahn der Zeit, das waren die Tritte, die Zeit hat keine Zähne.

Ein unpassender Euphemismus einer ganz anderen Sache.

Nein kein Euphemismus, lediglich eine art Allegorie, Idiom- etwas Unsichtbares nagt an den Dingen, bis sie zerfallen, diese Dinge sehen mit zunehmendem Alter mehr und mehr zernagt, irgendwie angeknappert aus. Wie auch immer es um diesen Sachverhalt steht! Eine Tür wurde geöffnet und ich realisierte wieder wer vor mir stand. Er kam vor mir zum Stehen und fuhrwerkte mit einem Schlüsselbund vor dem Schloss herum. Er zitterte, vielleicht aus furcht. Der Schlüssel fiel auf den Boden. Er blickte starr in meine Augen, milchgraublauen Augen. Es sah aus, als wolle er mir zu verstehen geben, dass ich ihn aufheben soll. Ich sagte und machte jedoch nichts, keine Reaktion von meiner Seite. Sollte er doch seinen Schlüssel selber aufheben. "Würden sie bitte?" Es lag etwas Nachdrückliches in seiner Stimme. Ich bückte mich um nach dem Schlüssel zu greifen. "Bitte!".

Diese alten Holztüren, mit ihren massiven Türklinken.

Träge hing sie in den Angeln, die wiegt sicher an die 60 Kilogramm. Es roch nach altem Holzstaub. Er lehnte sich an die Wand, er schien etwas außer Atem zu sein. Eine ehemals golden, mindestens 40 Jahre alte, gemusterte Tapete, klebte noch vereinzelt an der Gipswand und zerfiel langsam zu Staub und rieselte auf den Dielenboden. Er fuhr mit einer ausgetrockneten Hand durch seine Haare. Für einen kurzen Moment stellte ich mir ausgestopfte Arme vor, die in einem Regenschirmstender stehen, eine geringfügige Verwirrung begleitete diese Vorstellung, da es mir schwer viel, eine sinnvolle Funktion dieser ausgestopften Arme aus dem Stehgreif zu evozieren.

"Setzen sie sich!". "Wohin?". "Ach ja, am besten dahin".

Er zeigte auf eine offene Tür, vielmehr auf den Raum, dahinter.

"Gehen sie in das Zimmer". Er wickelte die Schnur von seiner Hand. Stellte die Krücken in einen teilweise verrosteten Regenschirmstender mit schwarzen Plastikkugeln als Füße und stützte sich mit einer Hand an die Wand. Auf diese Art bewegte er sich durch die Wohnung.

Ein finsteres und leeres Loch. Außer dieser besagten Tapete befand sich an den Wänden so gut wie nichts. Lediglich neben der Tür konnte ich eine kleine Schwarzweiß-Fotographie ausfindig machen.

Ein verschwommenes etwas, mehr konnte ich nicht erkennen.

Die einzige Lichtquelle war eine Stehlampe am anderen Ende des Flures. Stehlampenschirm aus Stoff der an manchen Stellen bereits angesengt war. "Setzen sie sich auf den Stuhl". "Auf welchen Stuhl?".

"Sie finden ihn in dem Zimmer". Ich starrte auf eine offene Tür.

Starrte auf einen schwarzen Schatten, der durch den Türspalt fiel.

Ich gehorchte und tastete mich in das Zimmer, zu diesem besagten Stuhl. Der soll sich in diesem Dahinter befinden. "Er steht direkt links von ihnen". Wie recht er doch hatte, da war ein Stuhl. Ich ließ mich einfach fallen. Ich saß jetzt links neben der Tür im Lichtlosen, einen großen Schatten werfenden Zimmer. Jemand drückte den Lichtschalter, worauf drei Leuchtstoffröhren an der Zimmerdecke, flackernd, blinkend, zu leuchten begannen. Nicht wenig des neu gewonnen Anblickes überraschte mich.

Von der Zimmerdecke hingen bunte Lampions und Luftschlangen in den unterschiedlichsten Farben herab, über dem abgewetzten Parkettboden lag unregelmäßig verstreutes Konfetti herum.

An den Wänden hingen bunte Luftballons. Direkt links neben mir an der Wand stand ein kleines Tischchen auf dem wiederum ein kleiner Turm Pappbecher und eine große Schüssel aus Glas, in der rote und grüne Klumpen herum schwammen, standen.

Ein Glas voll mit Salzstangen stand ebenfalls ziemlich unmotiviert inmitten des Ganzen. Scheinbar bin ich hier auf einer Party gelandet. Direkt- ungefähr fünf Meter vor mir befand sich ein grauer Holzstuhl auf ihm stand aufrecht, der Rumpf einer Frau. Keine Beine, keine Arme, Haarloser Kopf, hellgraue Augen. Ihre Augen, ihr Blick war direkt und ausschließlich, ohne dem üblichen umherschweifen, auf mich gerichtet. Ein Mundwinkel zuckte kurz nach oben.

"Das ist Mantis" Er stand regungslos neben dem Türrahmen.

Ich drehte mich nach ihm um. Vor mir auf dem Stuhl regungslos, die Atem verströmende Mantis. Hinter mir der alte Herr mit den halblangen grau melierten Haaren. Trocken nicht fettig. Eine überraschende Zusammenkunft in einem dekorierten Zimmer. Ein Luftballon platzte plötzlich, niemand von uns verzog eine Miene. Zur Hölle! es wird Zeit das ich von hier verschwinde. "In ihrem eigenen Interesse bleiben sie sitzen!" sagte die Gliedlose, festgebundene Kreatur, auf dem Stuhl mir gegenüber, in einer rauchig, gebrochenen, sonoren Stimme. Der namenlose Herr humpelte zu dem Stuhl auf dem die Mantis aufrecht stand und wickelte die Schnur um den sprechenden Rumpf mit samt der Lehne.

"Von Zeit zu Zeit muss ich die Schnur austauschen, die werden nämlich spröde." "Ja, verstehe...so ist das mit Schnüren, die werden mit der Zeit spröde. "Der Rumpf stand in einem Schwimmring, wahrscheinlich deshalb, damit er keine Druckstellen bekam. Der Stuhl besaß in der Mitte ein Loch, für die Exkremente wie es schien, die konnten mühelos in den Eimer, der direkt unter dem Loch stand, fallen gelassen werden. Ein zirkulierendes, geschlossenes System, das sprechen konnte.

"Kann ich mir ein paar Salzstangen nehmen?" Fragte ich hoffentlich höflich. "Natürlich, dafür sind sie da- greifen sie zu" sagte Mantis.

"Und sie heißen Mantis?". "Nein- ich bin die Mantis!". "Möchten sie auch etwas trinken? biete dem jungen Mann etwas zu trinken an!" Der humpelnde Alte warf einen Blick in meine Richtung, dann schaute er auf den pissenden Rumpf, dessen Brüste wie Waschlappen herunterhingen. "Klar doch, aber lass mich eben noch die Schnur um dich herum wickeln, damit Du nicht auf die Dielen fällst!" "Ja das ist gut so."

"lassen sie sich bloß nicht von meinem ekligen Anblick, den ich zweifellos auf sie mache, einschüchtern, - auch wenn ich hier vor ihnen, als einen zu Fleisch gewordenen Durchlauferhitzer herumstehe und zu ihnen spreche- betrachten sie das was sie sehen als eine Sprechanlage, nicht mehr! Sie sollen die Gelegenheit haben spezielle Dinge zu erfahren, mein alter Freund hat sie ja nicht grundlos hier her gebracht und wie sie sehen, haben wir uns auch etwas mühe gegeben, damit die Stimmung aufgelockert wird, zum Beispiel die netten Girlanten und bunten Lampignons das farbige Konfetti und so weiter, finden sie nicht auch?" Die Mantis verdrehte ihre Augäpfel und lachte dabei, es tropfte Speichel von ihrem Kinn herab.

"Machen sie es sich bequem, betrachten sie es zum einen als Vergnügen und zum anderen als etwas, das ihnen helfen kann etwas über sich und die Existenz herauszufinden, nicht wahr? Wie siehst du das Pery?".

"Ich sehe es genauso". Ich stopfte mir Salzstangen in den Mund, irgendwann war das Glas leer und mein Mund vom Salz ganz ausgetrocknet, es verlangte mich nach Flüssigkeit. Die Existenziellen Bedürfnisse lassen sich von den künstlichen anhand eines einfachen Kriteriums unterscheiden; führen sie, wenn auf sie verzichtet werden muss zu einem baldigen Ableben, oder tun sie es nicht? Wasser trinken, wenn darauf verzichtet werden muss, führt irgendwann zu einem unweigerlichen Ableben, wobei man dabei durch unterschiedliche Zustände schreitet auf dem Weg dorthin. Wenn man daran gehindert wird, Plüschhausschuhe aus Kaschmir zu tragen, stirbt man normalerweise nicht. Die Existenz besitzt im Grunde ein schlichtes Auftreten. "Wissen sie, die Existenz besitzt im Grunde ein schlichtes Auftreten ", "Komisch das hatte ich eben gedacht. "Das haben sie eben erst gedacht stimmts?" "Ja- wie sonderbar, wie machen sie dass", "Ich höre ihre Gedanken, mal davon abgesehen, dass sie es das auch tun können und noch einiges mehr! Pery gebe dem jungen Mann etwas zu trinken! er ist am Verdursten. "Also ist sein Name Pery. "Darf ich auch Pery zu dir sagen?" Die Mantis ließ einen gelben Strahl Urin in den Eimer fahren.

"Wussten sie, dass es reiche Geschäftsleute gibt, die sehr viel Geld dafür bezahlen, dass man ihnen ins Gesicht pisst?" "Ja ich habe davon gehört." Murmelte ich. Pery ging zum Tisch und löffelte mir, mit einem großen Schöpfkelch, Bohle in einen Pappbecher.

Er reichte mir den Becher. Ich schaute auf die grünen und die roten Stückchen, die darin herum schwammen. "Können sie bedenkenlos trinken." Ich trank, es schmeckte süß und nach Alkohol ganz beiläufig noch etwas fruchtig, bei den grünen Stückchen handelte es sich um Trauben bei den roten um Himbeeren. Die Welt war wieder in Ordnung. Mein Mund bedankte sich damit, dass er aufhörte trocken zu sein. Zustände verändern sich mit der An- bzw. Abwesenheit von Dingen. "Pery ist nur ein Spitzname". "so ist er das?". Pery schaute auf mich herab, "In Wirklichkeit heiße ich Franz". "Hallo Rainer". Ich streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen. "Hallo Rainer!". Der Körper der Mantis, mit einer Schnur an der Stuhllehne festgebunden.

Lediglich ein nackter, weiblicher Oberkörper, der zur Hälfte in ein buntes Tuch gewickelt war.

Die Haut weiß und eben, keine Haare. Wie eine überdimensionale Larve stand sie regungslos vor mir und war zu nichts anderem in der Lage, als den Mund zum sprechen öffnen, Exkremente zu verlieren. Sie hielt dabei die Augen halb offen. Liedlose Augen, hellgrau. Das Gebiss;

ein dunkelbraun oxidierter Bananenbrei, der zu Zähne erstarrt ist.

"Bleiben sie ruhig, wie sie sehen bin ich nicht unbedingt ein Objekt der Begierde, dass was sie sehen, ist lediglich eine biologische Fernsprechanlage, betrachten sie mich als solches, es geht nicht um Schmerz, es geht nicht um Leid, es geht um Reduzierung, Tatsachen, den Lauf bestimmter Dinge. So wie es aussieht, sitzen sie wie Zufällig vor mir, könnte so sein. Rainer, der eigentlich Franz heißt aber Pery genannt wird, hat sie mitgebracht, ich betrachte sie darum als Gast. Wie finden sie die Boule? Schmeckt sie? Trinken sie ruhig so viel sie wollen. Ich möchte sie über eine bestimmte Sache in Kenntnis setzen, es existiert ein Projekt, es wird scheitern, es existiert in dem Zusammenhang ein Code, Code 6 genannt, er war nicht erfolgreich, zum Glück, hatte zum Ziel, tote Körper zu Fleischbergen aufzutürmen. Vergebens, man wusste nicht wirklich Bescheid, aber das, um was es tatsächlich ging, ist eine alte Sache, aus dem anderen Ende der Galaxie kommend, sie können es glauben oder auch nicht, sehen sie einfach mal hin, eine alte Sache, jetzt stehen wir an einem anderen Punkt. Nicht darüber verstimmt sein."

Pery- der Rainer bzw. Franz hieß, verschwand unerwartet aus dem Zimmer.

"Das Projekt wird abermals scheitern, es wird ab und zu so leichtfertig behauptet, dass am ende die Wahrheit siegen wird, wobei die wenigsten eine Konkrete Vorstellung davon haben, was sie überhaupt damit meinen, wenn sie das Wort in ihren Mund nehmen. Wie auch immer das letztlich und tatsächlich aussehen wird. Die Interimszeit geht langsam zur Neige, das fühlen immer mehr Leute, bestimmte Leute. Es macht sich als ein leichtes Unbehagen bemerkbar, dann verschwinden plötzlich bestimmte Dinge, Dinge die einst wertvoll erschienen, Niemand möchte sich so recht daran erinnern. Eine Wiedergeburt bestimmter Geister, diese Geister werden das sprechen erlernen, sie werden zu sprechen beginnen und dann fragende, verwunderte Blicke ernten. Ein neues Zeitalter der Verwunderung taucht aus einem Abgrund auf. Man wird erfahren. Die Marionette ist nicht der Spieler- die Marionette ist nicht der Spieler, Leute werden sich dabei ertappen, wie sie es flüstern, während sie angeblich schlafen. Code 6 wird versucht ein zweites Mal zu realisieren, aber die Geister kehren zurück, finden ihre Stimme und berichten durch das Vergessen hindurch, denn die Marionette ist nicht der Spieler! Die Marionette war nie der Spieler."

Rainer trat hinter mich, ich roch den Atem, "Sie müssen jetzt gehen" "Vergessen sie das nie, die Marionette ist nicht der Spieler." Rainer bzw. Pery legte seine Hand auf meine Schulter. "Die Party ist zu Ende"

Ich stand auf, wollte meinen Blick nicht von der Mantis lösen, wollte und konnte es nicht, "Ja gehen sie jetzt, es ist ok, gehen sie, die Party ist zu Ende. Wir verschwinden auch, komm Pery lass uns verschwinden, unser Job ist erledigt. "Pery brachte mich noch zur Haustür und nahm mir den Pappbecher ab, er warf ihn in den Regenschirmständer, in dem immer noch seine gelben Krücken standen. "Machen sie's gut" sagte er. "Sie auch". Er klopfte mir auf eine Schulter.

Die Marionette ist nicht der Spieler. Ich begriff diesen Satz zu Beginn lediglich auf eine emotionelle weise, aber intellektuell hatte ich ihn noch nicht erfasst.

Das Licht im Treppenhaus, es war unverändert und matgelb, es wirkte fast wie ein Anästhetikum- rückte das Leben in eine entfernte Zeit, einer Zeit, die von keiner Nacht und keinem Tag zerlegt wird. Ein Mann im schwarzen Anzug und Hut einem verschwommenen Gesicht, Stiefel bis über die Knöchel, Tätowierung am Hals, undeutliche Zeichen einer Zeit ohne Zeit, tauchte auf. "Wollen sie ein Spieler oder eine Marionette sein?" Ich hörte eine Stimme, aber der Mund blieb bewegungslos. Tritte wurden leiser.

Das Holz ist alt, an den Wänden traten Reliefe aus Stuck heraus, Gesichter, Figuren und Tiere, neue Geschichten. "Wohin werden sie gehen?" Ich ging an einer Wand entlang. Eine Treppe führte nach unten. Das Ende der Bestandsaufnahme.

Der Staub ist nur dazu da, um mich die Zeit nicht vergessen zu lassen. Nebst der Uhrzeit existieren sicher noch andere Zeiten. Ich denke, das Ganze dauerte nicht länger als sieben Minuten, bzw. acht- sicher keine zehn, so viel steht fest. So zwischen vier und acht Minuten wird es gedauert haben. Dort riecht es nach neuen, elektrischen Geräten. Man könnte den Geruch als ein Gemisch aus Kunststoff und elektrischer Entladung betrachten. In rotorangefarbener Schreibschrift stand auf seinem Rücken, auf seinem grauschwarzen Jackett- "PERVERT". Das war noch nicht alles.

Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 3-9809336-3-6 Karin Reddemann
Gottes kalte Gabe

Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-3-6

kleine mysteriöse Welten, in denen es sowohl gruselig und unheimlich zugeht als auch ironischwitzig und ein wenig erotisch. Und fast immer raffiniert überraschend.
Westdeutsche Zeitung


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