Schicksalhafte Wendung
© Theresa Puchall
Im Monat August anno 1889, um die späte Abendstunde, es war sternklare Nacht. Eine ängstlich um sich blickende Person mit einem Bündel im Arm war auf die Michaelskirche, die auf dem gleichnamigen Berg, etwas abgelegen von Bamberg, lag, zugelaufen. Sie trug ihren Säugling, den sie in eine weiche Decke gehüllt hatte, sie blickte hastig um sich, bevor sie ihn auf die oberste Treppe des Pfarrhauses legte. Unter Tränen strich sie ihm noch einmal über das Gesicht. Zusätzlich hatte sie noch schnell einen Zettel mit
verschnörkelter Schrift unter die Decke gesteckt, mit den Worten ‚Bitte sorgt für meine Isabel.' Sie konnte gerade noch in den nahe gelegenen Wald entfliehen, bevor die Haushälterin des Pfarrers in der Türe stand, die dann nur noch einen Schatten in weitem Gewande erkennen konnte. Sie hob das wimmernde Bündel erschrocken auf und trug es ins Haus in die großräumige Küche.
"Was ist, Kunigunde, wen haben Sie da?"
"Das Baby lag vor unserer Türe, es wurde ausgesetzt, sehen sie, eine kurze Mitteilung", sie gab Hochwürden die Nachricht, sie sagte:
"Ich habe eine Gestalt mit wehendem Umhang gesehen, die in dem dichten Wald verschwand, ich konnte leider nicht erkennen, wer es war."
"Isabel heißt also unser Findelkind. Sehen sie mal nach, ob wir Milch haben, sicher hat unser Gast Hunger."
"Was machen wir nur, das arme Kind kann einem leid tun."
"Hier lassen können wir es nicht, Morgen müssen wir es ins Waisenhaus bringen. Kunigunde, würden Sie das bitte erledigen, ich werde ein Schreiben verfassen, das Sie mitnehmen."
Der Geistliche war hinausgegangen, Kunigunde wickelte das Baby und fütterte es, danach schlief es selig ein. Sie nahm Isabel mit in ihr Schlafgemach. Sie schlief nicht sofort ein, immer wieder sah sie nach, ob der Säugling auch schlief und warm zugedeckt war. Am Morgen machte sie erst sich und anschließend das Baby fertig. Um zehn Uhr, nach dem Frühstück, ließ sie sich von Fritz, dem Kutscher des Kirchenamtes, zum Kinderheim fahren. Eine Nonne nahm Isabel entgegen und brachte sie zu den anderen Säuglingen
in den großen Schlafsaal. Kunigunde sah ihr mit Tränen in den Augen nach, sie liebte Kinder über alles
Es war bereits weit nach Mitternacht, als die Komtess endlich, mit letzter Kraft und voller Panik, nicht doch noch entdeckt zu werden, im Schloss ankam, nachdem sie ihr Baby ausgesetzt hatte und angstvoll quer durch den Wald in Richtung des Schlosses Geyerwörth gelaufen war. Sie war die Tochter, eine bildhübsche junge Frau von 25 Jahren, des Grafen Ungelo, der als gefürchteter Tyrann galt, dass selbst die Hofangestellten vor Angst untertänigste dienten, und ganz besonders ging ihm seine Tochter Angelique
aus dem Weg, so oft sie nur konnte. Deshalb musste sie diesen Schritt tun, ihr Vater hätte sie entweder verbannt oder in den Kerker einsperren lassen, und das wahrscheinlich bis zum Ende ihrer Tage.
Ganz abgehetzt kam sie ins Schloss, wo ihre Zofe Ricarda sie schon erwartete und ihr entgegen eilte. Sie brachte sie in ihr Gemach. Sie waren sich sicher, dass niemand ihr Fortgehen bemerkt hatte. Sobald die Türe geschlossen wurde, brach alle Last über Angelique hernieder, und das schreckliche Erwachen holte sie ein. Da erst konnte sie aufnehmen, was sie in den letzten Stunden getan hatte. Angelique bekam einen Nervenzusammenbruch, sie begann furchtbar zu weinen und konnte sich nicht mehr beruhigen. Ricarda
wollte nach dem Leibarzt des Grafen rufen, doch die Komtess hielt sie zurück. "Der könnte doch sofort feststellen, dass ich vor wenigen Stunden ein Kind geboren habe". "Aber Sie brauchen einen Arzt, ich werde versuchen den Dorfarzt hierher zu holen, ohne großes Aufsehen. Sie müssten sich allerdings wieder in den abgelegenen Stallungen begeben, da kommt um diese Zeit niemand hin". Die Zofe half der Komtess auf, die sehr geschwächt und kreidebleich in ihren Armen hing.
Der Graf selber war für ein paar Tage mit seinen Gesandten außer Landes, so dass er von all dem Leid nichts mitbekommen hatte. Die Zofe wickelte Angelique fest in eine Decke und rannte los. Ein Angestellter vom Schloss wunderte sich, wollte sie aufhalten, doch sie nahm ihn gar nicht wahr und eilte zum Tor hinaus.
Angelique zitterte am ganzen Körper. "Hoffentlich geht es meinem Baby gut", dachte sie immer wieder. Leise vor sich hinweinend sagte sie: "Ich vermisse dich, meine Kleine, bitte verzeihe mir". Dann verlor sie ihr Bewusstsein.
In der Zwischenzeit kam Ricarda bei dem Dorfarzt an, sie sah, dass noch Licht brannte. Sie klopfte ziemlich laut und aufgeregt, er öffnete die Tür: "Herr Doktor, Sie müssen sofort mitkommen, der Komtess geht es nicht gut".
"Aber Doktor Hein ist doch auf dem Schloss", sagte der Arzt etwas überrascht. Doch als er die Zofe so zitternd vor sich stehen sah, fragte er nicht mehr weiter, holte seine Tasche und ging mit raschen Schritten in Richtung Schloss. Vor dem Tor bog Riccardo um die Ecke und zerrte ihn am Ärmel förmlich mit, und zwar zum Seiteneingang, der mit einer hohen Hecke bewachsen war. So kamen sie ungesehen in den Schlosspark und zu den abgelegenen Stallungen. Der Arzt wunderte sich, warum er an diesen Ort geführt
wurde, doch er fragte vorerst nicht nach. Die Komtess lag immer noch bewusstlos da. Der Arzt beugte sich über sie, sah ihr in die Augen und fühlte ihren Puls. "Sie lebt", sagte er: "ihr Puls geht rasend schnell. Was ist denn passiert, Sie ist ja furchtbar geschwächt". Er wandte sich an die Zofe und bat sie, frisches Wasser zu holen, er würde die Komtess einstweilen untersuchen.
Ricarda ging nach draußen, sie überlegte, wie sie am besten unbeobachtet ins Schloss kommen würde. Die Angst, entdeckt zu werden, war groß. Und wieder sah sie der Diener, diesmal aber bemerkte sie ihn, und er fragte, was los wäre. "Ach, nichts besonderes, Magdalena geht es nicht gut, ich hole ihr nur Wasser und Tücher". Sie ließ ihn stehen, um in die Küche zu gehen. Sie konnte ungesehen wieder zu den Stallungen gelangen. Da kam ihr der Arzt schon entgegen und sah sie ernst an. "Wussten Sie,
dass die Komtess erst vor wenigen Stunden ein Kind zur Welt gebracht hat?" Ricarda sah zu Boden und nickte nur. Sie sah ihn bittend an: "Ich bitte Sie, im Namen der Komtess, niemandem etwas zu sagen. Wenn ihr Vater davon erfährt, verbannt er sie vom Schloss oder sie begeht die gleiche schreckliche Tat wie ihre Mutter. Sie kennen ja sicher die Geschichte, oder?" "Was ist mit dem Kind?" Der Arzt sah sie sehr ernst an. "Für das ist gesorgt, es ist gut untergebracht".
"Habe ich Ihr Versprechen, Sie haben doch auch Schweigepflicht den Patienten gegenüber, stimmt doch oder?"
"Mir sind die Hände gebunden, es bleibt mir nichts anderes übrig, von mir erfährt niemand etwas, versprochen". Er gab ihr die Hand als Schwur.
"Ich habe der Komtess eine Beruhigungsspritze gegeben, und diese Tabletten geben Sie ihr alle drei Stunden". Er reichte ihr die Packung und sagte weiter:
"Es sollte ihr nach drei Tagen schon besser gehen, Sie sollte sich aber noch einmal untersuchen lassen." Er sah sie an und meinte: "Wenn es nicht zu gefährlich und umständlich für die Komtess ist, kann Sie auch zu mir kommen. Ich muss nur vorher Bescheid wissen, damit ich mich darauf einstellen kann." Die Zofe gab ihm die Hand und bedankte sich. Die Komtess kam wieder zu sich, lag aber noch sehr apathisch da, der Arzt verabschiedete sich und wünschte gute Besserung. Er entschwand wieder durch
die Hecke ins Freie.
Ricarda hatte der Komtess gesagt, sie würde schon mal ins Schloss zurückgehen. "Wenn es Ihnen besser geht kommen Sie bitte sofort nach, ich warte in Ihrem Zimmer. Und nicht einschlafen." Bevor sie in ihre Räume ging, klopfte sie noch bei Magdalena, sie bat sie um Hilfe, falls sie gefragt würde, ob es der Komtess besser ginge, sollte sie mitspielen. Die Komtess würde es Ihnen sehr danken und später auch erklären. Magdalena war wirklich eine Perle, sie war eine ruhige Person, nicht gerade hübsch aber
äußerst hilfsbereit und zuvorkommend. "Natürlich, die Komtess kann auf mich zählen," sagte Magdalena noch ganz verschlafen und fragte nicht viel.
Es war bereits schon in den frühen Morgenstunden, als die Komtess sich endlich aufraffen konnte, um noch ungesehen ins Schloss zu kommen. Nur mühsam, schleppend kam sie voran, endlich war sie in ihrem Gemach angelangt, ihre Zofe wartete bereits beunruhigt. Im Bett liegend schlief Angelique auch gleich ein. Sie träumte von ihrem Baby und wachte schweißgebadet auf. Ihre Zofe war zur Stelle, denn ihr Zimmer grenzte gleich an ihres ihren an. Sie gab ihr eine der Tabletten, und die Komtess wurde wieder ruhiger.
Der Arzt hatte Recht, nach drei Tagen ging es der Komtess besser. Gerade rechtzeitig vor der Ankunft des Grafen. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter war nicht das Beste. Der Graf zeigte niemals väterliche Gefühle für seine Tochter, auch hat er kein Verständnis für sie, deshalb bemerkte er auch nicht, wie traurig und blass Angelique aussah. Die Grafentochter war froh in dem Moment, sie fühlte sich leer. Statt einer Begrüßung teilte der Graf ihr mit, dass er in den nächsten Tagen einen Ball veranstalten
möchte.
"Und ich wünsche, dass du diesmal dein strahlendes Lächeln aufsetzt, der Graf Bernadotte und Gemahlin geben uns die Ehre", sagte der Graf zu ihr, sie nickte nur. Angelique entschuldigte sich und verließ den Raum, sie war froh, wieder in ihr Gemach zu kommen. Sie warf sich auf ihr Bett und begann fürchterlich zu weinen. Sie schlief wieder ein und träumte von ihrem geliebten Tassilo, den sie seit seiner Verbannung nicht mehr gesehen hatte. Er beugte sich über sie und küsste sie, er flüsterte ihr ins Ohr:
"Ich liebe dich, meine Schöne, du bist so zart wie eine Rose, ich werde immer bei dir sein". Angelique schrie laut seinen Namen: "Tassilo, wo bist du, du wolltest doch bei mir bleiben, bitte komm zurück, ich brauche dich so sehr". Ricarda war sofort zur Stelle, sie wischte ihr den Schweiß von der Stirn und redete beruhigend auf sie ein.
"Es wird alles gut, bitte beruhigen Sie sich, Sie sind nicht allein. Und Ihrem Baby geht es sicher auch gut".
Eine aufregende und furchtbare Nacht war vorüber, und der Himmel leuchtete in Rottönen, es entstand ein wundervolles Panorama, mit dem Schloss auf der Anhöhe inmitten des Sonnenaufgangs. Ein Anblick wie auf einem Gemälde, so idyllisch und malerisch. Nur schade, dass soviel Trauer und Hass hinter den Mauern den größten Platz eingenommen hatte. Die schlimme Tragödie, die sich dort abspielte erst verlor sie ihre Mutter, dann ihren Geliebten, zum Schluss auch noch ihr Kind. Arme, reiche Komtess von Ungelo, was
musste sie noch alles durchstehen?
2
In der Zwischenzeit waren sieben Monaten vergangen seit dem die kleine Isabel ins Heim kam. Es war an der Zeit, sie zur Adoption freizugeben. Ihre leibliche Mutter wurde nicht ausfindig gemacht, niemand hatte bemerkt, dass eine Frau in anderen Umständen gewesen wäre. Das junge Ehepaar Vandal, das keine Kinder haben konnte, hatte sich in die süße kleine Isabel verliebt, sie bekamen das vorläufige Sorgerecht. Richard Vandal führte eine gut gehende Apotheke, die sich in einem schönen Barockbau am Dorfplatz
befand.
Die Vandals waren ein angesehenes Paar, wurden von den Mitmenschen geschätzt. Endlich konnte ihr Kinderwunsch erfüllt werden. Sie waren schon sechs Jahre glücklich miteinander verheiratet. Für Viola wäre ein Baby die Erfüllung ihres Lebens.
Denn Viola kam aus einer kinderreichen Familie, sie hatte vier Geschwister, drei Schwestern und einen Bruder. Sie selbst war die Jüngste. Ihre Schwestern haben alle schon Kinder. Ihre älteste Schwester löcherte sie schon die ganze Zeit mit der Frage:
"Wann ist es bei Euch soweit?" Viola entgegnete nur:
"Zuerst mache ich meine Ausbildung und mein Studium fertig, danach ist immer noch Zeit".
Auch Richard hatte zwei Brüder. Er war der einzige der studierte und später die Apotheke übernahm, die schon seit drei Generationen der Familie Vandal angehörte. Sein Kinderwunsch war nicht so groß, er war mit der Apotheke voll ausgelastet.
Als endlich nach langem Warten Viola schwanger war, erzählte sie es sofort ihren Eltern, die ja schon auf eine solche freudige Nachricht gewartet hatten. Sie war so euphorisch, als könnte sie die ganze Welt umarmen. Allmählich kamen sie wieder in den alltäglichen Trott. Viola half ihrem Mann weiterhin in der Apotheke. Sie war im zweiten Monat, es war wieder einmal ein Familientreffen angesagt, alle redeten auf Viola ein. Sie gaben ihren guten Ratschlägen, wie - "pass auf die ersten drei Monate auf,
dass du dich nicht zu sehr überanstrengst, denn dies ist die kritische Zeit in einer Schwangerschaft". Jeder ihrer Geschwister und die Eltern schenkten ihr schon Kleidung und was man sonst so für ein Baby alles braucht. An diesem Abend fühlte sich Viola sehr erschöpft, sie wollte nur noch ins Bett und schlafen. Mitten in der Nacht wurde sie von heftigen Unterleibsschmerzen wach, sie schrie,
"Mein Baby, mein Baby, Richard wacht auf, es ist was mit dem Kind". Er beugte sich sofort zu ihr und sagte:
"Ich hole den Arzt, bleibe ruhig liegen, alles wird gut".
Sie krümmte sich vor Schmerzen, und Richard rannte zum Dorf-Arzt, der nur zwei Häuser von ihnen wohnte. Gott sei Dank war er gleich, zur Stelle. Sie fanden Viola schweißgebadet und fast ohne Besinnung in ihrem Bett. Der Arzt hob die Decke und wusste gleich was los war, er sagte zu Richard:
Bringen Sie mir bitte heißes Wasser und Tücher".
"Was ist los mit meiner Frau?"
"Sie wird ihr Kind verlieren, wenn wir nicht sofort handeln, ich muss Sie in die Klinik bringen lassen. Wir können nur hoffen, dass wir noch rechtzeitig hinkommen, denn ihre Frau muss sofort operiert werden", erklärte der Doktor.
"Was bedeutet das für meine Frau?" Er sah ihn hilflos an.
"Sie könnte nie mehr Kinder bekommen."
"Bitte helfen Sie ihr, Sie wünscht sich so sehr ein Baby."
Er ging in die Küche und holte das Wasser und die Tücher. Der Arzt tat das, was er im Notfall tun konnte, und bat Richard den Krankenwagen kommen zu lassen.
"Ich bleibe solange bei ihrer Frau und versuche, Sie stabil zu halten."
"Aber bitte beeilen Sie sich, es geht um Leben und Tod."
Richard lief los, das Krankenhaus war am Ende der Stadtmauer. Als er ankam traf, er auch gleich einen Diensthabenden Arzt. Sofort wurde eine Pferdedroschke vorgefahren, die Pferde fegten durch die dunklen Pflastersteinstraßen, so dass die Hufe in der stillen Nacht hallten. Am Haus angekommen, liefen zwei Sanitäter, der Arzt und Richard in die oben liegende Wohnung. Seine Frau lag ganz blass auf ihrem Krankenlager, sie war etwas ruhiger geworden durch das Beruhigungsmittel. Viola wurde in die Kutsche gehoben und
in die Klinik gefahren. Der Arzt konnte ihr Leben retten, doch das des Kindes leider nicht. Es musste die Gebärmutter entfernt werden, das bedeutete, sie wurde niemals mehr Kinder bekommen können.
Als Viola von der Narkose erwachte und dies erfuhr, bekam sie einen Nervenzusammenbruch und musste ruhig gestellt werden. Nach dem Krankenhausaufenthalt stürzte sie sich wieder in die Arbeit, um zu vergessen, was sie aber nicht konnte, sie fiel in eine Depression. Richard konnte nicht mehr mit ansehen, wie seine Frau darunter litt, deshalb war er auch mit einer Adoption einverstanden.
Als er die niedliche Isabel sah, war er gerührt und auch sofort verliebt in sie, er freute sich schon sie in den Armen mit nach Hause zu nehmen. Doch bevor es soweit war, mussten sie noch einige Hürden der Bürokratie überwinden. Von einem Amt zum anderen, immer wieder neue Nachweise bringen und Fragen beantworten. Nach endlosen Wochen stand nichts mehr im Wege, sie waren nun endlich zu dritt. Viola war außer sich vor Freude, sie weinte vor Glück.
Es war alles vorbereitet für den Familienzuwachs. Das Zimmer war liebevoll hergerichtet und für das Wohlergehen der kleinen Isabel war auch gesorgt. Isabel hatte endlich ein zu Hause, wo sie geliebt wurde. Die ersten Tage waren ziemlich aufregend, sobald Isabel schlief, schlichen die Vandals durch das Haus, um sie nicht zu wecken. Viola sah jede Stunde nach, ob sie noch atmete. Sie litt mit ihr, als die ersten Zähne kamen. Als Isabel das erste Mal Mama sagte, weinte sie vor Glück. Sie lief in die Apotheke
runter und umarmte ihren Mann, übersah ganz, dass er gerade mit einer Kundin redete. "Stell dir vor", sprudelte sie nur so heraus", unsere Kleine hat Mama gesagt, ist das nicht schön?" "Ja", sagte Richard umarmte sie kurz", nun muss ich aber weitermachen", lächelte er und wandte sich wieder seiner Kundin zu, die auch lächelte.
Auch die ersten Schritte waren ein Erlebnis für beide. Isabel war ein richtiger Sonnenschein, die nur Freude machte. Bei der Taufe der Enkelin konnten die Großeltern vor Entzücken kaum genug davon bekommen, sie in den Arm zu nehmen.
Natürlich gab es auch Schattenseiten, z.B. wenn sie krank war und mit Fieber im Bett lag und keiner wusste woher es kam. Doch sie erholte sich immer sehr rasch, wie das bei anderen Kleinkindern auch so ist.
Ihren sechsten Geburtstag konnte sie kaum erwarten, endlich konnte sie in die Schule gehen. Sie war sehr wissbegierig und alles was sie aufnahm und einmal gesehen und gehört hatte, konnte sie in ihrem Gedächtnis behalten. Voller Eifer ging sie in ihren Unterricht, sie war nach jedem Schultag aufgeregt. Isabel lief nach der Schule ihrer Mutter stets entgegen und erzählte immer lautstark, was sie Neues gelernt hatte. Ihre Hausaufgaben machte sie mit Leichtigkeit, sobald sie damit fertig war ging sie zu ihrem
Vater in die Apotheke, da hielt sie sich am liebsten auf.
Eines Tages nach der Schule, wie immer lief sie unter den ersten raus auf die Straße, übersah sie eine Droschke und das Pferd erfasste sie. Isabel stürzte zu Boden und schlug mit dem Kopf auf den Pflastersteinen auf, so dass sie momentan bewusstlos da lag, so als sei sie tot. Ihre Mutter war sofort zur Stelle, sie beugte sich über Ihr Kind und hob es hoch und trug es in das nahe liegende Krankenhaus, das nur eine Straßenkreuzung weg war. Isabel wurde gründlich untersucht, und man stellte eine Platzwunde und
einen Armbruch fest, auch hatte sie eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Sie war sehr tapfer und musste einige Tag zur Beobachtung in der Klinik bleiben.
Seit dieser Zeit hatte sie sehr großen Respekt vor Pferden und machte einen großen Bogen um sie.
3
Die Jahre vergingen, Isabel verlebte eine sorglose Kindheit, entwickelte sich zu einem wunderschönen und fröhlichen Mädchen. Sie war 14 Jahre alt und wusste genau, was sie wollte. Besonders was ihre Kleidung betraf, war sie eigen, am liebsten trug sie lange, wallende Kleider aus Samt und Seide, und sie mussten dunkelblau oder Bordeaux rot sein. In der Schule war sie eine der Besten. Viele der Mitschüler hielten sie für eine Streberin. Sie sagte oft zu ihrer Mutter: "Die wollen sich mit mir nicht abgeben,
ich finde einfach keinen Draht zu ihnen, nur weil mir das Lernen nicht schwer fällt."
"Glaube mir, dass liegt nicht an dir, einige deiner Mitschüler sind nur neidisch, doch da ist noch deine Freundin Liane."
"Das stimmt, und doch würde ich auch gern zu den anderen gehören." Um nicht weiter nachdenken zu müssen, ging sie zum Vater, sie half oft in der Apotheke aus, sie hatte ein gutes Gespür für hilfsbedürftige Menschen und deren Leiden.
Eines Tages sagte ihr Vater: "Du kannst gut mit den Mitmenschen umgehen, das ist eine Eigenschaft, die nicht jeder hat. Doch glaube mir, du solltest dich viel mehr mit deinen Freunden vergnügen, du bist zu vernünftig für dein Alter."
"Ja, ja Paps." Sie umarmte ihn zärtlich und sagte:
"Ich möchte doch Ärztin werden, das weißt du doch. Sobald ich mein Abitur in der Tasche habe, werde ich Medizin studieren. Bis dahin habe ich noch fünf Jahre."
Sie war sich dessen schon bewusst, dass es für sie nicht einfach werden würde, als Frau einen Studienplatz zu bekommen. Doch Isabel war eine Kämpfernatur und hatte zu der Zeit auch nicht vor aufzugeben, und sie schaffte es.
Natürlich ging sie hin und wieder mit Freunden aus, es machte ihr auch Spaß, doch lieber saß sie hinter ihren Büchern. Ihre Freundin Liane hatte auch nicht mehr soviel Zeit, da sie sich im siebten Himmel der Liebe befand. Sie war ein Jahr älter als Isabel und wollte sich an ihrem Geburtstag verloben. Isabel freute sich für sie und auf die Party, sie wünschte ihr von ganzem Herzen Glück. Isabel hatte sich dabei ihre Gedanken über sich selbst gemacht, ob sie auch so früh schon eine Beziehung eingehen wollte.
"Doch so schnell möchte ich mich nicht binden, zuerst möchte ich etwas im Leben erreichen, danach ist immer noch Zeit für eine Familie".
Isabel war aufgeregt, sie konnte sich nicht entschließen, was sie zur Fete anziehen sollte, fragte deshalb ihre Mutter um Rat. "Welches soll ich anziehen?" Sie hielt zwei Kleider zur Auswahl hin.
"Das rote lange oder das Dunkelblaue?" Viola sah sich die beiden Kleider an und meinte:
"Nimm das Rote, das ist nicht zu hochgeschlossen und es betont deine Figur besonders, du hast doch nichts zu verbergen."
"Ach Mama darum geht es doch nicht, aber du hast recht, das gefällt mir besser, danke. Kannst du mir die Haare noch hochstecken, du weißt, ich habe dafür keine Geduld, und heute erst recht nicht."
"Aber natürlich mein Schatz, du bist ja schon voller Ungeduld, hast doch noch drei Stunden Zeit." Viola verließ das Zimmer, lächelte noch einmal liebevoll zurück. Isabel warf ihr einen Handkuss zu. Sie hatte noch das Geschenk eingepackt, sie schenkte ihr eine Silberkette als Zeichen ihrer jahrelangen Freundschaft.
Ihr Vater war unheimlich stolz, als er seine Tochter sah, bevor sie das Haus verlassen hatte. Stolz sagte er zu seiner Frau: "Wirklich hübsche Tochter haben wir."
"Ja, und Sie wird ihren Weg gehen, wir haben das richtige getan, als wir uns für Isabel entschieden hatten."
"Ich bin der glücklichste Mann der Welt, denn ich habe die begehrenswertesten Frauen, und ich liebe sie." Viola gab ihm einen Kuss dafür.
Es war Mitternacht als Isabel zurück war, sie war heiter und lachte viel, so kannten ihre Eltern sie nicht. Sie freuten sich mit ihr und vor allem, dass sie unversehrt nach Hause kam.
Auch Isabels zwanzigster Geburtstag stand vor der Tür und sie mitten im Abiturstress. Ihre Mutter hatte ihr zu Ehren eine kleine Party ausgerichtet und sie hatte sich sehr darüber gefreut. Zu diesem Anlass hatte Viola eine wundervolle Torte gebacken, und eine Waldmeister-Bowle hatte sie vorbereitet. Als Geschenk hatte sie ein Flaschengrünes Samtkleid genäht, dass wird ihr sicher sehr gut stehen, dachte sie. Der Vater hatte ihr, Medizinische Lektüre geschenkt, die sie für ihr Studium gut gebrauchen konnte.
Am Nachmittag kamen einige Freunde von Isabel. Es war ein lustiger Nachmittag und abends gingen die jungen Leute noch etwas aus.
Wieder ein halbes Jahr vergangen und Isabels Freundin hatte geheiratet. Sie feierten im kleinen Kreis der Familie und einigen Freunden. Isabel umarmte Liane und wünschte ihr viel Glück. Liane flüsterte ihr zu:
"Ich bekomme ein Baby, was sagst du dazu. Ich bin einfach glücklich."
"Das ist ja eine tolle Nachricht, ich freue mich für euch, dein Mann weiß doch schon davon, oder?"
Sie grinste: "Ich habe es ihm heute vor der Trauung gesagt, er hat vor Freude geweint."
"Möchtest du die Taufpatin für unser Kind sein."
"Ja, sehr gerne."
4
Die Zeit war gekommen und Isabel hatte ihre Papiere für das Studium zusammen, ihr fehlte nur noch die Geburtsurkunde, sie ging zum Vater:
"Kannst du mir bitte diese noch fehlende Bescheinigung bitte geben?" Er sah sie erschrocken an:
"Ich, ich muss Sie heraussuchen, ich weiß nicht, wo ich Sie hingetan habe, du kannst Sie doch sicher nachreichen."
Isabel sah etwas verdutzt, so benahm er sich sonst nie, vergaß es aber wieder.
Isabel stand kurz vor ihrer Volljährigkeit, ihre Eltern waren in der letzten Zeit ziemlich durcheinander, denn sie mussten endlich ihrer Tochter die Wahrheit ihrer Herkunft mitteilen, es blieb ihnen keine andere Wahl. Richard zu seiner Frau:
"Viola, bleibe ganz ruhig, es wird schon gut gehen, unser Kind ist doch vernünftig, glaube mir."
Isabel hatte sich vorgenommen, Medizin an der Universität in München zu studieren. Bamberg besitzt zwar viele Kirchen, auch eine Hochschule, doch dort konnte Isabel nicht studieren, außerdem wollte sie in eine andere Stadt, um auch unabhängiger sowie selbständiger zu werden.
Der Geburtstagstisch war gedeckt, in der Mitte des Kuchens
brannte eine Lebenskerze mit der Zahl einundzwanzig. Ziemlich verschlafen und barfüßig, die Haare zerzaust, kam Isabel in die Küche, die sich in einem Teil des Hauses befand, wo die Sonne niemals durchdrang, deshalb war dies auch der kühlste Raum.
Wie jeden Tag stand sie da und strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihre Eltern sah. Die Mutter sagte zu ihr:
"Schon wieder ohne Schuhe, Kind", während sie die Kerze angezündet hatte. Die Vandals gratulierten ihr herzlich, der Vater gab seiner Tochter einen Umschlag in die Hand.
"Nun kannst du, dir deinen lang ersehnten Wunsch erfüllen."
"Ja, ich freue mich schon auf München, ich warte nur noch auf die Bestätigung der Zulassung."
Isabel sah ihre Eltern ernsthaft an.
"Da ist noch etwas, oder? Ich kenne euch gut, bitte verheimlicht mir nichts." Der Vater kam auf sie zu:
"Du hast recht mein Kind."
Wenn er schon so anfängt, dachte Isabel.
"Wir haben dich sehr lieb", sagte ihre Mutter,
"ja" sagte der Vater,"und deshalb höre zu."
Richard atmete kurz durch, sah seine Frau an und sprach weiter.
"Wir haben dich, als du acht Monate alt warst, aus dem Waisenhaus als unser Kind geholt, und uns sofort in dich verliebt."
Er beobachtete seine Tochter, die nicht mehr wusste, was ihr geschah.
"Du bist ein Findelkind. Wir sind nicht deine leiblichen Eltern, doch wir sind immer für dich da."
Er nahm sie in den Arm. Isabel konnte nichts sagen, entzog sich seiner Umarmung und lief in ihr Zimmer. Sie drehte sich nur kurz um und sagte:
"Entschuldigt mich, ich möchte allein sein."
In ihrem bescheidenen Reich, das mit einem Himmelbett mit hellblauem Tüll umhüllt, einem großen, schweren Schrank, einem Regal mit vielen Büchern und einem Tisch mit Stuhl ausgestattet war, hatte sie sich aufs Bett fallen lassen. Isabel war einfach innerlich leer, sie konnte nicht einmal weinen, sie fühlte nichts mehr, was um sie herum geschah. Das kann doch nicht wahr sein, was mir meine Eltern gerade mitgeteilt hatten. Ich habe das sicherlich nur geträumt und werde aufwachen und alles ist wie vorher. Doch dann
konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie weinte sich in den Schlaf.
Zum ersten Mal in ihrem Leben die Frage, wer sie ist, wo sie herkomme, wer sind ihre leiblichen Eltern? Isabel konnte sich kurze Zeit darauf für das Studium mit dem Fach Medizin einschreiben, und das als einzige Frau, sie hatte sich durchgesetzt. Natürlich war auch der Notendurchschnitt"sehr gut", mit von großer Bedeutung. Und sie bekam auch einen Platz an der Universität in München. Einen Monat vor Beginn des Semesters blieb kaum Zeit, über ihre Situation nachzudenken, im Gegenteil, sie musste
für ein paar Tage nach München, um alles in die Wege zu leiten. In der Nähe der Universität fand sie ein nettes Zimmer, mit Kochgelegenheit und kleinem Balkon. Sie fühlte sich sofort wohl dort, wäre am liebsten gleich da geblieben, doch sie musste noch ihre Sachen holen.
Es hieß endgültig die Koffer zu packen, es war eine ganze Menge, Ihre Bücher, die Kleider und noch so persönliche Dinge. Ihre Mutter half ihr dabei und weinte.
"Nun bist du so weit weg, und wir können uns nur schreiben."
"Aber so schlimm ist das nicht, wenn irgendetwas sein sollte, komme ich sofort. Aber denke doch, für mich ist es auch nicht so leicht, dass ihr nicht meine leiblichen Eltern seid, das war ein Schock, den ich erst verarbeiten muss."
Sie wischte die Tränen fort, umarmte ihre Mutter und sagte noch:
"Deshalb ist eine räumliche Trennung ganz gut. Ich habe euch doch lieb."
Ihre Eltern brachten sie zum Zug, Viola winkte lange noch, obwohl sie schon gar nicht mehr zu sehen waren. Richard nahm Viola in den Arm: "Komm lass uns nach Hause gehen. Es wird alles gut, unser Mädchen gewöhnt sich an die Situation, du wirst sehen.
Das Leben ging seinen gewohnten Lauf. Viola half wieder öfters in der Apotheke, das lenkte sie ab von ihren Gedanken an Isabel. Nach zehn Tagen bekamen sie den ersten Brief von ihr, sie schrieb, dass es ihr gut ginge.
5
Als Isabel in ihrem Zimmer angekommen war, war es schon spät abends, sie war auch zu müde, um noch viel auszuräumen, deshalb ging sie gleich schlafen, nachdem sie ihr Bett noch überzogen hatte. Die erste Nacht weit weg von zu Hause, sie hatte ein wenig Heimweh, doch dann viel sie in einen festen und langen Schlaf. Am Morgen war sie frisch und munter. Zuerst nahm sie ein kleines Frühstück zu sich, denn ihre Mutter hatte ihr viel Proviant eingepackt, dass reichte fast für eine ganze Woche, dachte sich Isabel.
Danach richtete sie sich ihr Zimmer gemütlich ein, nach zwei Stunden war es wohnlich und schön. Sie hatte sich dann vorgenommen, die Stadt ihre neue Heimat auszukundschaften. Da sie noch nie in einer Großstadt lebte, war sie so fasziniert, von dem was sie alles an diesem Nachmittag sah. Als erstes ging sie in die Frauenkirche, wo sie eine Kerze ansteckte, die ihr Glück bringen sollte. Sie mochte Kirchen sehr gerne und diese gefiel ihr besonders gut.
Es war die letzte Aprilwoche angebrochen, Anfang Mai begann ihr Sommersemester. Isabel musste noch einige Dinge besorgen für ihr Studium. Obwohl sie ganz alleine in dieser Stadt war, fühlte sie sich nicht einsam, sie erlebte so viele neue Eindrücke, dass sie gar nicht lange zum Grübeln kam. Natürlich an den Abenden dachte sie an ihre Eltern, die quasi nur ihre Pflegeeltern waren. Es tauchte oft die Frage auf, wer ist meine Mutter?
Endlich der Tag der ersten Vorlesung, es war der aufregendste Moment in ihrem neuen Leben, genau wie ihr erster Schultag, nein ihre Aufregung war intensiver, denn es ging um ihren beruflichen Werdegang. Außerdem wusste sie nicht, was auf sie zukommen würde. Der Hörsaal war gut besucht, sie setzte sich in eine der mittleren Reihen. Es war alles neu für sie, doch auch interessant. Mittags ging Isabel in die Mensa, sie suchte sich einen Platz und nahm einen leeren Tisch. Nach einer Zeit kam ein junger, gut aussehender
Mann und fragte sie, ob bei ihr noch frei wäre. Er stellte sich ihr vor:
"Ich bin Christoph von Bernheim."
"Isabel Vandal" antwortete sie.
Schweigend aßen sie weiter. Christoph wollte wissen woher sie kam.
"Ich komme aus Bamberg und Du?"
"Ich komme aus Nürnberg und ich bin im zweiten Semester. Du musst neu sein, denn Mädchen kommen hier ganz selten unter." "Stimmt, es ist heute mein erster Tag. Es ist alles so neu für mich"
"Ich kann dich mal mitnehmen in eine Studentenkneipe, nicht teuer aber urgemütlich."
"Gerne, danke also bis morgen, ich muss jetzt gehen."
Isabel stand auf und ging, denn sie musste noch etwas einkaufen, sie hat überhaupt nichts mehr zu Hause. Außerdem möchte sie sich noch einen Job suchen, damit sie ihren Lebensstandard etwas aufbessern konnte. Sie bekam zwar von ihrem Vater eine monatliche Unterstützung, doch sie wollte nebenbei noch was tun. Isabel hatte Glück, sie konnte in einer Apotheke für 20 Stunden im Monat aushelfen, es machte ihr auch noch Spaß.
Isabel und Christoph trafen sich öfters mal. Sie wollte nur Freundschaft und er erwartete mehr von ihr, deshalb hatte sie den Schlussstrich gezogen und ihm gesagt, dass es mit ihm keine Zukunft gibt. Die Abfuhr konnte und wollte Christoph nicht akzeptieren. Er dachte mit seinem Adelstitel könnte er jede haben, dass war ein Irrtum für ihn, so etwas war er nicht gewöhnt. Er spielte den Beleidigten und ließ Isabel das spüren, doch sie nahm es hin und dachte, na ja aus und vorbei.
Isabel kam gut voran mit ihrem Studium, und es bereitete ihr sehr viel Freude. Das sie adoptiert wurde, rückte für einige Zeit in den Hintergrund. Zweimal die Woche ging sie mit einigen Kommilitonen in eine Studentenkneipe, hatte auch schon viele Freunde kennen gelernt. Einmal im Monat schreibt sie nach Hause. Es war schon ein halbes Jahr vergangen, in dieser Zeit hatte sie sich mit einem Mädchen angefreundet, sie verstanden sich sofort auf Anhieb. Isabel und Maren hatten vor, sich eine Wohnung zusammen zu
nehmen, und begaben sich auch auf die Suche. Sie hatten Glück und fanden eine niedliche Zweizimmerwohnung mit Wohnküche und Bad, und das auch noch in der Nähe der Universität. Die Freude war riesengroß. Als alles fertig war, veranstalteten sie eine Einweihungsfete. Es war ein gelungenes Fest.
6
Wieder stand Weihnachten vor der Türe und Isabel packte eine Tasche, weil sie ihre Eltern besuchte. Für ihre Mutter hatte sie einen wundervollen Seidenschal gekauft und für ihren Vater eine Pfeife, denn er sammelte sie und rauchte sie auch gerne. Ihre Freundin fuhr ebenfalls nach Hause. Richard holte seine Tochter von der Bahn ab, sie freute sich als sie ihn sah. Viola hatte in der Zwischenzeit alles zum Empfang vorbereitet, damit sich Isabel wohl fühlte.
"Ich freue mit wieder einmal zu Hause zu sein", sagte Isabel und umarmte ihren Vater.
Die Familie verbrachte ein wundervolles Weihnachtsfest. Am zweiten Feiertag wollte Isabel noch mal alles wissen, wie das mit ihrer Adoption vorging. Der Vater sprach ganz ruhig mit ihr. "Also, eine Frau hatte dich an der Pfarrtreppe der Michaelskirche abgelegt, die muss sehr verzweifelt gewesen sein, sie hatte dich sicher geliebt. Die Haushälterin erzählte, sie hätte nur eine weibliche Gestalt gesehen, die im Wald verschwand."
"Hat man denn keine Nachforschungen angestellt, Sie zu finden?" Fragte Isabel.
"Man kann doch ein Baby nicht so ungestraft irgendwo ablegen."
"Du hast ja recht, doch Sie hatten keine Spur oder Hinweis." Der Vater sah sie liebevoll an und sprach weiter.
"Der Hochwürden des Pfarramtes musste dich ins Waisenhaus bringen, wo du dann ein halbes Jahr verweiltest, und wir dich Gott sei Dank gesehen, dich lieb gewonnen und uns für dich entschieden haben. Und wir lieben dich wie eine leibliche Tochter, und das wird sich auch nicht ändern."
"Ich bin auch gerne bei euch und eure Tochter, ich habe euch sehr lieb." Sie bekam Tränen in die Augen, doch das waren Tränen des Glücks.
Die Mutter kam auf sie zu und sagte: "Ich konnte leider keine Kinder bekommen und war darüber sehr unglücklich, deshalb haben wir uns zu einer Adoption entschlossen und ich bereue es keinen Tag, seit dem du bei uns bist."
Isabel hatte sich allmählich damit abgefunden, obwohl sie gerne gewusst hätte, wer und wie ihre Mutter war. Irgendwann wird sie sich auf die Suche machen, vielleicht etwas herauszufinden, doch erst wollte sie ihr Studium zu Ende bringen.
Die Tage vergingen wie im Flug, am fünften Januar war es wieder soweit, sie musste nach München zurück, denn sie wollte sich noch für die Vorlesungen vorbereiten. Die Eltern brachten sie zum Bahnhof. Während der Zugfahrt dachte sie noch mal an das Gespräch mit ihren Eltern, und das sie unheimliches Glück mit ihnen hatte. Als sie wieder in München angekommen war, empfing Maren sie mit einem herrlichen Essen, bei Kerzenschein und leiser Weihnachtsmusik unterhielten sie sich die ganze Nacht, obwohl sie am nächsten
Tag nicht ausschlafen konnten, sie hielten lange durch.
7
In den vier Jahren ihres Studiums fuhr sie regelmäßig Weihnachten, Ostern und in den Semesterferien nach Hause. Im dritten Jahr lernte sie einen jungen Mann kennen, in den sie sich sofort verliebte und er in sie. Er studierte Architektur. Sie hatte ihren Eltern von Julius geschrieben, wollte sich aber erst ganz sicher sein, ob sie zusammen bleiben, bevor sie ihn persönlich vorstellen wollte.
Isabel saß in der Milchbar der Uni, da stand er vor ihr, sie sahen sich an und es funkte sofort bei beiden. Er fragte:
"Darf ich mich zu dir setzen?"
Sie war verwirrt, sagte dann: Sicher." Sie fühlte sich plötzlich unsicher, würde am liebsten aufstehen, doch das wäre nicht gerade höflich. "Ich heiße Julius und studiere Architektur im ersten Semester", begann er die Unterhaltung. Isabel hatte sich wieder gefangen und antwortet: "Isabel, erstes Semester Medizin."
"Von wo kommst Du? Also ich bin aus Ingolstadt."
"Ich komme aus Bamberg." Sie sahen sich an. Isabel sagte plötzlich, ich müsse gehen, wollte schon aufspringen, doch Julius hielt ihre Hand. "Können wir uns wieder sehen, vielleicht heute Abend in der Studentenkneipe. Ich weiß, dass geht schnell, nur auf ein Glas Wein, Ja!?" Sie sah ihn an und sagte zu. Sie musste sich beeilen, ihre Vorlesung hatte vor fünf Minuten begonnen.
Sie freute sich auf den Abend. Als sie nach Hause kam, überlegte sie was sollte sie anziehen. Lief aufgeregt in ihrem Zimmer, hielt sich ein bis drei Kleider an, entschied sich für ihr Lieblingskleid, das lange Blaue, samtige. Ihr Haar konnte sie mittlerweile ganz gut hochstecke. Sie legte Maren noch eine Nachricht hin und ging los. Julius sah sie sofort, sein Herz klopfte rasend. Sie hatten sich viel zu erzählen und stellten einige Gemeinsamkeiten fest. Beide liebten die Natur, auch reisten sie gerne und
Kinder mochten sie auch. Isabel und Julius hatten ganz die Zeit vergessen. Sie verabredeten sich für den nächsten Abend ins Kino. Julius brachte sie nach Hause, vor der Haustüre gab er ihr einen Handkuss und einen zarten Kuss auf die Wange. Isabel schwebte, wie auf Wolke sieben, sie tanzte auf leisen Sohlen durch die Wohnung, damit ihre Freundin nicht wach wurde. Doch Maren hatte nicht so fest geschlafen und stand plötzlich vor ihr.
"Dich hat es ja ganz schön erwischt. Wie war der Abend mit Julius, und seht ihr euch wieder?"
Isabel umarmte Maren und lachte.
"Es war herrlich, ich bin zum ersten Mal so richtig verliebt, kannst du das verstehen?"
"Doch, kann ich gut verstehen, doch jetzt wird es Zeit, dass wir noch ein wenig schlafen. Morgen haben wir eine Klausur, hast du das vergessen?"
Jeder ging in sein Zimmer, Maren schlief sofort wieder ein, nur Isabel konnte vor Aufregung kaum schlafen, in der Frühe kam sie sehr schwer aus dem Bett. Docht freute sie sich schon auf das nächste Treffen mit Julius. Am Morgen hatten beide noch zusammen gefrühstückt und anschließend gingen sie gemeinsam zur Uni.
Julius holte Isabel zum Kino ab, anschließend gingen sie noch in die Studentenkneipe, und da gab Julius ihr den ersten Kuss. Seitdem waren sie unzertrennlich.
8
Das Studium ging für beide zu Ende. Isabel hatte ihr Studium mit Auszeichnung bestanden, sie war ein von den zwei Besten. Es gab ein rauschendes Fest, mit ihren Eltern und Julius wollte sie die Feier nachholen, sobald sie wieder zu Hause ist. Sie mussten sich eine Stelle für ihren weiteren Berufsweg suchen. Beide hatten beschlossen, vorerst noch in München zu bleiben. Die Aussichten für ein berufliches Weiterkommen waren hier sehr gut gegeben.
Isabel trat ihre erste Assistentenstelle im Schwabinger Krankenhaus an. Und Julius, ihr Freund, bekam eine Stelle in einem großen bekannten Architekturbüro. Sie war froh, endlich arbeiten zu können. Isabel war bei den Kollegen und den Patienten beliebt. Isabel und Julius wollten eine gemeinsame Wohnung suchen.
"Doch vorher sollte ich um deine Hand bei Deinen Eltern anhalten."
Julius sah sie an.
"Was meinst du?"
"Wir können ja in den nächsten Tagen nach Hause fahren."
"Ja, und danach stelle ich dich meinen Eltern vor."
Isabel dachte, es wäre an der Zeit, Julius zu sagen, wo ich herstamme, denn mit einer Lüge möchte ich nicht in den Stand der Ehe treten. Wenn sie gewusst hätte, was noch auf sie zugekommen, hätte sie nicht so lange gewartet. Sie hatten sich schon einige Wohnungen angesehen, war aber keine passende dabei.
Als sie einen Brief von ihren Eltern bekam, Ein Kuvert, dass ungewöhnlich größer und schwerer als die üblichen war. Sie wurde gebeten, so schnell als möglich nach Hause zu kommen. Sie dachte schon, mit ihren Eltern sei etwas geschehen. Doch aus dem beiliegenden Schreiben vom Nachlassgericht erfuhr sie, dass es um eine Erbschaftsangelegenheit ging. Isabel konnte sich gar nicht vorstellen, von wem sie etwas zu erben hätte.
Deshalb fuhr sie diesmal noch allein mit dem Frühzug nach Bamberg. Sie war sechs Stunden unterwegs. Die vorbeiziehende Landschaft lenkte sie ab, von dem, was sie erwartete, sie saß alleine im Abteil, irgendwann stieg ein Fahrgast zu, sie erschrak, da sie etwas eingenickt war. Ein nicht gerade sympathisch aussehender Mann, er nahm ihr gegenüber Platz und starrte sie unentwegt an. Er sprach sie nach einer Weile an: "Sie sind eine wunderschöne Frau." Isabel reagierte nicht, sie dachte, hoffentlich steigt
der bald aus. In Gedanken sprach sie zu ihm, indem sie ihm sagte, dass sich das nicht gehört, eine Dame, die allein ist, anzusprechen. Noch drei Stationen, endlich war sie an ihrem Ziel angekommen. Ihr Vater hatte sie abgeholt, Isabel war froh den Zug verlassen zu können, denn der Mann wurde ihr immer unheimlicher. Sie hatte sich die letzten Stationen im Gang des Wagons aufgehalten. Obwohl sie ein unbehagliches Gefühl hatte, wegen des Schreibens vom Nachlassgericht.
Am Tag darauf hatte sie um zehn Uhr den Termin. Sie war so nervös, dass sie keinen Bissen herunter brachte, sie trank nur einen Tee. Ihr Vater hatte ihr angeboten, mit ihr zu gehen, doch Isabel wollte diesen Schritt allein gehen.
9
Bei der Testamentseröffnung erfuhr sie vom Tod ihrer leiblichen Mutter, und dass diese Gräfin Angelique von Ungelo war. Leider hatte sie ihre Mutter nie persönlich kennen gelernt, da diese viel zu früh verstarb, um ihrer Tochter alles zu erklären. Sie hinterließ ihr einige Zeilen, in denen sie ihre Wahrheit offenbarte, weshalb sie so handeln musste, und wie Leid ihr alles tut.
Als sie im Notariat erschien, musste sie ein wenig warten, der Notar hatte Verspätung. Die Sekretärin fragte sie, ob sie Kaffee und Tee wolle. Sie antworte:
"Nein danke, aber vielleicht ein Glas Wasser, das wäre nett."
Isabel sah immer wieder auf die alte Standuhr im Warteraum, die bereits schon eine halbe Stunde eingeläutet hatte. Endlich nach einer dreiviertel Stunde kam er zur Türe herein.
Der Notar bat sie mit den Worten:
"Guten Tag Miss Vandel, kommen Sie gleich mit mir mit, und entschuldigen Sie bitte mein spätes Erscheinen, nehmen Sie Platz. Ich werde das Testament holen, einen Moment bitte noch."
Isabel nickte nur, sie konnte nichts sagen. Er kam zurück ins Zimmer, mit einem größeren Kuvert. Isabel sah auf und dachte, was da wohl auf sie zukommt.
Er öffnete das Kuvert und begann zu lesen.
"Meine liebe Isabel, wenn du von diesem Testament erfährst, bin ich nicht mehr am Leben."
Isabel saß mit großen und Tränen in den Augen, und verkrampfte ihre Finger ineinander. Er las weiter:
"Ich vermache mein Schloss, meinen Schmuck sowie das Mobiliar und mein gesamtes Barvermögen an Isabel, als Wiedergutmachung und weil ich sie sehr vermisst habe. Leider haben wir uns nicht mehr kennen gelernt. Einen persönlichen Brief an dich liegt bei, bitte lies in, in aller Ruhe."
Isabel konnte gar nicht fassen, was sie vom Notar erfahren hatte, sie dachte sie träumte, doch als sie ihre Tränen wegwischte, wusste sie es ist war.
Der Notar fragte sie, soll ich Weiterlesen? "Des Weiteren vermache ich das Schloss Waldesruh, das in Würzburg steht, an meinem Sohn, deinem Halbbruder Julius, der sich zurzeit in USA aufhält. Ich hoffe sie finden ihn, damit er das Erbe antreten kann, auch hoffe ich, dass du es nicht ausschlagen werden wirst, und auch meine Bediensteten, die mir immer Treu zur Seite standen mit übernehmen wirst. Das Schloss wird von meinem Verwalter bewirtschaftet, der dir jederzeit zur Hand gehen kann.
Der Notar überreichte Isabel dieses Kuvert, das persönlich an sie gerichtet war. Sie verabschiedete sich, als sie auf der Straße stand, holte sie erst einmal tief Luft. Zu Hause angekommen, wurde Isabel sie schon von ihren Eltern voll Erwartung in Empfang genommen. Sie wollte aber noch nicht sagen, ging in ihr Zimmer um in Ruhe und voller Neugier den Brief zu lesen.
Liebe Isabel!
Als ich mit dir schwanger war, war mein erster Gedanke ein wundervolles Gefühl, doch die Realität war alles andere als schön. Ich musste jedoch meine Schwangerschaft geheim halten. Keiner durfte es erfahren, am allerwenigsten mein Vater. Du hast Deinen Großvater Gott sei Dank nie kennen gelernt. Er war ein Tyrann, man konnte ihm nichts recht machen.
Meine Mutter, Deine Großmutter, hatte fürchterlich darunter zu leiden. Jedoch bei Festivitäten musste sie an seiner Seite repräsentieren, da sie eine wunderschöne Frau war. Eines Tages konnte sie es nicht mehr aushalten, sie nahm sich das Leben. Sie sprang in den See unseres Schlosses, der ziemlich tief, kalt und unheimlich war, wo sich auch noch nie jemand hinein wagte. Es muss um Mitternacht gewesen sein, keiner hatte es bemerkt, sie ertrank unweigerlich, da sie nicht schwimmen konnte. Meinen Vater, hatte
ich damals das einzige Mal weinen sehen. Erst mit fünfundzwanzig Jahren, lernte ich meine erste große Liebe kennen, den Rittmeister Tassilo, hatte sein Medizinstudium abbrechen müssen, da ihm das Geld knapp wurde. Also trat er in die Dienste meines Vaters, der in seinen Augen nicht standesgemäß gewesen wäre, so konnten wir uns nur heimlich treffen. Diese Liaison, die für mich aber meine erste und einzige große Liebe war, hielt aber nicht lange, da mein Vater ihn eines Tags von heute auf morgen vom Hofe getrieben
hatte, wegen Veruntreuung hieß es. Ich konnte ihm nicht mehr sagen, dass er Vater wurde. Denn er verstarb nach einem Jahr an Typhus. Mein Vater hätte mich ebenfalls vom Schloss gewiesen, wenn mein Zustand bekannt geworden wäre. Ich brachte dich, Isabel in einer abgelegenen Scheune ganz allein zur Welt. Ich wickelte dich in Tücher und eine Decke und legte dich vor die Kirche. Du wirst mit Recht fragen, warum an diesen Ort, ich war mir einfach sicher, hier würde man für dich sorgen. Du hast gute Pflegeeltern bekommen,
die sich rührend um dich gekümmert haben.
Isabel war ärgerlich und enttäuscht über ihre Mutter, wie konnte sie ihr eigen Fleisch und Blut einfach auf einer Treppe ablegen. Sie las den Brief zu Ende.
Ich möchte dir noch eins sagen, ich habe immer gewusst, was du tust, denn ich habe dich nie aus den Augen verloren. Auch war ich stolz, wie du Dein Leben in die Hand genommen hast. Sicher wirst du eine gute Ärztin. Ich wünsche dir alles Gute für Deinen weiteren Lebensweg Drei Jahre nach Deiner Geburt wurde ich verheiratet mit einem Mann, den ich nicht liebte. Mit diesem habe ich einen Sohn namens Julius, also Dein Halbbruder, mein Mann ist mit ihm nach fünfzehn Jahren ins Ausland gegangen, ich habe nie
mehr von ihnen gehört. Es tut mir leid dass alles so kam. Aber, wenn du mir verzeihen kannst, dann versuche es bitte. Ich kann mich Dir nur noch schriftlich um Deine Milde bitten, ich bin unheilbar krank und werde nicht mehr leben, wenn Du diese Zeilen liest.
Deine Dich liebende Mutter.
Sie zerknüllte den Brief und warf ihn in die Ecke.
Isabel dachte traurig, warum bist du nicht früher zu mir gekommen, du wusstest doch, wo ich war, vielleicht hätte ich es verstanden, wenn wir miteinander geredet hätten.
Isabel wäre froh gewesen, wenn Julius in ihrer Nähe gewesen wäre, doch da fiel ihr erschrocken der Name ein, den die Mutter erwähnt hatte. Julius, mein Halbbruder, sie wurde kreidebleich, sie sagte sich, bitte lass es nicht zu, dass es wahr ist. Doch dann fiel ihr das Alter ein und sie stellte erleichtert fest, dass es ihr Julius nicht sein konnte, da er älter war als sie selbst.
Isabel war hin und her gerissen, was sie erfahren hatte, konnte sie gar nicht glauben. Sie ließ den Brief ihre Eltern lesen, die waren natürlich auch bestürzt, was sie aus diesen Zeilen erfuhren. Isabel blieb noch zwei Tage zu Hause, danach fuhr sie wieder nach München. Sie hatte Julius telegraphiert, wann sie ankam, und er holte sie von der Bahn ab. Er hatte sofort bemerkt, dass irgendwas Besonderes vorgefallen sein musste, doch er nahm sie in den Arm und fragte erst mal gar nichts. Sie gingen Hand in Hand
zu ihr in die Wohnung. Julius machte ihr einen Tee und wich ihr nicht von der Seite, sie war ihm sehr dankbar dafür.
Nach einer gewissen Zeit fing sie an: "Julius, ich muss dir etwas von mir erzählen, ich finde du hast das Recht dazu, denn bevor wir heiraten wollen, musst du alles wissen."
"Aber nur wenn du schon so weit bist, du hast alle Zeit der Welt, wenn es jetzt noch weh tut, dann warte auf den richtigen Zeitpunkt." Er nahm sie in den Arm und küsste sie ganz herzlich.
"Nein, es geht schon. Ich bin",
sie atmet kurz durch, bevor sie es aussprach, also, ich bin ein Findelkind, meine Mutter hatte mich unter der Pforte der Michaelskirche ausgesetzt. Da wurde ich von der Haushälterin des Hochwürdens erst einmal aufgenommen, man gab mich in die Obhut des Waisenhauses, wo mich meine Eltern rausholten und adoptierten." Sie wischte ihre Tränen weg.
"Mit meinen Eltern habe ich wirklich Glück, sie lieben mich wie ihr eigen Fleisch und Blut."
"Und weißt du wer deine Mutter ist?"
"Jetzt ja, ich habe es durch das Nachlassgericht erfahren, deswegen musste ich nach Hause. Ich lasse dich dann den Brief meiner Mutter lesen, sie war die Gräfin von Underlo, nun bin ich eine Komtess". Sie sah Julius an, der ganz verwirrt da saß.
"Keine Angst, es ändert sich an meiner Liebe zu dir nichts, ich liebe dich von ganzem Herzen."
"Ich liebe dich auch, aber als Komtess willst du mich noch heiraten, den kleinen Architekten?"
Sie küsste ihn und sagte: "Aber mein Liebster, mein Titel hat doch mit meiner Person nichts zu tun, ich bin die gleiche, wie vorher. Nun müssen wir uns aber damit einig werden, ob du mit mir in einem Schloss wohnen willst."
"Ich könnte es mir schon vorstellen, wo du bist will auch ich sein.
"Lies erst einmal den Brief, danach sollten wir ins Bett gehen, und darüber schlafen. Was meinst du?"
"Du hast Recht". Er nahm den Brief an sich und las ihn, danach nahm er Isabel in die Arme, die wieder Tränen in den Augen hatte. Sie gingen zu Bett, konnten lange nicht einschlafen, in den frühen Morgenstunden schlummerten sie doch noch ein.
10
Die junge Komtess Isabel von Ungelo durchschritt ihr Anwesen, von dem sie erst vor kürzester Zeit erfuhr. Sie musste sich erst daran gewöhnen, dass sie die neue Herrin von Schloss Geyerwörth war, das südlich des alten Rathauses auf der Regnitzinsel lag. Es wurde einst vom kaiserlichen Landgericht für einige Jahre in Besitz genommen. Bis ihr Großvater, Graf von Ungelo, es als sein Eigentum überschrieben bekam, und später ihre Mutter. Und nun soll es ihr gehören.
Als sie sich ihren Bediensteten vorstellte mit den Worten vor: "Ich bin die neue Herrin, ich denke wir werden gut miteinander auskommen. Ich verlange nicht mehr aber auch nicht weniger, ich komme ihnen mit Höflichkeit entgegen, was ich natürlich auch von ihnen erwarte, dann werden wir gut zurechtkommen. Und falls sie mal ein Problem haben, können sie jederzeit zu mir kommen. Auf gute Zusammenarbeit."
Ihre Eltern waren am Anfang sehr überrascht als sie erfuhren, wer die Mutter war, doch sie kamen ganz gut damit klar.
Isabel war alles noch sehr fremd und doch fühlte sie sich schon heimisch in ihrem Reich. In das angrenzende Anwesen, dass sehr groß war, will sie eine Arztpraxis und ein Architekturbüro für Julius einrichten, falls dieser einverstanden. So kann sie wieder mit ihrem Vater Hand in Hand arbeiten, denn ihren geliebten Beruf will sie vorerst nicht aufgeben. Und falls Nachwuchs kommen sollte, wird sie genauso da sein und liebevoll umsorgen wie sie umsorgt wurde. Leider nicht von ihrer Mutter, aber auch dies wird
sie eines Tages verarbeitet haben.
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