Bloß ein alter Schuh
© Britta Dubber
Umwerfend sah er aus, in dem grünen Hemd, den schwarzen Jeans und mit seiner zerzausten Frisur. Er hatte also immer noch das Cabriolet.
Nur kurz blickte er sich um und entdeckte mich fast auf Anhieb, in der überfüllten Hotellobby.
Eine zehnköpfige Gruppe japanischer Geschäftsleute kam aus einem Konferenzzimmer und steuerte auf die Aufzüge zu, während eine Großfamilie aus Frankreich am Empfang eincheckte.
Ich fühlte mich unwohl in dem ganzen Trubel. Gesprächsfetzen verschiedenster Sprachen, der Duft von Kölnisch Wasser und das Geräusch von Gepäckwagen, die ununterbrochen durch die Lobby geschoben wurden, von jungen Burschen in einer blauen Uniform mit komischen Mützen, die ihnen so tief ins Gesicht fielen, dass man nur noch die Nasen- und Kinnpartie sehen konnte.
"Hast du schon eingecheckt?", fragte er ohne eine Begrüßung, nachdem er sich durch eine Gruppe indischer Frauen in bunten Kleidern gekämpft hatte, die wild mit den Händen vor einem Pagen gestikulierten.
"Vor ein paar Stunden schon", sagte ich und fühlte, wie sich mein Nacken verspannte. Warum sah er immer noch so gut aus?
Ein Mann mit breiten Schultern und einer Glatze, von hinten kommend, stieß mich zur Seite und blickte mich grimmig an, als ich mir die Schulter rieb.
"Ich muss hier raus", sagte ich, schob mich an den Inderinnen vorbei und stürzte durch die Drehtür. Mein Kopf hämmerte und mir war speiübel.
"Du hast dich kein bisschen verändert, was?", fragte er. Ich meinte eine Spur von Enttäuschung herausgehört zu haben, doch als ich mich zu ihm umdrehte, strahlte er mich mit seinem Tausend-Watt-Lächeln an.
Wir gingen in den nahegelegen Park und ich begann mich zu entspannen, während wir schweigend nebeneinander her gingen. Es war fast so wie früher. Früher, als es noch keine Carolina gegeben hatte und keine nervigen zwei Kinder, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Ich versuchte mir die Worte zurecht zu legen, die ich tagelang in meinem Badezimmer einstudiert hatte. Doch mein Kopf schien leer. Ich wusste, er wartete auf eine Erklärung für das Treffen. Auf eine Erklärung, warum ich wieder in der
Stadt war.
"Ich lasse mich scheiden", sagte er und bückte sich dann, um seine Schnürsenkel zu zubinden.
Ich wirbelte herum, unfähig einen klaren Gedanken fassen zu können.
"Bitte?", stieß ich nur hervor und merkte, wie die von mir zurecht gelegten Worte im opf zu Staub zerfielen und sich zu dem Gedankenmüll der restlichen Tage gesellten.
Er kniete immer noch auf dem Boden, hob einen ovalen Stein auf und drehte ihn in den Händen. Als er sprach, war seine Stimme weich und sehr leise, doch die Wörter waren von solch einer Härte, dass ich sie trotz Hundegebell und Kinderlärm mühelos verstehen konnte.
"Dieses Stück Dreck hat sich von ihrem Chef flachlegen lassen, damit sie befördert wird."
Mit offenem Mund starrte ich in an, dann erhob er sich, warf den Stein ins Gestrüpp und strich sein Hemd glatt.
"Sie ... hat dich betrogen?" Die Worte waren heraus, ehe ich überhaupt realisieren konnte, dass ich sprach. Meine Stimme klang fremd und fern, doch er schien es nicht zu bemerken.
Grimmig lächelte er mich an, dann zuckte er die Schultern.
"Sie hat mit ihrem Chef ... hat sie dir das selbst gesagt?"
"Ich bin nicht der eifersüchtige Ehemann, das solltest du wissen. Natürlich hat sie es mir selbst gesagt, woher sollte ich denn sonst sicher sein? Dieses Schwein hat ja alles abgestritten und sie eine Hysterikerin genannt."
"Du hast ihm doch nichts getan, oder?", fragte ich, obwohl ich nicht sicher war, ob ich eine Antwort hören wollte.
"Ich habe mich geirrt. Du hast dich doch verändert", sagte er und sah mir direkt in die Augen.
Verständnislos sah ich ihn an.
"Früher hättest du meine Partei ergriffen und keine Gedanken an diesen Arsch verschwendet."
"Um deine Frage zu beantworten", fuhr er fort und biss sich kurz auf die Lippen. "Ich habe ihm eine runter gehauen. Aber mehr als eine gebrochene Nase ist nicht dabei herausgekommen."
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also schwieg ich. Wir gingen ein Stück weiter und bogen in einen Sandweg, der zum See führte.
Kinder liefen lachend an uns vorbei und ich musste an seine denken. Vier und fünf Jahre alt mussten die beiden mittlerweile sein.
"Ich werde heiraten", sagte ich dann.
"Glückwunsch." Seine Stimme klang rau, der Ton - war es Enttäuschung?
Doch sein ehrlich aussehendes Lächeln ließ mich an der Enttäuschung zweifeln.
"Ich bin hergekommen um ... ich wollte dich sehen ... na ja ... um mit alten Geschichten abzuschließen", sagte ich.
"Wie in dem einen Film? In dem die Frau sämtliche ihrer Ex-Liebhaber aufsucht, um reinen Tisch zu machen, bevor sie heiratet?", fragte er und lachte leise.
"Nein", sagte ich strenger als beabsichtigt. "Es gab nur einen Liebhaber und das warst du."
Er kratzte sich am Kinn und drehte den Kopf zu mir. Seine grünen Augen glänzten und verbargen nicht vergossene Tränen. Ich hatte ihn nur einmal weinen sehen, als eines seiner Kinder schwer krank gewesen war.
"Warum dann dieses Treffen?", fragte er. Es klang ohne jeden Vorwurf und eine Spur zu desinteressiert.
"Du warst die Liebe meines Lebens. Ich habe jahrelang auf dich gewartet. In der Schulzeit, als du mich keines Blickes gewürdigt hattest und dann als wir zusammen waren, habe ich ebenso gewartet. Gewartet darauf, dass du dich ganz auf unsere Beziehung einlassen kannst. Aber du warst immer weit weg, selbst wenn wir im selben Bett geschlafen haben. Als wir dann getrennt waren, habe ich gewartet, dass du wieder kommst. Und nach deiner Hochzeit habe ich darauf gewartet, eine Eingebung zu bekommen. Zu erfahren,
weshalb du bei ihr sein konntest, aber nie bei mir. "
"Deswegen wolltest du mich sehen?"
Wir hatten den See erreicht und blickten aufs Ufer, an dem zwei Angler saßen. Der eine in einer knallroten Weste, der andere im Anzug. Die beiden wirkten wie schlecht besetzte Schauspieler in einer noch schlechteren Seifenoper.
"Ich muss es wissen. Was stimmte an mir nicht? Warum konntest du sie heiraten und mit mir hingegen noch nicht einmal zu meiner Familie mitkommen?"
"Weil ich dich zu sehr geliebt habe", sagte er, den Blick starr auf die Uferböschung gerichtet.
"Was?", stieß ich hervor und musste mir ein verzweifeltes Prusten verkneifen.
"Ich hatte zu große Angst, von dir verlassen zu werden. So sehr habe ich dich geliebt. So sehr, dass ich dich immer auf Abstand halten musste, um nicht von meiner Angst aufgefressen zu werden."
"Aber ich habe dich verlassen. Eben genau aus dem Grund, dass du mich permanent auf Abstand gehalten hast", erwiderte ich und suchte seinen Blick.
"Ja, saukomisch, was?", sagte er und lachte. Dann wischte er sich mit der Hand über das rechte Auge und drehte sich weg.
"Es hat einer angebissen! Guck, so ein großer! Es hat einer angebissen!", schrie der Angler in der roten Weste und zog kräftig an der Angelschnur.
"Ist vermutlich bloß ´nen alter Schuh", sagte der andere.
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